Protocol of the Session on October 14, 2015

Auf vier Seiten sind dort in Baden-Württemberg die wesentlichen Punkte zusammengeführt. Den baden-württembergischen Kommunen wird dabei ein großer Spielraum eingeräumt. Außerdem handelt es sich um die Leitlinien eines grün-rot regierten Landes. Und was bei Herrn Kretschmann möglich ist, sollte doch auch in Niedersachsen möglich sein.

(Beifall bei der CDU)

Oder, Frau Polat, bezeichnen Sie die Abschiebepraxis des Landes Baden-Württemberg und damit die Abschiebepraxis des grünen Ministerpräsidenten Kretschmann als inhuman, so, wie wir eben auch den Eindruck gewinnen mussten, dass Sie das Abstimmungsverhalten von Herrn Kretschmann am Freitag als inhuman bewerten? Wenn Sie das tun, dann sollten Sie das auch endlich einmal sagen. Dann weiß nämlich in Niedersachsen endlich jeder, woran er mit dieser GrünenFraktion ist. Die Menschen würden dann auch wissen, woran sie mit dieser Koalition sind; denn bei Ihnen hängt eben alles an einer Stimme und damit auch an der von Frau Polat.

Herr Kretschmann, Herr Ministerpräsident, ist in der Lage, seine Versprechen gegenüber der Kanzlerin einzuhalten, obwohl er ein Grüner ist. Haben Sie, Herr Ministerpräsident, diese Stärke auch, obwohl Sie mit den Grünen regieren?

Wir sind gespannt auf die Beantwortung dieser Frage und freuen uns auf die Beratung. Sie setzen bei der Lösung Ihrer Probleme rund um die Unterbringung von Flüchtlingen auf die Kommunen. Stoßen Sie sie an dieser Stelle jetzt nicht vor den Kopf!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Nacke. - Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Bernd Lynack.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nacke, der Innenminister hat es vorhin gesagt: Die Frage der Unterbringung ist keine Frage der Abschiebung. Ich denke, unter diesem Aspekt sollten wir die Debatte hier auch führen und ein bisschen zur Sachlichkeit zurückkommen. Öl im Feuer hatten wir in den letzten beiden Tagen genug. Das können wir hierfür nicht gebrauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Antrag und besonders die darin formulierten Forderungen müssen meines Erachtens aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden. Auf der einen Seite stehen die Kommunen mit ihrer zum Teil erheblichen Not, die ihnen anvertrauen Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen zu können. Gerade diesen Städten, Gemeinden und Landkreisen geht es vor allem darum, sich Kapazitäten bei der Unterbringung und Versorgung der zunehmenden Zahl von Flüchtlingen zu verschaffen. Ich meine, dies ist nur allzu verständlich, denn gerade in den Kommunen wird direkt und hautnah vor Ort miterlebt, dass die wahrscheinlich größten Herausforderungen in der Geschichte unseres Landes zu meistern sind. Finanziell, aber vor allem auch organisatorisch ist es ein Kraftakt, den es zu leisten gilt. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen sind die Sorgen groß, dass es früher oder später nicht mehr zu schaffen ist, alle Menschen auch tatsächlich menschenwürdig unterzubringen.

Meine Damen, meine Herren, ich denke, dass diese verständlichen und auch berechtigten Sorgen vom gesamten Haus geteilt werden. Dass vielerorts vor diesem Hintergrund reflexartige Forderungen nach strengeren Regeln für Abschiebungen laut werden, liegt wohl - so denke ich - in der Natur des Menschen, auch in schwierigen Zeiten immer unbedingt viele kluge Antworten geben zu müssen. Das Wort „konsequent“ - Herr Nacke hat es vorhin auch wieder gebracht -, das man in diesem Zusammenhang immer wieder hört, halte ich allerdings für grundlegend falsch, meine Damen und Herren. Alles andere würde ja schlichtweg bedeuten, dass die bestehenden Regelungen nur halbherzig umgesetzt werden, und das kann ich weder bei unseren Kommunen noch

bei unserer Landesregierung erkennen, Herr Nacke, im Gegensatz zu Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die vielerorts bestehenden Sorgen wurden in dem jetzt zur Beratung stehenden Antrag aufgegriffen, womit wir auch gleich zur zweiten Sichtweise, wie ich es angedeutet habe, zu den Forderungen, kommen. Es erfüllt mich zum Teil mit einer Mischung aus Bedauern und Unverständnis, wenn ich mir die Performance der CDU in der aktuellen Debatte vor Augen führe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir Politikerinnen und Politiker sehen uns mit der wahrscheinlich größten Herausforderung dieses Jahrzehnts konfrontiert, und gerade die Partei, die sowohl im Bund als auch hier bei uns im Land die größte Fraktion stellt, scheint augenscheinlich ohne Kompass unterwegs zu sein. Einerseits sind Sie zerstritten und uneins über den Kurs in der Frage in Ihrer Partei, und wenn Sie sich an die Inhalte wagen, dann gibt es vor allem zwei Varianten. Erstens: Wie können die Asylsuchenden draußen gehalten werden? Oder: Wie können wir die Menschen anschließend noch schneller wieder abschieben?

Der vorliegende Antrag gehört zur zweiten Variante; ich denke, das ist unschwer zu erkennen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass vor allem die lange Dauer der Asylverfahren bzw. die schlechte Aufstellung des BAMF - auch das haben Sie dankenswerterweise anerkannt, Herr Nacke - Hauptgründe für die aktuelle Lage sind, in der wir uns zurzeit befinden.

