Protocol of the Session on November 14, 2018

Wer dem so zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist das einstimmig überwiesen.

Wir kommen jetzt zum

Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung: Wirkung von Zwangsmaßnahmen erhöhen - Rechtsprechung effektiv durchsetzen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 18/2028

Der Antrag wird eingebracht von dem Abgeordneten Helge Limburg. Bitte!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Grundsatz der Gewaltenteilung gehört zu den zentralen Pfeilern unseres demokratischen Rechtsstaates. Dieser Grundsatz garantiert die richterliche Unabhängigkeit, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, wie sie auch in Artikel 97 Abs. 1 unseres Grundgesetzes festgelegt ist.

Diese Unabhängigkeit der dritten Staatsgewalt, der Judikative, darf aber nicht nur bedeuten, dass die Exekutive, also die Regierung, die Verwaltung, und das Parlament keinerlei Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen. Das muss sie selbstverständlich auch bedeuten. Aber sie muss natürlich auch bedeuten, dass letztinstanzliche Gerichtsurteile aus der Rechtsprechung unmittelbar umgesetzt werden.

Gerichtsurteile, die ignoriert werden, sind ein Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat und nichts weniger, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Die Frau Justizministerin Havliza hat vor zwei Wochen in ihrer Rede zur Amtseinführung der neuen Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle, Frau Otte, zu Recht auf die dramatische Situation der Justiz auch in einigen europäischen Ländern, beispielsweise in Polen und Ungarn, hingewiesen. Aber sie hat ebenfalls zu Recht darauf hingewiesen, dass es nicht genügt, dass wir von hier aus mit einem kritischen Blick nach Polen und Ungarn schauen, sondern dass wir auch hier in Deutschland erhebliche Probleme, bezogen auf den Umgang der Verwaltung mit der Rechtsprechung, haben.

Auch hier - das Beispiel hat die Ministerin genannt - tricksen Behörden, namentlich die Ausländerbehörde der Stadt Bochum, Verwaltungsgerichte aus, um Abschiebungen entgegen der Recht

sprechung durchzusetzen. Auch hier gibt es Städte, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ignorieren und trotz gegenteiliger Urteile der NPD die Nutzung einer Stadthalle untersagen.

Frau Ministerin, für Ihre klaren Worte zur Notwendigkeit einer unabhängigen Judikative und für eine effektive Durchsetzung der Rechtsprechung zu kämpfen, verdienen Sie ausdrücklich Zustimmung und Beifall.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Es gibt leider weitere Bespiele außer denen, die Sie genannt haben. Wenn z. B. der frühere Bundesgesundheitsminister Gröhe oder der amtierende Bundesgesundheitsminister Spahn das Bundesamt für Arzneimittel ausdrücklich anweist, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu lebensverkürzenden Medikamenten zu ignorieren, zu umgehen, auszutricksen, dann bleibt festzustellen, dass auch das natürlich ein schwerwiegender, hoch problematischer Angriff auf den Rechtsstaat ist. Auch dass Menschen, wie in Niedersachsen geschehen, trotz laufender Gerichtsverfahren auf den Balkan abgeschoben werden, ist ein Angriff auf den Rechtsstaat.

Es war auch schon häufig ein Thema im Landtag: Wenn Gerichte urteilen und feststellen, dass der Staat - was eine Selbstverständlichkeit sein sollte -, dass Länder und Kommunen natürlich verpflichtet sind, für eine saubere Luft zu sorgen und für den Schutz der Gesundheit der Menschen in den Städten zu sorgen, dann kann die einzige Reaktion von Kommunen und Ländern doch nur sein, alles, aber auch wirklich alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Luftqualität in den Städten unmittelbar zu verbessern. Stattdessen erleben wir, dass Städte und auch Länder in Deutschland das ignorieren. Wir erleben Debatten darüber, dass man vielleicht die Möglichkeiten der Gerichte einschränken müsste, entsprechend drastische Maßnahmen zu verhängen. Wir erleben Debatten über möglicherweise zu verändernde Messstellen. Das alles ist in einem Rechtsstaat hoch problematisch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Frage ist jetzt: Was kann man tun? - Man kann natürlich an die Verwaltung und an Regierungen appellieren: Jetzt befolgt doch bitte die Rechtsprechung! Aber solche Appelle - das haben wir in den

vergangenen Jahren erleben müssen - fruchten offenbar nicht viel.

Dann gibt es die Möglichkeit, nach der Verwaltungsgerichtsordnung Zwangsgelder auch gegen Körperschaften des öffentlichen Rechts zu verhängen. Das klingt erst einmal wie ein gutes Druckmittel. Beispielsweise gegen die Stadt Bochum ist ein Zwangsgeld angedroht worden, wenn sie dem zu Unrecht Abgeschobenen nicht die Wiedereinreise ermöglicht. Das Problem daran ist, dass diese Zwangsgelder in die jeweilige Landeskasse fließen. Das bedeutet, in Situationen, in denen Landesregierungen selbst mit dazu beitragen, dass es zu solchen Rechtsverstößen kommt, profitieren sie hinterher noch finanziell von einer möglichen Zwangsmaßnahme. Das ist - gelinde gesagt - absurd, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen fordern wir in unserem Entschließungsantrag, dass diese Zwangsgelder zukünftig nicht mehr der Landeskasse, sondern ähnlich wie Bußgelder in Strafverfahren gemeinnützigen Einrichtungen zufließen sollen.

