Protocol of the Session on June 21, 2018

ein Emre Can, den ich wirklich respektiere, der sich nicht neben Erdogan hat fotografieren lassen, oder eben auch ein Parlamentarier wie Deniz Kurku mit türkischem Hintergrund, der sich hier hinstellt und eine ganz hervorragende erste Rede hält. Das sind gute Beispiele, denen wir den Rücken stärken müssen.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Sie müssen zum Ende kommen!

Diese lassen Sie leider immer wieder unter den Tisch fallen.

Abschließend, Herr Präsident, ein kleiner Wunsch: Ich würde mir wünschen, dass die türkischen Mitbürger und auch die Türken in der Türkei am Sonntag ein Zeichen für Menschenrechte und Demokratie setzen und Erdogan abwählen. Das wäre tatsächlich ein wunderbares Signal.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Lechner. - Es folgt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Belit Onay. Bitte sehr, ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lechner, zu beiden Teilen Ihrer Rede konnte ich applaudieren. Ich fand viel richtig. Man muss aber auch gucken, wie wir das auf tatsächliches Handeln herunterbrechen.

Der Titel der Aktuellen Stunde beinhaltet drei Punkte. Über DITIB-Imame haben wir in der letzten Legislaturperiode viel diskutiert. Das Problem ist allenthalben bekannt. Das ist das Einfallstor für türkische Politik, eben Politik in Moscheegemeinden hier in Niedersachsen oder Deutschland zu machen. Wir haben immer darüber diskutiert, dass es auch hier Imame geben muss, die hier ausgebildet sind, die Land und Leute kennen, die Niedersachsen kennen und mit den Gemeinden hier verwurzelt sind.

(Beifall bei den GRÜNEN - Jörg Hill- mer [CDU]: Warum haben Sie dann nichts gemacht?)

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die Imam-Ausbildung auch im Koalitionsvertrag Erwähnung findet. Aber, lieber Grant Hendrik Tonne, ich frage mich: Wo sind denn jetzt die Konzepte dafür? - Nichts! Wer soll mit wem diese Ausbildung machen? Welche Gemeinden sollen eingebunden werden? Wer soll die Einsätze der Imame dann finanzieren? - Alles das fehlt. Wir haben dazu eine Anfrage eingereicht. Aber ich vermute, die Antwort wird dürftig ausfallen, obwohl das die drängendste Frage der Religionspolitik in diesem Land

(Beifall bei den GRÜNEN)

und im Übrigen auch ein Wunsch und ein Anspruch der Muslime hier in Niedersachsen ist.

Ein weiteres Problem - das steht auch im Titel der Aktuellen Stunde - sind die Kindersoldaten. Das ist ein Thema - da stimme ich zu -, das absolut nicht geht, diese Art und Weise, wie Politik - Unpolitik ist das ja eigentlich - in einer Moscheegemeinde, in einer Religionsgemeinschaft gemacht wird. Aber ich wundere mich dann auch: Es gibt eine Anfrage des Kollegen Birkner in der Drucksache 18/963, auf die die Landesregierung geantwortet hat, dass bekannt sei, dass es so etwas auch hier in Niedersachsen gegeben habe. Beim Ramadan-Empfang

im Gästehaus der Landesregierung musste der Ministerpräsident einräumen, dass das falsch ist, dass es solche Erkenntnisse eben nicht gibt, dass man lediglich die Medienberichterstattung aus anderen Bundesländern oder aus Österreich kennt. Liebe Landesregierung, lieber Ministerpräsident Stephan Weil, Sie müssen das hier richtigstellen, auch in der Öffentlichkeit! Das geht nicht nur in einer Grußrede.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung bei der AfD)

Das muss hier im Parlament richtiggestellt werden, weil genau diese Angriffe auf solchen Fehlinformationen fußen.

