Protocol of the Session on September 10, 2015

Wir haben es schnell nachgeguckt. Derzeit sind im Innenausschuss insgesamt elf Anträge in der Beratung:

(Helge Limburg [GRÜNE]: Auch die verabschiedeten! Dann sind es 20!)

drei von der CDU, zwei von der SPD, sechs von der FDP und keiner von den Grünen.

Jetzt kommen unsere Anträge hinzu. Sie haben die Gelegenheit, die Flüchtlingslage anhand dieser Anträge sehr dezidiert neu zu beraten. Nutzen Sie doch die Gelegenheit! Im Übrigen haben wir sie den Fachausschüssen zugeordnet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Nicht einmal zählen können Sie! Und Sie wollen den Haushalt mitberaten!)

Ich habe gesehen, dass der Kollege Oetjen von der Möglichkeit der Erwiderung Gebrauch machen möchte. Sie haben für 90 Sekunden das Wort, Herr Oetjen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich entschuldige mich, Herr Watermann. Sie haben in der Tat vorgeschlagen, diese Anträge direkt in die Ausschüsse zu überweisen; es ging nicht ums Zurückziehen.

Sie haben aber auch vorgeschlagen, dass die Aktuelle Stunde ausfallen soll. Das habe ich vorhin vergessen zu erwähnen.

Ich persönlich, Herr Kollege Watermann, hätte eine Konzentration auf weniger Tagesordnungspunkte übrigens durchaus für richtig empfunden. Das sage ich hier sehr deutlich. Das aber zur Grundvoraussetzung dafür zu machen, dass man überhaupt in inhaltliche Gespräche einsteigt, um herauszufinden, ob ein Kompromiss zu Themen wie Sprachförderung, Beschleunigung von Asylverfahren oder winterfester Unterbringung möglich ist, halte ich nicht für angemessen.

Und dann zu sagen: Nur wenn die Union ihre Anträge direkt überweisen lässt, reden wir mit euch, ob wir inhaltliche Beschlüsse fassen können! Das halte ich für den falschen Weg in diesem Parlament, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nun geht es weiter mit der Besprechung in der ersten Beratung. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Filiz Polat das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie ich beginnen soll.

Herr Nacke, ich bin etwas beschämt über die Äußerungen, die Sie über die zweite Generation der Einwanderer gemacht haben. Das lässt tief blicken. Sie müssen bitte anerkennen, dass auch hier im Parlament viele sitzen, die dieser zweiten Generation der Einwanderer angehören, und Sie sollten darüber nachdenken, was für ein Signal Sie damit an uns, aber auch an die Migrationsgesellschaft und vor allem an die Menschen der zweiten

und dritten Generation der Einwanderer aussenden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Eigentlich lohnt es sich gar nicht mehr, Energie zu investieren, um zu Ihrem Antrag Stellung zu nehmen. Im Übrigen - weil Sie es immer wieder betonen -, ist das ja auch nur ein aufgewärmter Antrag. Ich erinnere an den Antrag, den Sie im Juli gestellt haben, und an den Antrag, der im März gestellt wurde.

Der Kollege Onay hat es schon gesagt: Wir haben hier zig Anträge, auch gemeinsam, zum Thema Flüchtlings- und Migrationspolitik eingebracht, die auch schon umgesetzt werden. Im Grunde genommen bedarf es also keiner weiteren Anträge. Der Innenminister, Herr Boris Pistorius, hat es bereits gesagt: Die Landesregierung setzt schon um, und wir müssen jetzt an allen Stellen arbeiten, damit das auch erfolgreich gelingt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Nichtsdestotrotz: Weil Sie sich ja immer so freuen, wenn ich zu Ihren Anträgen spreche, werde ich das jetzt auch ausführlich tun.

Die CDU greift mit ihrem Antrag hierzulande und auch in der Großen Koalition auf Bundesebene in die flüchtlingspolitische Mottenkiste. Man fühlt sich in die Abschreckungspolitik der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückversetzt: Zentrale Lager, Ausgrenzung, Stigmatisierung und Diskriminierung - nicht für die Schutzsuchenden, wie Sie immer wieder betonen, sondern Sie meinen die Geduldeten bzw. die Asylsuchenden ohne Aussichten, ohne Bleibeperspektiven oder welche Bezeichnungen Sie ihnen noch geben.

Anscheinend ist das auch die Position der FDP - sonst würde ich darum bitten, dass Sie das noch einmal trennen; denn das ist ja ganz klar die Zielsetzung des Antrags, den wir hier beraten, meine Damen und Herren.

(Christian Dürr [FDP]: Wir haben un- sere Position selbst zum Ausdruck gebracht!)

Die Folgen dieser Abschreckungspolitik der 90erJahre sind bekannt - wir haben zehn Jahre lang darüber gestritten -: unsägliche Kettenduldungen, Beschäftigungsverbote und zentrale Lager.

Anfang der 2000er-Jahre und auch schon davor folgten verschiedene Bleiberechtsregelungen. Wir haben ja alle gemeinsam gesagt, dass diese langjährig Geduldeten mittlerweile Teil unserer Gesellschaft sind - ob abgelehnte Asylbewerber oder nicht - und wir sie nicht mehr abschieben wollen. Schließlich, Frau König, haben wir alle ja die Härten in den Einzelfällen in unseren Wahlkreisen gesehen: bei Kindern und Jugendlichen, die, obwohl abgelehnte Asylbewerber, hier geboren sind. Deshalb sind Bleiberechtsregelungen richtig, und deshalb war auch die Einführung der Härtefallkommission richtig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Politik, die Sie in den 90er-Jahren in Ihrer Regierungszeit fortgesetzt haben, wollen wir hier nicht mehr. Wir sind froh, dass sie vorbei ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben heute die große Anzeige der Unternehmerverbände, des DGB, von Landesbischof Meister und von Bischof Trelle gelesen. In der Tat: Es ist Zeit zu handeln. Darin sind wir uns aber auch einig. Wir streiten allerdings über den richtigen Weg. Es gibt nämlich in der Flüchtlings- und Migrationspolitik diametral unterschiedliche Positionen und Haltungen, und es ist auch gut, dass wir an der einen oder anderen Stelle nicht zusammenkommen.

