Ich empfinde es als alarmierend und als eine Niederlage der Demokratie, wenn Demonstrationen, wie in Dresden, abgesagt werden müssen, auch wenn die Inhalte, die dort propagiert werden, von mir in keiner Weise geteilt werden und ich sie ablehne.
Aber schnell und reflexhaft wird nach den Anschlägen wie in Paris immer nach neuen Überwachungsmethoden wie der Vorratsdatenspeicherung gerufen. Das haben wir auch dieses Mal wieder erlebt.
Ich möchte hier deutlich machen, dass die Vorratsdatenspeicherung - das hat gerade auch der Kollege Onay noch einmal gesagt - in keiner Weise die Anschläge von Paris hätte verhindern können. Sie konnte sie in Frankreich auch nicht verhindern; denn in Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung. Sicherheitsbehörden sagen, die Strafverfolgung wäre mit der Vorratsdatenspeicherung viel leichter, und Netzwerke könnten aufgedeckt werden. Ja, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist sicherlich möglich. Aber das wäre beispielsweise auch mit dem Quick Freeze, das von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagen wurde, möglich gewesen, ohne die Daten von Abermillionen anlasslos vorzuhalten. Das muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch an die Adresse der CDU.
Statt zusätzliche Überwachungsmaßnahmen zu fordern, sollten wir lieber dafür sorgen, dass die Gesetze, die wir haben, ausreichend angewandt werden können und dass dafür ausreichend und gut qualifiziertes und ausgebildetes Personal vorhanden ist.
Aus meiner Sicht sind auch die Vorschläge, die von Bundesjustizminister Maas zu einer Gesetzesvorschrift gegen die Terrorismusfinanzierung gemacht wurden, richtig. Wir warten insoweit auf konkrete Vorschläge. Solche Ansätze sind sicherlich zu unterstützen.
Aber auch in Niedersachsen gibt es viel zu tun. Wir müssen uns verstärkt darum kümmern, muslimische Geistliche auszubilden, um sicherzustellen, dass die Religion nicht von Extremisten missbraucht wird. Mich macht es nachdenklich zu wissen, dass muslimische Geistliche oftmals aus an
deren Ländern stammen, sogar aus anderen Ländern zu uns entsandt werden und die deutsche Gesellschaft gar nicht kennen. Dieser Zustand kann uns doch nicht zufrieden machen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Das öffnet Extremisten Tür und Tor, Religion zu missbrauchen.
Das gilt, verehrter Kollege Onay, auch für die Geistlichen in den Justizvollzugsanstalten. Wir wissen, dass die Brüder Kouachi im Gefängnis radikalisiert wurden. Hier müssen wir stärker hinsehen. Wir müssen schauen, welche Geistliche in den Justizvollzugsanstalten eingesetzt werden, und wir müssen darauf achten, dass auch diese Geistlichen unsere republikanischen Werte und die freiheitliche demokratische Grundordnung verteidigen.
Aber ich erwarte auch von den Moscheegemeinden in Niedersachsen und in Deutschland Präventionskonzepte, die sich damit auseinandersetzen, wie es gelingen kann, junge Menschen von einem Abdriften in den Extremismus abzuhalten. Es ist wichtig, dass beispielsweise die Imame in Frankreich, aber auch die muslimischen Geistlichen in Deutschland nach den Anschlägen sofort gesagt haben „Das ist nicht unser Islam, der das zu vertreten hat!“ und sich klar davon distanziert haben.
Das ist wichtig. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss das Alltagsgeschäft in den Moscheen werden, die jungen Menschen davon abzuhalten, sich in die Hände solcher Irrlichter zu begeben.
Das Land Niedersachsen hat sich ja beim Aufbauen neuer Strukturen in Sachen Beratung und Prävention sehr schwergetan. Ich empfinde das als dramatisch. Die Kollegin Jahns hat hier recht. Herr Minister Pistorius, es ist zu viel Zeit verstrichen, bis nach dem Auslaufen des Konzepts zur Extremismusprävention beim niedersächsischen Verfassungsschutz, das gut gelaufen ist, die Anschlussstrukturen im Sozialministerium geschaffen wurden. Familien, die gesehen haben, dass ihre Söhne in den Extremismus abgleiten, waren über Monate, ja über Jahre ohne Ansprechpartner, ohne die Möglichkeit der Beratung in dieser schwierigen Situation. Es ist klar: Die zwei halben Stellen in Bremen reichen dafür nicht aus.
