Protocol of the Session on May 13, 2015

Das Recht auf ein faires Verfahren gehört zu den tragenden Säulen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Dazu heißt es etwa in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, dass eine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten zu unterlassen sei, um dessen Recht auf ein faires Verfahren nicht zu beeinträchtigen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Welche Voraussetzungen müssen nach Ansicht der Landesregierung vorliegen, um den Namen eines Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren öffentlich zu machen, ohne gegen das Recht auf ein faires Verfahren zu verstoßen?

2. Warum hat die Landesregierung im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren und ihre beamtenrechtliche Fürsorgepflicht gegenüber dem Generalstaatsanwalt nicht andere, weniger öffentlichkeitswirksame Wege gesucht, das Parlament über das eingeleitete Ermittlungsverfahren zu unterrichten?

3. Welche Anstrengungen hat die Landesregierung in der Zwischenzeit konkret unternommen, um den der vorzeitigen Berichterstattung zugrunde liegenden Geheimnisverrat aufzuklären und die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zu unterstützen?

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Birkner. - Die Landesregierung möchte antworten. Frau Ministerin Niewisch-Lennartz, ich erteile Ihnen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ermittlungsverfahren gegen den Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der niedersächsischen Justiz. Dass es geführt wird, ist eine Belastung für die niedersächsische Justiz und natürlich auch und vor allen Dingen für diejenigen, die davon persönlich betroffen sind. Das gilt zunächst für den Beschuldigten und sein persönliches Umfeld. Das gilt aber auch für die Ermittler, die in den eigenen Reihen ermitteln müssen. Das gilt für die Zeugen, die auch aus der Justiz und teilweise aus dem engen kollegialen Umfeld des Beschuldigten stammen. Und es gilt für alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz, die den Beschuldigten zum Teil persönlich kennen und nun verunsichert über die Vorwürfe sind. Ich wiederhole: Es handelt sich um einen einmaligen Vorgang in der Geschichte der niedersächsischen Justiz.

Als ich im Februar das Parlament und damit die Öffentlichkeit informiert habe, war dieser Schritt allerdings unumgänglich. Dies haben auch die Abgeordneten dieses Hauses, die nach meiner Unterrichtung hier im Parlament gesprochen haben, so gesehen und sich für die Unterrichtung ausdrücklich bedankt.

Lassen Sie mich zur Ausgangssituation vor der Unterrichtung des Landtags Folgendes in Erinnerung rufen:

Die sogenannten Durchstechereien von schützenswerten Informationen aus den Ermittlungsverfahren gegen Christian Wulff und Sebastian Edathy hatten die Öffentlichkeit und die Politik mit Recht schon die Monate vorher intensiv beschäftigt. Man kann sagen, das Thema stand auf der Tagesordnung und war gerade auch für die Pressevertreter von hohem Interesse. Es war bekannt, dass die Justiz in den eigenen Reihen nach einem Leck suchte, und der Kreis der Personen, die infrage kamen, war sehr klein. Die Medien haben das Thema aufmerksam begleitet und regelmäßig nachgefragt, ob es neue Entwicklungen gebe.

Im Sommer 2014 haben dann Medien davon berichtet, dass ein Bonner Rechtsanwalt Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Geheimnisverrats erstattet hat. Gegenstand war die Weitergabe von Informationen aus dem Verfahren gegen den Bundespräsidenten a. D. Christian Wulff. Der Text der Strafanzeige war für jedermann auf der Homepage des NDR nachzulesen. Schon in dieser Strafanzeige tauchte der Name des jetzigen Beschuldig

ten öffentlich auf. Ebenfalls im Sommer 2014 hat die Zeitschrift Focus berichtet, dass die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig beauftragt sei, sich mit der Strafanzeige zu befassen.

Im November 2014 berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung, dass die Ermittlungen auch für den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig brisant werden könnten. Ebenfalls im November 2014 war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgendes Zitat des besagten Bonner Rechtsanwaltes zu lesen:

„Dr. Lüttig dürfte als damals zuständiger Abteilungsleiter im Justizministerium mit dem Antrag auf Aufhebung der Immunität persönlich befasst gewesen sein, später muss er als zuständiger Generalstaatsanwalt auch unverzüglich Kenntnis von der Verschärfung der Anklage gehabt haben. Schließlich verfügte er ausweislich seiner regen Interviewtätigkeit zugleich über gute Pressekontakte.“

Das war unsere Ausgangslage zu Beginn dieses Jahres. Das war die Situation, in die hinein die Staatsanwälte dann tatsächlich ihre Ermittlungen gegen den Leiter der größten Generalstaatsanwaltschaft Niedersachsens, gegen den höchsten Repräsentanten der Ermittler in den Fällen Wulff und Edathy eingeleitet haben. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen Sie allen Ernstes vor der Öffentlichkeit geheim halten?

(Ulf Thiele [CDU]: Darum geht es nicht, Frau Ministerin! - Gegenruf von Helge Limburg [GRÜNE]: Darum geht es! Um was denn sonst? - Ulf Thiele [CDU]: Um die Art und Weise, wie das gelaufen ist!)

Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrer Ausgabe vom 23. Februar 2015 vermutet, hinter den Vorwürfen könnte „eine Staatsaffäre“ stehen. - Staatsaffären, meine Damen und Herren, gehören nach meinem Amtsverständnis nicht hinter verschlossene Türen. Sie können da auch gar nicht gehalten werden. Ein solches Verfahren gebietet von Beginn an Transparenz gegenüber Parlament und Medien.

