Protocol of the Session on November 15, 2018

Erfreulich ist auch, dass Anträge nicht nur aus den großen Städten gestellt worden sind, sondern auch eine ganze Reihe kreisangehöriger Städte und

Gemeinden aktiv geworden ist. Das zeigt, dass das Thema Wohnungslosigkeit nicht ausschließlich ein Problem der Großstädte ist, sondern auch in kleineren Städten an Bedeutung gewinnt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Zusatzfrage für die AfD-Fraktion stellt Frau Fraktionsvorsitzende Guth. Bitte!

Vielen Dank. - In Anbetracht der Tatsache, dass die gesundheitliche Versorgung bzw. das Gesundheitssystem oftmals nicht in der vorhandenen Form genutzt werden kann, frage ich die Landesregierung: Welche speziellen Gesundheitsangebote und Angebote der medizinischen Versorgung gibt es in Niedersachsen, die den speziellen Bedürfnissen der in Rede stehenden Bevölkerungsgruppe Rechnung tragen?

Vielen Dank. - Bitte, Frau Ministerin Dr. Reimann!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal will ich darauf hinweisen, dass die Gesetzgebungskompetenz, was die gesetzliche Krankenversicherung angeht, beim Bund liegt. Der Bund hat diesen Handlungsbedarf bereits vor einiger Zeit erkannt und das Thema aufgegriffen. Es ist eine Krankenversicherungspflicht eingeführt worden.

Seit 2009 besteht gemäß § 193 des Versicherungsvertragsgesetzes eine allgemeine Versicherungspflicht für alle Personen, die einen Wohnsitz in Deutschland haben und die sich dann bei einem Krankenversicherer versichern können, über den dann abgerechnet werden muss. Alle Anstrengungen müssen natürlich dahin gehen, die Personengruppen, die Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen - wie auch der privaten - Krankenversicherung haben, darüber zu informieren und sie in die Regelsysteme zu überführen.

Die Kommunen, die ja die Zuständigkeit für die Wohnungslosen haben, tun in Niedersachsen etliches dafür. Ich will ein paar Beispiele aus Hannover nennen, da das naheliegend ist. Es gibt einen Tagestreff, in dem medizinische Versorgung ange

boten wird. Es gibt ein Zahnmobil der Diakonie, das genutzt werden kann. Es gibt seit 1999 eine Straßenambulanz mit verschiedenen Ärzten, die in ehrenamtlicher Tätigkeit viele Einsatzstunden leisten und wirklich eine große Hilfe für die Menschen in Wohnungslosigkeit sind.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Die zweite und damit letzte Zusatzfrage für ihre Fraktion stellt Frau Abgeordnete Guth. Bitte!

Vielen Dank. - Eine weitere Frage: Oftmals leiden Obdachlose unter psychischen Erkrankungen. Gibt es in Niedersachsen ein psychosoziales Zentrum für Wohnungslose? Ist so etwas vorhanden oder geplant?

(Zustimmung bei der AfD)

Vielen Dank. - Bitte, Frau Ministerin!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für solche Hilfen stehen die psychosozialen Dienste der Kommunen zur Verfügung. Dorthin kann sich jedermann wenden. Das steht auch den Wohnungslosen bei psychischen Erkrankungen zur Verfügung. Ansonsten erfahren Menschen in Wohnungslosigkeit mit psychischen Erkrankungen auch in den Beratungsstellen bei besonderen Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. SGB XII entsprechende Hilfe.

Vielen Dank. - Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor, sodass ich die Aussprache eröffnen kann. Wir beginnen mit Frau Fraktionsvorsitzender Anja Piel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch, der in den Wintermonaten einsam und elend draußen auf der Straße an Kälte stirbt, ist einer zu viel. Da sind wir alle im Hause uns sicherlich einig.

Wir begrüßen, dass die Große Koalition das Thema Wohnungslosigkeit mit einem Antrag in dieses Parlament geholt hat. In der Anhörung zu diesem

Antrag ist aber deutlich geworden, dass die Maßnahmen, die die GroKo plant, viel zu kurz greifen und dass die bisher zur Verfügung stehende 1 Million Euro viel zu wenig ist, um in diesem Fall den betroffenen Menschen zu helfen.

In den Stellungnahmen wurde - das ist heute Morgen zur Sprache gekommen - vor allen Dingen auch auf die speziellen Bedarfe von wohnungslosen Frauen aufmerksam gemacht.

(Glocke der Präsidentin)

Das beschränkt sich in dem Fall nicht nur auf vernünftige sanitäre Einrichtungen in den Unterkünften, sondern es betrifft beispielsweise auch die Themen Arbeit und Qualifikation und vor allen Dingen - auch das ist hier schon angesprochen worden - den Umgang mit Gewalterfahrungen. Auch das findet nur sehr unkonkret in dem Antrag der GroKo Niederschlag.

