Protocol of the Session on September 24, 2014

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Außerdem haben Sie angekündigt, dass Sie die Pro-Kopf-Pauschale anheben wollen. Richtig! Aber wo ist das Gesetz? - Das hätte doch auf der Tagesordnung stehen oder im Verfahren sein können. Es würde reichen, im Aufnahmegesetz eine einzige Zahl zu ändern. Eine einzige Zahl muss geändert werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das könnten Sie als zusätzlichen Artikel an jedes laufende Gesetzgebungsverfahren anhängen. Ich schreibe Ihnen das in fünf Minuten

auf, wenn Sie wollen. Da helfe ich Ihnen gern, Herr Minister.

(Thomas Schremmer [GRÜNE]: Aber in zehn Jahren habt ihr es nicht ge- macht! - Petra Tiemann [SPD]: Zehn Jahre hast du auf dem Stift geses- sen!)

- Hören Sie auf, zu lamentieren, Herr Kollege Schremmer und Frau Kollegin Tiemann. Zuletzt wurde die Pauschale im Jahr 2010 angehoben, nämlich auf 4 986 Euro, wenn ich das richtig im Kopf habe. 2010 hat Schwarz-Gelb regiert. Wir haben seinerzeit die Pauschale angehoben. Insofern können Sie uns hier nicht vorwerfen, dass wir hier nichts getan hätten.

Tun Sie etwas! Legen Sie einen Gesetzentwurf vor! Helfen Sie den Kommunen! Helfen Sie den Flüchtlingen! Sie müssen jetzt handeln, verehrter Herr Minister.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Kollege Oetjen. Auch das war zeitlich eine Punktlandung. - Frau Kollegin Filiz Polat, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben als Nächste das Wort. Bitte schön!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bäumer, ich bedanke mich für Ihr Engagement. Ich habe in der Zeitung darüber gelesen, dass Sie sich vor Ort um die aus dem Irak geflohenen Christen gekümmert haben.

Aber lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen, dass ich mich schon wundere. Wir haben hier im Niedersächsischen Landtag zu Ihrer Regierungszeit sehr, sehr lange über ein humanitäres Aufnahmeprogramm für irakische Flüchtlinge gestritten. Die Flüchtlingslager in Jordanien und im Jemen waren voll. Wir haben auch über die Situation der irakischen Christen gesprochen. Und es war Ihr Innenminister, der sich bis zum Schluss geweigert hat, gegenüber dem Bund ein humanitäres Programm einzufordern. Es mussten erst andere Minister kommen und dieses humanitäre Aufnahmeprogramm auf den Weg bringen. - Das ist die Wahrheit, und das müssen Sie auch anerkennen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt haben wir dieselbe Situation. Ob es um ein humanitäres Aufnahmeprogramm für die Jesiden geht - es ist unser Innenminister, der sich im Bund dafür stark macht, genauso, wie er es für die Syrerinnen und Syrer gemacht hat. Es sind die Innenminister von CDU und CSU, die diese Aufnahmeprogramme bis zum Schluss blockieren, und es ist unredlich, dass Sie dies hier nicht erwähnen, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Deshalb kann ich auch nur feststellen, dass die schwarz-gelbe Flüchtlingspolitik in Niedersachsen orientierungslos ist. Aber das, meine Damen und Herren, bestreitet auch niemand mehr im Land. Sie müssen einmal die Presse lesen. Das hat nicht einmal mehr Ihr damaliger Kapitän David McAllister bestritten. David McAllister - das wissen Sie alle - sagte nach der Abwahl seiner Regierung im Jahr 2013 zur Flüchtlingspolitik Ihrer Landesregierung:

„Das hätte ich nach einem Wahlsieg geändert... Die Leute tun doch niemandem etwas, und wenn man sich die demografische Entwicklung anschaut, müssen wir über jeden froh sein, der kommt.“

