Es war damit ein Durchbruch im Sinne einer Aufwertung der persönlichen Freiheit verbunden. Etwas, was uns heute selbstverständlich erscheint, ist es jahrhundertelang in Deutschland eben nicht gewesen. Persönliche Freiheit und Verantwortung werden seit der Reformation anders gesehen und anders diskutiert als davor.
Deswegen ist die Reformation unstreitig einer der Wegbereiterinnen und Wegbereiter der Aufklärung gewesen, etwas, was unsere Gesellschaft bis heute prägt. Um ein praktisches Beispiel anzuführen: Am Beginn der Forderung nach mehr Bildung für alle Menschen steht die Reformation - damals aus Anlass der Förderung des Lesens der Bibel. - Aber wie wir alle wissen, ist die Entwicklung dort ja nicht stehengeblieben, sondern heute würden wir alle zustimmen: Je mehr alle Menschen in unserer Gesellschaft die Möglichkeit zur Bildung haben, desto besser ist es für sie, und desto besser ist es auch für unsere ganze Gesellschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir also über die Reformation und ihre Auswirkungen diskutieren, dann geht es nicht nur um einen kirchengeschichtlichen Anlass. Wir reden über einen der wesentlichen Entwicklungspunkte unserer Gesellschaft, insbesondere in Niedersachsen und insbesondere in Norddeutschland; denn Norddeutschland ist in besonderer Weise durch die Reformation geprägt worden.
Der dritte Punkt, den ich erwähnt habe, betrifft die praktische Umsetzung. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es den Reformationstag schon seit vielen Jahren als Feiertag. Hamburg hat einen entsprechenden Beschluss am 12. März getroffen, Schleswig-Holstein am 21. März.
(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Nachdem Sie ihn auf den Weg gebracht haben! - Christian Grascha [FDP]: Im Hinter- zimmer!)
Die Bremische Bürgerschaft hat in einer ersten Lesung mit breiter Mehrheit ebenso beschlossen. Die abschließende Entscheidung steht noch aus.
Was will ich damit sagen? - Wir haben auf dieser Grundlage die Möglichkeit, zu einer gemeinsamen norddeutschen Regelung zu kommen, was auch nicht wirklich verwunderlich ist, wenn man sich klarmacht, dass diese Erwägungen, die ich eben angestellt habe, eben nicht nur in Niedersachsen gelten, sondern sie gelten auch in den anderen
norddeutschen Ländern. Ich glaube, wir sind miteinander gut beraten, keine Insellösungen an dieser Stelle zu treffen. Auch das ist für uns ein wesentlicher Gesichtspunkt bei dem Vorschlag.
Es gibt gute Gründe für den Reformationstag. Das ist eine lebendige und, wie ich finde, interessante Diskussion. Ich freue mich auf spannende Diskussionen in den Ausschüssen, aber sicherlich dann auch in der abschließenden Beratung hier im Plenum des Niedersächsischen Landtages.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Weil. - Nun hat sich für die CDU-Fraktion der Kollege Jens Nacke zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um den zusätzlichen Feiertag in Niedersachsen erreicht mit der heutigen ersten Beratung das Parlament. Jetzt sind die gewählten Abgeordneten in diesem Haus gefragt und werden die Diskussion führen müssen, weiterführen können und dürfen, welcher Feiertag am Ende der Richtige ist. Aber auch die Frage, ob überhaupt ein zusätzlicher Feiertag eingeführt werden soll, ist ja immer noch in Rede.
Ich möchte mich zunächst an dieser Stelle ausdrücklich bei der Landesregierung bedanken, weil sie einen Gesetzentwurf vorgelegt hat und sich dadurch natürlich zwangsläufig entscheiden musste. Der Ministerpräsident hat hier gerade die Entscheidung der Landesregierung ausgeführt. Aber ich will ausdrücklich sagen - und ich glaube, ich kann das beurteilen, weil ich das eine oder andere davon schon gelesen habe -: Die Begründung zu diesem Gesetzentwurf ist wirklich hervorragend. Sie ist lesenswert, unabhängig davon, ob man sich für den Reformationstag entscheidet, unabhängig davon, ob man sich diesem Vorschlag anschließen will. Daraus kann man sehr viel Hilfestellung für die Entscheidung ziehen, die wir hier im Hause zu treffen haben.
