„Eine andere Bewertung ist schließlich auch nicht durch den Umstand geboten, dass der Verfassungsgeber eine Entwicklung zum Vielparteienparlament nicht in Betracht gezogen hätte. Vor dem Erfahrungs- und Erwartungshorizont des Verfassungsgebers von 1949 waren Reichs- und Bundestag gerade durch eine - bis heute nie wieder erreichte - Vielzahl an im Parlament vertretenen Parteien gekennzeichnet“.
Also gerade dann, wenn man ein Vielparteienparlament hat - man muss ja nicht zwangsläufig auf nur fünf Fraktionen abstellen, sondern kann auf alle möglichen Konstellationen im Parlament abstellen -, kann man in der Abwägung zu dem Schluss kommen, dass man den inflationären Gebrauch solcher Minderheitenrechte einschränken will, um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments - und selbstverständlich auch der Regierung - zu gewährleisten.
Das, meine Damen und Herren, ist der Grund, weshalb wir uns schwertun - ich will das durchaus in dieser Zurückhaltung formulieren -, diese Abwägung ohne Not - das darf ich betonen, weil die Opposition ja könnte; sie würde das Quorum ja erfüllen - neu anzustellen. Ich möchte auch noch einmal den Hinweis geben, dass eine weitere Absenkung des Quorums in keinem anderen Bundesland und auch nicht auf Bundesebene vorgenommen worden ist.
Wir schlagen stattdessen vor, eine verbindliche, auch öffentlich dargestellte Vereinbarung abzuschließen. Das halte ich für einen zweckmäßigen und konstruktiven Weg. Aus meiner Sicht ist es nicht angemessen, die Verfassung angesichts aktueller Regierungskonstellationen entsprechend anzupassen.
Dann gibt es noch ein paar Detailfragen zu klären. Die Frage von Prozessstandschaft haben wir ausführlich diskutiert. Es bleibt aber noch Raum für mehr Diskussionen, nehme ich vorsichtig an. Ich will nicht völlig ausschließen, dass man auch bei gesetzlichen Normen unterhalb der Verfassung im Verlaufe der Debatte noch zu Veränderungen kommt; jedenfalls könnte ich mir das vorstellen.
Ich will zum Schluss kommen. Herr Limburg hat gesagt, er sei Optimist. Ich bin auch Optimist. Deswegen, Herr Limburg, glaube ich, dass wir, wenn wir den Entwurf einer solchen Vereinbarung vorgelegt und ihn intensiv miteinander diskutiert haben, am Ende zu einer großen Übereinkunft und zu einem einvernehmlichen Ergebnis kommen werden.
Die Presse hat heute berichtet, CDU und SPD würden versuchen, sich die Oppositionsfraktionen warmzuhalten. Das muss ich nun wirklich zurückweisen. Wenn wir das tun wollten, dann würden wir Ihnen quasi blind entgegenkommen und sagen, dass wir gerne die Verfassung ändern. Aber uns geht es um eine sachliche Auseinandersetzung. Deswegen ist es, glaube ich, angemessen, diese Gesetzentwürfe bis in die Details im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zu diskutieren. Ich glaube auch, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten zu einer einvernehmlichen Regelung kommen müssen; denn es sind in der Tat nun schon einige Monate ins Land gegangen. Einige Regelungen haben wir getroffen, aber ich glaube, dass wir auch in Bezug auf diese Frage zu einer Übereinkunft kommen sollten.
Das war es erst einmal von mir. Ich freue mich über sachliche Diskussionen hier und natürlich auch im zuständigen Ausschuss.
Schönen Dank, Herr Siebels. - Die sachlichen Diskussionsbeiträge sind schon in Form von Kurzinterventionen von Herrn Dr. Birkner und Herrn Wichmann im Anschluss angemeldet worden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Siebels, ich habe drei Anmerkungen:
Die erste Anmerkung ist: Ich bedauere sehr, dass der Herr Ministerpräsident dieser wichtigen Debatte nicht mehr beiwohnt.
Schließlich geht es um die Frage, in welchem Verhältnis das Parlament zu einer Landesregierung steht. Es geht darum, wie weit die Kontrollrechte tatsächlich reichen. Und insofern gilt es, wie ich
finde, den nötigen Respekt und die nötige Anerkennung auch einmal durch Anwesenheit zum Ausdruck zu bringen. Dann kann der eine oder andere Termin auch einmal vor der Tür warten, bei allem Verständnis für die Verpflichtungen, die der Ministerpräsident hat. Hier geht es, wie heute schon mit verschiedenen Zitaten belegt wurde, um den Kern der parlamentarischen Demokratie. - Dieses Verhalten des Ministerpräsidenten ist sehr bedauerlich und sollte sich nicht wiederholen.
