Damit es völlig klar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich bin einigermaßen überrascht über diese - wie soll ich das ausdrücken? - temporäre Amnesie, unter der Sie offenbar leiden,
weil ich mich schon wundern muss. Wir haben hier den Gesetzentwurf. In Ihrem Entschließungsantrag tauchen alle diese Punkte, über die wir uns - oh Wunder! - verständigt haben, nicht mehr auf. Wir haben uns sogar auf Online-TKÜ und Onlineüberwachung verständigt, wir haben sie nur nicht in das Gesetz aufgenommen, weil die technischen Möglichkeiten noch nicht bestanden. Wir waren uns einig, dass wir sie in das Gesetz nachtragen, wenn die technischen Möglichkeiten da sind.
Aber jetzt plötzlich soll das alles nicht mehr gelten? - Liebe Kollegen, etwas mehr Fairness im Umgang mit den Gesetzentwürfen würde ich mir auch von Ihnen an der Stelle wünschen.
Ja, wir haben uns auf 74 Tage geeinigt. Dabei von Willkür zu sprechen, nehme ich als rhetorische Übertreibung zur Kenntnis. Sie wissen genauso gut wie ich, wie Kompromisse funktionieren. Wir haben auch mit Ihnen bei verschiedenen Gesetz
entwürfen über Stunden und Tage um Formulierungen gefeilscht. Das gehört nun mal dazu. Ob dann die Zahl 74, also zweimal 30 plus 14, ist oder zweimal 50 oder dreimal 10, ist letztlich eine Frage der Einordnung. Am Ende kommt niemand darum herum, in jedem Einzelfall die Verfassungsmäßigkeit des Grundrechtseingriffs im Gefahrenabwehrrecht sauber zu begründen. Genau diese Herausforderung wird immer bleiben.
Meine Damen und Herren, für die Landesregierung ist die Novellierung des Polizeigesetzes ein herausgehobenes gesetzliches Vorhaben. Insofern wurde die Neufassung auch für den Koalitionsvertrag vereinbart, und es wurden einige fachliche Vorgaben gemacht. Daraus ist unter äußerst engagierter Arbeit meines Ministeriums - dafür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken - das nunmehr vorliegende umfangreiche Reformgesetz entstanden, das nicht nur die notwendigen Befugnisse und Maßnahmen zur Abwehr terroristischer Gefahren schafft, sondern auch weitere erforderliche Änderungen, die sich z. B. durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz ergeben haben, aufgreift und umsetzt.
Mir war bei der Erstellung des Gesetzentwurfes vor allem eines wichtig. Wir mussten es schaffen, einen ausgewogenen Kompromiss zu schaffen zwischen den Sicherheitsinteressen, die sich in den vergangenen Jahren maßgeblich geändert haben, einerseits und dem Grundrechtsschutz jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers andererseits. Und wir haben das geschafft, meine Damen und Herren. Dieser Gesetzentwurf unterscheidet sich nicht nur wohltuend von dem bayerischen, sondern auch von einigen anderen.
Ich füge hinzu: Ich möchte mich beim Koalitionspartner für die Gespräche, die wir geführt haben, ausdrücklich bedanken. Das waren hitzige Gespräche, auch nicht immer angenehme Gespräche. Ich würde vorschlagen, dass wir uns darauf verständigen, dass Herr Schünemann und ich im Zweifel nie öffentlich zusammen ein Bier trinken werden.
Aber das müssen wir auch nicht, weil es hier um professionelle Zusammenarbeit geht und um nicht mehr.
- Aber Sie wollen es doch im öffentlichen Raum verbieten! Dann können wir das doch auch nicht machen.
Von daher, meine Damen und Herren, will ich darauf hinweisen, dass das in einer Koalition nun mal so ist: Man rauft sich zusammen, man findet Kompromisse. Das war unter Schwarz-Gelb nicht anders als bei Rot-Grün, und das wird unter RotSchwarz genauso sein. Das gehört nun einmal zur professionellen Arbeit dazu.
