Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn die Chancen für einen geregelten Brexit gesunken sind - für einen Abgesang ist es zu früh. Deshalb ist es sinnvoll, dass unser BrexitÜbergangsgesetz im parlamentarischen Verfahren verbleibt. Die Notwendigkeit ist weiterhin gegeben, die politischen Verabredungen des Austrittsabkommens in Landesrecht zu übersetzen, um Rechtssicherheit herzustellen.
Lassen Sie mich noch auf die weiteren Optionen eingehen, die unter dem Stichwort „Exit vom Brexit“ diskutiert werden.
Wie bereits erwähnt, hat der Europäische Gerichtshof die einseitige Rücknahme der Kündigungserklärung durch die britische Regierung zugelassen. Von britischer Seite wurde dieser Schritt bisher abgelehnt. Somit ist dieser Weg, zumindest bisher, leider versperrt.
Ähnlich sieht es mit einem zweiten Referendum aus, also der Möglichkeit, das britische Volk vor dem Hintergrund der aktuellen Situation noch einmal über den Brexit abstimmen zu lassen. Ich hege große Sympathien für diese Option, weil es vernünftig wäre, und auch weil sie die Hoffnung nährt, den Brexit doch noch abzuwenden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zur Antwort auf Frage 2: Welche Folgerungen ergeben sich daraus für das Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU-27?
Auch hier kommt es entscheidend auf den weiteren Fortgang des Prozesses auf britischer Seite an. Wenn der geordnete Brexit trotz jahrelanger Verhandlungen scheitert und das Vereinigte Königreich am 30. März nächsten Jahres schlagartig zum Drittstaat wird, sind alle folgenden Verhandlungen bereits im Vorfeld belastet.
Das Vereinigte Königreich und die EU wollen nach dem Brexit ein belastbares Beziehungsgerüst aufbauen. Es geht um ein Freihandelsabkommen, ein Fischereiabkommen, um die Anerkennung von Standards, um Aufenthaltsregelungen für EU
Doch wie soll dieses stabile Gerüst verhandelt werden, wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass gefundene Verabredungen gelten? Die Wankelmütigkeit der britischen Seite, die wir gerade erleben müssen, hat bereits jetzt zu einem Vertrauensverlust geführt. Das wird die künftigen Verhandlungen belasten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Folgerungen ergeben sich daraus für uns hier in Niedersachsen? Zunächst einmal ist es gut, dass sich die Landesregierung von Anfang an auf beide Optionen - sowohl den ungeregelten als auch den geregelten Brexit - vorbereitet hat. Für die Niedersächsische Landesregierung ist klar, dass wir jetzt die Vorbereitungen für den ungeregelten Brexit intensivieren müssen. Um hier aber eines klar zu sagen: Dabei kann es nur darum gehen, unbillige Härten für einen begrenzten Zeitraum zu verhindern. Ausdrücklich geht es nicht darum, dauerhafte Lösungen vorzubereiten. Maßnahmen zur Abfederung unbilliger Härten ersetzen weder eine EUMitgliedschaft noch den geregelten Brexit, und schon gar nicht Vereinbarungen über künftige Handelsbeziehungen.
Sowohl die EU-Ebene als auch der Bund als auch alle Länder bereiten sich auf den ungeregelten Brexit vor. Ich möchte Ihnen einige Beispiele geben:
Die EU-Kommission hat acht Gesetzgebungsvorschläge zur Vorbereitung auf den Brexit vorgelegt. Sie hat etwa eine Änderung der Visaverordnung bereits angenommen, nach der Britinnen und Briten auch im Falle eines ungeregelten Brexits für Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen während eines Zeitraums von 180 Tagen ohne Visum in die EU einreisen können. Diese Regelung setzt Gegenseitigkeit voraus. Das bedeutet eine entsprechende Regelung im Vereinigten Königreich für alle Bürgerinnen und Bürger aus der EU, und wir wissen, dass die Briten daran arbeiten.
Weitere Regelungen sind bereits vorsorglich getroffen worden, bzw. sie befinden sich in der Ausarbeitung, um die Bürgerinnen und Bürger der EU vor Problemen zu bewahren. So wird z. B. in Kürze geregelt werden, wie mit der Zulassung britischer Arzneimittel verfahren werden soll, damit es im Gebiet der EU nicht zu Verknappungen kommt.
