Das heißt, wir glauben, dass sich nichts durch eine Quote von 30, 40 oder 50 Prozent regulieren lässt. Wir glauben einfach, die Lehrer in Niedersachsen machen einen guten Job. Sollte das einmal nicht der Fall sein, haben wir immer noch Schulleitungen, denen wir vertrauen und denen wir die pädagogische Verantwortung für die jeweilige Schule anvertraut haben.
Von daher brauchen wir nicht den Antrag der AfD. Auch den 30-Prozent-Erlass brauchen wir nicht zwingend. Wir brauchen vielmehr endlich eine Auseinandersetzung mit den wirklich wichtigen bildungspolitischen Punkten in diesem Land. Dazu hat die AfD bisher gar nichts beigetragen.
Vielen Dank, Herr Försterling. - Wir kommen jetzt zum Beitrag der SPD-Fraktion. Herr Christoph Bratmann hat sich zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer von Ihnen kann sich nicht an die eigene Schulzeit erinnern, an schriftliche Prüfungen, das mulmige Gefühl im Vorfeld von Klassenarbeiten, Klausuren & Co.?
Als ich später selber Studienrat war und Prüfungen abnahm, kam ein Schüler von mir mit einem Zitat des englischen Schriftstellers Sir Charles Caleb Colton um die Ecke, das da lautet: „Prüfungen sind deshalb so scheußlich, weil der größte Trottel mehr fragen kann, als der klügste Mensch zu beantworten vermag.“
Nun bin ich weit davon entfernt, Lehrkräfte als Trottel zu bezeichnen, und ich glaube, ich darf das hier zitieren, weil ich selbst Lehrer bin. Ich habe mich immer schon bemüht, bei der Wahrheit zu bleiben. Aber als ich selbst Schüler war, ist mir dies hin und wieder schwergefallen, nämlich wenn eine Klassenarbeit für mich schlecht ausgefallen war und ich zu Hause - das kam immer - gefragt wurde: Wie waren denn die anderen? Wie war denn der Klassenspiegel? - Da ist natürlich die Versuchung groß, zu sagen: Die waren entweder noch schlechter oder hatten auch nur eine Vier.
Die Versuchung war groß, weil man auch als Schülerin oder Schüler natürlich die Verantwortung erst einmal nicht auf sich selbst bezogen hat, sondern auch gern durchaus bei den Umständen suchen wollte. Das war einfacher, wenn eine Arbeit grundsätzlich schlecht ausgefallen war. Dort setzt der AfD-Antrag an.
Die AfD glaubt, dass wir gute Bildung dadurch erreichen, dass wir mehr Schülerinnen und Schüler durch Prüfungen fallen lassen und mit schlechten Noten versehen. Das greift zu kurz. Das hat auch der Kollege Weritz hier schon gut dargestellt.
Hinzu kommt - das hat Herr Rykena von der AfD in seinem vergleichsweise sachlichen Beitrag gar nicht so richtig deutlich gemacht, da lohnt ein Blick in den Antrag - das Bild, das die AfD von den Lehrkräften hat. Da wird unterstellt, dass Lehrkräfte einfach mal das Leistungsniveau runterfahren, um Ärger zu vermeiden, und das dies ein kontinuierlicher Prozess sei.
Ebenso wurde deutlich, welches Bild die AfD von Bildung hat. Auch darauf ist schon eingegangen worden. Die zunehmende Anzahl von Gesamtschulen, die Heterogenität der Schülerschaft, die Anzahl von Migranten an unseren Schulen und nicht zuletzt die Inklusion sind dafür verantwortlich, dass die Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler immer schlechter werden. Das ist das Bild der AfD. Das ist bei Weitem nicht unser Bild, meine sehr verehrten Damen und Herren. Denn wir wissen genau, dass unsere Lehrkräfte und unsere Schulen sehr gut darauf vorbereitet sind, mit Heterogenität, Inklusion und Migrantenkindern umzugehen.
Unseren Gesamtschulen Leistungsfeindlichkeit zu unterstellen, ist ebenso töricht und zeigt, dass Sie deren Konzept einfach nicht verstanden haben. Jüngst ist mit der IGS Hannover-List wieder eine niedersächsische Gesamtschule mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden. Das freut
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt führt das Bildungsverständnis der AfD zurück in die 50er- und 60er-Jahre: Schule ausschließlich am Vormittag, Konzentration der Bildung auf Frontalunterricht und Klassenarbeiten, Verzicht auf Schulsozialarbeit sowie die Ablehnung der Gesamtschulen und der inklusiven Beschulung im Allgemeinen. Da würde es mich, ehrlich gesagt, nicht wundern, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD, wenn Sie demnächst mit einem Antrag zur Wiedereinführung der Prügelstrafe um die Ecke kommen. Ich stelle mich innerlich schon einmal darauf ein.