Natürlich wissen wir alle: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Wenn sich Realitäten verändern, verändert sich bei den meisten von uns auch das Bewusstsein. Das gilt allerdings nicht für alle. Bei manchem bleibt dann das Sein in der Vergangenheit stecken und führt zu Bewertungen, wie wir sie gerade vorhin hier gehört haben. Das muss man hinnehmen. Das muss man in Kauf nehmen.
Ich kann mich für die gute Zusammenarbeit mit großen Teilen der CDU-Fraktion bei diesem Gesetzentwurf nur bedanken.
Meine Damen und Herren, es wäre das erste Polizeigesetz in Deutschland, das nicht Kritik ausgesetzt wäre, und mit Recht, meine Damen und Herren. Ich finde, in dem Augenblick, in dem ein Polizeigesetz in Deutschland nicht mehr strittig öffentlich diskutiert wird, geht uns etwas verloren, nämlich die Sensibilität für den Rechtsstaat und für die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates in - wohlgemerkt - alle Richtungen. Deswegen braucht es diese Diskussion. Ich werde niemandem, der ein Polizeigesetz für seine Eingriffsbefugnisse kritisiert, absprechen, dass er trotzdem Sicherheitsinteressen im Auge behält, meine Damen und Herren.
Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfes sind gesetzliche Änderungen, die der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus dienen und die geeignet sind, die präventive Bekämpfung und Abwehr des islamistisch motivierten Terrorismus zu stärken und zu verbessern. Auf diese Änderungen will ich mich konzentrieren.
Als Standardmaßnahmen, die schon im Sicherheitspaket von 2017 enthalten waren, werden Meldeauflagen, Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote sowie eine elektronische Aufenthaltsüberwachung
aufgenommen. Das ist relativ unspektakulär. Alle Maßnahmen können bereits im Vorfeld einer Gefahr zur Anwendung kommen.
Die Vorschriften - das ist wichtig für alle, die hier vielleicht etwas überreagieren - sind so ausgestaltet, dass die Polizei entweder anhand bestimmter Tatsachen oder aufgrund von Anhaltspunkten dem individuellen Verhalten der betroffenen Person eine begründete Gefahrenprognose stellen muss, also nicht einfach nur die Annahme, es könne irgendwann irgendwo etwas passieren. Diese Gefahrenprognose muss gestellt werden, und diese Gefahr muss in einem zeitlich überschaubaren Zeitraum existieren und sich in Form einer terroristischen Straftat darstellen.
Es ist noch etwas neu: Diese terroristische Straftat wird in diesem Gesetz definiert, legal definiert, meine Damen und Herren, um auch auf der Straftatenseite eine hinreichend bestimmte Eingrenzung vorzunehmen und zu verhindern, dass sich alles Mögliche darunter subsumieren lässt.
Der Anwendungsbereich der Telekommunikationsüberwachung wird dahin gehend erweitert, dass zukünftig ein Einsatz dieser Mittel auch zur Verhütung - wiederum - terroristischer Straftaten möglich wird. Nach geltendem Recht muss bereits eine gegenwärtige Gefahr eingetreten sein.
Auch für die Wohnraumüberwachung, ein besonders sensibles Feld, meine Damen und Herren, wird ein speziell auf die Abwehr terroristischer Gefahren zugeschnittener Eingriffstatbestand geschaffen.
Schließlich werden Rechtsgrundlagen für die sogenannte Quellen-TKÜ und den verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme, die sogenannte Onlinedurchsuchung, geschaffen, die das Bundesverfassungsgericht zur Abwehr bestimmter Gefahren - auch für diejenigen, die sonst gerne das Verfassungsgericht zitieren - für besonders hochwertige Rechtsgüter als zulässig eingestuft hat.
Meine Damen und Herren, ich hatte bereits zu Beginn meiner Rede darauf hingewiesen, dass neue Befugnisse im Hinblick auf die hohe Gefährdungslage erforderlich sind. Lassen Sie mich das noch einmal unterstreichen!
Die Landesregierung fühlt sich den Bürgerinnen und Bürgern Niedersachsens gegenüber verpflichtet, alle geeigneten und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen, um ihnen den bestmöglichen Schutz zu gewähren. Angesichts der Bedrohungs
lage wäre es mehr als fahrlässig, nicht alle verfassungsrechtlich zulässigen Maßnahmen und Befugnisse auszuschöpfen und auf andere zu verzichten.
