Protocol of the Session on September 14, 2018

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bothe. - Für die SPDFraktion hat sich der Kollege Uwe Schwarz gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bothe, Sie haben gestern bei dem Antrag Öffentlicher Gesundheitsdienst damit begonnen, das alles sei nichts Neues, und das sei ein altes Problem. Das kann ich 1 : 1 zurückgeben, was hier Ihren Antrag betrifft.

Sie haben Ihren Antrag vorgelegt. Ich finde, der ist offensichtlich schnell geschrieben worden, mit einem Schuss Populismus, aber sehr oberflächlich und im Übrigen handwerklich schlecht. Ich sage Ihnen auch, warum.

Sie fordern beispielsweise die Schulgeldfreiheit ab Herbst dieses Jahres für Physiotherapeuten. Die Klassen haben zum Teil schon begonnen. Wie Sie das mit denen machen, denen Sie dann rückwirkend das Schulgeld ersparen wollen, das weiß ich nicht.

(Stephan Bothe [AfD]: Das sind Spitz- findigkeiten, Herr Kollege!)

- Nein, das ist nicht spitzfindig.

Sie fordern das für Physiotherapeuten. Für Physiotherapeuten ist das Land gar nicht zuständig. Das Land ist nach unserem Schulgesetz ausschließlich für Ergotherapeuten zuständig. Für Logopäden und Physiotherapeuten gilt das Bundesrecht. Und wenn es dann um die Frage geht, wie Sie das letztlich über das Niedersächsische Schulgesetz finanzieren wollen, kommen dazu in Ihrem Antrag null Vorschläge.

Sie fordern dann drittens, sich auf Bundesebene für eine höhere Vergütung einzusetzen. Vielleicht sollten Sie dann aber fairerweise wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass der Bund in der letzten Legislaturperiode mit der Großen Koalition erstens das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung verabschiedet hat und zweitens das Versorgungsstärkungsgesetz insgesamt verabschiedet hat. Er hat also genau das gemacht, was Sie unter Nr. 3 Ihres Antrags fordern. Das wirkt übrigens auch. Beschlossen sind nämlich auf der einen Seite die Abkopplung von der Grundlohnsumme und auf der anderen Seite eine Angleichung der Vergütungssätze, und zwar erst einmal mit dem Vorbehalt der Überprüfung bis 2021.

Wenn Sie sich einmal die Statistiken angucken, dann werden Sie feststellen, dass dies dankenswerterweise allein bei den niedersächsischen Ortskrankenkassen im Bereich der Physiotherapie zu einer Ausgabensteigerung von immerhin 34 % geführt hat. Also darin ist sehr wohl Bewegung, und diese Entwicklung bis 2021 muss man meines Erachtens intensiv beobachten.

Deshalb sage ich Ihnen noch einmal: Ich finde, die AfD springt zwar schnell, aber sie springt zu kurz. Wir haben hier ein paar Probleme mehr.

Wir haben beispielsweise auf der Anbieterseite die Situation - das erlaube ich mir hier einmal zu sagen -, dass die nicht gut organisiert sind. Wenn ich da weit mehr als 40 Berufsverbände habe, dann ist natürlich die Schlagkraft, die meines Erachtens notwendig wäre, nicht in dem Ausmaß gegeben, wie das wirklich gebraucht wird.

Wir haben einen Zuständigkeitswirrwarr zwischen Bund und Ländern. Das wäre aufzulösen.

Das, was ich von dem, was Sie gesagt haben, ausdrücklich teile - Sie haben es zwar anders formuliert, aber das ist ja nicht schlimm -, ist, dass wir hier in Teilen eine ähnliche Situation wie bei der Altenpflege haben.

(Stephan Bothe [AfD]: Genau!)

Hier gibt es nicht genug Wertschätzung für dieses Berufsbild.

(Stephan Bothe [AfD]: Richtig!)

Wir haben auch eine ähnliche Ausgangslage, indem dort wirklich schlechte Vergütungen gezahlt werden. Ein Physiotherapeut, vollzeitbeschäftigt, verdient im Monat im Durchschnitt 2 200 Euro brutto. Es sind dort sehr, sehr viele Menschen - insbesondere Frauen - teilzeitbeschäftigt. Bei denen ist bis zu 80 % Altersarmut vorprogrammiert.