Der letzte, wichtigste Punkt in dem Titel ist der Parteiwechsel. Ich habe mich kurz gefragt, ob Frauke Petry oder Marcus Pretzell gemeint sind. Die meinten Sie offensichtlich wohl nicht. Die AfD hat ja selber einige Beispiele von Parteiwechsel und Parteiausschluss, liebe Frau Guth. Sie meinen den Kollegen Mustafa Erkan, der, aus Neustadt kommend, von der SPD zur AKP gewechselt ist. Daraus jetzt die Erdoganisierung Niedersachsens zu konstruieren, finde ich gewagt. So wie ich es wahrnehme, ist noch nicht einmal Neustadt erdoganisiert. Dort regiert immer noch ein grüner Bürgermeister. Dort ist die Welt noch in Ordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN sowie Zustimmung von der SPD)

Ich finde es schon sehr schräg, dass Rechtspopulisten immer von einer tausendjährigen deutschen Geschichte, von einer glorreichen deutschen Geschichte schwärmen und dann bei der kleinsten Herausforderung den Untergang des Abendlandes und auch Deutschlands prognostizieren - nach der „Islamisierung des Abendlandes“ die „Überfremdung Deutschlands“ und jetzt die „Erdoganisierung“. Das hat mich am meisten gewundert; denn das dürfte für Sie doch kein Problem sein. Die Ähnlichkeiten zwischen der AKP und der AfD sind verblüffend.

(Widerspruch bei der AfD - Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD)

- Doch, doch! Glauben Sie mir! Ich verstehe beide Sprachen, ich kann das bezeugen.

(Zurufe von den AfD: ATIB!)

- Die ATIB in Österreich entspricht übrigens der DITIB hier in Deutschland, sehr geehrter Herr Bothe.

Nach der Entlassung von Deniz Yücel haben Sie im Bundestag allen Ernstes die Missbilligung seiner Schriften gefordert - genau wie Erdogan, auf derselben Linie!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD)

Das ist ein Unding für ein Parlament! Das gibt es in Demokratien nicht, dass Presseberichterstattung missbilligt oder verurteilt wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Auch Ihre Haltung zu überheblichem Nationalismus, Ihre Liebe zu Autokratien und Autokraten in dieser Welt oder eben Ihre Angstpolitik usw., all das ähnelt verblüffend dem Autokraten Erdogan.

Nicht die Erdoganisierung des Abendlandes oder Deutschlands ist das Problem, sondern vielmehr die AfDisierung Deutschlands und der europäischen Politik. Denn Sie sehen ja gerade auf Bundesebene, wie Ihre billige populistische Politik von noch billigeren Kopien versucht wird nachzuahmen. Die Bundesregierung ist gerade wegen einer Regionalpartei aus Bayern massiv unter Druck. Der eigentliche Skandal für uns in Niedersachsen ist doch, dass es dann auch noch Applaus vom Wirtschaftsminister Bernd Althusmann für diese antieuropäischen Ideen, für Grenzschließungen gibt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister Althusmann, das ist tatsächlich ein Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein letzter Satz noch zum Wochenende. Diese Art der Angstpolitik, diese Entsolidarisierungspolitik hat keine Zukunft, meine sehr geehrten Damen und Herren. Genauso wenig wie Sie hier, hat die Politik der AKP in der Türkei keine Zukunft. Das wird sich an diesem Wochenende zeigen. Die Türkei hat eine echte Chance auf eine wirkliche Demokratisierung, auf eine Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit. Ich drücke allen dort die Daumen, dass das an diesem Wochenende gelingt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen aus dem Plenum vor.

Herr Kollege Wichmann, Ihre Wortmeldung zu § 76 habe ich vorgemerkt.

Jetzt spricht zunächst die Landesregierung. Herr Minister Pistorius, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der AfD gewählte Titel dieser Aktuellen Stunde, ob Niedersachsen eine Erdoganisierung drohe, zeigt eines ganz deutlich: Die AfD versucht das, was sie immer tut: Sie versucht, ganz offen und unverhohlen Ängste zu erzeugen und die Menschen auseinanderzutreiben. Sie pauschalieren anstatt zu differenzieren, Sie pflegen Ihre Vorurteile und machen Stimmung gegen allen türkischen und türkischstämmigen Menschen in unserem Land.

