Die Liste der geplanten Verschärfungen ist aber noch länger. Elektronische Fußfesseln, Meldeauflagen, Kontaktverbote und Aufenthaltsgebote, Quellen- und Telekommunikationsüberwachung, Onlinedurchsuchungen, biometrische Gesichtserkennung - Sie sparen wirklich nicht an Mitteln der Überwachung.
Wo Sie allerdings sparen und wo Sie eine Antwort schuldig bleiben, ist die Frage, wen Sie damit eigentlich bedrängen und überwachen wollen. Ich mache mir ernsthaft Sorgen; denn es gibt an dieser Stelle eine Menge zu verlieren: eine Freiheit, von der ich immer angenommen habe, dass wir sie in den letzten Jahren gemeinsam verteidigt haben
und dass wir es als eine gemeinsame Verpflichtung begreifen, sie zu schützen. Daraus haben Sie sich in weiten Teilen verabschiedet. Da werden wir uns in der Verantwortung bewegen müssen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil, ich kenne und ich schätze Sie als nüchternen Pragmatiker - nicht nur, aber auch. Sie sollen ja neulich bei der SPD-Bezirkskonferenz in Aurich gesagt haben, dass man halt nur mit den Bräuten tanzen kann, die auf der Hochzeit sind.
Frauenpolitisch finde ich den Spruch ein wenig schräg; das mögen Sie mir nachsehen. Aber wenn wir ihn jetzt nicht auf mögliche Koalitionen beziehen wollen, dann kann man ihn auch noch ganz anders deuten, nämlich mit dem Blick auf die Anzahl der Frauen im Kabinett.
Auf SPD-Seite haben Sie die Schieflage ja noch repariert und gut ausgeglichen. Aber bei der CDU sieht es ein bisschen anders aus. Da ist es auch richtig, von Gleichstellung zu reden, wie Sie es gestern taten. Aber vielleicht hätte man die zwei Wochen der Koalitionsverhandlungen auch mal nutzen können, um mit der CDU ein bisschen darüber zu reden! Das hätte geholfen.
So war Ihre erste gemeinsame Amtshandlung: Kabinett vergrößern, Frauenanteil reduzieren. So geht Gleichstellung übrigens nicht, auch rechnerisch nicht.
Zurück zum Pragmatismus, von dem ich mir auch in Berlin ein bisschen mehr wünschen würde. Angesichts dieses Koalitionsvertrages fürchte ich aber, dass mit dem Pragmatismus und der vielbeschworenen Vernunft leider viel von dem auf der Strecke bleiben wird, was die niedersächsische SPD in den letzten Jahren so besonders und so erfolgreich gemacht hat.
Die Tatsache, dass Kompromisse geschlossen werden, ist nicht zu kritisieren. Ich schließe mich den Worten unseres geschätzten Bundespräsidenten an: Die Parteien - alle Parteien - haben die Verantwortung, daran mitzuwirken, dass ein Land regiert wird.
Unsere Kritik an dieser Koalition und diesem Koalitionsvertrag ist inhaltlicher Natur. Wir halten viele der gefundenen Kompromisse nicht für gut. Vielleicht hätten SPD und CDU es besser gekonnt, wenn man sich ein bisschen mehr Zeit genommen hätte. Offene Punkte hätten wir aber auch dann gefunden. Das liegt in der Natur der Sache: Wir sind die Grünen. Wir stehen für eine Auffassung von Solidarität, Ökologie, Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, die sich von den Auffassungen anderer Parteien unterscheidet.
Opposition ist die zweitschönste Aufgabe in einer Demokratie. Und deshalb versprechen wir Ihnen: Wir lassen Sie die nächsten Jahre nicht allein. Wir werden uns gern ausgiebig mit Ihnen über diese Themen streiten. Sie sagen, die Große Koalition ist ein Bündnis der Vernunft. Das hört sich ein bisschen langweilig an. Wir werden Ihnen dabei helfen, dass es Ihnen nicht zu langweilig wird.
Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Nun hat das Wort für die SPD-Fraktion die Fraktionsvorsitzende Frau Hanne Modder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuallererst möchte ich unserem Ministerpräsidenten Stephan Weil auch von dieser Stelle aus ganz herzlich zu seiner Wahl gratulieren.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Stephan, unser Wahlerfolg am 15. Oktober war auch dein ganz persönlicher Erfolg. Du kannst dich auch in den kommenden Jahren auf die Unterstützung deiner SPD-Fraktion verlassen. Wir freuen uns weiterhin auf eine erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Meine Glückwünsche gehen natürlich auch an die Ministerinnen und Minister dieser neuen rotschwarzen Landesregierung, wobei mir das „rotschwarz“ noch nicht so ganz leicht über die Lippen kommt; aber ich bemühe mich.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich auch meinen Dank an unseren bisherigen Koalitionspartner, Bündnis 90/Die Grünen, aussprechen, auch wenn das mit der Oppositionsrolle ja schnell zu gehen scheint. Wir haben in den vergangenen viereinhalb Jahren gemeinsam eine Menge für unser Land, für Niedersachsen, bewegt und nach vorn gebracht. Darauf können und dürfen wir gemeinsam stolz sein.
Und nein, liebe Kollegin Anja Piel: Wir werden nicht alles zurückholen, was wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben.
Ich will mich zu guter Letzt auch bei meiner Kollegin Anja Piel ganz persönlich für das vertrauensvolle Miteinander der letzten Jahre bedanken. Unsere Fraktionen waren sich weiß Gott nicht immer in allen Punkten einig. So weit dürfen und wollen wir die Vergangenheit hier und heute nicht verklären. Aber wir konnten uns immer darauf verlassen, dass wir am Ende des Tages zu einer tragfähigen Lösung kommen. Auch auf dieses Miteinander können wir, glaube ich, gemeinsam stolz sein.
Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat in der abgelaufenen Legislaturperiode viel für dieses Land bewegt und geleistet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Rot-Grün am 15. Oktober dieses Jahres nicht die Mehrheit der niedersächsischen Wählerinnen und Wähler überzeugen konnte, auch wenn das Ergebnis nur knapp war. Die SPD ist aus diesen Wahlen deutlich als stärkste Kraft hervorgegangen. Der Auftrag der Wählerinnen und Wähler war ganz eindeutig die erneute Bildung einer sozialdemokratisch geführten Landesregierung mit unserem Ministerpräsidenten Stephan Weil an der Spitze.
Meine Damen und Herren, diesen Wählerauftrag nehmen wir als SPD sehr ernst, und wir wissen um unsere Verantwortung. Wir haben dann sehr zügig die erforderlichen Gespräche mit den Grünen, mit der FDP und der CDU aufgenommen.
Nun komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP: Sie, die Sie im Wahlkampf noch „Die neue Ernsthaftigkeit“ plakatiert haben -
(Beifall bei der SPD - Christian Grascha [FDP]: Die SPD hat “sturm- fest” plakatiert! Was war denn vor- her?)
schlugen sich dann doch sehr schnell in die Büsche. Sie haben das hier in Hannover zwar nicht so gekonnt inszeniert, wie das Ihr Bundesvorsitzender in Berlin diese Woche aufgeführt hat.
(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das sagen die, die gar nicht in die Große Koaliti- on wollen und sich jetzt hineintreiben lassen! Sie sind doch die Umfaller, Frau Kollegin!)
keine Koalition, kein Gestaltungswillen und kein staatspolitisches Bewusstsein. - Ich würde sagen: Das ist die neue Verantwortungslosigkeit der FDP.
Einen Moment, bitte, Frau Modder! - Herr Kollege Grascha, Sie haben später noch die Möglichkeit, hier vorne zu reden.