Protocol of the Session on October 15, 2015

Herr Nacke, ich mahne Sie jetzt ab. Stören Sie bitte den Ablauf hier nicht!

Herr Nacke, wenn Sie von mir konkrete Antworten zu Zeitabläufen verlangen, die nicht einmal die Bundeskanzlerin und der Bundesinnenminister geben können - - -

(Jens Nacke [CDU]: Ach du lieber Gott! Das ist doch Ihre Zuständigkeit!)

Herr Nacke, Sie kriegen jetzt einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie haben offenbar immer noch nicht verstanden, in welcher Situation wir sind, Herr Nacke.

Darüber hinaus hat das Land - das will ich an dieser Stelle in Erinnerung rufen - bereits vor knapp zwei Wochen angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen den Kommunen den Vorschlag gemacht, Erstaufnahmeeinrichtungen gegen volle Kostenerstattung im Auftrag des Landes zu betreiben.

Das Modell sieht im Einzelnen vor, dass die Kommunen im staatlichen Auftrag die Erstaufnahme in Notunterkünften übernehmen und dafür vom Land eine kostendeckende Erstattung der damit verbundenen Kosten erhalten -

(Zuruf von Reinhold Hilbers [CDU])

analog zu dem, was die Hilfsorganisationen von uns für das bekommen, was sie leisten. Außerdem soll bei der späteren Verteilung auf die Kommunen im Sinne einer schnellen Integration berücksichtigt

werden, dass bevorzugt diejenigen Flüchtlinge an einen Kreis oder eine Stadt verteilt werden, die sich dort bereits in der Notunterkunft aufgehalten haben.

Die gesetzlichen Aufgaben und die Zuständigkeit für die Erstaufnahme bleiben aber auch nach diesem Modell beim Land. Die Kommunen würden lediglich im Auftrag auf der Basis entsprechender Verträge für das Land tätig. Damit können die Kommunen die jetzt akut in Amtshilfe aufzunehmenden Flüchtlinge jederzeit in eine auftragsweise Unterbringung überführen - hätten das aber auch schon in den vergangenen 14 Tagen tun können -, für die dann das vorgenannte Verfahren und die pauschale Abgeltung aller entstehenden Kosten gilt.

Zu Frage 1: Gibt es ein umfassendes aktuelles Konzept der Landesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise in Niedersachsen?

Die kurze Antwort lautet: Ja.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die lange folgt: Die Niedersächsische Landesregierung verfügt über ein umfassendes - - -

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Joumaah zu?

Ich dachte, wir sind in der Fragestunde.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ja, da gibt es gar keine Zwischenfragen.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie können gleich Fragen stellen, ich glaube zwei pro - - -

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Niedersächsische Landesregierung verfügt über ein umfassendes, aktuelles und ressortübergreifendes Konzept, um die enormen Herausforderungen, die mit den sehr hohen Zugangszahlen verbunden sind, zu meistern.

Dazu zählt auch die Anwendung der Instrumente des Krisenmanagements, soweit es um die sehr kurzfristige Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten in erheblicher Zahl geht. Neben den in der Vorbemerkung ausgeführten Maßnahmen zur Lösung der drängendsten und täglich akuten Probleme hat die Niedersächsische Landesregierung bereits eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen und bereitet weitere vor.

Der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen erfordert eine Erhöhung der Kapazitäten der Landesaufnahmeeinrichtungen.

Das Land hat im letzten Jahr bereits die vorhandenen Kapazitäten an den Standorten Braunschweig, Bramsche und Friedland von 1 700 Plätzen auf gut 3 100 - ohne Zelte - erhöht. In diesem Jahre wurden weitere 500 Plätze durch die Installation und Inbetriebnahme von Großcontainersystemen an den Standorten Braunschweig und Bramsche geschaffen.