Über jeden, meine Damen und Herren! Deswegen unterscheiden wir auch nicht zwischen Flüchtlingen, und wir halten es auch für unredlich, gerade bei der größten anerkannten nationalen Minderheit der Roma und Sinti von Armutsflüchtlingen zu sprechen. Ich war mit vielen Kolleginnen und Kollegen im Kosovo. Dort herrscht systematische Diskriminierung, genauso wie in Serbien, wo mein Kollege Onay kürzlich mit einer Jugendgruppe der Roma und Sinti aus Niedersachsen war.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Herr Bäumer, wir haben Sie mehrfach eingeladen, den Paradigmenwechsel in der niedersächsischen Flüchtlingspolitik zu unterstützen. Aber wenn ich den heutigen Kommentar der CDU zum Rückführungserlass lese, dann wird deutlich, dass wir von Ihrer Seite keine Unterstützung zu erwarten haben. Sie bleiben manövrierunfähig, meine Damen und Herren von der CDU, Sie brauchen Orientierung.

Schauen Sie doch bitte einmal auf die niedersächsische Härtefallkommission! Letzte Woche war Frau Breusing, die Vorsitzende, in der Kommission zu Fragen der Migration und Teilhabe zu Gast. Frau Eilers war auch da. Frau Breusing hat ein Bild

gezeichnet. Die Vertreterinnen und Vertreter der Migrantenorganisationen waren total überrascht, eine Repräsentanz der Härtefallkommission zu erleben, die begeistert war von der Arbeit, trotz der schwierigen Aufgabe, die die Mitglieder der Härtefallkommission zu leisten haben.

An dieser Stelle im Namen unserer Fraktion nochmals herzlichen Dank an die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Härtefallkommission in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Die Härtefallkommission steht exemplarisch für die neue Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, und sie wurde unter Ihrer Regierung, Herr Bäumer, ad absurdum geführt. Sie erinnern sich: Die Kirchen haben protestiert, doch Sie hielten Kurs, trotz mehrfacher Rücktritte von Kommissionsmitgliedern. Herr Dr. Weusmann, der Vertreter der evangelischen Kirche, begründete damals seinen Rücktritt mit den Worten, er müsse als Kirchenvertreter darauf achten, dass humanitäre Gründe den Vorrang haben. Ein Dutzend Vertreter haben in Ihrer Regierungszeit die Kommission unter Protest verlassen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Herr Bäumer, Rot-Grün hat mit seinem Haushaltsänderungsantrag mit Blick auf die gestiegenen Zahlen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern die Mittel für die Flüchtlingssozialarbeit aufgestockt, den Personalschlüssel in den Erstaufnahmeeinrichtungen erhöht und erstmals die Versorgung traumatisierter Flüchtlinge sichergestellt.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch noch einmal betonen: Schon in den Änderungsanträgen der Opposition zum Haushalt 2014 für diesen Fachbereich gilt: Fehlanzeige! Beide Oppositionsfraktionen haben nämlich nichts dazugelernt. Obwohl die Zahlen gestiegen sind, haben Sie in Ihren Haushaltsänderungsanträgen keinen Beitrag zu mehr Humanität der Flüchtlingspolitik in Niedersachsen geleistet. Auch das ist die Wahrheit und muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD - Glocke des Prä- sidenten)

Herr Präsident, mein letzter Satz: Deshalb kann das Land Niedersachsen mit unserer rot-grünen

Landesregierung und mit diesem Innenminister, Herrn Boris Pistorius,

(Jens Nacke [CDU]: Reden Sie mit den Bürgermeistern, Frau Kollegin? Sie haben keine Ahnung, was los ist!)

als diesjähriger Gastgeber des Tags der Deutschen Einheit würdig unter dem Motto „Vereint in Vielfalt“ ein weltoffenes Niedersachsen präsentieren. Herr Ministerpräsident, vielen Dank dafür!

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Vielen Dank, Kollegin Polat. - Für die Landesregierung hat jetzt Herr Innenminister Pistorius das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Stunde, in deren Titel der „Kompass“ - also maritime Sprache - vorkommt, verleitet dazu, das eine oder andere Bild zu bemühen. Ich habe mir das auch überlegt, aber verworfen, weil ich sonst in die Versuchung geraten wäre, über Leichtmatrosen und Klabautermänner zu sprechen, und das wollte ich mir dann doch nicht geben.

(Jens Nacke [CDU]: Ich finde, das Thema ist zu ernst, Herr Minister!)

