Aus dem bisher Gesagten kommen unsere Forderungen an unsere Landesregierung, auf die Bundesregierung einzuwirken, damit die unabhängige Patientenberatung weiterhin unabhängig bleibt, und dafür insbesondere auf eine Änderung der Vergabemodalitäten hinzuwirken. Anzustreben ist nach unserer Ansicht, die Vergabe an eine Institution zu übergeben, die nicht selbst Gegenstand der Beratung ist.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Nun hat das Wort für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Annette Schwarz. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Patientenberatung darf nicht zu einem kassennahen Callcenter werden“ - so massiv überschrieb die Bundesärztekammer unter dem Präsidenten Montgomery ihre Presseerklärung vom 1. Juli 2015. Erst einige Tage später wurde den unterlegenen Teilnehmern der europaweiten Ausschreibung zur Vergabe der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, der UPD, das voraussichtliche Ergebnis von dem Beauftragten des Bundes für Patientenfragen mitgeteilt.
Bisher, von 2010 bis 2015, haben der SoVD, der VdK und die Verbraucherzentralen als Anbieter der unabhängigen Patientenberatung fungiert. Deren Vertrag - ein Vertrag! - läuft bis zum 31. Dezember 2015. Bereits im Oktober 2014 wurde die erneute europaweite Ausschreibung angekündigt. Ein wichtiges Ziel im Rahmen dieses neuen Vergabeverfahrens war es, die UPD in der Öffentlichkeit weiter bekannt zu machen, und vor allem, den telefonischen Zugang deutlich zu verbessern.
Meine Damen und Herren, am 26. Februar 2015 haben wir im Sozialausschuss im Zuge einer Anhörung, wenn auch zu einem anderen Thema, auch Vertreter der UPD zu Gast gehabt. Dort hat sich Frau Gravert als Vertreterin der UPD folgendermaßen vorgestellt:
„Ich bin von der Unabhängigen Patientenberatung in Hannover. Ich bin mir sicher - ich bin jetzt mal ganz provokativ -, dass drei Viertel der Anwesenden von uns noch nichts gehört haben. Das ist bedauerlich, weil es uns schon seit 2006 und als Projekt in diesem Lande seit 2001 gibt.“
Dies trifft allerdings nicht die Realität; denn das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung hat die Tätigkeit der UPD seit 2011 wissenschaftlich analysiert und ihr tatsächlich immer eine hohe Beratungstätigkeit und auch -qualität nachgewiesen.
Deutlich verschlechtert hat sich allerdings die Erreichbarkeit. 2014 kam nur die Hälfte aller Anrufer beim ersten Versuch durch. 2012 gelang dies noch 70 % der Anrufer. Dieses ewige Hängen in der Warteschleife macht alles andere als Freude; das wissen Sie mit Sicherheit aus eigener Erfahrung.
In der Ausschreibung wurde dies berücksichtigt. Im Oktober 2014 hat das niemand moniert. Im Sommer 2015 ging eine Welle der Empörung gegen den Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, durch das Land. Bundesgesundheitsminister Gröhe sollte sogar in die Vergabe eingreifen. - Meine Damen und Herren, was Eingriffe in Ausschreibungsverfahren bzw. Vergabeverfahren nach sich ziehen, wissen Sie selbst mit Sicherheit hinlänglich.
Von den unterlegenen Anbietern SoVD, VdK und Verbraucherzentralen wurde - völlig rechtmäßig - die Vergabekammer angerufen. Deren Prüfung ergab eines: Die Vergabekammer teilte die Zweifel nicht. Sanvartis erfülle die vorgeschriebene Neutralität und Unabhängigkeit, heißt es. Auch gebe es keine Anhaltspunkte, dass der GKV-Spitzenverband, der die Sache letztendlich finanziert, das Vergabeverfahren manipulativ betrieben habe. - Also alles in Ordnung.
Die Reaktion von den Verbänden darauf war nach meinen Dafürhalten fair. Von einer Beschwerde beim Oberlandesgericht wurde abgesehen. Sie kündigten an, dass sie zukünftig gut beobachten würden, ob die Unabhängigkeit und Neutralität auch unter dem neuen Betreiber gewährleistet sei.
So ist also der Weg frei gemacht - frei für weiteres Vertrauen der Patienten in die UPD, das letztendlich auch notwendig ist, wenn man solche Beratungsangebote aufsuchen will, frei für einen neuen Anbieter ab 2016, der es ermöglichen soll, nach seinem Konzept eine verbesserte telefonische Erreichbarkeit und eine längere Erreichbarkeit in der Woche zu gewährleisten und den Ausbau der persönlichen Beratung vor Ort zu betreiben.
