Frau Kollegin Polat, noch einmal: Ich teile Ihre Ansicht - ich glaube, das tun wir alle in diesem Haus -, dass es eine europäische Lösung geben muss, insbesondere im Hinblick auf eine vernünftige Aufteilung auf alle Mitgliedstaaten der Union, auf vernünftige Quoten. Das ist keine Frage.
Aber dann frage ich mich: Wo sind eigentlich Ihre Konzepte? - Der einzige konkrete Vorschlag, den ich heute von den Grünen gehört habe, ist der auf Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Das haben Sie in Ihrer Rede gerade wieder erwähnt. Mit Verlaub: Das wird Ihnen auf europäischer Ebene überhaupt nicht weiterhelfen.
Noch einmal: Wir brauchen eine abgestimmte europäische Flüchtlingspolitik. Wir brauchen Verteilungsquoten. Und wir brauchen gerade in Deutschland ein beschleunigtes Verfahren - insbesondere für die Väter, die hierher gekommen sind und ihre Familien alleine im Herkunftsland zurückgelassen haben -, damit sie mit ihren Familien zusammengeführt werden können. Das ist auch eine humanitäre Frage.
Wir brauchen einen europäischen Verteilungsschlüssel. Das ist unabdingbar, damit die Flüchtlingshilfe auch weiter funktioniert. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Wir brauchen ein Aufnahmeprogramm für die gesamte europäische Ebene, abgestimmt zwischen den Mitgliedstaaten, um auch der syrischen Problematik Herr zu werden.
Ich halte es - da sind wir völlig einer Meinung - für inhuman, dass die Menschen über das Mittelmeer nach Europa kommen müssen und nicht auf dem direkten Weg kommen können. Aber: Alles das, was wir gerade diskutieren, ist natürlich erst einmal sehr einfach zu fordern. Es umzusetzen, setzt einen Konsens unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union voraus. Und mit Verlaub: Dazu habe ich bisher weder von der SPD noch von den Grünen ein Wort gehört, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Filiz Polat [GRÜNE]: Wir haben ein humanitäres Aufnahmeprogramm! Wir müssen nicht auf Herrn Orbán war- ten!)
Noch einmal: Den Weg teilen wir. Ich will heute überhaupt keine Brücken abbrechen. Im Gegenteil: Wir sind da einer Meinung. Aber am Ende des Tages ist ein Kompromiss notwendig.
Jetzt komme ich auf das Thema zurück, das wir vorhin diskutiert haben. Aber zunächst hat die Kollegin Polat eine Zwischenfrage.
Das habe ich gesehen, aber ich wollte Sie nicht mitten im Satz unterbrechen. Aber jetzt frage ich Sie: Wollen Sie sie zulassen?
Herr Dürr, wir können nicht auf Herrn Orbán oder auf einen anderen Präsidenten warten. Wir haben ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Syrer. Wir haben immer gefordert, auch gemeinsam, dass dieses Programm aufgestockt wird, weil die Leute so oder so kommen und jetzt den gefährlichen Weg nehmen. Die 20 000 Plätze sind ausgeschöpft. Es muss verlängert werden. Das läuft dieses Jahr aus.
Aber noch einmal: Wenn Sie der Situation Herr werden wollen - und der Minister hat vorhin beschrieben, vor welcher Herausforderung auch Deutschland in Bezug auf die Aufnahmekapazitäten steht -, dann werden Sie am Ende des Tages einen europäischen Verteilungsschlüssel brauchen. Dafür wiederum brauchen Sie die Zustimmung der Mitgliedstaaten. Und da - hier sind Sie jetzt ganz konkret gefordert - ist die Haltung der Grünen zum Thema „sichere Herkunftsstaaten im Balkan“ und insbesondere zum Thema „Visumspflicht für den Balkan“ nicht hilfreich. Sie sind an dieser Stelle nicht konsensfähig, um das klar zu sagen. Darin liegt das Problem.
Ich unterstelle - - - Das will ich zum Schluss sagen. Die Uhr lief nicht weiter. Ich glaube aber, dass ich mit der Redezeit auch fast zu Ende bin, Herr Präsident.
Die Zeit für die Zwischenfrage und die Antwort darauf wurden Ihnen nicht angerechnet. Sie haben das, was auf der Uhr steht. Bitte!
Noch einmal: Das Ziel dieses Plenums ist ja auch - das haben viele Kolleginnen und Kollegen gesagt -, ein Signal der Einigkeit des Hauses auszusenden. Ich unterstelle einmal, dass sich die Demokraten des Niedersächsischen Landtages in dieser Frage einig sind. Aber über die unterschiedlichen Wege darf doch sehr wohl gestritten werden. Frau Piel hat das vorhin ja selbst erwähnt, als sie gesagt hat, zum Thema „sichere Herkunftsstaaten“ könne man unterschiedlicher Meinung sein.
