Herr Bachmann, das Problem ist doch nicht, dass sich diese Opposition aus der Verantwortung stehlen würde. Das Problem ist, dass die Niedersächsische Landesregierung aus Roten und Grünen ihre Hausaufgaben nicht macht.
Ich bin weit davon entfernt - um das klar zu sagen -, ein Fan des Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer zu sein.
Aber wenn ich mir diese Karte anschaue, kann ich den Unmut in Bayern sehr gut nachvollziehen. Hier steht eindeutig, dass in Bayern seit dem 5. September über 71 000 Flüchtlinge aufgenommen worden sind. Das sind 38 000 mehr, als Bayern nach dem Königsteiner Schlüssel hätte aufnehmen
müssen. In Niedersachsen sind es über 11 000 gewesen - 8 000 weniger als nach dem Königsteiner Schlüssel. Nordrhein-Westfalen fällt dabei aus, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ebenso. Meine Damen und Herren, es fällt doch auf, dass sich rot-grüne Bundesländer in Deutschland aus der Verantwortung in der Flüchtlingskrise ziehen - um auch das sehr deutlich zu sagen.
Kommen wir auf die ganz konkrete Situation in Niedersachsen zu sprechen, nämlich auf die Unterbringung durch das Land. Niedersachsen läuft auch an dieser Stelle den anderen Bundesländern hinterher, insbesondere bei der Art der Unterbringung. Im Innenausschuss ist deutlich geworden, wie die Situation zurzeit ist.
Zurzeit haben wir etwa 4 000 Flüchtlinge in Niedersachsen in Zelten untergebracht, die nicht winterfest sind. Und auf die Frage im Innenausschuss, ob wenigstens geplant sei, feste Bauten, auch in Schnellbauweise, für den Winter 2015/2016 vorzuhalten: Nicht ein Wort! Auch für den Winter 2016/2017 - auch dann wird es noch notwendig sein, eine zentrale Unterbringung zu gewährleisten - tut diese Landesregierung nichts, aber auch gar nichts. Das war die klare Ansage im Innenausschuss.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen, weil an dieser Stelle ja immer wieder die alte Leier kommt, Schwarz-Gelb habe zu wenig für die zentralen Aufnahmeeinrichtungen im Land Niedersachsen getan.
Frau Kollegin Polat, ich will einmal aus der letzten Wahlperiode zitieren, was Sie im Rahmen einer Debatte zur Unterbringung von Flüchtlingen gesagt haben:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen ein grundlegend anderes System - ein System, das die dezentrale Unterbringung in Privatwohnungen zur Regel macht und Abschied nimmt von zentraler Unterbringung in Asylbewerberheimen und Gemeinschaftsunterkünften“.
Und dann, meine Damen und Herren, hielt sie ein Plakat hoch, auf dem tatsächlich stand: „Asylbewerberheime? Nein danke!“
Das finde ich bezeichnend. Solche Plakate liest man zurzeit von ganz anderer Seite - um auch das klar zu sagen.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Anja Piel [GRÜNE]: Was für ein Um- gang mit der Realität ist das?)
„Für meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will ich ganz klar feststellen: Die Lager müssen geschlossen werden. In zwei Anträgen haben wir die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Kommunen gefordert. Jedes Mal ist das an CDU und FDP gescheitert. Die Begründung des niedersächsischen Innenministers“
„man wolle die Kommunen entlasten, man müsse auch weiterhin Kapazitäten vorhalten, weil sich der Zustrom von Flüchtlingen jederzeit wieder ändern könne, ist angesichts der Lebenssituation der Menschen zynisch.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, was zynisch ist. Zynisch ist die Haltung von Bündnis 90/Die Grünen in dieser Frage. Sie ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten!
Und nun lassen Sie uns noch darüber reden, wer sich in dieser Frage tatsächlich aus der Verantwortung stiehlt.
Ich würde mich freuen, wenn wir heute beim Nachtragshaushalt zu einer breiten Mehrheit kommen. Ich würde mich auch freuen, wenn der Deutsche Bundestag in dieser Woche zu einer breiten Mehrheit kommt. Aber ich würde mich insbesondere freuen, wenn auch der Bundesrat bei den Flüchtlingsgesetzen zu einer breiten Mehrheit kommt. Aber da stehlen sich die Grünen aus der Verantwortung - um auch das sehr klar zu sagen.
Herr Ministerpräsident Weil, Sie werden wahrscheinlich der erste Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sein, der zu dem gleichen Thema erst im Bundeskanzleramt Ja sagt, dann im Niedersächsischen Landtag aufgrund seines Koalitionspartners Nein sagt und sich dann im deutschen Bundesrat enthält.
Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. - Für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Pistorius das Wort. Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt kein Thema, das unsere Gesellschaft derzeit so bewegt wie die Flüchtlingspolitik. Das gilt im positiven Sinne, wenn wir an die überwältigende Hilfsbereitschaft vieler Menschen denken, die sich trotz der angespannten Situation in vielen Unterkünften engagieren; das können wir tagtäglich erleben. Aber es gilt eben auch im negativen Sinne; denn gerade am rechten Rand werden Ängste und Sorgen geschürt und wird versucht, sich diese zunutze zu machen. Dies fällt zum Teil sogar auf fruchtbaren Boden. Erst vorgestern hat die asylkritische, sehr deutliche und hässliche Worte findende FPÖ in Österreich deutliche Zugewinne bei den Wahlen erzielt.
Was die Ängste und Sorgen angeht, muss man zwei Gruppen sehr deutlich und fair unterscheiden. Einerseits gibt es die ewig Gestrigen, die schlichtweg fremdenfeindlich eingestellt sind. Diese Gruppe scheint leider größer zu werden. Mit ihr ist ein vernünftiger Dialog nicht möglich und auch nicht angezeigt, meine Damen und Herren. Aber es gibt auch diejenigen - da muss man differenzieren; die haben wirklich nichts mit Ausländerfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit oder Asylbewerberfeindlichkeit zu tun -, die sich fragen, ob wir das alles schaffen, vor allem wie wir das alles schaffen und welche Folgen das haben wird.
Wir dürfen nicht zulassen, meine Damen und Herren, dass sich die zweite Gruppe am Ende von uns, von der Politik, nicht ernstgenommen fühlt. Dann würde sie im schlimmsten Fall in die Arme der Populisten oder sogar derjenigen am ganz rechten Rand getrieben werden.
Es ist deshalb notwendig, dass wir eine zuversichtliche, engagierte, aber auch entschlossene und pragmatische Flüchtlingspolitik betreiben. Un
trennbar damit verbunden ist die politische Auseinandersetzung, die natürlich Probleme und Defizite aufzeigt, aber auch nach gemeinsamen Lösungen sucht.
Niedersachsen hat das auf Bundesebene bereits in vielfacher Weise getan. Ich erinnere an die jüngsten Maßnahmen wie das Mitgestalten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes oder unsere Bundesratsinitiative zur erleichterten Schaffung von Flüchtlingsunterkünften, die in Teilen bereits umgesetzt wurde.
Eine kritische Diskussion ist natürlich genauso innerhalb eines jeden Bundeslandes unverzichtbar. Ich möchte an dieser Stelle aber auch feststellen: Bei allem Disput in der Vergangenheit - der flammte gerade in vielen Reden wieder auf - dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass die Bürgerinnen und Bürger von der Politik gerade in solchen Zeiten, die Krisencharakter haben, eines erwarten: konkrete, abgestimmte Antworten, wie Politik gestalten will.
Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Frage, wie wir mit den asylsuchenden Menschen umgehen, die in hoher Zahl zu uns nach Deutschland kommen und deren Zugang wir als Bundesland nur schwer bis gar nicht beeinflussen kommen. Es ist klar, dass uns diese Thematik aktuell in einer besonderen Weise fordert und in der Zukunft weiter fordern wird. Es dürfte sich dabei - und das ist nach wie vor keine Übertreibung - um die bisher größte Herausforderung seit der Herstellung der Deutschen Einheit handeln.
Von daher sage ich: Ja, wir brauchen kritische Debatten in Niedersachsen wie in jedem anderen Bundesland. Aber zwei Fehler dürfen nicht passieren: Erstens darf nicht der Eindruck erweckt werden, das Land tue nichts, die Verantwortlichen würden die Herausforderungen ignorieren und seien überfordert. Das ist absurd, meine Damen und Herren.
Darunter würde nur das Vertrauen der Menschen in den handlungsfähigen Staat leiden. Das wäre auch nicht gerechtfertigt.
Niemand, der noch bei Sinnen ist und sich vor Augen führt, dass bei uns in wenigen Wochen Flüchtlingsunterkünfte mit Plätzen in fünfstelliger Höhe neu geschaffen wurden, kann wirklich ernsthaft behaupten, dass wir in Niedersachsen nicht vorankämen und nicht handelten, meine Damen und Herren.
Als ich gerade die Ausführungen z. B. der FDP gehört habe, habe ich mich gefragt, ob Sie eigentlich in den letzten zehn Monaten woanders waren. Wir haben doch in den letzten zwei Jahren - gerade in den letzten zehn Monaten - eine Schlagzahl vorgelegt, die beachtlich ist. Ich empfehle dazu die Lektüre der heutigen Welt - sozialdemokratischer Triebe unverdächtig.
Die Welt hat die Situation in den Bundesländern sehr eindrucksvoll geschildert. Und sie ist überall dieselbe, meine Damen und Herren - ganz egal, ob der Ministerpräsident Seehofer und der Innenminister Herrmann oder der Ministerpräsident Stephan Weil und der Innenminister Pistorius heißen. Die Situation ist überall dieselbe; die Kapazitäten reichen hinten und vorne nicht aus, weil der Zustrom größer ist als die objektive Möglichkeit, Kapazitäten zu schaffen. Wer das leugnet, der glaubt auch an den Weihnachtsmann, meine Damen und Herren.