Sehr geehrter Herr Schünemann, ich habe Ihrer Persönlichen Erklärung vom Mittwochabend genau zugehört und glaube, dass Sie heute manche Entscheidung anders treffen würden als in Ihrer Amtszeit. Ihr Landesvorsitzender hat den Kurswechsel der CDU in der Ausländer- und Asylpolitik wenige Tage nach der Landtagswahl angekündigt, und die Fraktion vollzieht ihn jetzt. Das ist gut für die Menschen in Niedersachsen - ganz besonders für die, die jetzt zu uns kommen, aber auch für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft diesen Neuankömmlingen ehrenamtlich widmen.
„Natürlich ist eine Duldung wegen ungeklärter oder verschleierter Identität möglichst zu vermeiden. Eine jahrelange rechtliche Unsicherheit trotz geglückter Integration für ganze Familien findet jedoch in der Gesellschaft keine Akzeptanz. Irgendwann überwiegt das Interesse am Rechtsfrieden.“
Diese Einschätzung teile ich, sehe allerdings einen weiteren Lösungsansatz. Nach zahlreichen Eingaben von Familien aus dem Nahen Osten und aus den Balkanstaaten, aber auch von Einzelpersonen, die mir beispielsweise vom Paritätischen Wohlfahrtsverband übermittelt wurden, stellt sich die Frage, ob wir nicht die Zumutbarkeitsanforderungen für die Aufklärung der bisherigen Staatsangehörigkeit senken müssen.
Eine solche Absenkung der Zumutbarkeitsanforderungen, besonders für die in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen ausländischen Staatsangehörigen, sollte erfolgen. Denn sie selbst sind in der Regel weder in der Lage noch berechtigt, die zur Aufklärung ihrer Staatsangehörigkeit erforderlichen Überprüfungen, Registerauskünfte oder berichtigungen vorzunehmen.
Oft sind sie dabei auf ihre Eltern oder Großeltern angewiesen. Und auch diese sind dazu bisweilen nicht imstande und manchmal - aus unterschiedlichen Gründen - auch nicht bereit. Dadurch verlagert sich die Problematik der Verweigerung von Einbürgerungen wegen fortbestehender ungeklärter Staatsangehörigkeit in die nachfolgenden Generationen. Bei uns sind davon besonders viele junge Menschen betroffen, deren Vorfahren ehemalige jugoslawische Staatsangehörige oder Kurden mit schwieriger Fluchtgeschichte sind.
Das sollte nicht so bleiben; denn damit wird vielen Jugendlichen, die als Ausländer oder Staatenlose geführt werden, in Wahrheit aber Niedersachsens Nachwuchs sind, die Möglichkeit verwehrt, über die Einbürgerung Chancen auf Teilhabe zu erhalten, z. B. auf Mitwirkung bei Wahlen oder auch auf Beschäftigung im öffentlichen Dienst.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in einer Anfang dieses Jahres erschienenen Studie der Bertelsmann-Stiftung heißt es, Arbeit sei der Schlüssel für soziale Kontakte und für die Wertschätzung in der Aufnahmegesellschaft. Arbeit stärke das Selbstwertgefühl der Zuwandernden und helfe, wieder Normalität und Perspektive in ein leidgeplagtes Leben zu bringen.
Für die weitere Beratung Ihres Antrags möchte ich deshalb vorgeschlagen: Lassen Sie uns noch einmal über das Asylbewerberleistungsgesetz sprechen,
über eine Ausweitung von Resettlement-Programmen und auch über neue Bundeskontingente für Flüchtlinge. Alle diese Maßnahmen können dazu beitragen, Menschen schneller bessere Perspektiven bei uns zu eröffnen. Denn - das muss man leider sagen - Asylverfahren dauern bei uns viel zu lange. Die Zahl unerledigter Asylanträge liegt nach neuesten Angaben inzwischen bei 238 000 und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.
Sehr geehrte Damen und Herren, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen beklagt fast 60 Millionen Flüchtlinge weltweit. Etwa 450 000 Zuflucht suchende Menschen erwarten wir dieses Jahr in Deutschland, bis zu 40 000 in Niedersachsen. Eine Beruhigung der Krisenherde ist nicht absehbar - und damit auch kein Rückgang der Flüchtlingszahlen. Eine ganz große Koalition des guten Willens könnte dazu beitragen, diese Herausforderung zu bewältigen.