Wenn ich eine solche Perspektive habe, werde ich nur wenige Menschen wirklich motivieren können, in diesen Beruf zu gehen. An dieser Stelle sind wir nicht auseinander. Die Frage ist nur, wie schnell wir dahinkommen, das entsprechend zu verbessern.

Wir haben es nach meiner Auffassung auch an dieser Stelle eindeutig wieder mit den Auswirkungen einer massiv fortschreitenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen zu tun. Das geht nämlich nicht nur mit der Bezahlung los, das fängt viel früher an. Wir haben früher Serienbehandlungen gehabt, bei der eine Serie zwölf Behandlungen hatte. Wir sind heute bei sechs Behandlungen. Das ist über viele Jahre so reduziert worden. Wir haben früher eine Intensität der Behandlung gehabt, die bei 40 Minuten pro Patient lag. Sie ist zwischenzeitlich bei maximal 20 Minuten pro Patient, einschließlich Vor- und Nachbereitung, angekommen. Mir sagt jeder Physiotherapeut: Wenn ich sozusagen einen Muskel warm gekriegt habe, dann ist meine Behandlung zu Ende.

Ich glaube, darüber müssen wir ebenfalls reden. Das ist auch ein Einfluss von Verteilungskämpfen, wie wir sie an anderer Stelle des Gesundheitswesens kennen.

Insofern geht es um die sehr grundsätzliche Frage, welchen Stellenwert diese medizinischen Anwendungen eigentlich haben sollen. Da sind wir wiederum nicht auseinander. Diese Anwendungen verhindern Operationen, verkürzen Operationen, sie haben einen hohen therapeutischen Wert.

Ich finde, diese Diskussion - deshalb sage ich: Sie sind da sehr kurz gesprungen - ist meines Erachtens wesentlich grundsätzlicher zu führen.

Die Große Koalition - sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene - hat sich zu diesen Themen geäußert.

Dann will ich doch einmal in Erinnerung rufen: Nachdem die beiden Gesetze hinsichtlich der Vergütung in der letzten Legislaturperiode verändert worden sind, hat die Große Koalition auf Bundesebene jetzt festgestellt:

„Wir werden die Ausbildung der Gesundheitsfachberufe im Rahmen eines Gesamtkonzeptes neu ordnen und stärken.“

Anmerkung: Ich halte das im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für zwingend nötig.

Dann zweitens:

„Wir wollen das Schulgeld für die Ausbildung in den Gesundheitsberufen abschaffen, so wie es in den Pflegeberufen bereits beschlossen wurde.“

Sie finden eine ähnliche Formulierung in der Vereinbarung der Großen Koalition auf Landesebene. Ich zitiere:

„Um den Fachkräftenachwuchs insbesondere im Bereich der Sozial-, Gesundheits- und Pflegeberufe mit einer Vollzeitschulausbildung (gemäß Niedersächsischem Schulge- setz) zu sichern, soll die Überführung in eine duale Berufsausbildung geprüft werden. Ferner wollen wir sicherstellen, dass Schulgeldzahlungen einer Berufswahl nicht im Wege stehen. Diese Kostenübernahme soll auch für Berufe der genannten Berufsgruppen gelten, die in der Zuständigkeit des Bundes liegen.“

Ich stelle fest: Wir haben ein sehr, sehr ernstes Thema. Das ist wesentlich komplexer als Ihr Antrag. Und ich könnte etwas lax feststellen: Sie schmeißen sich hinter einen fahrenden Zug - Gott sei Dank hinter einen Zug und nicht vor einen Zug -, und wir packen das ohnehin an, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. - Für die CDUFraktion spricht nun der Kollege Christoph Eilers. Bitte sehr!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beruf, den ein Mensch in seinem Leben erlernt und ausübt, sollte im besten Fall Berufung sein. Freude und Spaß an der Tätigkeit, die man sein ganzes Berufsleben lang ausübt, sind jedem Menschen zu wünschen, lassen sich aber leider nicht immer und tagtäglich realisieren. Auch in einem Traumjob gibt es den grauen Alltag. Es sollte dennoch jedem, unabhängig vom sozialen und finanziellen Hintergrund, die Möglichkeit offenstehen, einen Beruf entsprechend seinen Interessen und Neigungen zu erlernen.