Es ist auch nicht zu vergessen, dass die seit jeher komplexe, komplizierte rechtliche Materie der Rückführungsverfahren aus dem Blickwinkel rechtlicher Laien oder auch von manchen Stammtischen aus schwer nachzuvollziehen ist.

Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Ankündigung einer Abschiebung eher selten der Grund dafür ist, dass eine Abschiebung misslingt. Wir alle wissen, dass die Tageszeit so gut wie gar keine Rolle für den Erfolg oder Misserfolg - soweit man dieses Vokabular in diesem Zusammenhang überhaupt gebrauchen kann - von Rückführungen spielt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der absolut größte Teil nicht ausgeführter Rückführungen ist heute, wie schon vor Jahren, auf rechtliche Gründe, wie z. B. fehlende Papiere, Er

krankung etc., zurückzuführen. Ich gehe aber jetzt ganz einfach einmal davon aus, dass Ihnen diese Fakten bei der Formulierung Ihres Antrags durchgerutscht sind, und empfehle Ihnen, um das Gedächtnis aufzufrischen, im Innenausschuss eine Unterrichtung zu Zahlen, Daten, Fakten bei unserem Innenministerium zu beantragen. Ich denke, dabei können wir Sie unterstützen.

(Zustimmung bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den faktisch fragwürdigen Forderungen kommen dann auch noch solche, die aus Gründen der Humanität absolut indiskutabel sind - von christlich will ich einmal gar nicht anfangen zu sprechen. Das Einschränken des Zugangs zur Härtefallkommission oder das gewaltsame Auseinanderreißen von Familien mit minderjährigen Kindern haben herzlich wenig mit christlichen Werten oder auch mitteleuropäischen Werten zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ulf Thiele [CDU]: Was werfen Sie Herrn Kretschmann denn da vor?)

- Wir sind in Niedersachsen, lieber Kollege!

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist doch un- glaublich!)

- Ich weiß nicht, was Sie Ihren Kindern beibringen. Aber ich bringe ihnen bei, zuzuhören und ausreden zu lassen. So kann man auch Dialoge führen. - Herzlichen Dank.

(Zuruf von Ulf Thiele [CDU])

- Frech werde ich nicht. Frech werden Sie, indem Sie mich unterbrechen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist absurd, die Rechte von Asylsuchenden ausgerechnet dann zu beschneiden, wenn sie am dringendsten gebraucht und in Anspruch genommen werden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Lynack, der Kollege Thiele möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?

Ich würde jetzt gerne zu Ende ausführen.

Dann setzen Sie fort.

Humanität in der Flüchtlingspolitik ist nicht an Zahlen gebunden. Die Bundeskanzlerin hat richtigerweise festgestellt, dass unser Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kennt.

Unsere Landesregierung hat durch ihr beherztes Handeln in den vergangenen zweieinhalb Jahren und gerade auch in den letzten Wochen bewiesen, dass ihr Kompass in der Flüchtlingspolitik verlässliche Werte aufzeigt, in der die Würde eines jeden einzelnen Menschen im Mittelpunkt steht. Dafür bin ich sehr dankbar, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dafür trete ich mit der gesamten Regierungskoalition ein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Gros der Punkte dieses vorliegenden Antrags ist zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen wenig zielführend. Wir sollten die Zeit besser nutzen und an tragfähigen Lösungen arbeiten, so wie es die Menschen draußen von uns verlangen.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Lynack. - Herr Nacke hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben 90 Sekunden. Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Herr Kollege Lynack, Sie sprechen von reflexartigen Reaktionen. Aber der Brief, den die Kommunen zusammen verfasst haben, ist eine Zusammenfassung aller Stellungnahmen der Landräte und Oberbürgermeister. Wenn Sie den Brief nachlesen, dann werden Sie das in der Einleitung sehen.

Der Minister hat gestern hier ausgeführt, dass er mit den Kommunen schon so lange im Gespräch ist, dass eine Überprüfung der Asylverfahren ohnehin schon so lange geplant ist und dass man sich im Sommer schon zusammengesetzt hatte.

Ich habe gesagt, mit welchen flotten Sprüchen er versucht hat, sich da aus der Situation zu retten.

Jetzt reden Sie hier von faktisch fragwürdigen Forderungen und stellen christliche Werte in Zweifel. Sie treffen damit aber gar nicht die CDU-Fraktion, sondern Sie treffen alle Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte sowie deren Vertreter, auch sozialdemokratische Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte. Das ist nicht in Ordnung. Wir sind letzten Endes nur die Brücke in dieses Parlament. Wir sind das Sprachrohr der Kommunen in unserem Land - aller Kommunen in unserem Land.

Sie haben davon gesprochen, Ihr Kompass zeige verlässliche Werte an. Ich sage Ihnen: Ein Kompass zeigt überhaupt keine Werte an - der zeigt die Richtung an. Aber die Richtung, die Sie gehen, die kennen Sie nicht. Sie ist jedenfalls die falsche.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich sehe, dass der Herr Kollege Lynack von dem Recht der Erwiderung Gebrauch machen will. Bitte, für 90 Sekunden!

Danke. Ich denke, so lange brauche ich nicht.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Nacke, eines möchte ich vorausschicken: Humanität und christliche Werte machen an Parteigrenzen nicht halt. Ich denke, darüber sollten wir alle uns einig sein.