Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in geänderter Fassung anzunehmen und den Antrag der Fraktion der FDP abzulehnen.
- Bevor wir in die Beratung eintreten, möchte ich Sie alle bitten, jeden einzelnen von Ihnen, sich jetzt auf diesen Tagesordnungspunkt zu konzentrieren. Wenn Sie Redebedarf haben, dann muss ich Sie bitten, den Saal zu verlassen.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorweg muss ich sagen, dass wir im Ausschuss eine sehr sachliche und im Übrigen auch interessante Debatte geführt haben. Bis zum Ende des Jahres 2022 sollen und werden alle AKW in der Bundesrepublik Deutschland Geschichte sein. Das heißt, sie werden vom Netz gehen. Doch was passiert dann? Was passiert nach dem Ausstieg?
Wenn ein AKW abgeschaltet wird, dauert es üblicherweise Jahrzehnte, bis es an dieser Stelle tatsächlich auf einer grünen Wiese blüht, wie es so schön heißt. In Niedersachsen befindet sich das AKW in Stade im Rückbau. Beim AKW Esenshamm/Unterweser wird der Rückbau vorbereitet. Das AKW Lingen/Emsland befindet sich im sicheren Einschluss.
Aber einfach mit der Glocke ran und abreißen - das geht nicht. Es stehen - und das sollte man vorher wissen - drei Wege zur Auswahl, um ein AKW zurückzubauen: der sogenannte sichere Einschluss, der direkte Rückbau und der Rückbau nach sicherem Einschluss. Beim sicheren Einschluss wird das AKW mithilfe einer Betonhülle von der Biosphäre abgetrennt. Beim direkten Rückbau wird das AKW nach Ende des Regelbetriebs auseinandergebaut; die verstrahlten Bauteile müssen vor Ort aufwendig zerlegt und, soweit möglich, auch gereinigt werden. Der Rückbau nach sicherem Einschluss ist eine Kombination beider Methoden. Das AKW wird für einen bestimmten Zeitraum eingeschlossen und erst wenige Jahrzehnte später zurückgebaut.
Ein schneller Rückbau, so wurde uns gesagt, würde im schnellsten Fall 15 Jahre dauern, in aller Regel aber 20 bis 25 Jahre. Was den Zeitraum für einen sicheren Einschluss angeht, müssen wir von 30 bis 40 Jahren ausgehen.
Der Rückbau von Atomkraftwerken verschlingt aber nicht nur viel Zeit. Er kostet auch eine ganze Menge Geld. Deshalb stellt sich, noch bevor die Frage nach dem Ort der Endlagerung beantwortet ist, die neue Frage, ob die Rücklagen der Konzerne für den Atomausstieg ausreichen. Denn die Betreiber der Kernkraftwerke tragen die Kostenverantwortung für Stilllegung und Rückbau der AKW und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle.
Um zu verstehen, warum der Rückbau so lange dauert, muss man sich die Größenordnung eines solchen Vorhabens bewusst machen. Bevor der Rückbau eines AKW beginnen kann, müssen die Brennelemente abkühlen, und zwar lange Zeit. Das kann bis zu fünf Jahren dauern. Sie liegen in einem Abklingbecken, bis sie in Castoren kommen, eingeschlossen und zunächst einmal zwischengelagert werden. Weitere 40 Jahre muss der Müll dann warten, bis er irgendwann einmal eingelagert wird - sollte es denn ein Endlager geben.
Ich denke, wir benötigen zunächst einmal eine Bilanz der vorhandenen Abfälle und der Abfälle, die durch den Abriss noch dazu kommen. Das machen wir in unserem Antrag auch deutlich. Die zu haben, würde auch die Arbeit der Endlagerkommission sehr unterstützen. Zunächst einmal müssen natürlich die Wärme entwickelnden Abfälle im Fokus stehen. Durch den Abriss des AKW in Stade haben wir auch gesehen, dass es durchaus auch zu bösen Überraschungen kommen kann.
Die FDP hat in ihrem Antrag vorgeschlagen, an den guten Willen der Betreiber, mit dem sie wohl rechnet, zu appellieren. Ich halte das mit dem guten Willen, ehrlich gesagt, für eine Illusion und für eine Träumerei, gerade vor dem Hintergrund der Klagen der Betreiber gegen den Staat, die wir im Moment erleben.