Sie können das hier in diesem Landtag jederzeit versuchen. Niemand kann Sie daran hindern. Aber eines steht fest, meine Damen und Herren: Der übrige Teil des Landtags wird Ihnen diesen Populismus nicht durchgehen lassen. Wir werden Sie an jeder Stelle stellen, wo das nötig ist.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und Zustimmung bei der FDP)

Trotz dieses reißerischen Titels, der an Schreckensszenario kaum noch zu überbieten ist, werde ich das Thema hier sehr sachlich abhandeln und deutlich machen: Die Landesregierung beobachtet natürlich sorgfältig die politische Entwicklung in der Türkei. Uns bereiten der zunehmende Verlust demokratischer Werte, die Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und die Versuche der Türkei, Konflikte mit militärischen Mitteln zu lösen - Stichwort „Operation Olivenzweig“ -, große Sorge.

Diese Entwicklungen haben natürlich auch Einfluss auf die hier lebenden türkischen oder türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Unter ihnen sind - das haben die Ergebnisse der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr gezeigt - auch Anhänger und Unterstützer des türkischen Präsidenten Erdogan. Und ja, ich mache keinen Hehl daraus: Ich hätte mir gewünscht, dass weniger Menschen für Erdogan stimmen.

Von einer „Erdoganisierung“ zu sprechen, ist allerdings wirklich fehl am Platz und nur Ihrer Sicht auf die Welt zuzuschreiben. Das politische Spektrum türkischer oder türkischstämmiger Menschen in Deutschland ist weit vielfältiger, als die AfD es glauben machen möchte. Hier zeigt sich das Schema, die Struktur der AfD immer wieder eindrucksvoll: Wenn es kompliziert bzw. komplex oder vielschichtig wird, macht sie es gerne in schwarzweiß.

Viele Menschen mit türkischen Wurzeln - auch hier bei uns - lehnen die Politik Erdogans ab. Es gibt in der türkischen Community eine intensive Auseinandersetzung mit den politischen Entwicklungen in der Türkei. Teilweise äußert sich diese sogar in gegenseitigen Konfrontationen. Das ist sehr bedauerlich. Die Sicherheitsbehörden sind dabei aber sehr wachsam und greifen, falls es notwendig sein sollte, ein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Kritikpunkt lautet, dass die DITIB-Moscheen strukturell, finanziell und ideologisch eng an das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten angebunden seien. Laut Medienberichten soll in Deutschland in einigen DITIB-Moscheen für die Teilnahme an türkischen Militäreinsätzen geworben worden sein, oder Kinder sollen in Militäruniformen Vorführungen veranstaltet haben. Solche Werbungskampagnen oder Vorführungen sind für uns als Niedersächsische Landesregierung komplett und absolut inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Nicht umsonst haben wir mehrmals die Unabhängigkeit des DITIB-Verbandes von der türkischen Regierung eingefordert.

Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz deutlich, meine Damen und Herren: Die Landesregierung hat keinerlei Hinweise darauf, dass DITIB in Niedersachsen für türkische Militäreinsätze in Syrien geworben hat.

DITIB in Niedersachsen - ich will das ausdrücklich hervorheben - hebt sich nach der Wahrnehmung vieler, die mit ihm zu tun haben, wohltuend von anderen Landesverbänden ab und ist für das gemeinsame Ziel der Integration der hier lebenden türkischen und türkischstämmigen Menschen ein wichtiger Gesprächspartner.

Natürlich müssen wir uns gegen eine mögliche Einflussnahme des türkischen Staates wehren, wo immer sie erkennbar wird. Das haben wir übrigens

in der Vergangenheit auch immer getan, und das werden wir auch in Zukunft tun. Sie können sich darauf verlassen, dass unsere Sicherheitsbehörden tätig werden, wenn ein Verdacht auf Straftaten, auf Spionage oder auf politischen bzw. religiösen Extremismus im Raum steht.