(Vizepräsident Bernd Busemann übernimmt den Vorsitz)

Einig waren sich alle Akteure aus den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfen, dass dringend mehr Anstrengungen im Bereich Prävention unternommen werden müssen. Wir fordern deshalb - das war auch Teil dieser Stellungnahmen - eine landesweite Wohnungslosenstatistik. Diese ist die Grundlage für jede Maßnahmenplanung, die zielgerichtet stattfinden muss. Wir fordern - das war auch ein zentraler Punkt in den Stellungnahmen - landesweite Fachstellen, an die sich Menschen in Wohnungsnotfällen wenden können, z. B. wegen einer Räumungsklage oder wenn das Geld für die Miete nicht mehr reicht oder sie andere Schwierigkeiten in ihrer Unterkunft haben. Wir alle sind uns einig, dass der Zeitpunkt, solchen Menschen zu helfen, viel früher liegen muss.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der FDP und bei der AfD)

Wenn die Wohnung erst einmal verloren ist, ist es eigentlich bereits zu spät. Wir müssen die Menschen, die sich in solchen Notlagen befinden, bei ihren Ansprüchen, was Mietkostenübernahme angeht, unterstützen und langfristig auch, um Mietverhältnisse über den Akutfall hinaus zu sichern.

Die Fachstellen in Nordrhein-Westfalen sind übrigens bereits umfänglich evaluiert worden. Man weiß bereits, dass in NRW allein durch diese Beratung wesentlich weniger Menschen ohne Wohnung sind.

Um das einmal finanziell abzubilden, damit wir wissen, wofür wir das Geld an der Stelle gut anlegen und ausgeben können: Die Präventivmaßnahme, jemandem zu helfen, damit er die Wohnung nicht verliert, beläuft sich pro Fall auf ungefähr 500 Euro. Wenn eine Wohnung erst einmal verloren ist, kostet derselbe Mensch - ohne Wohnung - 4 000 Euro pro Fall. Also: Auch aus wirtschaftlichen Gründen, nicht nur aus humanitären Gründen, ist es dringend erforderlich, dass wir auch in Niedersachsen viel stärker in die Prävention einsteigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Deshalb fordern die Grünen vom Land und von dieser Landesregierung eine landesweite Präventionsstrategie, die für die Kommunen ein wichtiger Leitfaden sein kann, um mit den Fällen vor Ort umzugehen. Die Betroffenen sollten dabei angemessen beteiligt werden. Es ist für uns eine wichtige Grundlage, dass wir von den Betroffenen selber Ratschläge in diese landesweite Strategie mit einarbeiten.

Die Kommunen müssen einen am tatsächlichen Bedarf ausgerichteten Bestand menschenwürdiger, möglichst dezentraler Unterbringungsmöglichkeiten bereithalten. Das ist auch eine Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Eine Unterkunft, die ein Mindestmaß an Privatheit garantiert und die - das sage ich auch aus eigenem Anliegen - auch die Möglichkeit bietet, z. B. einen Hund mit unterzubringen - das ist für viele dieser Menschen ein wichtiger sozialer Anker in ihrem Leben.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der FDP und bei der AfD)

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Ende!

Ich muss zum Ende kommen. - Ich bitte die Große Koalition im Haus und auch die Landesregierung dringend darum, im Zusammenhang mit dem Haushalt noch einmal den Einsatz der Mittel zu überdenken. Wir können mehr tun, wir können Besseres leisten. Jeder Mensch, der auf der Straße stirbt, ist einer zu viel.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der FDP und bei der AfD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Im Rahmen der Aussprache hat sich jetzt für die FDP-Fraktion die Kollegin Sylvia Bruns gemeldet. Frau Bruns, bitte sehr!

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich der Kollegin Piel nur anschließen, gerade was die Präventionsmaßnahmen angeht. Wenn wir uns erst um die Menschen kümmern, wenn es schon zu spät ist, verhält es sich genauso, wie Anja Piel gesagt hat. Wir müssen tatsächlich mehr in die Prävention stecken, bevor Wohnungslosigkeit überhaupt entsteht.

Ich möchte den Fokus zum einen gerne auf die obdachlosen Frauen richten. Zum Glück gibt es in dem Antrag ja auch durchaus Ideen dazu. Mir wird oftmals berichtet - ich habe mich z. B. mit Phoenix unterhalten -, dass es tatsächlich ein Problem für die Prostituierten auf den Straßen gibt. Sie können die Obdachlosenheime nicht nutzen, weil diese genau dann schließen, wenn ihre Arbeitszeit endet. Das heißt, sie leben zwangsläufig auf der Straße. Ich weiß, es ist kommunale Aufgabe, sich darum zu kümmern. Das hat man bereits seit Jahren angemerkt, aber ich sehe nicht, dass sich tatsächlich etwas an dem Thema ändert.