Die Frage ist aber: Müssen wir gar nicht über die Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler reden? - Doch das müssen wir. PISA-Schock, IGLU-Studie, alles das hat ja gezeigt und breite Debatten darüber ausgelöst, wie wir mit Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler umgehen, wie Leistung zu definieren ist und wer verantwortlich ist, wenn Leistung absinkt.
Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat schon 1965 in seinem Buch „Bildung ist Bürgerrecht“ die Frage gestellt, wer denn für schlechte Schülerleistung verantwortlich ist. Ist das zuvorderst die Schule, sind das die Lehrkräfte, sind das die Elternhäuser oder sind das die Schülerinnen und Schüler selbst? - Wer kennt das nicht: Natürlich gibt es die Eltern, die - etwas überzogen gesagt - mit dem Anwalt drohen, wenn der exklusiv in Ihrer Wahrnehmung hochbegabte Zögling nicht die richtigen Noten nach Hause bringt. Und es gibt natürlich auch Lehrkräfte - ich habe persönlich auch welche kennengelernt -, die sagen: Wenn mein Unterricht nicht zum Erfolg führt, dann sind zuvorderst die Schülerinnen und Schüler verantwortlich. Alles das sind allerdings Ausnahmen.
Die Wahrheit ist, dass natürlich alles zusammen für guten Bildungserfolg erforderlich ist: ein gutes Elternhaus, das die Schülerinnen und Schüler unterstützt, Lehrkräfte, die sich selbst hinterfragen und die vor allen Dingen auch den Bildungserfolg und den Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihnen thematisieren, und
eine Schule, die ein gutes Lernklima schafft und von der Politik gute Voraussetzungen dafür bereitgestellt bekommt.
Das sind alles wichtige Aufgaben, auch für uns hier in der Politik, derer wir uns stetig annehmen. Natürlich ist klar, dass wir da noch vor vielen, vielen Herausforderungen stehen. Es ist aber auch klar, dass sich Lernen und der Begriff von Leistung in der Schule verändert haben. Es geht nicht mehr darum, einfach nur Faktenwissen anzusammeln und das in Klassenarbeiten, in schriftlichen Prüfungen, zu reproduzieren. Es geht heute darum, ein selbstständiges Leben führen zu können, indem man Kompetenzen erwirbt. Ich denke dabei immer an die Fächer Politik und Geschichte, die ich selbst unterrichtet habe.
Im Fach Politik ging es weniger darum, die richtige Begrifflichkeit aller Bundesministerien zu kennen und reproduzieren zu können, sondern es ging darum, Demokratie zu lernen und leben zu können; und um nichts weniger, meine sehr verehrten Damen und Herren. Im Fach Geschichte ging es z. B. nicht darum, möglichst viel Faktenwissen über den Nationalsozialismus anzuhäufen, sondern darum, zu verstehen, wie dessen Entstehung möglich war und welche Auswirkungen er hatte.
Das alles lernt man natürlich nicht nur durch schriftliche Arbeiten und Frontalunterricht. Schule ist heute viel vielfältiger geworden. Sie lebt vom Dialog der Schülerinnen und Schüler miteinander. Und wenn die Leistung nicht stimmt, ist es richtig, wenn das auch gemeinsam thematisiert wird und Kompetenzen weiterentwickelt werden.
Ich komme zum Schluss zu einem Zitat, das diesen Bildungsbegriff noch einmal untermauert. Es ist ein etwas provokantes Zitat von einem konservativen britischen Politiker, der gesagt hat: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir vergessen, was wir gelernt haben.“
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Leistungsbewertung gehört zu den pädagogischen Aufgaben von Schule und Lehrkräften. Schriftliche Arbeiten sind dabei nur ein Teilbereich. Das wird in dem Erlass „Schriftliche Arbeiten in den allgemein bildenden Schulen“ in Niedersachsen geregelt.
