Protocol of the Session on March 19, 2015

Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema ist - wie auch der FDP-Antrag zeigt - sehr umfangreich. Deshalb nur noch wenige Aspekte: Viele der asylsuchenden Frauen und Männer sind hoch motiviert und qualifiziert. Ihre Potenziale liegen aber häufig brach, weil der Weg vom Asylsystem in den Fachkräftemarkt versperrt ist. Lassen Sie uns hier gemeinsam eine Brücke bauen. Das hilft den Flüchtlingen und der Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD)

Das Land Niedersachsen will dazu gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung unmittelbar einen Beitrag leisten. Asylbewerberinnen und -bewerber benötigen eine möglichst frühzeitige erste Arbeitsmarktorientierung und Kompetenzfeststellung. In der Praxis erfolgt die Erstberatung meist aber erst nach einigen Monaten, wenn die Flüchtlinge längst auf die Kommunen verteilt sind. Daher wird das niedersächsische Wirtschaftsministerium voraussichtlich ab Sommer ein Projekt der Bundesagentur in Niedersachsen fördern, das die Erstberatung bereits in den niedersächsischen Erstaufnahme

einrichtungen zeitnah nach Ankunft der Flüchtlinge in Deutschland ermöglicht. In jeder Aufnahmeeinrichtung des Landes sollen zwei Beraterinnen oder Berater eingesetzt werden. Eine halbe Million Euro pro Jahr kommt dafür begleitend vom Land. Für diese Initiative möchte ich mich ausdrücklich beim Wirtschaftsminister bedanken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die rechtlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene müssen auch ein an Ausbildung geknüpftes Bleiberecht schaffen. Wenn ein Handwerksbetrieb einen jungen Flüchtling ausbildet, muss sicher sein, dass dieser junge Mensch wenigstens nicht mitten in der Ausbildung das Land verlassen muss.

Entscheidend für die Arbeitsmarktintegration ist die Kenntnis der Sprache. Über alle Parteigrenzen hinweg sollten wir uns deshalb gemeinsam dafür einsetzen, dass der Bund die Integrationskurse für diese Personengruppe öffnet. Das wäre ein Meilenstein in der deutschen Einwanderungsgeschichte.

(Jens Nacke [CDU]: Sie haben doch die Mittel gestrichen!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Abschließend möchte ich noch auf einen wichtigen Aspekt hinweisen: 2015 jährt sich das erste Anwerbeabkommen der Nachkriegsgeschichte, nämlich das mit Italien, zum 60. Mal. Dieses Abkommen war die Blaupause für sämtliche folgenden Anwerbeabkommen. Schon wenige Jahre, nachdem rund 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland eine neue Heimat gefunden hatten, gingen unserem Land nämlich schon wieder die Arbeitskräfte aus. Ungefähr 560 000 Italienerinnen und Italiener leben heute in Deutschland, nach Türken und Polen die drittgrößte Ausländergruppe im Land. In Niedersachsen stellen die 38 000 Italienerinnen und Italiener die sechstgrößte Gruppe dar. Aber 60 Jahre danach sind ihre Löhne immer noch geringer, die Arbeitsverhältnisse schlechter und die Bildungsabschlüsse niedriger als im Durchschnitt. Das liegt an den Fehlern, die am Anfang gemacht wurden. Darüber sind sich heute alle Expertinnen und Experten einig. Wir sind uns hoffentlich über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass sich an diesem Punkt Geschichte nicht wiederholen darf.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Antrag mit dem Titel „Deine Chance, unsere gemeinsame Zukunft“ enthält zahlreiche Punkte, die wir bereits angepackt haben oder an denen die Regierungsfraktionen und die Landesregierung arbeiten. Er enthält viele gute Ansätze. Lassen Sie uns die Diskussion um die besten Ideen und Konzepte für das Einwanderungsland Niedersachsen führen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schröder-Köpf. - Für die CDU-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Editha Lorberg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ - diesen Satz hat der Generalsekretär der CDU Deutschlands am vergangenen Wochenende seinem Gastbeitrag in der FAZ vorangestellt und damit die Position der CDU in dieser Frage deutlich gemacht.

Es ist längst keine Neuigkeit mehr, dass wir aufgrund des demografischen Wandels einen erheblichen Fachkräftemangel und aufgrund der Überalterung unserer Gesellschaft damit ein großes Defizit auf dem Arbeitsmarkt haben. Zwar haben wir gegenwärtig in Deutschland so viele Menschen in Lohn und Brot, wie es noch nie der Fall war. Aber aufgrund der Entwicklungen, die ich vorangestellt habe, werden wir dieses Niveau nicht halten können. Wir brauchen Zuwanderung.

Der Fachkräftemangel ist in vielen Bereichen bereits jetzt ein einschneidendes Problem, und dabei sprechen wir nicht nur von akademischen Berufen, sondern insbesondere auch vom Handwerk und von der Pflege.

Wenn wir heute über fehlende Fachkräfte sprechen, müssen wir natürlich auch die Situation unserer Rentenkassen im Auge haben. Damit haben wir einen ganz besonders großen Handlungsbedarf.

Wir übernehmen mit der Aussage „Deutschland ist ein Einwanderungsland“ eine große Verantwortung. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir mit der gesteuerten Zuwanderung eben nicht nur Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt holen wollen,

sondern auch Menschen ein Zuhause in unserem Land bieten möchten.