Die zweite Anmerkung ist: Herr Siebels, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie sich eine Vereinbarung oder etwas Ähnliches vorstellen könnten. Dazu brauchen wir aber irgendwann mal eine Grundlage. Wir könnten uns Debatten ersparen, wenn wir wüssten, wie eine solche Vereinbarung ganz konkret aussieht. Allerdings habe ich erhebliche Zweifel, dass sich eine solche Vereinbarung rechtssicher und quasi gleichgestellt mit einer Verfassungsänderung gestalten ließe.
Die dritte und aus meiner Sicht entscheidende Frage stelle ich, weil ich hier nicht nur als Fraktionsvorsitzender, sondern auch als Parteivorsitzender spreche. Verraten Sie mir bitte, wo diese zehn zusätzlichen Abgeordneten, die Sie in Ihrer Rede wiederholt der Opposition zugeschrieben haben, geblieben sind? Wir sind nämlich nicht 42, sondern 32 Abgeordnete in der Opposition. Aber vielleicht ist das ja das Problem, vielleicht meinen Sie ja deshalb, wir würden die Quoren doch eigentlich erreichen. - Also, verraten Sie mir bitte, wer diese 10 sind und wie viele davon auf die FDP entfallen. Dann könnte ich dem einen oder anderen vielleicht etwas einfacher begegnen.
Danke, Herr Dr. Birkner. - Herr Siebels möchte noch antworten. Zunächst aber hat Herr Wichmann das Wort.
Danke schön. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Siebels, erklären Sie uns bitte, wie diese sogenannten vertraglichen Vereinbarungen, die hier immer wieder im Raum stehen, rechtlich gestaltet sein sollen. Wollen Sie die Freiheit des Mandats angreifen? Wollen Sie Ihren eigenen Abgeordneten vorschreiben, wie sie abzustimmen
haben? - Das ist doch alles nicht rechtssicher. Wollen Sie das einklagbar gestalten? Auf welcher Rechtsgrundlage denn? - Das ist doch alles Humbug und geistiges Freibeutertum. Sie müssen anerkennen, dass Rechte ins Gesetz gehören und nirgendwohin sonst.
Vielen Dank. - Herr Dr. Birkner, was die zehn Abgeordneten angeht, bitte ich vielmals um Verzeihung. Ich kritzele das alles handschriftlich hin. Ich würde ja anbieten, dass wir sie fair untereinander aufteilen, aber faktisch gibt es sie nicht. Sie haben recht: Es sind 32 Abgeordnete.
Jetzt möchte ich auf die Kurzintervention von Herrn Wichmann zu sprechen kommen. Herr Wichmann, Sie kennen möglicherweise Koalitionsvereinbarungen. Koalitionsvereinbarungen sind rechtlich nicht einklagbar und schränken auch das freie Mandat nicht ein. Eine Vereinbarung wie die, über die ich hier gesprochen habe, dürfen Sie parallel zu dem sehen, was Sie bisher als Koalitionsvereinbarung kennen.
Nächster Punkt: Herr Dr. Birkner hat nach dem Entwurf einer solchen Vereinbarung gefragt. Den wollen und werden wir in Kürze vorlegen. Ich bitte um Verständnis, aber wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten zunächst einmal über die Frage von Verfassungs- und Gesetzesänderungen im weitesten Sinne diskutiert, bis hin zur Detailregelung einer sogenannten Prozessstandschaft. Das ist der Grund, weshalb wir uns zunächst nicht mit der Vorlage eines solchen Entwurfes befasst haben.
Der letzte Punkt war die Frage: Ist der Ministerpräsident anwesend? - Er ist anwesend. Das als Erstes. Aber ich darf auch ganz ausdrücklich betonen, dass es gerade ein Anliegen des Ministerpräsidenten - der auch Vorsitzender meiner Partei ist - ist, Ihnen als Oppositionsfraktionen entgegenzukommen. Nehmen Sie das bitte als Zeichen des Respekts.
Herzlichen Dank, Herr Siebels. - Jetzt kommen wir zu dem Wortbeitrag von Herrn Dr. Birkner für die FDP.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf gleich an das anknüpfen, was Herr Siebels zuletzt gesagt hat. Damit da kein Missverständnis entsteht: Wir erwarten hier kein Entgegenkommen, sondern wir erwarten, dass man wirklich versteht - und den Eindruck habe ich nach der Debatte -, dass es des Parlaments und der Regierung in unserem demokratischen System wegen wichtig ist, eine effektive und gute Opposition zu haben. Das muss auch ein Eigeninteresse der Regierung sein. Es geht nicht darum, dass man der Opposition aus welchen Gründen auch immer mal einen Gefallen tut, sondern es liegt im ureigensten Interesse auch einer demokratischen Regierung, eine effektive und gute Opposition zu haben; denn davon lebt der Parlamentarismus in Deutschland.