Hinsichtlich der Wahrung dieser Chancengleichheit im Bildungsbereich müssen wir u. a. über die Schulgelder diskutieren. Junge Menschen stehen nach ihrem Schulabschluss vor der Frage: Wie geht es weiter? Beginne ich eine Berufsausbildung? Falls ja, welche, in welchem Beruf, mit welcher Tätigkeit kann ich mich und meinen persönlichen Lebensentwurf verwirklichen?

Wir alle haben uns vor vielen Jahren schon ähnliche Fragen gestellt und unseren persönlichen Weg eingeschlagen. Und die meisten von uns haben in ihrem vorpolitischen Leben sicherlich etwas Ordentliches gelernt.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Richtig!)

Unser Bildungssystem bietet ein vielfältiges Spektrum an Berufsbildern. Habe ich den Schulabschluss in der Tasche und eine von mir favorisierte Lehrstelle bekommen, so sollte meinem beruflichen Werdegang doch fast nichts mehr im Wege stehen. Liegt die persönliche Berufung allerdings im Bereich spezieller Gesundheitsfachberufe, gibt es Hindernisse. Hier handelt es sich insbesondere um den Beruf des Physiotherapeuten, Masseurs, Logopäden oder auch Ergotherapeuten.

Dort stellt sich vielen jungen Menschen oft eine unüberwindbare Hürde in den Weg. Die Ausbildung ist kostenpflichtig - hier wurde schon mehrfach gesagt, wie viel Geld das kostet -, man muss Schulgeld bezahlen. Statt ich mein erstes Ausbildungsgehalt bekomme und ein Gefühl finanzieller Unabhängigkeit verspüre, bin ich während der Ausbildung auf die finanzielle Unterstützung durch

meine Eltern angewiesen, muss mich nach einem Nebenjob umschauen oder sogar einen Kredit aufnehmen.

Man könnte sich eventuell mit dieser vorübergehenden Situation arrangieren, sofern die Tätigkeit nach der Ausbildung die Möglichkeit böte, die geleistete Investition zu kompensieren und langfristig Kapital daraus zu schlagen. Doch hier bieten die Gesundheitsfachberufe oft nicht die besten Aussichten. Der Physiotherapeut zahlt für seine dreijährige Ausbildung mehrere Tausend Euro und muss sich im Anschluss fragen, inwiefern er mit seinem Gehalt in die Familienplanung einsteigen kann. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und andere gehen trotz dieser finanziellen Belastungen ihren Ausbildungsweg. Für sie sind diese Berufe wirklich Berufung.

Gerade in der heutigen Zeit haben die Gesundheitsfachberufe eine immer größere Bedeutung erlangt. Sie ergänzen bzw. unterstützen flächendeckend die medizinische Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum. Präventiv beugen die Gesundheitsfachberufe schweren gesundheitlichen Einschränkungen vor oder unterstützen die Patienten in ihrem Genesungsprozess nach unfall-, alters- oder krankheitsbedingten Beeinträchtigungen.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Richtig!)

Kurz: Diese Berufe sind ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil unseres Gesundheitswesens.

Es gibt ein Ungleichgewicht in dieser Berufsbildungslandschaft. Sinkende Ausbildungszahlen und die drohende bzw. durchgeführte Schließung von Ausbildungsschulen erfordern unser Handeln. Das System benötigt Nachwuchskräfte.

Die Politik hat diese Problemlage erkannt; Uwe Schwarz hat es erwähnt. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene findet sich ein Handlungsauftrag wieder. Die Gesundheitsfachberufe sollen im Rahmen eines Gesamtkonzeptes neu geordnet und gestärkt werden. Das Schulgeld für die Ausbildung soll abgeschafft werden. Auch unsere Ministerin hat sich bereits intensiv mit diesem Thema beschäftigt und zahlreiche Gespräche geführt.

Bei allem Verständnis für die Situation ist aber Aktionismus, wie ihn hier die AfD in ihrem Antrag fordert, falsch.

(Dr. Stephan Siemer [CDU]: Richtig!)

Die Forderung, dass das Land von Beginn des neuen Ausbildungsjahres an - sprich: ab sofort - das Schulgeld in der Fachrichtung Physiotherapie übernehmen soll, ist übereilt und greift zu kurz.