Eine Handlungsempfehlung für den Umgang mit Flüchtlingen kann man der Bibel entnehmen. Zum Ende meiner Rede zitiere ich Lukas 6, Vers 31: „So wie ihr von anderen behandelt werden möchtet, so behandelt sie auch.“
Vielen Dank, Frau Kollegin Schröder-Köpf. - Das Wort hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Filiz Polat. Bitte!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Antrag und das Positionspapier der CDU liest, könnte man zunächst meinen, dort sei der Groschen endlich gefallen: „Niedersachsen - Deine Heimat“.
Da werden die Probleme der Asylbewerberinnen und Asylbewerber beschrieben, Frau Lorberg: ungenutzte Fähigkeiten und Sprachkenntnisse, Arbeitsverbote, lange Verfahren, Abschiebungsdruck. Niedersachsen müsse diesen Menschen die Hand r eichen und eine echte Perspektive bieten.
Endlich wird der Zugewanderte in den Mittelpunkt gestellt. Endlich werden von Ihnen die Benachteiligungen dieser Menschen aufgrund von Gesetzen in Deutschland beschrieben, wie der Kollege von Holtz das vorgestern in der Debatte auch deutlich gemacht hat.
Begriffe wie „Integrationsverweigerer“ oder Slogans - wir erinnern uns alle - aus den vergangenen Legislaturperioden wie „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ lesen wir nicht mehr. „Wer betrügt, der fliegt“ oder „Weltsozialamt“ gehören zum Glück nicht - wie bei den Unionskollegen im Bund oder in einigen anderen Bundesländern - in Ihr Konzept in Niedersachsen.
Dennoch herrscht bei uns Verwunderung über die fehlenden Kenntnisse. Herr Thümler, Sie haben es gerade am Anfang Ihrer Rede auch wiederholt. Sie bringen in Ihrem Antrag Asylverfahren, Aufenthaltsgestattung und Duldungsphase durcheinander.
Sie scheinen auch die aktuelle Rechtslage zum Arbeitsmarktzugang nicht durchdrungen zu haben, sodass Ihr diesbezüglicher Vorschlag ins Leere läuft.
Zudem werden wie eh und je die Offenlegung der Identität und das Bemühen um Identitätspapiere verlangt, obwohl von Rechtsanwälten und anderen zahlreiche Urteile bemüht wurden, um die Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze bei der Passbeschaffung aufzuzeigen. Gerade da lagen doch schon immer die Probleme. Noch heute werden absurderweise Menschen aufgefordert, in das Land zu reisen, aus dem sie geflohen sind, um Pässe zu besorgen, oder es werden zahlreiche Nachweise eingefordert. Wenn Botschaften und Konsulate sich weigern, die Staatsangehörigkeit zu bestätigen, werden die Bemühungen dann als nicht ausreichend abgetan.
Wir erinnern uns auch alle noch an die früheren Debatten. Frau Dr. Lesemann und ich hatten dazu Anfragen gestellt. So hieß es im Jahr 2012 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: Land beschenkte russische Beamte; im Gegenzug gab es Pässe für Flüchtlinge. - Ich hoffe, dass das der Vergangenheit angehört, meine Damen und Herren.
In dem CDU-Positionspapier „Niedersachsen - Deine Heimat“ bekräftigt die CDU zudem noch einmal eindeutig, dass sie an der Vorrangprüfung am Arbeitsmarkt festhalten will. Das ist die letzte Hürde, die wir in diesem Bereich noch haben.
Überhaupt kommen die erhobenen Forderungen eindeutig zu spät. Die Kollegin Doris SchröderKöpf hat es erwähnt: Der Bundestag hat das Gesetzespaket zum Aufenthaltsgesetz beschlossen. Eine umfangreiche Stellungnahme des Bundesrates ist mit Mehrheit am letzten Freitag beschlossen worden.
Die Kritik vor allem grün mitregierter Länder ist Ihnen bekannt; denn Verbesserungen für die Lebenssituation von Flüchtlingen sind maßgeblich von SPD und Grünen eingebracht worden, Verschärfungen vor allem durch CDU und CSU, meine Damen und Herren.
Das ist leider die christdemokratische soziale Realität. Deshalb bin ich gespannt auf die Beratungen im Ausschuss.
Um den islamischen Gelehrten Mevlana zu zitieren: „Zeige dich, wie du bist, oder sei, wie du dich zeigst.“
Ich freue mich, Herr Präsident, dass sich bei diesem wichtigen Thema auch die Reihen der Landesregierung ein bisschen füllen. Meines Erachtens wäre es angemessen, wenn das ganze Kabinett da wäre, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Als Erstes möchte ich mich aber bei der Union ganz herzlich für diesen Antrag bedanken, der sich sachlich mit dem Thema auseinandersetzt und das wichtige Problem der langjährigen Duldung auf