Die Debatte über den zusätzlichen Feiertag ist nicht neu. Sie wird seit mehreren Jahren geführt. Sie wurde auch hier im Hause bereits an mehreren Stellen intensiv geführt. Deswegen - auch das sei einmal vorweggestellt -, liebe Frau Kollegin Piel,
geht der Versuch, erneut den Vorwurf zu erheben, hier werde eine Entscheidung in Hinterzimmern von kleinen Gruppen getroffen, schlicht fehl. Die Diskussion ist in diesem Haus geführt worden. Sie wird in voller Breite in der Gesellschaft geführt. Zu kaum einem Thema erhalten wir derart viele Zuschriften und Anmerkungen. Sie wird ab dem heutigen Tag offen und sehr transparent in diesem Parlament geführt. Von Hinterzimmern kann ich da nichts erkennen.
Der Koalitionsvertrag, den die Parteien von CDU und SPD gemeinsam geschlossen haben und der die Grundlage für die Regierungsarbeit ist, sagt auf Seite 22 deutlich aus: „Wir streben die Einführung eines weiteren kirchlichen/gesetzlichen Feiertages in Niedersachsen an.“ Der Gedanke, auch wenn er hierin noch nicht vollständig ausformuliert wurde, dass es einen zusätzlichen Feiertag geben soll, ist im Koalitionsvertrag sehr fest verankert. Aber der Koalitionsvertrag lässt offen, welcher Feiertag es denn sein soll.
Im weiteren Verfahren ist vorgesehen, dass der federführende Innenausschuss, der die Beratung vornehmen wird, zunächst eine sehr breite Anhörung durchführen wird. Jede gesellschaftliche Gruppe, die hierzu einen Beitrag leisten möchte, soll die Gelegenheit bekommen, in einer breit angelegten Anhörung im Innenausschuss die Position noch einmal darzulegen. Ich lade alle herzlich ein - auch jene, die sich bereits geäußert haben -, an dieser Diskussion im Innenausschuss mitzuwirken.
Wir streben danach eine Beratung des Gesetzentwurfs im Juni an. Anders, als das in diesem Hause üblicherweise der Fall ist, hat sich die CDU - und ich glaube, ich kann das auch für die Kollegen von der SPD-Fraktion sagen, die das gleich noch gesondert ausführen werden - entschieden, dass es hierbei keine fraktionsinterne Festlegung geben wird. Die Fraktion der CDU wird keine gemeinsame Position fraktionsintern beschließen, sondern alle Kolleginnen und Kollegen werden nach eigener Entscheidung abstimmen. Auch wenn das - die Diskussion muss man jetzt nicht aufmachen - aus unserer Sicht keine Gewissensentscheidung ist, haben wir uns in diesem besonderen Falle entschieden, dass alle Kollegen so entscheiden sollen, wie sie das am Ende der Diskussion für richtig erachten.
diesen Gesetzentwurf bewertet. Jeder Kollege und jede Kollegin kann das in eigener Verantwortung im Laufe der Beratung tun.
Aber ich möchte einen Hinweis geben, wie diese Beratung verlaufen soll. Ich glaube, wir sollten uns darauf beschränken, für einen Feiertag zu werben. Wir alle sollten uns in der Beratung zurückhalten, gegen einen bestimmten Feiertag zu argumentieren. Wer für den Reformationstag oder für den Buß- und Bettag ist, der ist nicht gegen andere Religionen.
Wer sich eher für einen weltlichen Feiertag entscheidet, ist das genauso wenig. Wer den Weltfrauentag für richtig erachtet, ist nicht gegen Männer. Wer den Europatag für richtig erachtet, ist kein Nationalist, der Menschen von anderen Kontinenten ablehnt. Wer einen Feiertag zur Erinnerung an das Inkrafttreten des Grundgesetzes ablehnt, der lehnt damit nicht etwa diesen Staat und sein Konstrukt ab. Nein, es gibt gute Argumente für jeden dieser Tage. Man sollte sich mit Argumenten gegen die einzelnen Tage zurückhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich mahne auch ein wenig, etwas Zurückhaltung zu üben, wenn man hier vielleicht manchmal einen Absolutheitsanspruch formulieren möchte.