Ich habe den Eindruck, dass das Sozialministerium derzeit mit dieser Aufgabe noch völlig überfordert ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nach den Anschlägen von Paris gab es weltweite Solidarität. Viele Staatschefs und Regierungsmitglieder haben sich gemeinsam untergehakt und eingereiht
Das werde ich, Frau Präsidentin. - Sie haben sich gemeinsam untergehakt, für Meinungsfreiheit gestritten und „Je suis Charlie!“ gerufen. Ich sage hier sehr deutlich: Nicht an den Worten soll man sie messen, sondern an den Taten! - Ich finde es spannend, dass Vertreter der Regierungen der Türkei, von Russland und von afrikanischen Staaten dort mitgelaufen sind, die in ihren Ländern die Meinungsfreiheit nicht gerade hochhalten.
Lassen Sie uns gemeinsam als Demokraten dafür streiten, dass Meinungsfreiheit, dass unsere republikanischen Werte, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung geachtet werden!
Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Landesregierung hat nun Herr Innenminister Boris Pistorius das Wort. Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich angesichts der furchtbaren Ereignisse von Paris eines vorweg sagen - der Ministerpräsident hat es heute Morgen auch schon zum Ausdruck gebracht -: Die Anschläge haben uns schwer schockiert. Allen Angehörigen der Opfer und der Redaktion gilt unser tiefes, aufrichtiges Mitgefühl. Die Taten waren menschenverachtend - einerseits weil sie das Leben unschuldiger Menschen gekostet haben, andererseits weil speziell der Anschlag auf Charlie Hebdo auch ein Anschlag auf unsere Werte war.
Er zielte auf die Pressefreiheit, ein besonders hohes Gut unserer Verfassung und ein hohes Gut, ohne das unsere freiheitliche Gesellschaft nicht funktionieren würde. Auch deshalb machen uns die Anschläge von Paris tief betroffen.
Die aktuelle Situation für politische Zwecke jedweder Art zu nutzen, halte ich deshalb auch für kleingeistig und in Teilen sogar gefährlich. Wir haben es mit einer ernsten Lage zu tun, in der wir alle gehalten sind, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Schnell kann durch eine unbedachte Äußerung oder Indiskretion an der falschen Stelle die Sicherheit gefährdet werden. Besonnenheit ist das Gebot der Stunde und nicht Aktionismus.
Eines gilt aber vor Paris genauso wie nach Paris: Wir haben es mit einer komplexen sicherheitspolitischen Lage zu tun. In Panik auszubrechen oder übereilt alle möglichen Ängste heraufzubeschwören oder zu bestätigen, ist der falsche Weg bzw. hilft genau den Falschen. Auch der Ruf nach neuen und schärferen Sicherheitsgesetzen bringt uns nicht wirklich weiter.
Ich kann als zuständiger Minister für Niedersachsen sagen, dass die Sicherheitsbehörden hier bei uns ihren Job - sowohl vor als auch nach den Anschlägen - vorbildlich erfüllen. Vor allem ihnen gilt heute mein besonderer Dank.
Lassen Sie mich an dieser Stelle, weil es zweimal angesprochen wurde, ein Wort zu den Datenlöschungen beim Verfassungsschutz sagen. Wir haben es mit 1 422 zur Löschung empfohlenen Datensätzen zu tun, davon 980 im Bereich Islamismus und davon wiederum 550 beanstandete, die zu löschen wären. Nach einer vorläufigen Schätzung ist von den beanstandeten 550 Datensätzen ca. die Hälfte, also 275, dem sogenannten Salafismus zuzuordnen. Von diesen 275 Datensätzen wiederum betrafen ca. 200 die Fallkonstellation „Online-Studierende der Islamschule
Braunschweig“. - Das ist der Stand der Dinge. Gelöscht ist noch gar nichts. Alle Datensätze sind vorhanden und gesperrt, meine Damen und Herren.
Wir wissen seit Längerem, dass sich in Niedersachsen einige Brennpunkte der islamistischen Szene gebildet haben. Neben Hannover und Hildesheim ist dies vor allem der Großraum Braun
schweig. Insbesondere aus dem Raum Wolfsburg stammt ein Großteil der Syrien-Reisenden aus Niedersachsen, die wir besonders wachsam beobachten. Dies sind meist junge Menschen, die sich radikalisieren und von denen, insbesondere wenn sie von Kampfhandlungen aus Syrien oder dem Irak zurückkehren, eine Gefahr ausgeht.
