Protocol of the Session on June 7, 2016

Gesetzesüberschrift. - Unverändert.

Damit kann die Schlussabstimmung folgen. Wer dem Gesetz mit der Ergänzung der hier beschlossenen Änderungsempfehlungen des Ausschusses folgen möchte, der möge sich bitte erheben. - Sicherheitshalber die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren, wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe die beiden folgenden Tagesordnungspunkte vereinbarungsgemäß zusammen auf

Tagesordnungspunkt 5: Abschließende Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung und eines Gesetzes über die Unterrichtung und Beteiligung des Landtages in Angelegenheiten der Europäischen Union - Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drs. 17/1631 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien und Regionalentwicklung - Drs. 17/5806 - Schriftlicher Bericht - Drs. 17/5873

Tagesordnungspunkt 6: Abschließende Beratung: Niedersachsens Stimme in Europa stärken: Beteiligung des Landtages in Angelegenheiten der Europäischen Union ausbauen - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/4964 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten, Medien und Regionalentwicklung - Drs. 17/5797

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen zu der Drucksache 17/1631, den Gesetzentwurf abzulehnen, und zu der Drucksache 17/4964, den Antrag unverändert anzunehmen.

Ich habe eine erste Wortmeldung dazu von Herrn Kollegen Toepffer von der CDU-Fraktion. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der CDU ist nicht brandneu. Er wurde hier erstmalig im Juni 2014 beraten. Danach war er lange Zeit im Ausschuss verschollen. - Ich bitte Sie, mich nicht misszuverstehen. Das Thema ist wichtiger denn je. Ich glaube, darüber waren wir uns auch im Ausschuss einig.

Weil die erste Beratung lange zurückliegt, will ich noch einmal daran erinnern, aus welchem Grund dieser Gesetzentwurf überhaupt entwickelt worden ist.

Dieser Gesetzentwurf ist ein Kind der sogenannten Staatsschulden- bzw. Eurokrise. Er war eine Reaktion auf einen Menschen namens Bernd Lucke und dessen vermeintliche Alternative zum jetzigen Europa. Schließlich war er die Folge eines europakritischen Europawahlkampfes.

In dieser Situation tagte unsere CDU-Landtagsfraktion seinerzeit in Baden-Württemberg. Wir haben dort von einer Diskussion um ein Beteiligungsgesetz erfahren - ein Gesetz, mit dem der Einfluss des Landes Baden-Württemberg, genauer genommen des Landtags von Baden-Württemberg, in der Europäischen Union gestärkt werden sollte.

Der Ausgangspunkt der Überlegungen in BadenWürttemberg war folgender: Mit dem LissabonVertrag sollen die Rechte der Regionen in der Europäischen Union gestärkt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten Lissabon-Urteil ausdrücklich bestätigt.

Dabei stößt man nun in Deutschland auf ein uraltes Problem, das seit Langem unabhängig von der Europäischen Union besteht. Ich möchte dieses Problem kurz skizzieren:

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie und ein föderaler Bundesstaat. Die Willensbildung der Bevölkerung erfolgt bei uns über die Parlamente. Die Willensbildung der Länder im Bund erfolgt über den Bundesrat. Das Dilemma ist: Unsere Länderkammer ist eine Länderkammer ohne Länderparlamente. Die Länderparlamente sind im Bundesrat nicht vertreten. Der Bundesrat ist eine Kammer der Regierungen, eine Kammer der Exekutive der Länder. Das hat in der Vergangenheit zugegebenermaßen niemanden so richtig gestört.

Mit dem Lissabon-Vertrag ist das Problem wesentlich größer geworden. Wenn die Länderparlamente über den Bundesrat auf die EU Einfluss nehmen sollen, ohne dort überhaupt eine direkte Stimme zu haben, dann ist das schon schlimm genug. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass wir manche Debatte dieses Landtags in den Bundesrat hineintragen könnten.

Unerträglich ist aber die Erkenntnis, dass Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat stattfinden können, indem Kompetenzen der Länderparlamente, also auch unseres Niedersächsischen Landtags, auf die EU übertragen werden, ohne dass das Parlament in Niedersachsen überhaupt einen Einfluss auf eine solche Entscheidung hat. Wir sind auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen. Das ist demokratietheoretisch eigentlich kaum vermittelbar.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Diesem Problem wollten die Kollegen in BadenWürttemberg Rechnung tragen. Sie haben einen

Gesetzentwurf entwickelt, der weitgehend deckungsgleich mit dem unsrigen ist, ein Gesetz, das die Exekutive immer dann bindet, wenn Kompetenzen eines Landes an die EU übertragen werden sollen. Diese Bindung der Exekutive unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung ist in der Tat nicht ganz einfach, sondern eher schwierig.