Im Bereich des Verkehrsrechts wird die Kommission Maßnahmen vorschlagen, mit denen sichergestellt wird, dass Maschinen der Luftfahrtunternehmen aus dem Vereinigten Königreich über das Hoheitsgebiet der Europäischen Union fliegen, technische Halte z. B. bei der Betankung - ohne Ein- und Aussteigen von Fluggästen - vornehmen, in der Europäischen Union landen und in das Vereinigte Königreich zurückfliegen dürfen. Diese Maßnahmen wären an die Bedingung geknüpft, dass das Vereinigte Königreich Airlines aus der EU ebenso behandelt.
Auf Bundesebene hat das Bundesarbeitsministerium bereits Vorsorge getroffen, wie soziale Härten abgefedert werden sollen. Es soll beispielsweise sichergestellt werden, dass die vor dem Brexit angesammelten Versicherungszeiten auch nach dem Brexit für den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer und das Wiederaufleben von Ansprüchen berücksichtigt werden können. Zudem sollen etwa Personen, die vor dem Brexit in der deutschen gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung sowie in der gesetzlichen Pflegeversicherung versichert waren, nicht allein aufgrund des Brexit ihren Versicherungsstatus verlieren oder unfreiwillig einer Doppelversicherungspflicht unterliegen. Zudem hat der Bund beschlossen, sein Personal beim Zoll aufzustocken.
Auf Landesebene ist nach derzeitigem Ermessen kein gesetzliches Tätigwerden erforderlich. Wir sind vielmehr administrativ, insbesondere im Bereich von Kontrollen, betroffen. Die kommunalen Überwachungsbehörden werden im Veterinärbereich mehr Arbeit haben. Darauf weist das Landwirtschaftsministerium hin. Vom Sozialministerium erfahren wir, dass es einen erhöhten Vollzugsaufwand bei den Einfuhren von Medikamenten und Medizinprodukten sowie im Bereich der allgemeinen Produktsicherheit geben wird. Und das Innenministerium erwartet eine Mehrbelastung bei den 52 kommunalen Ausländerbehörden.
Eine Branche in Niedersachsen wäre allerdings bei einem ungeregelten Brexit schlagartig hart betroffen. Ich spreche von der Hochseefischerei. Für diesen Fall wären ab dem 30. März 2019 für unsere Fischer die Gewässer vor der britischen Küste sofort gesperrt. Wir reden hier von einem beträchtlichen Teil der Nordsee; denn die ausschließliche Wirtschaftszone des Vereinigten Königreiches erstreckt sich von der Küste 200 Seemeilen weit. Ob und inwieweit das Vereinigte Königreich unseren Hochseefischern Zugang gewähren würde, ist derzeit leider völlig offen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung unternimmt alle Anstrengungen, um sich auf den Ausgang des Brexit-Prozesses vorzubereiten. Auch die jüngsten Londoner Ereignisse haben uns nicht unvorbereitet getroffen. Von jeher gehörte der ungeregelte Brexit zu den Szenarien, die es vorzubereiten galt. Dieses ist nach bestem Wissen geschehen.
Meine Damen und Herren, was sich gerade in London abspielt, muss eine Mahnung sein, was Populismus anrichten kann. Die britische Gesellschaft ist tief gespalten, auch weil politische Akteure bewusst falsche Behauptungen und Schauermärchen über Europa in die Welt gesetzt haben, um ihr persönliches Süppchen zu kochen.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Eine erste Zusatzfrage für die SPD-Fraktion stellt nun Kollegin Claudia Schüßler.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin Honé, Sie haben eben in Ihrem Beitrag davon gesprochen, dass es überhaupt keinen wirklichen Plan in Bezug auf die Hochseefischerei im Falle eines ungeregelten Brexit gibt. Ich möchte gerne wissen, was die Landesregierung dazu an Überlegungen und Plänen hat.
Liebe Frau Schüßler, wie ich eben schon ausgeführt habe: Das Vereinigte Königreich wird ab dem 30. März ein unabhängiger Drittstaat sein. Es kann ab diesem Zeitpunkt selbst entscheiden, ob und inwieweit es fremden Flotten Zugang zu seiner ausschließlichen Wirtschaftszone gewähren will.