Diese Gefahr ist seit Paris gefühlt näher an uns herangerückt, war aber immer schon da, meine Damen und Herren. Davon habe ich an dieser und an anderer Stelle mehrfach berichtet. In Deutschland besteht nach übereinstimmender Bewertung der Sicherheitsbehörden bereits seit einiger Zeit eine höhere abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit auch in Form von Anschlägen konkretisieren könnte, wie wir in Paris gesehen haben. Derzeit allerdings liegen den Behörden diesbezüglich überall keine konkreten Erkenntnisse vor. Ich wünschte, dass sich die CDU-Fraktion hier im Niedersächsischen Landtag ein klein wenig an der Besonnenheit und Sachlichkeit ihres Bundesinnenministers in dieser Frage orientieren würde.
Wir stellen also durch die Anschläge von Paris keine Veränderung der grundsätzlichen Gefährdung fest. Gleichwohl können diese Ereignisse aber auch als Initial für in Deutschland lebende tatgeneigte Personen wirken. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, wurden nach den Anschlägen von Paris aufgrund bestehender Konzepte bundesweit abgestimmte polizeiliche Sofortmaßnahmen eingeleitet. Unter anderem wurde wegen der Veröffentlichung der Karikaturen Kontakt zu den Medien aufgenommen. Auch wurden in bestimmten Bereichen die Objektschutzmaßnahmen intensiviert.
Mehr als 600 Islamisten aus Deutschland sind nach Erkenntnislage der Bundessicherheitsbehörden inzwischen in Richtung Syrien und Irak ausgereist, um dort - so die Vermutung - an Kampfhandlungen teilzunehmen. Ob sich diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten oder aufgehalten haben, ist nicht in allen Fällen bekannt.
Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung vor Ort haben wir es auch weiterhin mit einer steigenden Tendenz zu tun. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen ist zwischenzeitlich zumindest zeitweise nach Deutschland zurückgekehrt. Die Mehrzahl dieser Rückkehrer hat sich wohl nicht
aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligt. Zu etwa 35 Personen liegen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv im bewaffneten Kampf in Syrien oder im Irak beteiligt haben. Zu ca. 60 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind.
Auch in Niedersachsen sind steigende Zahlen zu verzeichnen. So reisten bislang 40 Personen nach Syrien aus, um sich mutmaßlich am aktiven Kampf zu beteiligen. Sowohl die Anzahl der vermutlichen im Dschihad Getöteten als auch die Zahl der Rückkehrer nach Niedersachsen bewegt sich nach den aktuellen Kenntnissen jeweils im niedrigen einstelligen Bereich.
Wie Sie wissen, hat das LKA bereits im letzten Jahr in Wolfsburg einen Rückkehrer aus Syrien festgenommen. Genau wie die Verhaftung letzte Woche ist dies ein Beleg für den konsequenten Einsatz der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Diese Maßnahme ist trotz des öffentlich gewordenen Sachverhaltes gelungen. - Keine leichte Situation - insbesondere für die Kräfte vor Ort!
Weil die Pressekonferenz letzte Woche immer wieder angesprochen wurde: Es gab an diesem Morgen einen zweiseitigen, sehr reißerisch aufgemachten Bericht der Bild-Zeitung. Der Neuigkeitswert war überschaubar. Gleichzeitig aber hatten wir verständlicherweise eine unüberschaubare Zahl von Presseanfragen, die einzeln zu beantworten und gleichzeitig zu verbinden mit dem Wunsch nach O-Tönen unmöglich war. Deswegen haben wir uns dazu bemüßigt gefühlt, eine kurze Pressekonferenz einzuberufen. Dort haben wir dann dargestellt, dass die Berichterstattung der Bild-Zeitung zum Teil unzutreffend ist, zum einen Teil übertrieben und zum anderen Teil nicht wirklich aktuell.
In dieser Pressekonferenz wurde dann nach den einzelnen Personen gefragt. Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren. Hätte ich oder hätte Herr Kolmey in dieser Pressekonferenz erklären sollen: Meine Damen und Herren, vielen Dank für die Frage. Heute Abend um 18.45 Uhr wird ein SEK in der Straße XY in Wolfsburg stehen und jemanden verhaften? - Meine Damen und Herren, das ist doch absurd!
Das ist doch wirklich an Absurdität nicht mehr zu überbieten! Verantwortungsvoller Umgang mit derartigen Belangen,