Eine vierte Erstaufnahmeeinrichtung ist für einen vorgesehenen Betriebsbeginn - in voller Größenordnung - Anfang 2016 in Osnabrück im Aufbau. Hierdurch sowie durch Anmietung von Hotels und Jugendherbergen, die Nutzung von Turnhallen und Zelten sind die Kapazitäten einschließlich der Notunterkünfte derzeit auf insgesamt mehr als 24 000 Plätze angewachsen - und nicht einmal das, wie wir wissen, reicht jetzt aus. Daher wird zum 1. November 2015 ein fünfter Standort in Oldenburg in Betrieb genommen. Außerdem wird die ehemalige Kaserne in Ehra-Lessien zum weiteren Standort der Erstaufnahme für 600 Flüchtlinge ausgebaut. Als neuer Standort soll Ehra-Lessien voraussichtlich im Frühjahr 2016 arbeiten. Aktuell wird das Gelände zunächst als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt.

Die Niedersächsische Landesregierung ist darüber hinaus mit Hochdruck dabei, bis zu drei weitere Standorte mit jeweils 500 Plätzen zu identifizieren. Hierzu werden derzeit Gespräche bzw. Verhandlungen bezüglich ehemaliger Kasernen in Cuxhaven-Altenwalde, Neu-Tramm und Aurich geführt.

Diese bereits seit fast zwei Jahren angespannte Lage führt in der Landesaufnahmebehörde zu einer überaus starken Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Niedersächsische Landesregierung hat auf personelle Engpässe in der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in der Vergangenheit immer sofort reagiert und wird dies auch in Zukunft tun. So wurden sowohl im regulären Haushalt 2015 als auch im Nachtrags

haushalt 2015 jeweils weitere Stellen für die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen vorgesehen, und auch im Haushaltsentwurf für 2016 sind weitere Stellen eingeplant. Im Ergebnis wird sich der Personalbestand der Landesaufnahmebehörde in zwei Jahren mehr als verdoppelt haben - von 280 auf fast 570, meine Damen und Herren.

Die Landesaufnahmebehörde ist über die Jahre mit abnehmenden Flüchtlingszahlen massiv geschrumpft. Das war richtig. Genauso richtig und wichtig ist, dass wir diese jetzt massiv ausbauen, um die Herausforderungen meistern zu können. Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Innenministerium sind besonders belastet und benötigen dringend Unterstützung. Das Ministerium hat neben der Bewältigung der Unterbringungssituation vor allem die Aufgabe, innerhalb kürzester Zeit Strukturen für die neuen und in ihrer Dimension gewachsenen Aufgaben zu schaffen.

Die Krisenorganisation, mit der wir seit etlichen Monaten arbeiten, muss in eine dauerhafte Organisation überführt werden, weil uns diese Aufgabe, wie wir alle inzwischen - der eine früher, der andere später - verstanden haben, noch sehr lange beschäftigen wird. Dazu werde ich im Rahmen der Diskussion um die technische Liste im Haushaltsverfahren personelle und organisatorische Vorschläge unterbreiten, die bereits regierungsintern abgestimmt und in der Konsequenz am Ende unumgänglich sind. Auch für diese Maßnahmen werbe ich um die Unterstützung des Hohen Hauses.

Die Höhe der jährlichen Kostenabgeltungspauschale beträgt aktuell laut Gesetz 6 195 Euro und wurde auf der Grundlage der Verhältnisse des Jahres 2013 ermittelt. Die kommunalen Spitzenverbände und die Kommunen erwarten daher eine Änderung der Kostenabgeltungsstruktur mit dem Ziel eines auf die geänderten, tatsächlichen Umstände angepassten finanziellen Ausgleichs.

Ich will das, was hier mehrfach ausgeführt worden ist, nicht wiederholen, nämlich was wir mit den Mitteln gemacht haben, die aus den Bund-LänderVereinbarungen nach Niedersachsen und in die Kommunen geflossen sind. Entscheidend ist: Wir befinden uns in guten und vor dem Abschluss stehenden Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden und werden, glaube ich, zu einem tragfähigen Ergebnis kommen.

Es ist allgemeiner Konsens, meine Damen und Herren, dass die Rückkehrpolitik ein wirksames und bewährtes Steuerungsinstrument der Migrationspolitik ist. Dazu gehören die Grundsatzfragen

der freiwilligen Rückkehr, der Rückkehrförderung, der Reintegration, der Rückführung und der Rückübernahme ausreisepflichtiger Personen durch ihre Herkunftsstaaten. Sowohl auf EU-Ebene - Rückführungsrichtlinie - wie auch im nationalen Bereich gilt der Grundsatz - das ist gestern erfreulicherweise noch einvernehmlich zur Kenntnis genommen worden -, dass der freiwilligen Rückkehr als der besseren Alternative einer Aufenthaltsbeendigung Vorrang vor einer zwangsweisen Rückführung einzuräumen ist.