Zudem sollen drei UPD-Mobile eingeführt werden. Dies ist besonders für den ländlichen Raum interessant, damit auch dort eine Beratung stattfinden kann. Und damit eine bessere Beratungsmöglichkeit von Ratsuchenden, insbesondere mit Migrationshintergrund, erreicht werden kann, sollen türkisch- und russischsprachige Berater eingesetzt werden.
Zur Neutralität ist noch eines zu sagen: Die Eckpfeiler der Unabhängigkeit sollen gewährleistet werden, indem eine neue gemeinnützige Gesellschaft gegründet wird und mit Ausnahme von einigen Fachärzten alle Mitarbeiter unmittelbar bei der UPD angestellt und nach TVöD bezahlt werden.
Sie dürfen keiner Nebenbeschäftigung nachgehen. Neu ist auch, dass ein unabhängiger Auditor die Neutralität und Unabhängigkeit überwachen soll. Zudem werden dem Beirat, der die UPD weiterhin begleiten wird, Weisungsrechte zugewiesen. Die Fördervereinbarung beinhaltet sogar die Möglichkeit, bei einer Verletzung der Unabhängigkeit den Vertrag zu kündigen.
Meine Damen und Herren, diese Einschätzung hat offensichtlich auch die SPD-Bundestagsfraktion geteilt, die am 23. September mitteilte:
„Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Klarheit in Sachen Vergabeverfahren zur Unabhängigen Patientenberatung in Deutschland (UPD) und unterstreicht, dass der neue Träger der UPD in den kommenden sieben Jahren hohen Erwartungen gerecht werden muss“.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion sieht das richtig. Aber was macht die Koalition von SPD und Grünen in Niedersachsen? - Sie fordert die Unabhängigkeit, die Neutralität, die Kostenfreiheit für die Nutzer und die regionale Erreichbarkeit. Das Konzept des neuen Anbieters deutet darauf hin, dass all das erfüllt werden kann. Also kann man nur sagen: Ihre Forderungen haben sich vorläufig erledigt.
Zum Zweiten fordern Sie die Änderung der Vergabemodalitäten. Werte Kollegen von Rot-Grün, bei der Vergabe im Jahr 2006 bzw. 2010 gab es keine Bedenken von Ihnen. Bei der Ausschreibung im Jahr 2014 gab es auch keine Bedenken von Ihnen. Aber nun sind Sie unzufrieden. Warum nehmen Sie sich nicht ein Beispiel an der SPD-Bundestagsfraktion, deren Pressemitteilung vom 23. September ich zitiert habe? Lassen Sie den neuen Anbieter erst einmal die Arbeit aufnehmen, schauen Sie meinetwegen genau hin, und werten Sie dann auch aus!
Diese Form Ihrer Voreingenommenheit ist nicht im Sinne der Patienten. Sie zeigt nur, dass Sie gegen Anbieter aus der Privatwirtschaft sind, denen Sie offenbar alleine Gewinnorientierung und Abhängigkeit unterstellen. Das spiegelt letzten Endes nur die Pflege Ihres Feindbildes wider, aber ist, wie gesagt, nicht im Sinne der Patienten.
Besser wäre es gewesen, Sie hätten Ihren Antrag vom 6. Oktober 2015 schlicht zurückgezogen. So müssen wir diesen wie auch die Beschlussempfehlung ablehnen.
Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Ich will zu dem Thema nicht das sagen, was schon Frau Wernstedt gesagt hat, sondern die Frage näher beleuchten, wozu am Telefon eigentlich beraten wird. Beraten wird z. B. zur Frage von Behandlungsfehlern, zur Frage: „Wann erhalte ich mein Krankengeld?“ oder zur Frage: „Wie löse ich einen Konflikt mit der Krankenkasse und meinem Arzt?“ Dabei spielt es keine Rolle, ob man privat oder gesetzlich versichert ist.
Insofern müsste doch jedem einleuchten, wie wichtig es ist, dass die Unabhängigkeit nicht nur auf dem Papier und dadurch besteht, dass eine gemeinnützige GmbH gegründet wird, sondern dass sie durch den Anbieter per se gewährleistet wird. Nichts anderes sagt unser Antrag. Frau Schwarz hat im Übrigen nur sehr wenig zur Unabhängigkeit ausgeführt, und die SPD-Bundestagsfraktion hat meines Erachtens lediglich konstatiert, dass das Verfahren ordentlich abgelaufen ist.