Deswegen - das muss ich an dieser Stelle einfach mal sagen -, lieber Herr Kollege Kirci: Sie setzen sich ja in besonderem Maße mit Unterschriftenaktionen für einen bestimmten Feiertag ein, in dem Fall den Weltfrauentag. Allerdings habe ich ein Zitat in der Bild-Zeitung von Ihnen gefunden, der gegenüber Sie sagten, es sei nicht mehr zeitgemäß, einen christlichen Tag als Anlass für einen Feiertag zu wählen. Hier sage ich ausdrücklich: Das ist nicht die Position der CDU.
Mit dieser Absolutheit stellen Sie am Ende Weihnachten, Karfreitag, Ostern, Pfingsten und Himmelfahrt infrage. Dem werden wir uns ganz sicher nicht anschließen. Sie setzen sich damit - gerade weil Sie auch in Bezug auf den Weltfrauentag gesagt haben, der Tag sei durchaus geeignet - dem Vorwurf aus, dass Sie sich nur deshalb für den Weltfrauentag einsetzen, weil Sie einen kirchlichen
Feiertag verhindern wollen. Das entspricht nicht der Intention der Landtagspräsidentin, und das ist auch nicht angemessen im Umgang mit dieser Debatte. - Ich wollte Ihnen das an dieser Stelle einmal gesagt haben.
Deswegen haben uns - auch das will ich an dieser Stelle erwähnen - die Einlassungen von Herrn Michael Fürst für den Landesverband der jüdischen Gemeinden, die uns erreicht haben, natürlich besonders beschäftigt. In der Aussage - so wurde es in der Sendung „Redezeit“ des NDR gesagt - „Der Tag der Reformation ist einer von vielen Tagen. Man hat genau den falschen Tag genommen“ schwingt eben auch mit, dass alle anderen Tage die besseren Tage seien. Ich glaube, dass Sie dem Umgang der evangelischen Kirche mit Martin Luther, auch dem kritischen Umgang mit dem Menschen Martin Luther, nicht gerecht werden, wenn Sie ihn auf bestimmte, ohne Zweifel antisemitische, Äußerungen reduzieren. Deswegen lade ich Sie herzlich ein, im Innenausschuss die Position erneut darzulegen. Ich sage aber auch: Die Reduzierung Martin Luthers auf antisemitische Äußerungen wird aus unserer Sicht an der Stelle dem Menschen und dem Wirken nicht gerecht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass es eine spannende Debatte wird. Die Geschäftsordnung unseres Hauses lässt es zu, dass zu diesem Gesetzentwurf auch aus den Reihen der Abgeordneten Änderungsanträge gestellt werden. Das kann auch überfraktionell geschehen. Ich lade die Fraktionen des Hauses, die sich nach meiner Wahrnehmung bislang nicht abschließend dazu geäußert haben, ein, die Abstimmung für die Abgeordneten ihrer Fraktion ebenfalls freizugeben. Ich nehme an, dass das bei den Grünen kein Problem ist; denn sie haben sich ja zu einer Änderung entschlossen, weil auch sie sich offensichtlich in der Fraktion nicht ganz einig werden können. Das alles ist gut. Es wird spannend. Es wird eine gute Beratung. Ich freue mich darauf.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Im Juni werden wir entscheiden, welcher Feiertag der richtige sein wird.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, das, was Sie hier heute vorgetragen haben, aber auch das, was sich in der Begründung zum Gesetzentwurf findet, kann nicht überzeugen. Als Erstes führen Sie an, dass es keine Insellösungen geben dürfe, und sagen im Kontext, es gehe um die praktische Umsetzbarkeit. Sie konzentrieren sich dabei aber allein auf die norddeutschen Bundesländer. Was ist eigentlich mit den Verbindungen zu Nordrhein-Westfalen und zu Hessen? Das wird überhaupt nicht betrachtet. Insofern greift dieses Argument hier schon zu kurz, weil diese wirtschaftlichen Verflechtungen nicht betrachtet werden.