Das Land beteiligt sich daher seit Jahren an diversen Rückkehrprogrammen und Hilfsmaßnahmen bzw. legt diese auch selbst auf. So sind z. B. mit Leistungen aus dem REAG/GARP-Programm im Jahr 2013 1 072 Personen und im Jahr 2014 1 553 Personen freiwillig auf dieser Grundlage ausgereist. Für die Zeit von Januar bis September dieses Jahres sind bereits 2 414 Förderanträge gestellt worden. Im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum ist das eine Steigerung von nahezu 100 %.

Auch wenn Niedersachsen bereits sehr gut aufgestellt ist, ist es wichtig, die Förderung der freiwilligen Rückkehr weiter zu stärken.

Nach den bisherigen Erfahrungen gibt es bei der erforderlichen Schaffung bzw. Umrüstung von Gebäuden und Einrichtungen zu Erstaufnahmeeinrichtungen und Wohnraum zur vorübergehenden gemeinschaftlichen Unterbringung von Flüchtlingen auch landesrechtliche Anforderungen, die einer schnellen und auch finanziell vertretbaren Umsetzung in dieser besonderen Situation entgegenstehen.

Um die Unterbringung der großen Zahl von Flüchtlingen in Niedersachsen gewährleisten zu können, soll daher für einen befristeten Zeitraum von geltenden Regelungen und Standards gezielt abgewichen werden können.

Nachdem der Bund mit seinem Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes zeitlich befristete Erleichterungen im Bauplanungsrecht sowie in einem entsprechenden Umfang weitere punktuelle Erleichterungen hinsichtlich des Einsatzes erneuerbarer Energien im Gebäude schaffen möchte,

(Zustimmung bei der CDU)

sollen - neben den bereits vorgenommen vergaberechtlichen Erleichterungen - insbesondere auch landesrechtliche Regelungen im Bauordnungsrecht und im Denkmalschutzrecht für einen be

grenzten Zeitraum bis Ende 2019 angepasst werden.

Ich füge hinzu: Alle diese Ideen, die in Berlin jetzt umgesetzt werden, sind im Grunde genommen nach der niedersächsischen Bundesratsinitiative entwickelt worden. Ich bedanke ich mich bei allen Akteuren auf Bundesebene dafür, dass das so schnell geklappt hat.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Hierzu wurde der Entwurf eines Niedersächsischen Flüchtlingsunterbringungserleichterungsgesetzes erstellt, der als Entwurf der Regierungsfraktionen kurzfristig in den Landtag eingebracht werden soll.

Vergaberechtliche Erleichterungen sind im Hinblick auf die schon erfolgten Anpassungen in der Niedersächsischen Wertgrenzenverordnung durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr bereits erfolgt.

Zum Haushalt: Am 22. September hat die Niedersächsische Landesregierung einen zweiten Nachtragshaushaltsplanentwurf für das laufende Jahr beschlossen. Bereits im Juli 2015 wurden mit einem ersten Nachtragshaushaltplan zusätzliche Mittel für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen bereitgestellt. Mit dem zweiten Nachtrag werden die Haushaltsansätze für das laufende Jahr noch einmal massiv erhöht.

Nachdem im Verhältnis zwischen Bund und Ländern seit dem Flüchtlingsgipfel am 24. September 2015 ein höheres Maß an Klarheit darüber besteht, hat die Niedersächsische Landesregierung umgehend Gespräche mit der kommunalen Ebene in Niedersachsen begonnen, die noch im Gange sind. Für die Kommunen ist im zweiten Nachtragshaushalt eine Vorauszahlung in Höhe von 250 Millionen Euro vorgesehen. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des zweiten Nachtrags konnte der Betrag aufgrund der zusätzlichen Zahlung des Bundes in diesem Jahr noch einmal deutlich gesteigert werden. Diese Zahlung schafft Liquidität und entlastet die Kommunen wenigstens in diesem Feld im Vorgriff auf die möglichen Änderungen des Aufnahmegesetzes, die derzeit Gesprächsgegenstand mit den Kommunalen Spitzenverbänden sind.