Meine Damen und Herren, bisher hat sich die UPD nicht vor Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen gescheut und die Patientinnen und Patienten kostenfrei, neutral, unabhängig und in mehreren Sprachen ordentlich beraten.
Man kann sich nur wünschen, dass man nicht selber eine solche Beratung in Anspruch nehmen muss. Aber wenn ich das müsste, dann hätte ich schon meine Zweifel, ob ein Callcenter-Unternehmen wie Sanvartis mit seinen 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür geeignet ist. Sanvartis übernimmt in nicht unerheblichem Umfang Aufträge nicht nur von mehreren Krankenkassen, sondern auch von weiteren Unternehmen im Gesundheitswesen, z. B. von Bayer und von Merck. Aus meiner Sicht sind insoweit zumindest Zweifel erlaubt, ob die Unabhängigkeit auf Dauer gewährleistet ist.
Und das sagen ja auch nicht nur wir. Frau Wernstedt hat die beiden zurückgetretenen Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats zitiert. Beide haben gesagt, es sei zu bezweifeln, ob die Beratung unter der Trägerschaft von Sanvartis ihre Neutralität und Unabhängigkeit bewahren könne. Die Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin hat es noch deutlicher gesagt: „Aus unserer Sicht kann solch eine Firma niemals eine unabhängige Beratung bieten.“ Auch die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben sich sehr kritisch geäußert.
Insofern finde ich es richtig, dass wir uns hier im Landtag mit dieser Frage beschäftigen. Wir sagen ja gerade nicht, dass die Auswahl auf rechtlich unsauberem Wege getroffen worden ist, sondern wir erwarten, dass die Landesregierung im Bund dafür eintritt, dass das SGB V dahin gehend geändert wird, dass nicht diejenigen, die Beratung finanzieren, anschließend selber Gegenstand dieser Beratung sind. Ich finde, das ist eine anständige Forderung. Das haben wir in anderen Bereichen auch.
Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Es gibt eine Kurzintervention auf Sie. Frau Kollegin Schwarz, CDU-Fraktion, bitte!
Erstens fragen Sie, mit wem Sanvartis zusammenarbeitet. Das ist in Ordnung. Aber bitte ergänzen Sie die Liste dann z. B. auch um das FraunhoferInstitut.
Zweitens muss man konstatieren, dass Sie bestätigt haben, was ich vorhin gesagt habe. Sie pflegen ein Feindbild und reiten darauf herum. Denn hierbei geht es um eine lange Laufzeit - 2016 bis 2023; sie ist um zwei Jahre verlängert worden -, und es geht um viel Geld. Daran scheinen sich
Ich fasse noch einmal zusammen: Die vorherige UPD, die noch bis Jahresende zu arbeiten hat, hat zwar gute Arbeit gemacht, aber diese Arbeit ist verbesserungswürdig. Es hat eine neue Ausschreibung gegeben, und es ist neu vergeben worden. Und die neue Arbeit beurteile ich erst, wenn ich Ergebnisse sehe, und nicht im Vorfeld, wie Sie das hier tun.
Frau Präsidentin! Liebe Frau Schwarz, ich beurteile nicht im Vorfeld. Ich habe lediglich zitiert, was die überwiegende Mehrheit der Akteure in diesem Bereich zur Unabhängigen Patientenberatung gesagt hat. Und das kann ich auch nachvollziehen. Ich kann nachvollziehen, dass ein Patient, der sich beraten lassen will oder muss, erwartet, dass er diese Beratung nicht von einem Unternehmen erhält, das von denjenigen finanziert wird, die Gegenstand dieser Beratung sind. Dieses Problem kann man doch nicht wegwischen. Darüber muss man doch ernsthaft reden.
Natürlich werden wir uns in der Folge anschauen müssen, wie Sanvartis die Beratung realisiert, und am Ende wird festzustellen sein, ob das qualitativ genauso gut war, wie das bisher der Fall gewesen ist. Trotzdem regen wir an, auch mit Blick auf die Zukunft, darüber nachzudenken, eine gesetzliche Änderung vorzunehmen, die diese Möglichkeiten besser berücksichtigt und die ausschließt, dass jene zum Gegenstand der Beratung werden, die das finanzieren. Diese Forderung finde ich auch richtig. Das machen wir in anderen Bereichen auch, und das hat doch überhaupt nichts damit zu tun, dass wir das privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht zutrauen. Das trauen wir ihnen sehr wohl zu, aber eben nicht dann, wenn sie genau für diejenigen arbeiten, die Gegenstand der Beratung sind.