(Dr. Gero Hocker [FDP]: Damit ken- nen Sie sich aus! - Weitere Zurufe - Unruhe)

Frau Ministerin, einen Moment! - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf um die notwendige Ruhe

bitten. Dann kann die Ministerin fortfahren.

Nur so ist es ihnen möglich, ihre verfassungsrechtlich verankerte Kontrollfunktion auszuüben.

(Mechthild Ross-Luttmann [CDU]: Und wie ist das in anderen Verfahren? - Ulf Thiele [CDU]: Sie machen Limbo unter Ihren eige- nen Maßstäben!)

Die Unterrichtung war so knapp wie möglich gehalten. Alle weiteren Details des Ermittlungsverfahrens sind, wie Sie alle wissen, im Rechtsausschuss in vertraulicher Sitzung genannt worden.

Die Unterrichtung dieses Hohen Hauses und des Rechtsausschusses war zugleich das Signal, dass die Ermittler und auch mein Haus größten Wert auf ein faires, transparentes Verfahren ohne jedwede politische Einflussnahme legen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Jens Nacke [CDU]: Leider misslungen!)

Schon der Anschein dieser Einflussnahme musste durch eine frühzeitige Offenlegung vermieden werden.

Meine Damen und Herren, die Nachricht über die Einleitung des Verfahrens hatte mein Haus zu Beginn der Plenarwoche erreicht. Es wäre weder zulässig noch redlich gewesen, diese Information vor der Öffentlichkeit zu verschweigen. Sowohl die ermittelnde Staatsanwaltschaft als auch das Justizministerium waren mit fortwährenden Anfragen der Medien konfrontiert. Diese wurden zuvor durchweg wahrheitsgemäß dahin gehend beantwortet, dass es kein Ermittlungsverfahren gebe. Nach § 4 des Niedersächsischen Pressegesetzes ist die Landesregierung hierzu aus gutem Grund verpflichtet. Dies galt natürlich auch für den Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Göttingen einen Anfangsverdacht gegen den Generalstaatsanwalt nunmehr bejaht hatte.

(Ulf Thiele [CDU]: Sie haben ihn an den Pranger gestellt! Das ist doch die Wahrheit!)

Dies geheim zu halten, wäre nach § 4 Pressegesetz unzulässig gewesen. Deshalb gab es keine Alternative zu der von Ihnen hier kritisierten Information des Parlaments.

Meine Damen und Herren, auch wenn die Unterrichtung im Februar unumgänglich war, so ist sie

mir - das dürfen Sie mir glauben - nicht leichtgefallen,

(Lachen bei der CDU - Jörg Bode [FDP]: Mir kommen die Tränen! - Jens Nacke [CDU]: Das glauben wir aber nicht! - Gegenruf von Johanne Mod- der [SPD]: Das interessiert keinen, Herr Nacke!)

aber nicht etwa weil damals schon absehbar war, dass die Ermittlungen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen würden. Das kann ich aushalten. Da bin ich mittlerweile - das darf ich getrost sagen - erprobt.

Diese Unterrichtung hat die Ermittlungen nicht beeinflusst. Aber ihre Auswirkungen auf den Beschuldigten und sein Umfeld sind mir sehr bewusst. Es handelt sich immerhin um einen hochrangigen Beamten meines Geschäftsbereichs. Diese Auswirkungen nicht zu bedenken, liegt sowohl mir persönlich als auch meinem Amtsverständnis fern.

Ich habe deshalb bereits im Februar in meiner Unterrichtung vor diesem Hohen Haus ausdrücklich und mit großem Ernst auf die Unschuldsvermutung hingewiesen.

(Lachen bei der CDU)

Ich kann diesen Hinweis nur wiederholen. Es handelt sich nicht um eine Formalie, sondern um eine Errungenschaft von Verfassungsrang.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die in Ihrer Dringlichen Anfrage gestellten Fragen beantworte ich wie folgt:

Zu Frage 1: Die Voraussetzung dafür, den Namen eines Beschuldigten öffentlich zu machen, ist eine Abwägung der Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten auf der einen Seite und des Informationsinteresses der Öffentlichkeit auf der anderen Seite im Einzelfall.

Zu Frage 2: In meinen Vorbemerkungen habe ich Ihnen den Grund für die Unterrichtung des Landtags dargelegt. Für Vertraulichkeit war kein Raum.

Zu Frage 3: Mit Ihrer dritten Frage möchten Sie wissen, welche Anstrengungen die Landesregierung unternommen hat, um herauszufinden, auf welchem Weg der NDR die Nachricht über die Einleitung der Ermittlungen gegen den Generalstaatsanwalt erhalten hat, kurz bevor ich selbst dieses Haus informieren konnte.

(Ulf Thiele [CDU]: Interessante Frage!)

Erstens. Die Recherchewege der unabhängigen Medien sind von Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt und entziehen sich staatlicher Kontrolle.

(Beifall bei den GRÜNEN - Jörg Bode [FDP]: Der ist gut!)

Für Nachforschungen hierzu, erst recht mit Mitteln des Strafrechts, ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat kein Raum.

(Ulf Thiele [CDU]: Das muss ja wohl in Ihrem Haus passiert sein!)

Zweitens. Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung - - -

(Ulf Thiele [CDU]: In Ihrem Haus kön- nen Sie aber recherchieren! - Gegen- ruf von Helge Limburg [GRÜNE]: Herr Thiele, hören Sie doch endlich zu!)

Ich habe zum wiederholten Male Anlass, darauf hinzuweisen: Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, strafrechtliche Ermittlungen zu betreiben. Ermittlungen durchzuführen, ist Aufgabe der Staatsanwaltschaften.