Ich habe, im Gegenteil, eine andere Wahrnehmung. Meine Wahrnehmung ist, dass die Energieversorgungsunternehmen, insbesondere die großen Konzerne, versuchen, sich vor ihren Pflichten zu drücken. Es wird nach Möglichkeit nur das getan, wozu sie verpflichtet sind, und nicht mehr.
Und es fehlt auch ein juristischer Hebel, um Rückbauplanungen zu beschleunigen. Wir sind uns wohl auch einig darüber - das sagt die FDP in ihrem Antrag, und das sagen auch wir in unserem Antrag -, dass bezüglich der Transparenz und der Information der Bevölkerung beim Rückbau eines AKW noch reichlich Luft nach oben ist. Das ist auch in der Anhörung deutlich geworden.
Beim Rückbau ist man bestrebt, dass der direkte Rückbau zum Regelfall wird. Das ist auch das Ziel unseres Antrag. Das geschieht zum Teil aber auch schon.
Der Rückbau bedarf fester regulärer Fristen. So sehen wir das. Es bedarf quasi eines Masterplans für den Rückbau der Atomkraftwerke. Wir brauchen Daten, wir brauchen Informationen, und wir brauchen Fakten. Wir brauchen diese Datengrundlage unbedingt. Wir brauchen sie auch für die Information der Bevölkerung vor Ort, nicht nur für jedes einzelne AKW, sondern komplett. Das, wie gesagt, würde auch der Endlagerkommission helfen.
Und dann bedarf es noch eines, und das ist, denke ich, das Wichtigste: Es bedarf nämlich eines Endlagers. Dabei aber stellt sich die Frage - um die Antwort darauf bemüht sich die Endlagerkommission -, was für ein Endlager wir suchen wollen: ein Endlager für alles oder nur für Wärme entwickelnde Abfälle?
Die Endlagerkommission hat sich in dieser Frage auf den Weg gemacht. Es ist auch kein Geheimnis, dass es sicherlich noch viele Jahre dauern wird, bis ein Ort untersucht und diese Frage geklärt ist. Die Endlagerfrage ist eine Frage, die mit ganz vielen Fragezeichen behaftet ist. Die Endlagerkommission steht da - dies sage ich ganz deutlich - vor einer gewaltigen Aufgabe. Die Endlagerfrage ist aber auch der Schlüssel. Denn bis wir wissen, wo und vor allem wann ein Endlager in Betrieb genommen werden kann, könnten viele Fragen beantwortet sein.
Bis dahin aber benötigen wir Zwischenlager. In der Anhörung hat der Vertreter von E.ON deutlich gemacht, dass man beim Rückbau von Atomkraftwerken nicht ohne Zwischenlager auskommen wird. Jeder Standort wird ein Zwischenlager erhalten, weil die Aufnahmekapazitäten, sollte der Müll nach Schacht Konrad kommen, dort gar nicht vorhanden sind. 10 000 m3 können aufgenommen werden, und 303 000 m3 sind genehmigt. Vor diesem Hintergrund weiß man schon, von welcher Jahresspanne wir an dieser Stelle sprechen. Es bedarf also Zwischenläger.
Der Weg zu einem Endlager ist lang und auch sehr holprig. Gerade wir in Niedersachsen müssen für Transparenz, Sicherheit und Verlässlichkeit, aber auch für Rechtssicherheit sorgen. Das ist in unserem Antrag deutlich formuliert. Sie würden sehr gut daran tun, unserem Antrag zu folgen.
Vielen Dank, Herr Kollege Bosse. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet Miriam Staudte, Bündnis 90/Die Grünen. - Die FDP hat sich noch nicht gemeldet. Das kommt aber sicherlich noch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wir haben hier im Landtag und auch im Ausschuss schon intensiv über das Thema Rückbau diskutiert. Im Fokus des Medieninteresses steht dabei immer die Bauschuttproblematik, die Suche nach Deponien etc. Dies hat die FDP in ihrem Antrag aufgegriffen. Unser Antrag hingegen befasst sich mit der gesamten Rückbauproblematik. Ich glaube, das ist auch der einzige Weg, wie wir der Gesamtthematik gerecht werden können.
In Niedersachsen hat die Rückbauphase begonnen. Die Abbauarbeiten im AKW Stade laufen bereits. In Kürze soll auch eine Genehmigung für den Abbau des AKW Lingen erteilt werden. Im AKW Krümmel, 200 m hinter der Grenze zu SchleswigHolstein, beginnen die Planungen jetzt. Am 1. Oktober, ganz aktuell, hat das NMU die Öffentlichkeitsbeteiligung für den Antrag zur Stilllegung des AKW Unterweser gestartet.