Aus unserer Sicht ist es notwendig, einen Schritt weiter zu gehen. Es ist allgemein anerkannt, dass grundsätzlich natürlich auch weitere Zwangsmaßnahmen, wie z. B. die Erzwingungshaft, notwendig sind. Umstritten ist, ob das auch gegen politisch Verantwortliche oder gegen in der Exekutive verantwortliche Entscheidungsträger möglich ist. Wir meinen, dass es Gerichten als letztes Mittel - auf keinen Fall als Regelfall; das ist natürlich nicht das Ziel, das wir verfolgen - auch möglich sein muss, Zwangshaft gegenüber denjenigen in der Exekutive zu verhängen, die sich beharrlich weigern, die Rechtsprechung in unserem demokratischen Rechtsstaat umzusetzen.

Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in den Antragsberatungen gemeinsam ein starkes Signal dafür setzen können, dass unabhängig von konkreten parteipolitischen Konstellationen noch ein Konsens in diesem Haus darüber besteht, dass es elementar zu einem demokratischen Rechtsstaat gehört, dass die Gerichte anerkannt werden und die Rechtsprechung umgesetzt wird.

Vielen Dank

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank für die Einbringung des Antrages. - Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Sebastian Zinke zu Wort gemeldet. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Limburg, mit Ihrem Antrag zielen Sie darauf ab, dass eine Vorschrift eines Bundesgesetzes, eine Vorschrift der Verwaltungsgerichtsordnung, abgeändert wird. Ich gebe zu, als ich den Antrag das erste Mal gelesen habe, war ich etwas überrascht, dass die Landtagsfraktion der Grünen einen Antrag einbringt, nach dem eine Verwaltungsvollstreckungsregelung geändert werden soll. Es gibt ja durchaus spannendere Themen und auch spannendere Rechtsbereiche. Wenn man den Antrag aber genauer anguckt und die Einbringung hier genau verfolgt hat, dann kann man bemerkenswerte Dinge in diesem Antrag entdecken.

Vielleicht zur Einordnung: Der § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung ist eine Vorschrift, die bisher vorsieht, dass Zwangsgelder gegen Behörden verhängt werden können, wenn diese Behörden gerichtlich auferlegten Verpflichtungen nicht nachkommen. Das hat Herr Limburg hier dargestellt. Das Ziel dieser Vorschrift ist also, dass die Behörden gezwungen werden, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, zu dulden oder zu unterlassen, also beispielsweise einen Verwaltungsakt zu erlassen. Ein solches Zwangsgeld kann nach der derzeitigen Regelung maximal 10 000 Euro betragen und kann auch wiederholt verhängt werden, wenn eine erstmalige Verhängung quasi nichts bringt.

Diese Vorschrift sieht heute ganz ausdrücklich - lesen Sie auch die Kommentare dazu - keinen Erfüllungszwang, also keine Ersatzvornahme seitens der Gerichte und auch ganz ausdrücklich keine Zwangshaft vor. Adressaten dieses Zwangsgeldes - das ist hier auch klar gesagt worden - sind die Behörden, also die Rechtsträger der Behörden, und ausdrücklich nicht die Behördenleiterinnen und Behördenleiter.

Meine Damen und Herren, das, was hier jetzt vorgeschlagen wird, ist eine völlige Umkehrung der bisherigen Verhältnisse und deshalb aus unserer Sicht systemwidrig. Zukünftig soll nicht nur der Rechtsträger das Ziel von Zwangsmaßnahmen werden, sondern auch Behördenleiterinnen und Behördenleiter sollen letztlich in Haftung genommen werden. Das soll dann nicht nur mit Zwangs

geldern erfolgen, sondern man will sogar zum härtesten Mittel greifen, das dieser Rechtsstaat hat, nämlich man möchte auch die Zwangshaft für solche Behördenleiterinnen und Behördenleiter anordnen können.

Das ist, wenn ich es richtig sehe, eine freiheitsentziehende Maßnahme und nicht nur rechtlich problematisch und systemwidrig, sondern es ist, wie ich finde, auch politisch höchst bemerkenswert, dass diese Forderung gerade von den Grünen kommt. Vielleicht sehe ich es auch falsch und bewerte etwas nicht ganz richtig, aber ich vergleiche das mit anderen Forderungen der Grünen, z. B. in der Auseinandersetzung um das neue Polizeigesetz. Dabei kämpft die grüne Landtagsfraktion darum, dass die Ingewahrsamnahme von terroristischen Gefährdern nach dem Gesetz nicht um einen Tag verlängert werden kann. Auf der anderen Seite fordern Sie jetzt hier, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die beispielsweise keine Maßnahmen zur Luftreinhaltung, also keine Dieselfahrverbote verhängen, mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme versehen werden.