Zum anderen würde ich gerne über die Menschen reden, die in Tageseinrichtungen sind und oftmals unter Drogenproblemen - Alkohol und sonstige Drogen - leiden. Ich hatte mir letzte Woche bei STEP in der Schulenburger Landstraße die neue Tageseinrichtung angeguckt. Dort ist darüber berichtet worden, dass sie Probleme mit den Anträgen haben. Das heißt: Das Geld ist da, es dauert aber viel zu lange, bis die Anträge bearbeitet sind und das Geld für die Menschen überhaupt fließen kann. Das heißt, sie nehmen ganz oft Menschen auf, ohne überhaupt zu wissen, ob es refinanziert wird. Sie finanzieren das vor. Es ist durchaus unsere Aufgabe, einmal hinzugucken, inwieweit die Kommunen, die das Geld über das quotale System nur weiterleiten sollen, ständig einen Flickenteppich schaffen. Jeder macht es irgendwie ein bisschen anders.

(Beifall bei der FDP)

Als Drittes würde ich ganz gerne noch auf den von uns eingereichten Änderungsantrag zum „Housing First“ hinweisen, was in vielen Bundesländern und auch in anderen Ländern sehr gut funktioniert. „Housing First“ - tatsächlich ist das Erste, was der

Mensch braucht, eine Wohnung, ohne vorher Anforderungen erfüllen zu müssen, etwa die Anforderung, clean zu sein oder keinen Alkohol mehr zu trinken.

Begleitet wird das alles mit einer engen sozialtherapeutischen Begleitung. Das heißt, das ist ganz spannend. Es gibt ja die Projekte schon. Es hat sich dadurch schon etwas verändert; denn auf den Straßen leben 30 % weniger Obdachlose, die an diesem Projekt teilnehmen. 77 % waren auch nach zwei Jahren noch in dem Programm. Der Gesundheitszustand hat sich verbessert. Das braucht man ja nicht weiter zu erklären. Das erklärt sich, denke ich, von selbst. Die Kriminalität sinkt, und die Therapiebereitschaft nimmt zu, weil die Menschen die eigenen vier Wände haben. Selbst wenn man die Wohnraumkosten in die Berechnung mit einbezieht, halbieren sich die Kosten im Vergleich zu den Kosten, die entstehen, wenn jemand auf der Straße lebt. Ich möchte noch einmal an die GroKo appellieren: Schließen Sie sich dem Änderungsantrag an. Nordrhein-Westfalen macht ein Pilotprojekt, und das kann man sich durchaus mit auf die Fahne schreiben.

Was den Satz angeht: „Jeder obdachlose Mensch, der stirbt, ist einer zu viel“, so würde ich gerne darauf hinweisen, dass man auch Menschen trifft, die sich bewusst für die Obdachlosigkeit entscheiden. Wir hatten mal jemanden - damals noch als FDP-Ratsfraktion -, der in dem ehemaligen Bunker in der Innenstadt gewohnt und gesagt hat, ich mache das ganz bewusst. Ich will weder in ein Obdachlosenheim noch will ich eine eigene Wohnung haben. - Solche Menschen gibt es auch. Das ist nicht das Gros. Dazu muss man als Gesellschaft sagen: Jeder kann alleine entscheiden, wie er sein Leben leben möchte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Bruns. - Jetzt spricht für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Christoph Eilers. Herr Eilers, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der NDR titelte am 5. November: „Kaum Wohnraum für Obdachlose - und der Winter naht“. Die Nordwest-Zeitung bracht einen Tag später, am 6. November, einen Artikel mit milderer Überschrift: „Winter in Niedersachsen: Hier sollen

Obdachlose vor Kälte geschützt werden“. Die Beiträge erschienen im Kontext einer Aktionswoche der Wohnungslosenhilfe in Westniedersachsen. Ziel der Aktionswoche war es, Bürger und insbesondere uns Politiker auf die schwierige Situation Wohnungsloser aufmerksam zu machen. Stellungnahmen kamen dabei u. a. von den niedersächsischen Städten Hannover, Oldenburg, Göttingen, Wolfsburg, Braunschweig und Lüneburg. Im Grundtenor äußern alle Städte, dass die Zahl der Obdachlosen zwar zunehme, man sich allerdings für den Winter gut aufgestellt sehe und jedem Obdachlosen eine Notunterkunft bieten könne. Dies ist keine freiwillige Leistung der Städte. Die Kommunen kommen damit ihrer gesetzlichen Aufgabe im Rahmen der Gefahrenabwehr nach.