Aber eigentlich, meine Damen und Herren von CDU und FDP, waren Sie in der Einwanderungspolitik schon einmal weiter. Sie waren auf einem guten Weg. Es gab einen gemeinsamen Antrag zu Dublin. Ich erinnere mich noch daran, dass der Kollege Uli Watermann und ich uns unsicher waren, ob die Initiative der FDP-Fraktion, einen gemeinsamen Antrag, auch mit der CDU, zum Thema Dublin auf den Weg zu bringen, überhaupt erfolgversprechend ist. Ich war, ehrlich gesagt, ein bisschen pessimistisch, aber wir haben es hinbekommen.

Wir haben 2013 einen gemeinsamen Antrag zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge auf den Weg gebracht, und wir haben in diesem Antrag gemeinsam ein ganz klares Bekenntnis gesetzt, Dublin für syrische Flüchtlinge auszusetzen. - Da war der Bund noch lange nicht so weit. Jetzt, 2015, setzt er die Dublinverfahren für syrische Flüchtlinge aus, meine Damen und Herren.

Aber warum gehen Sie diesen Weg dann nicht mit uns weiter? Warum beenden Sie diesen Weg,

wenn die Flüchtlingszahlen steigen? - Ich verstehe das nicht.

Jetzt beginnen Sie wieder mit Debatten über Themen wie „Unsere Gesellschaft ist überfordert“ und „Wie viele Migranten sind zumutbar?“.

(Ulf Thiele [CDU]: Wer sagt das denn?)

Meine Damen und Herren, Deutschland besteht zu einem Drittel aus Flüchtlingen, Einwanderern und Vertriebenen. Wir waren schon weiter. Wir sind eine Migrationsgesellschaft. Wir teilen nicht mehr in „Wir“ und „Ihr“ ein. Menschen mit Migrationshintergrund: Dazu gehöre ich, dazu gehören meine Kollegen, dazu gehört Herr Calderone, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Jens Nacke [CDU]: Wann waren Sie das letzte Mal in Bramsche?)

Herr Nacke, in Ihrem Antrag „Niedersachsen - Deine Heimat“, den Sie im letzten Plenum eingebracht haben, beschreiben Sie die Probleme der Asylsuchenden: ungenutzte Fähigkeiten und fehlende Sprachkenntnisse, Arbeitsverbote, lange Verfahren, Abschiebungsdruck. Sie sagen, Niedersachsen müsse diesen Menschen die Hand reichen und eine echte Perspektive bieten. - Und das von der CDU Niedersachsen!

(Jens Nacke [CDU]: Sagen Sie doch mal, wann Sie das letzte Mal in Bram- sche waren!)

Wie ich schon bei der letzten Debatte gesagt habe: Da geht uns Grünen das Herz auf, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Endlich werden die Zugewanderten in den Mittelpunkt gestellt. Endlich werden von Ihnen die Benachteiligungen dieser Menschen aufgrund von Gesetzen in Deutschland beschrieben. Wir mussten nicht mehr Begriffe wie „Integrationsverweigerer“ oder Slogans wie „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ lesen. „Wer betrügt, der fliegt“ oder „Weltsozialamt Europa“ gehörte zum Glück nicht in Ihr Konzept, anders als bei Ihren Unionskollegen im Bund und in einigen Bundesländern.

Und dennoch wollen Sie an der Vorrangprüfung festhalten. Warum? Warum wollen Sie Beschäftigungsverbote, wenn es die Kostenlast der Kommunen erhöht und Einwanderer stigmatisiert?

Aus unserer Sicht entsprechen die Vorschläge der CDU im Abschnitt D ihres Antrags deshalb keinem

würdevollen Umgang mit Menschen, die nach Deutschland einwandern - um hier zu arbeiten, und nicht, meine Damen und Herren, um hier Hartz IV oder Asylbewerberleistungen zu beziehen!

Dieser Abschnitt D befasst sich mit eben diesen Asylsuchenden, die geringe Aussichten auf Asylanerkennung haben.

(Glocke des Präsidenten)

Der dort vorgeschlagene Verbleib bestimmter Personengruppen in den Einrichtungen des Landes für die gesamte Dauer des Asylverfahrens erinnert an alte schwarz-gelbe Regierungszeiten. Damals hatten wir Landeseinrichtungen. Das waren keine Erstaufnahmeeinrichtungen, Herr Nacke - das haben wir auch kritisiert -, sondern das waren große Asylbewerberheime, deklariert als Gemeinschaftsunterkünfte, aus denen heraus auch keine Verteilung in die Kommunen erfolgt ist.

(Jens Nacke [CDU]: Wann waren Sie das letzte Mal in Bramsche?)

- Ich bin dort jede Woche, Herr Nacke.

In diesen Einrichtungen haben die Menschen sieben oder acht Jahre lang gewohnt. Dort wurden sogar Kinder geboren. Diese Menschen haben nie eine Kommune in Niedersachsen gesehen, außer Bramsche-Hesepe. Sie sollten in diesen Gemeinschaftsunterkünften bleiben, weil sie abgelehnte Asylbewerber waren und Sie sie von dort abschieben wollten.