Die Bitte, die heute mindestens von den Fraktionen von CDU und FDP - ich kann mir aber vorstellen, dass die Kollegen der SPD das nicht viel anders sehen - an die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht, lautet: Denkt bitte noch einmal über eure Haltung zum Balkan nach! Wir haben eine humanitäre Verpflichtung, der wir ausdrücklich gerecht werden wollen. Wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber den Menschen, die aus dem Balkan zu uns kommen wollen. Auch ihnen müssen wir bei einer Einwanderungsgesetzgebung Bleibeperspektiven aufzeigen. Am Ende des Tages wird das aber nur funktionieren - davon bin ich überzeugt -, wenn wir beim Thema „sichere Herkunftsstaaten“ etwas machen und insbesondere bei der Visapflicht erneut die Arbeitsvisa einführen. Alles andere ist Augenwischerei.
Vielen Dank, Herr Dürr. Sie sind auch noch deutlich in Ihrer Redezeit geblieben. Der Hinweis, dass wir hier einen Fehler gemacht haben könnten, war vorbildlich. Insofern ist alles in Ordnung. Es war auch kein Fehler. Sie durften.
Es gibt keine weitere Wortmeldung zum Tagesordnungspunkt „Aktuelle Stunde“. Damit stelle ich fest, dass die Aktuelle Stunde für diesen Tagungsabschnitt abgeschlossen ist.
Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung: Die Flüchtlingssituation bewältigen - Integration sicherstellen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 17/4141
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, Sie haben heute in Ihrer Regierungserklärung die Bilder angesprochen, die Flüchtlinge zeigen, die in unserem Land mit Beifall begrüßt werden. Sie bezeichneten unter Applaus dieses Hauses diese Personen als Helden des Sommers 2015. Ich habe vermisst und fand enttäuschend, dass Sie für die Hilfsorganisationen nur einen Nebensatz übrig hatten, der dann nicht beklatscht wurde.
das Technische Hilfswerk, die DLRG und die Feuerwehren am vergangenen Wochenende und in den letzten Wochen und Monaten in der Flüchtlingshilfe insgesamt geleistet haben, ist ein herausragendes Beispiel für Hilfsbereitschaft und Tatkraft.
Die ehrenamtlichen Kräfte dieser Organisationen sind eingesprungen, wo die Leistungsfähigkeit des Landes erschöpft war. Sie waren es im Übrigen auch, die die zusätzlichen freiwilligen Helfer koordiniert und sinnvoll eingesetzt haben. Diesen Organisationen gebührt gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt, dem Arbeiter-Samariter-Bund und den Kirchengemeinden der Dank des ganzen Hauses, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Leicht, Herr Minister Pistorius, wurde ihnen diese Arbeit nicht gemacht. Kurzfristig, viel zu kurzfristig erfuhren die Kräfte vor Ort und die kommunalen Verantwortungsträger die Standorte für Notlager.
In Celle berichtete der Oberbürgermeister gegenüber dem NDR, dass er am Freitagnachmittag erfahren habe, dass am Wochenende die Flüchtlinge auf dem Gelände der Feuerwehrschule untergebracht werden sollten.
Beispielhaft nenne ich die Notunterkunft in Otterndorf. Ich zitiere aus der Ausgabe der NiederelbeZeitung vom 7. September einen Kommentar von Egbert Schröder. Dort heißt es:
Erst am Donnerstag, gegen 19 Uhr, gab man in Hannover grünes Licht, das Camp als Notunterkunft schon am Freitag zu nutzen. Die Johanniter rückten, ob Haupt- oder Ehrenamtliche, morgens an und bereiteten die Ankunft der Flüchtlinge vor. Wie viele am Abend kommen würden? Die Nachricht erhielten sie nicht. Für 500 neue Mitbürger wurde vorsorglich ein Abendbrot vorbereitet. Es kamen viel weniger. Wann sie ankommen würden? Auch das erfuhr man nicht. Welche Nationalitäten zu erwarten waren, ob es sich um Einzelpersonen oder Familien handele? In Otterndorf herrschte Rätselraten. Die Einsatzkräfte vor Ort managten die Situation sehr professionell, so professionell, wie man eine solche Situation eben regeln kann, wenn man kaum oder keine Informationen erhält, was an diesem Freitagabend oder am Wochenende noch bevorsteht. - Soweit die NiederelbeZeitung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, statt die Einsatzkräfte vor Ort über den Sachverhalt zu unterrichten, ließ man sie im Unklaren. Ganz im Gegenteil: Während in Otterndorf Zelte aufgestellt wurden, glaubte man in der Aufnahmeeinrichtung Bramsche, es handele sich um feste Unterkünfte. Entsprechend wurden Flüchtlinge unterrichtet und ausgewählt. Ältere, Kranke und Familien wurden nach Otterndorf gebracht. Sie weigerten sich vor Ort, aus dem Bus auszusteigen, als sie sahen, dass erneut Zelte für sie vorgesehen waren.
Ich selbst hatte die Gelegenheit, mit dem Vorsitzenden eines DRK-Kreisverbandes zu sprechen, der in Celle aktiv war. Er berichtete über entsprechende Zustände. Angeforderte Dolmetscher beispielsweise mussten bis zu vier Stunden warten, weil niemand wusste, wann die Flüchtlinge dort eintreffen.