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat dargestellt, dass die herrschende Meinung in der Juristerei in Deutschland dies für unzulässig hält. Er hat aber auch dargestellt, dass es eine ganz beachtliche Gegenmeinung gibt. Er hat ausgeführt - ich zitiere -, dass er die Argumente der herrschenden Meinung ebenso wie die Argumente der Gegenauffassung nicht für eindeutig richtig oder eindeutig falsch halten kann.

Das Problem hat man auch in Baden-Württemberg gesehen. Trotzdem haben dort alle im Landtag vertretenen Parteien dem sogenannten Beteiligungsgesetz zugestimmt.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Man kann sagen, das ist eine höchst politische Entscheidung gewesen, die juristisch nicht sauber war. Man kann aber ebenso vertreten, dass auch die bisherige Lösung juristisch nicht sauber ist, mit der wir nämlich unserer Rechte beraubt werden können, ohne überhaupt Einfluss nehmen zu können.

Rot-Grün hat nun im Ausschuss einen anderen Weg gewählt. Ich will zugeben, dass Sie sich dabei durchaus Mühe gegeben haben. Sie versuchen im Wesentlichen, die Informationsrechte des Parlaments zu stärken. Das ist sicherlich auch eine gute Lösung. Letztendlich haben Sie das Beteiligungsgesetz aber doch abgelehnt.

Das will ich nicht besserwisserisch kritisieren; denn eines ist klar: Eine Stärkung der Legislative zulasten der Exekutive ist natürlich immer ein Problem, besonders für diejenigen Teile der Legislative, die die Exekutive tragen. Wer die Protokolle aus dem Landtag von Baden-Württemberg liest, der wird erkennen: Auch die Kolleginnen und Kollegen dort hatten damit Probleme.

Deswegen habe ich ein gewisses Verständnis für die Haltung der Regierungsfraktionen und hege eine gewisse Anerkennung für ihren Antrag. Letztlich folgt diese Diskussion jedoch wieder einem altbekannten Ritual. Dieses Ritual heißt: Parlamentsrechte stärken, wenn man in der Opposition ist, und Exekutivrechte stärken, wenn man gerade die Regierung trägt. - Ich befürchte, dass wir uns

diese ritualisierte Politik zumindest in EU-Fragen nicht mehr lange leisten können.

Dieser Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat in den letzten zwei Jahren beachtlich an Aktualität gewonnen. Er hat sogar gefährlich an Aktualität gewonnen. Bereits am 13. Mai 2014, also kurz vor der ersten Beratung, hat die Welt mit Hinweis auf damals jüngste Umfragen getitelt - Zitat -: „Die meisten Europäer misstrauen EU-Institutionen“.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Misstrauen in die Institutionen der EU ist in den vergangenen zwei Jahren leider nicht geringer geworden. Wenn man in Österreich darüber nachdenkt, am Brenner wieder Zäune aufzustellen, dann zeugt das für ein wachsendes Misstrauen. Wenn in Großbritannien in wenigen Tagen über den Brexit entschieden wird, zeigt auch dies: Das Misstrauen ist größer geworden. Wenn in Deutschland die Menschen gegen TTIP auf die Straße gehen, zeigt das natürlich auch, dass das Misstrauen wächst. Die Menschen glauben nämlich nicht mehr daran, dass das EU-Parlament Entscheidungen zulasten der Bevölkerung verhindern wird.

Meine Damen und Herren, wer diesem Misstrauen entgegenwirken will, der muss die Parlamentsrechte der Regionen stärken. Deswegen ist dieser Entwurf für ein Beteiligungsgesetz der einzig richtige Schritt in die richtige Richtung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Toepffer. - Es folgt jetzt für die Fraktion der SPD der Kollege Hans-Dieter Haase. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Toepffer, zunächst einmal Danke für Ihre, so sage ich mal, sehr saubere Rede zu diesem Thema, die auch die Atmosphäre in der Debatte zu dieser Frage im Ausschuss widerspiegelt, die nämlich von allen Seiten sehr ernsthaft geführt worden ist. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Denn es geht um eine Stärkung Europas und der Themen, die uns in diesem Zusammenhang betreffen.