Meine Damen und Herren, anschließend noch einige wenige Worte zum Unterbindungsgewahrsam. Was ist notwendig?
Um terroristische Anschläge zu verhindern, können Personen künftig bis zu 30 Tage in Gewahrsam genommen werden - mit Verlängerungsmöglichkeiten um einmalig 30 und einmalig weitere 14 Tage, sodass sich eine Höchstdauer von 74 Tagen ergibt.
Gegenüber den aktuell geltenden zehn Tagen ist bei terroristischen Straftaten ein deutlich verlängerter Zeitraum erforderlich, aber eben auch nur dort, um diese denkbar schwersten Straftaten hinreichend sicher zu unterbinden.
Angesichts der Schwere terroristischer Straftaten ist es auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt, den Gewahrsam auszudehnen, zudem die Maßnahme im Höchstmaß mit bis zu dreimaligem Richtervorbehalt ausgestattet ist, also jeweils bei ihrer Genehmigung und auch bei ihrer Verlängerung erneut von einem Richter genehmigt werden muss.
Der Gesetzgeber legt darüber hinaus Maximalfristen fest. Darauf will ich noch einmal hinweisen. Letztlich muss in jedem konkreten Einzelfall eine Entscheidung über die Länge der Gewahrsamsdauer getroffen werden.
Ich füge hinzu: Wir reden hier richtigerweise über das Gefahrenabwehrrecht. Natürlich muss sich eine Gefahr entsprechend ausgeprägt darstellen. Auch deswegen ist es schwer zu begründen, warum ein anderes Landesgesetz in Süddeutschland eine unbegrenzte Dauer vorsieht. Wie bitte will ich eigentlich jemanden unbegrenzt in Gewahrsam nehmen mit der Begründung, es könne irgendwann einmal etwas passieren? Eine Gefahr muss konkret greifbar sein.
Um das Beispiel der beiden Gefährder aus Göttingen zu nennen - das wird ja hier von allen Seiten immer angeführt -: § 58 a war die Grundlage für die Ausweisung. Aber um sie festzuhalten, damit sie nicht untertauchen, mussten wir uns am Ende des Instruments der Abschiebehaft bedienen. Das funktioniert aber bei deutschen Staatsangehörigen
nicht. Also brauchen wir auch in diesen Fällen ein Instrument. Bitte, bleiben Sie einfach bei den Sachverhalten, und nehmen Sie zur Kenntnis, dass niemand ein Interesse hat, niedersächsische Gefängnisse mit Gefährdern zu füllen, die keine sind!
Ich prophezeie Ihnen: Die Zahl der Anwendungsfälle dieser Vorschrift wird sich im Nanobereich abspielen. Das ist auch gut so, weil es ein höchstmöglicher Eingriff in die Freiheitsrechte - egal, welches Menschen - ist. Deswegen müssen und dürfen sie nur angewandt werden, wenn die Hürden entsprechend klar definiert sind und erreicht werden. Genau darauf werden wir alle gemeinsam mit aller Sorgfalt achten.
Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass noch in diesem Jahr ein umfassend novelliertes Polizei- und Ordnungsgesetz in Kraft treten wird, das weitere wichtige Bausteine enthält und insbesondere im Bereich der Abwehr terroristischer Gefahrenlagen effektiver und wirkungsvoller die Sicherheit in Niedersachsen gewährleisten kann als ohnehin schon. Unsere niedersächsische Polizei und diese Landesregierung und dieser Innenminister werden alles dafür tun, damit das so bleibt.
Vielen Dank, Herr Minister. - Nach § 71 Abs. 3 der Geschäftsordnung bekommt der Herr Kollege Limburg eine zusätzliche Redezeit von zwei Minuten. Bitte sehr!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister Pistorius, ich habe Sie in der letzten Legislaturperiode ja vielfach erleben dürfen, und ich habe Sie immer als harten, aber gleichwohl fairen und geradlinigen Verhandlungspartner erlebt. Ich erwarte von Ihnen, dass diese Fairness und Geradlinigkeit auch nach dem Ende der rot-grünen Koalition bestehen bleibt.