Das Argument greift auch deshalb nicht, weil es am Ende konstruiert ist. Es ist von Ihnen selbst mit konstruiert worden, weil Sie im Rahmen der Norddeutschen Ministerpräsidentenkonferenz vereinbart haben, ohne vorher die Parlamente zu fragen und die gesellschaftspolitische Diskussion abzuwarten: Lasst uns doch bitte gemeinsam den Reformationstag als neuen gesetzlichen Feiertag nehmen. - Danach aber sagen Sie: Jetzt müssen wir in den Verbund gehen. - Das heißt, Sie schaffen erst die Voraussetzungen, um sich später auf dieses Argument zu berufen und vor einer Insellösung zu warnen. Das ist nicht aufrichtig. Das ist das Verkehren der Prozesse, wie sie eigentlich sein müssten.
Etwas, was sich in der Begründung findet, haben Sie auch hier wieder gesagt. Unter dem Stichwort „Die Verankerung in der Gesellschaft“ führen Sie die protestantische Prägung an. Ich bin einigermaßen erstaunt und ein Stück weit auch verärgert darüber, dass Sie hier mit falschen Zahlen agieren. Die Humanistische Union hat Ihnen in den vergangenen Tagen noch einmal zukommen lassen, dass die Zahlen, die im Gesetzentwurf genannt sind, aus ihrer Sicht falsch seien. Im Gesetzentwurf wird von 50 % evangelischer Christen als Anteil an der niedersächsischen Bevölkerung gesprochen. Sie sprechen hier sogar davon, es seien über 50 %. Die Humanistische Union aber hat doch nachvollziehbar dargelegt, dass es - auf den Zahlen der evangelischen Kirche selbst beruhend - wohl eher
nur rund 45 % sind. Sie sprechen hier davon, dass die Mehrheit der Bevölkerung - „mehr als 50 %“ haben Sie gesagt - evangelische Christen seien. Das ist schlicht falsch. Eine wesentliche Grundlage, die Sie hier zugrunde legen, ist schlicht falsch. Ich bin einigermaßen erstaunt, dass Sie als Ministerpräsident dies in dieser wichtigen Debatte so als Argument einführen.
Hinzu kommt, dass das eine rein formale Betrachtung ist. Seien wir doch einmal ehrlich: Wie viele Menschen gehen am Wochenende tatsächlich in die Kirche und wie viele fühlen sich so stark der Kirche verbunden, dass sie den Reformationstag tatsächlich mit Leben füllen wollen, und wie viele waren am Reformationsjubiläum in der Kirche? - Das waren nicht 45 % der niedersächsischen Bevölkerung. Insofern ist dieser Anteil eigentlich viel geringer.
Darüber hinaus wird im Gesetzentwurf dazu, was Sie mit diesem Feiertag verfolgen, dargelegt: Durch einen gesetzlichen Feiertag solle die Prägung der Gesellschaft durch die Reformation einer größeren Öffentlichkeit bewusst gemacht werden. Auch andere Konfessionen und Religionen würden von der Prägung profitieren, insbesondere im Hinblick auf das Recht der religiösen Bildung und des säkularen Staatsverständnisses. Schließlich sollen - so heißt es - die Kenntnis und Vertrautheit mit der biblischen Überlieferung und der Geschichte des Christentums vermittelt werden; denn das sei notwendig zum Verständnis unserer Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, das, was da eigentlich passiert, muss man sich mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Was wird denn hier gemacht? - Der Staat, der religiös neutral sein muss, maßt sich an und bedient sich eines evangelischen Feiertages, um die Bevölkerung in einer bestimmten Weise zu erziehen und zu belehren. Staatliche Erziehung und Belehrung der Bevölkerung durch einen evangelischen Feiertag werden damit angestrebt. Das ist anmaßend. Das geht den Staat schlechterdings nichts an.
Sie nehmen im Weiteren auch das säkulare Verständnis unserer Gesellschaft in Bezug. Das ist ganz spannend, weil Sie plötzlich aus der religiösen Bedeutung rüberspringen, indem Sie sagen,