Das Ziel der Bewertung von schriftlichen Arbeiten ist es, Schülerinnen und Schülern genauso wie Lehrkräften und Erziehungsberechtigten Aufschlüsse über den Stand des Lernprozesses zu geben. Damit geht einher, dass, bevor wir etwas bewerten können, der Grundstock vorbereitet werden muss. Das erfolgt durch den Unterricht. Deshalb heißt es im zweiten Absatz des Erlasses:
„Bewertete schriftliche Arbeiten müssen aus dem Unterricht erwachsen und in ihrer Art und in ihrem Umfang der Entwicklungsstufe und dem Lernstand der Schülerinnen und Schüler angemessen sein.“
Da haben wir schon das erste große Problem mit dem Verständnis, das Herr Rykena hier eben präsentiert hat. Die Arbeiten sind aus dem Unterricht heraus zu erstellen. Sie sind nicht so wie früher zu erstellen.
Meine Damen und Herren, wer allen Ernstes glaubt, dass wir die Herausforderungen von heute mit den Methoden von gestern lösen können, der glaubt auch, dass die Erde eine Scheibe ist. Das, was hier präsentiert worden ist, ist abwegig.
Das Erstellen dieser Arbeiten ist eine zutiefst didaktisch-pädagogische Aufgabe; denn die Verantwortung für die Unterrichtsvorbereitung und Unterrichtsgestaltung liegt nun einmal bei den Lehrkräften. Sie entscheiden nicht nur, wann eine Arbeit geschrieben wird, sondern sie gestalten und bewerten diese Arbeit auch. Meine Damen und Herren, ich werbe dafür, dass wir Vertrauen in unsere Lehrkräfte haben; sie nehmen diese Arbeit nämlich verantwortungsvoll wahr.
Die Antragsteller von der AfD machen es sich übrigens auch viel zu einfach, wenn als alleiniger Grund für das Überschreiten der 30 % die zuneh
menden Veränderungen in der Zusammensetzung der Schülerschaft gesehen werden. Schulleistungsuntersuchungen, die durch wissenschaftliche Erkenntnisse - übrigens weniger durch dubiose Bauchgefühle, wie „es wird irgendwie alles schlechter“ und „es wird nach unten nivelliert“ - gestützt werden, belegen, dass es sehr gut gelingen kann, Heterogenität ohne Leistungsverlust umzusetzen und damit Vielfalt auch wertzuschätzen. Dafür stehen wir, meine Damen und Herren.
Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass ich als besonders bemerkenswert die Logik der AfD „je mehr man durchfallen lässt, desto besser wird die Leistung“ empfinde. Mir muss mal irgendjemand erklären, wie das funktionieren soll.
Meine Damen und Herren, Zweck der 30-%-Regelung ist es, die Möglichkeit zu schaffen, das Leistungsbild einer Lerngruppe zu verbessern, sofern die Leistungen von mehr als 30 % der Klasse oder Lerngruppe den Anforderungen nicht entsprechen oder als verbesserungswürdig oder verbesserbar eingestuft werden. Mit einem Anheben auf 50 % würde das Erreichen des angestrebten Ziels der Leistungsverbesserung eben überhaupt nicht gefördert; das Gegenteil wäre sogar der Fall.
Der Entschließungsantrag verkennt zudem ein wichtiges Korrektiv, nämlich die Entscheidung der Schulleitung. Sollte diese der Meinung sein, dass eine Lerngruppe entsprechend den Vorgaben sinnvoll vorbereitet war, kann sie eine schriftliche Arbeit durchaus bewerten lassen, obwohl mehr als 30 % mit „mangelhaft“ und „ungenügend“ bewertet wurden. Damit kann die befürchtete „Leistungserosion“ verhindert werden. Auch damit stärken wir das Vertrauen in die gute und verantwortungsvolle Arbeit unserer Lehrkräfte.
Erlauben Sie mir abschließend auch noch eine Anmerkung zu dem Verständnis, das dieser Antrag atmet. Ich habe als Kultusminister hohes Vertrauen in die pädagogische Arbeit unserer Lehrkräfte.
Die Unterstellung, Lehrkräfte würden die Anforderungen schriftlicher Arbeiten nach unten anpassen, um einer Rechtfertigung gegenüber der Schulleitung und der Elternschaft und einem bürokratischen Aufwand zu entgehen, halte ich, ehrlich gesagt, für ungeheuerlich. Das wirft ein spannen
des Licht auf die Arbeit des Antragstellers, der selber Lehrkraft ist. Ich bin dankbar dafür, dass die Lehrerschaft in Niedersachsen einen anderen Weg wählt und sich nicht auf so etwas einlässt.