Die abgeschalteten Atomkraftwerke müssen unverzüglich rückgebaut werden. Das bedeutet - Herr Bäumer hatte dies in der letzten Debatte angesprochen -: ohne unnötige Verzögerung. Es geht nicht um ein Hopplahopp, sondern es geht darum, dass wir gesetzliche Regelungen schaffen - damit ist das Atomgesetz auf Bundesebene gemeint -, die es der Atomaufsicht ermöglichen, den Betreibern auch feste Fristen vorzuschreiben. Im Moment muss die Atomaufsicht abwarten, ob irgendwann einmal ein Antrag auf Rückbau eintrudelt. Das ist nicht richtig, und das muss geändert werden.
Es ist richtig abzuwägen, ob in dem konkreten Fall der sichere Einschluss, also der Abbau nach einer Abklingzeit, oder der direkten Rückbau umgesetzt werden soll. Die Tendenz auf Bundesebene geht klar dahin, den direkten Rückbau zu favorisieren: zum einen, weil das Fachpersonal weniger wird, und zum anderen wegen der Sorge, dass das Geld
irgendwann zu Ende sein könnte, wenn man erst in 20 Jahren mit dem Rückbau beginnt; über die Thematik der finanziellen Risiken und der Sicherung der Rückstellungen haben wir ja schon diskutiert. Beide Punkte sind berechtigt. In der Anhörung wurde deutlich, dass das auch vor Ort diskutiert werden soll.
Ohnehin glaube ich, dass der ganze Aspekt der Beteiligung der interessierten Bevölkerung vor Ort und der Umweltverbände sehr wichtig ist; denn es ist doch klar, dass diese Menschen besonders darauf achten, dass wirklich die sicherste Lösung gewählt wird. Wir favorisieren, dass Mittel bereitgestellt werden, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich wissenschaftlichen Sachverstand sozusagen dazuzukaufen. Erst dann wird das eine Diskussion auf Augenhöhe.
In der Anhörung wurde ganz klar angesprochen, dass es nicht sein kann, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung auf Dauer auf den ersten Planungsschritt beschränkt bleibt, wie es im Moment die gesetzliche Regelung ist. Wenn also der Antrag eingereicht und genehmigt wird - wie es gerade beim AKW Unterweser der Fall ist - gibt es zwar eine Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir wissen aber, dass, da die Rückbauprozesse 10 bis 20 Jahre dauern, Pläne häufig auch noch einmal geändert werden. Insofern ist es sehr wünschenswert, die Öffentlichkeitsbeteiligung in einem kontinuierlichen Prozess - Stichwort „Runder Tisch“ etc. - zu betreiben. Nur so kann der Prozess wirklich engmaschig begleitet werden.
Wir haben in unserem Antrag auch den Punkt der Überprüfung der Praxis zur Freigabe von Bauschutt aufgenommen. Ich glaube, die ganze Debatte um den Bauschutt rührt auch daher, dass der Begriff „freigemessener Müll“ eigentlich ein Euphemismus ist.
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie eben ausführlich den Prozess der Öffentlichkeitsbeteiligung gewürdigt und seine Bedeutung herausgestellt haben, frage ich Sie, warum Sie diese Öffentlichkeitsbeteiligung bei anderen Fragen der Energiewende, insbesondere wenn es um die Ausweisung von Vorrangflächen für Windenergieanlagen geht, nicht ebenso wertschätzen?
Wir haben im Ausschuss eine sehr ausführliche Anhörung durchgeführt; dabei waren auch Sie anwesend. Ich glaube aber, dass das Aufstellen eines Windrads in keiner Weise mit dem Rückbauprozess eines AKW zu vergleichen ist. Da vergleichen Sie wirklich Äpfel mit Birnen.
Ich möchte gerne meinen letzten Aspekt noch ausführen - meine Redezeit ist leider gleich vorbei -, nämlich die Debatte um die Freimessung des Bauschutts. Wir haben in den Antrag aufgenommen, dass die bisherige Praxis überprüft werden muss. Die EU überarbeitet gerade die Grundnormen.
Ich glaube, wenn wir in den Rückbauprozess wirklich Vertrauen bringen wollen, dann müssen wir vor allem ehrlich sein. Das betrifft die Freigabewerte, das betrifft die Debatte um die Zwischenlager, deren Dauer und die Sicherheit der Endlager. Ansonsten frustrieren wir die Bevölkerung und können sie nicht mitnehmen.