Meine Damen und Herren, wir sind von den Kollegen der SPD und auch der CDU darauf hingewiesen worden, dass man an der einen oder anderen Stelle schon Bemühungen unternommen habe, die Opposition zu stärken. Das erkennen wir auch ausdrücklich an. Diese Dinge sind gemeinsam besprochen worden, und man hat gemeinsam Ergebnisse erzielt.
Ich will nur deutlich machen, dass die Dinge, von denen wir hier sprechen, eine andere Qualität haben. Es geht darum, dass die harten Kontrollrechte, die die Verfassung vorsieht - also die Normenkontrolle, der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, die Akteneinsicht - und von denen wir wissen, dass sie am Ende die entscheidenden Instrumente sind, auch tatsächlich vom Parlament durchsetzbar sind.
Darauf kommt es wesentlich an. Deshalb sind in der Verfassung auch nicht die Redezeiten aufgenommen - das ist Sache der Geschäftsordnung -, sondern genau diese harten Rechte. Sie sind wesentlich und müssen entsprechend berücksichtigt werden.
Bei der Gelegenheit mache ich gleich noch eine Anmerkung, weil sie in diese Debatte passt: Wie Oppositionsrechte im Alltag ausgestaltet sind,
hängt natürlich auch davon ab, wie die Mehrheiten ihre Rechte z. B. in Ausschüssen verwenden. Ich will das nur noch mal mit dem Appell verbinden, hier immer im Blick zu haben, dass man, wenn z. B. Anhörungen gewünscht sind, dem möglichst nachkommt und eben nicht versucht, sie mit der Mehrheit zu verhindern, wenn es vielleicht mal unangenehm ist.
Auch das hat etwas mit einer effektiven Opposition und der Frage zu tun, wie wir miteinander umgehen. Wir hatten das Thema anfangs im Kultusausschuss. Da würde ich mir auch für die weitere Dauer der Legislaturperiode entsprechende Sensibilität wünschen.
Aber warum wollen wir das eigentlich, und warum reden wir darüber? - Es wurde ja immer wieder Bezug darauf genommen, dass sich die Quoren unserer Verfassung bewährt haben. Es wurde gesagt, man solle bitte nicht mit Blick auf die momentane Situation quasi zu einer spontanen Verfassungsänderung kommen, weil man gerade in der Opposition ist und, obwohl rechnerisch die Mehrheit gegeben ist, eben nicht zusammenarbeiten kann.
Verfassungen sind auch immer Reaktionen auf politische Realitäten. Sie werden sich zumindest mit dauerhaften politischen Realitäten ordnend auseinandersetzen müssen. Insofern ist unser Befund, dass wir in unserer politischen Parteienlandschaft von einer fragmentierten Situation ausgehen müssen. Wir haben also eine Opposition, die von den Zahlen her vielleicht sehr wohl die Quoren erreicht, die aber aus der politischen Situation heraus diese Oppositionsrechte nicht gemeinsam wahrnehmen wird.
Und wenn das der Befund ist, dann muss man sich doch sehr ernsthaft fragen, wie man die Quoren so gestalten kann, dass eine effektive Opposition möglich ist. Oder anders gefragt: Was spricht denn eigentlich dagegen, die Quoren abzusenken? Was ist denn tatsächlich der Grund dafür? Hier wird immer wieder recht nebulös gesagt: Das haben die Verfassungsmütter und -väter so gemacht. - Außerdem - das liest man - wird ab und zu die Weimarer Republik herangezogen. Das aber sind doch alles Nebelkerzen. Worin besteht denn die Angst vor der Absenkung der Quoren?
ge? Dass das Gericht überlastet ist? Mit Verlaub, Herr Präsident, die Anzahl der Verfahren beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof ist überschaubar, und - wir wollen doch auch die Individualverfassungsbeschwerde einführen - nach meiner Auffassung sind auch weitere Verfahren durch das Gericht zu bewältigen. Das Gericht vor Missbrauch zu schützen, ist also nicht der Grund.
Also ist es doch allenfalls das politische Argument, dass man nicht jedes Gesetz vor dem Staatsgerichtshof haben möchte. Aber das müssen am Ende doch die klagenden Parteien rechtfertigen. Man macht sich doch lächerlich, wenn man mit jedem Gesetz vor den Staatsgerichtshof zieht. Es gibt doch auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit und die Medien, die so etwas entsprechend kommentieren. Insofern halte ich die Missbrauchsgefahr gerade in Bezug auf die Normenkontrolle für nicht gegeben.