Vor ungefähr zwei Jahren haben wir uns in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf von CDU und FDP

befasst. Nach dann immer wieder unterbrochenen, aber auch immer wieder aufgenommenen intensiven Gesprächen und Diskussionen zwischen den Fraktionen wollen und müssen wir diese Diskussion heute beenden und über diesen Gesetzentwurf und einen Entschließungsantrag abstimmen; denn nicht allein der Gesetzentwurf steht heute zur Debatte, sondern auch der im Verfahren von den Regierungsfraktionen eingebrachte Entschließungsantrag.

Ausgangspunkt beider Überlegungen ist das aktuelle Verfahren zu der Frage, inwieweit das Parlament über Angelegenheiten der EU frühzeitig informiert wird und damit auch Eingriffs- und Beteiligungsrechte des Parlaments verbessert werden können. Grundlage für das in der Praxis geübte und in meinen Augen erfolgreiche, immer wieder verbesserte System in Niedersachsen ist eine Landtagsentschließung vom 14. September 1995, mit der die Landesregierung aufgefordert worden ist, den Landtag umfassend und frühestmöglich über Vorhaben der EU von grundsätzlicher Bedeutung zu unterrichten und ihm die Möglichkeit zur Erörterung und Stellungnahme zu geben.

Gerade nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon und nach den Beschlüssen der Landtagspräsidentenkonferenz in dieser Frage ist das lang geübte Verfahren in meinen Augen stark verbessert worden. Insbesondere die sogenannten Frühwarndokumente erreichen den Landtag nunmehr sehr rechtzeitig, sodass er Subsidiaritätsrügen tatsächlich innerhalb der Achtwochenfrist erheben kann. Ebenfalls wurde die frühzeitige Information und Unterrichtung über aktuelle EURechtsetzungsverfahren entscheidend verbessert.

Meine Damen und Herren, dennoch gaben Lissabon und die Landtagspräsidentenkonferenz Anlass zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, zumal ein anderes Bundesland, Baden-Württemberg, den Weg der landesgesetzlichen Regelung gegangen ist.

Schon in der ersten Lesung im Jahre 2014 wurde allerdings klar, dass hierzu eine Änderung der Verfassung durch die Einfügung eines Artikels 25 a notwendig sei. Herr Toepffer formulierte damals selbst zwei Fragen:

„Wozu braucht man ein solches Gesetz? … Kann man das gewünschte Ziel mit diesem Gesetz erreichen?“

Leider vergaß er, die noch davor liegende Frage zu stellen: Kann man das Verfahren verbessern,

ohne überhaupt gesetzgeberisch tätig werden zu müssen? - In meinen Augen ist das die Frage, die man immer zuerst zu stellen hat. Es wäre der Königsweg, kein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, und die Verfassung ruhen und leben zu lassen, wenn man sie nicht unbedingt anfassen muss.

Meine Damen und Herren, wir glauben, dass wir unser Ziel der stärkeren Beteiligung des Parlaments erreichen können, indem wir mit unserem Entschließungsantrag die erfolgreiche Praxis auf eine breitere Basis stellen als die alte Entschließung von 1995.

Zu dem Gesetzentwurf ist ein ganz wesentlicher weiterer Kritikpunkt vorzubringen, der vorhin schon genannt und bei der Unterrichtung des Ausschusses durch den GBD deutlich wurde. Der GBD wies auf die in der staatsrechtlichen Diskussion umstrittene Frage der rechtlich verbindlichen Einflussnahme der Landesparlamente auf den Bundesrat hin - ich zitiere -:

„Die entscheidende und hier auch umstrittene Frage ist: Darf das Landesverfassungsrecht eine Möglichkeit vorsehen, dass die Landesregierung bei ihrem Stimmverhalten [im Bundesrat] an die Weisung des Landesparlaments gebunden ist?

Die vorherrschende Auffassung in der Literatur sagt …: Nein. Ein solches Weisungsrecht wäre ein Verstoß gegen Artikel 51 des [höherrangigen] Grundgesetzes. … Die Rechtsprechung … hat sich dieser Meinung im Wesentlichen angeschlossen.“

Der GBD schließt sehr deutlich und nicht variabel:

„Der dargestellte Meinungsstreit zeigt aber, dass die Verabschiedung der mit dem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung nicht ohne verfassungsrechtliches Risiko wäre.“

Wollen wir ernsthaft in dieser Frage, wenn es andere Möglichkeiten gibt, ein verfassungsrechtliches Risiko eingehen?

(Jörg Bode [FDP]: Das macht ihr doch sonst auch!)