Damit ist - wie ich bereits ausgeführt habe - völlig unklar, wie es für unsere Fischer weitergeht und ob wir weiterhin Zugang zu den dortigen Fischgründen bekommen werden bzw. ob wir weiterhin von den Möglichkeiten eines Quotentausches profitieren können. Sie wissen es vielleicht: Es gibt einen
Quotentausch im Hinblick auf Norwegen. Unsere Fischer dürfen in den norwegischen Gewässern fischen, und dafür dürfen die norwegischen Fischer in unseren europäischen Hoheitsgewässern fischen. Auch dieser Quotentausch wäre natürlich im Falle eines ungeregelten Brexits so nicht mehr gegeben, und es wäre offen, wie es weitergehen würde.
Auch beim ungeregelten Brexit bleibt unser Ziel, ein Fischereiabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auszuhandeln. Da würden wir anstreben, dass die Regelung, die wir heute haben, ihren Fortbestand findet.
Natürlich kann die EU auch mit Norwegen verhandeln. Das wird selbstverständlich auch erfolgen, wenn es zu Verhandlungen über ein Fischereiabkommen mit dem Vereinigten Königreich kommt. Da würden wir uns erhoffen, dass es ein Wiederaufleben dieses Quotentauschs gibt.
Wir wissen zurzeit allerdings überhaupt nicht, inwieweit sich bei einem ungeregelten Brexit das Vereinigte Königreich darauf einlassen wird. Wir bauen darauf, dass die britischen Fischer und Fischerinnen ihren Fisch ja auch irgendwo absetzen müssen und das sicherlich innerhalb der Europäischen Union tun wollen. Das ist das Pfand, auf das wir setzen.
Auch in dieser Hinsicht wäre ein ungeregelter Brexit also dramatisch für Niedersachsen und auch für andere Länder. Wir hoffen sehr, dass es bei einem geregelten Brexit bleibt und wir im Rahmen der dadurch gewonnenen Zeit dann zu einem Fischereiabkommen kommen können.
Danke schön, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage für die FDP-Fraktion stellt der Kollege JanChristoph Oetjen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Ministerin, vor dem Hintergrund, dass das Thünen-Institut in einer Studie errechnet hat, dass die Agrarexporte auf die Inseln um etwa 1,2 Milliarden Euro zurückgehen könnten und dass etwa ein Drittel davon auf Schweine- und Geflügelfleisch entfällt, für das Niedersachsen ein wichtiger Produktionsstandort ist, frage ich die Landesregierung: Was tut die
Landesregierung, um die niedersächsische Agrar- und Ernährungswirtschaft in dieser Frage zu unterstützen, insbesondere im Hinblick auf die Harmonisierungsregelungen im Lebensmittelrecht?
Frau Präsidentin! Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Auch da kann ich nur darauf verweisen, dass wir sehr hoffen, dass es zu einem geregelten Brexit kommt; denn dort werden diese Fragestellungen dann erörtert werden.
Im Falle eines ungeregelten Brexit stehen wir vor den Herausforderungen, die ich genannt habe. Dann müssen wir im Bereich der Ausfuhren erst einmal für hinreichend Veterinäre sorgen. Das ist das, was das ML vorzubereiten hat. Es wird alles viel länger dauern.
Wir merken bereits jetzt, dass die Exporte niedersächsischer Waren zurückgehen, dass die Warenströme eine andere Richtung nehmen. Das ist für uns eine große Herausforderung. Aber auch da kommt es darauf an, dass wir möglichst einen geregelten Brexit hinbekommen. Beim ungeregelten Brexit ist das in der Tat offen. Da müssen wir schauen, auch insofern möglichst schnell zu bilateralen Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zu kommen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Ministerin Honé, Sie haben in Ihrer Antwort auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs angesprochen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Welche Auswirkungen hat die Entscheidung, die der Europäische Gerichtshof am 10. Dezember zum Brexit getroffen hat, nach Ansicht der Landesregierung auf Niedersachsen in Bezug auf Klimaschutz und Umweltschutz?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Diese Frage kann man bezogen auf Niedersachsen nicht so differenziert beantworten. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gibt den Briten die Möglichkeit, sozusagen noch einmal vom Austritt zurückzutreten. Diese Möglichkeit haben sie bis zum 29. März 2019.