Meine Damen und Herren, das passt nicht ganz zusammen. Deshalb glaube ich, dass so etwas hier keine Mehrheit finden kann.

(Beifall bei der SPD)

Mehr noch: Ich glaube, dass eine solche Regelung die Funktionsfähigkeit unseres Staates und seiner Verwaltung gefährdet.

(Helge Limburg [GRÜNE] lacht)

Denn, Herr Limburg, wer soll dann noch Bürgermeisterin oder Bürgermeister, Landrätin oder Landrat in diesem Land werden, wenn sie oder er immer davon ausgehen muss, dass eine solche Maßnahme gegen sie oder ihn verhängt werden kann, wenn z. B. ihr oder sein Rat oder Kreistag ihr oder ihm aufträgt, eine bestimmte Sache nicht umzusetzen oder umzusetzen?

Nach Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ist insbesondere die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden. Wir haben ein funktionierendes und sehr ausgeglichenes System der Gewaltenteilung. Sie haben das erwähnt. Das ist nicht ohne Spannung, aber es ist mit den bestehenden Vorschriften, wie ich finde, ausreichend geregelt. Einen Veränderungsbedarf gibt es daher jedenfalls auf den ersten Blick nicht.

Meine Damen und Herren, letztlich fordern Sie, dass Zwangsgelder des Staates auch an gemeinnützige Organisationen gezahlt werden können. Auch dies ist nach den heutigen Vorschriften systemwidrig, denn ein Zwangsgeld hat einen Beugecharakter und ist nicht auf die Schuld des Adressaten oder auf den Gedanken der Wiedergutmachung ausgerichtet. Deshalb halte ich auch diese Forderung für eher schwierig.

Schon gar nicht würde ich hier von Angriffen auf den Rechtsstaat sprechen, Herr Kollege Limburg. Die von Ihnen aufgeführten Beispiele sind Ausnahmen im System. Wir müssen uns sehr genau anschauen, ob wir dafür die vorhandenen Regelungen in der von Ihnen hier vorgeschlagenen Weise verändern müssen.

Insofern bin ich auf die Ausschussberatungen und natürlich insbesondere auf die Bewertung durch den GBD sehr gespannt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Zinke. - Für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Dr. Marco Genthe. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rechtsstaat in Deutschland ist anerkannt und funktioniert auch. Die Justiz ist zwar permanent unterfinanziert; aber das ist ein Thema, das wir sicherlich im nächsten Monat im Rahmen der Haushaltsberatungen noch etwas intensiver diskutieren werden.

Es ist aber bei Weitem nicht so, dass die rechtsstaatlich zustande gekommenen Entscheidungen von Gerichten nicht durchgesetzt werden können. Das gilt ganz besonders für Behörden, die in einem Verfahren z. B. gegenüber einem Bürger unterliegen. Ich hatte jedenfalls persönlich als Rechtsanwalt noch nie eine Akte auf dem Tisch, bei der eine Behörde in einem Verfahren gegenüber einem Bürger unterliegt und diese Behörde dann diese rechtskräftig ergangene Entscheidung schlicht und ergreifend ignoriert. Wenn allerdings so etwas passiert - da hat der Kollege Limburg völlig recht -, ist das rechtsstaatlich hochgradig problematisch.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die in dem Entschließungsantrag aufgeführten Beispiele und auch die weiteren Beispiele, die eben bei der Einbringung aufgeführt worden sind, kann ich persönlich nicht beurteilen. Ich rate auch dringend davon ab, ohne Einblick in die Verfahrensakten vorschnelle Beurteilungen abzugeben.

(Zustimmung von Kai Seefried [CDU])

Gerade im Bereich der Fahrverbote sind die Sachverhalte und die juristischen Verfahren nicht ganz so einfach zu beurteilen, meine Damen und Herren. Der hier nun angesprochene § 172 VwGO dient dem Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz. Zu diesem verfassungsrechtlich fundierten Anspruch gehört selbstverständlich auch eine wirksame Zwangsvollstreckung. Das ist über ein Zwangsgeld auch durchaus möglich. Adressat dieses Zwangsgeldes, dieser Zwangsmaßnahme ist entsprechend dem Gesetzeswortlaut die entsprechende Behörde. Empfänger von Zahlungen ist der Staat. Richtig ist insoweit, dass sich die Zwangsgeldbeitreibung aus diesem Grund letztendlich als eine Art Umbuchung von einem Haushaltstitel in den anderen Haushaltstitel darstellt: Die eine Behörde zahlt ein Zwangsgeld, die Finanzbehörde bekommt das Zwangsgeld, also von einer Tasche in die andere Tasche. Die Diskussion, ob das Zwangsgeld insoweit seinen Zweck verfehlt, wird schon sehr, sehr lange geführt.

Hinzu kommt, dass es sich meistens um verhältnismäßig geringe Summen im vierstelligen Bereich handelt. Insoweit kann man eher mutmaßen, dass ein solches Zwangsgeld dem Charakter einer nochmaligen Aufforderung an die Behörde gleichkommt, die Entscheidung des Gerichtes nun umzusetzen.