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

Wir dürfen die Menschen, die zu uns kommen, nicht nur als Steuer- und Beitragszahler für unsere Sozialsysteme sehen, sondern wir müssen sie auch als zukünftige Mitbürgerinnen und Mitbürger betrachten, die Rechte und Pflichten haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir wollen diesen Menschen Chancen bieten. Aber wir erwarten auch etwas. Sie sollen nicht nur an unserer Gesellschaft teilhaben, sondern sie sollen uns auch etwas jenseits von Arbeit und Steuern mitgeben, in jeder Lebenslage. Sie sollen auch in Sportvereinen, in Feuerwehren und in der Politik aktiv mit gestalten und unsere Zivilgesellschaft mittragen. Wir erwarten auch Identifikation mit Deutschland, mit Niedersachsen, mit ihren Wohnorten.

Der Großteil der Zuwanderung geschieht gegenwärtig ganz geräuschlos durch die Freizügigkeitsregeln der Europäischen Union. Darüber hinaus haben wir ein gutes und überwiegend funktionierendes Aufenthaltsgesetz, über das wir heute auch die Zuwanderung steuern. Die OECD stuft dieses Zuwanderungsrecht als eines der liberalsten und offensten der Welt ein.

(Jens Nacke [CDU]: So ist es!)

Tatsächlich können wir darüber nachdenken, ob das Aufenthaltsgesetz nicht zu einem Zuwanderungsgesetz weiterentwickelt werden kann. Damit würden wir deutlich machen, dass es in Deutschland ein neues Selbstverständnis und eine breite Akzeptanz der Zuwanderung gibt. Wir können auch über weitere Vereinfachungen in diesen Bereichen nachdenken.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Sehr gut!)

Wir müssen offensiv für einen Zuzug nach Deutschland werben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge tut das bereits. Aber ich denke, hier können wir in Deutschland und auch in Niedersachsen noch besser werden.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

Wir haben eine ganze Menge zu bieten. Wir müssen deutlich machen, dass wir vom Meer bis zu den Alpen eine große Bandbreite an hervorragenden Jobs zur Verfügung stellen können, die vielen Menschen auf der ganzen Welt eine neue Perspektive bieten. Unser Niedersachsen spielt da

eine ganz herausragende Rolle, meine Damen und Herren. Denn wir müssen dafür sorgen, dass wir auf dieser Welt weiter als innovatives Land wahrgenommen werden, und wir müssen mit unserer geografischen Lage werben.

Zuwanderung muss praktikabel sein. Die Wege und damit auch die Verfahren müssen kürzer werden, und eine schnelle Sprachförderung muss grundsätzlich unser Ziel sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung von Filiz Polat [GRÜNE])

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Situation vor einigen Jahren. Unsere Sozialministerin Aygül Özkan hat damals hervorragend reagiert. Es ging um die ersten jungen Menschen, die aus Spanien zu uns kamen, um hier als Pflegekräfte tätig zu werden. Sie waren hervorragend qualifiziert, hervorragend ausgebildet - kein Wunder, diese Berufe sind dort akademisiert -, standen aber vor der großen Hürde, dass eben die Sprache zu erlernen war. Die Sprachanforderungen waren derart hoch, dass sie neben dem Beruf eigentlich gar keine Chance hatten, die Sprache hinreichend zu lernen, und sie waren überfordert.

Damals hat unsere Sozialministerin sofort reagiert und mit Fachleuten an dem Sprachniveau gearbeitet. Sie hat neu festgelegt, wie das Sprachniveau auszusehen hat, und sie hat damit einen grundsätzlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Eingliederung dieser Fachkräfte in Niedersachsen hervorragend funktioniert hat.

Meine Damen und Herren, so stelle ich mir funktionierende Zuwanderung vor: immer am Bedarf orientiert und mit raschen Hilfestellungen aus der Politik. Hier müssen wir einfach auch unseren Beitrag leisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr Antrag ist ausgesprochen umfassend, und Sie sprechen darin viele Bereiche an, die wir sofort mittragen können, die auch für uns eine große Rolle spielen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Ja?)

Wir teilen Ihre Meinung, und wir möchten auch viele Ihrer Vorschläge mit aufnehmen. Wir können uns durchaus über ein Punktesystem - wie auch immer geartet - unterhalten. Wir sollten allerdings die Erwartungen in dieser Richtung nicht zu hoch

setzen; denn wir alle wissen, dass das Vorbild Kanada an vielen Stellen nicht ganz so ideal ist.

(Christian Dürr [FDP]: Stimmt!)

Man hört es immer wieder: Auch in Kanada gibt es Probleme mit diesem System. Diese Fehler dürfen wir hier in Deutschland nicht machen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Man kann ja da- von lernen!)

Uns ist besonders wichtig, dass gesteuerte Zuwanderung und Asylrecht in der Öffentlichkeit differenziert und verständlich vermittelt werden.

(Glocke des Präsidenten)

Das Ziel der Steuerung der Zuwanderung bedeutet aber auch, dass unerwünschte Zuwanderung verhindert werden muss. Hier müssen wir konsequent vorgehen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Wir wollen keine Zuwanderung in die Sozialsysteme, und wir wollen auch keine Parallelgesellschaften. Wer hierher kommt, der ist auch in der Pflicht, sich unseren Gesetzen und Sitten unterzuordnen und sie anzuerkennen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wer das nicht tut, meine Damen und Herren - das sagen wir als Union -, der kann dann eben nicht hierbleiben.

(Zustimmung bei der CDU)