- Deswegen sage ich das ja. Ihre KompassNummer ist auch nicht gerade von Ernsthaftigkeit geprägt. Denn Sie wissen ganz genau - und das ist Ihr größtes Problem -, dass diese Landesregierung seit anderthalb Jahren einen ganz klaren Kurs in der Flüchtlingspolitik fährt,

(Beifall bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Bleiben Sie mal auf dem Tep- pich! - Reinhold Hilbers [CDU]: Sie sind es doch, die die Familien über Nacht abgeschoben haben! Muss ich das noch einmal wiederholen? - Wei- tere Zurufe von der CDU und von der FDP)

und zwar einen, der leicht erkennbar ist für denjenigen, der zuhören und nicht nur dazwischenrufen will. Das ist sehr einfach. Ich will es Ihnen gern erklären, wenn Sie einen Augenblick zuhören.

Wir fahren einen Kurs, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Bei allen Flüchtlingen aus den verschiedenen Regionen der Welt, die eben be

schrieben wurden, geht es nicht um Zahlen von Menschen und nicht um Massen von Schicksalen, sondern es geht in jedem Einzelfall um ein menschliches Schicksal, um ein Individuum und damit um den Menschen. Diesen Menschen stellen wir in den Mittelpunkt unserer Flüchtlingspolitik. Das ist der wesentliche Unterschied zu dem, was vorher war.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist doch Un- sinn, Herr Minister! Das wissen Sie!)

Zweitens. Wir stellen fest: Wir haben in den ersten anderthalb Jahren schon mehr an Kurswechsel vollbracht, als Sie uns zugetraut haben.

(Jens Nacke [CDU]: Das ist Unsinn, Herr Minister!)

Frau Doris Schröder-Köpf und andere haben es beschrieben. Wir haben die Härtefallkommission reformiert, wir haben in den LABNIs Personal aufgebaut, und wir bauen die Aufnahmekapazitäten weiter aus. Damit hätten Sie im Jahr 2011 schon beginnen können. Damals stiegen die Zahlen schon, aber damals wollten Sie lieber wegschauen. Auch damals waren die Zahlen schon im Anstieg begriffen, und keiner hat sich der Sache angenommen. Wir tun das jetzt mit Hochdruck und werden in diesem Jahr die entsprechenden Entscheidungen auf den Weg bringen. Da seien Sie mal ganz beruhigt.

(Jens Nacke [CDU]: Reden Sie einmal mit den Bürgermeistern!)

- Ach, Herr Nacke, wenn Sie wüssten, wie viel ich mit Bürgermeistern und kommunalen Spitzenverbänden rede! Ich weiß sehr gut, was in den Kommunen los ist.

(Zurufe von der CDU)

Ich weiß, welche Probleme die Kommunen mit der Unterbringung von Flüchtlingen haben, ich weiß, welcher Kostendruck besteht, und ich weiß, wie wichtig es ist, dass wir hier gemeinsam Hilfe anbieten, weil wir sonst, wie es Herr Kretschmann ausgedrückt hat, die fragile Empathie für Flüchtlinge in unserer Bevölkerung infrage stellen oder gefährden. Das kann niemand von uns wollen. Deswegen ist Hilfe angesagt, und die werden wir erbringen.

Aber, meine Damen und Herren von der CDU, viel interessanter ist ja, dass Sie etwas skandalisieren, was es zu Ihrer Zeit offenbar nie gegeben hat oder was in Ihrer Erinnerung infolge einer möglichen temporären Teilamnesie nicht mehr vorkommt: dass es nämlich in einer Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt.

Für mich als jemand, der seit vielen Jahren Politik macht, ist es die normalste Sache der Welt, dass man zu unterschiedlichen Auffassungen gelangt. Wenn ich mir die beiden Fraktionen rechts von mir anschaue: Sie haben zehn Jahre regiert, und ich kann mich gut erinnern, dass es so manche Entscheidung gab, bei der Sie sich im Bundesrat enthalten haben, obwohl die eine Fraktion dafür und die andere dagegen war und man auch dafür oder dagegen hätte stimmen können. Das ist das Normalste der Welt, meine Damen und Herren.

Das zu skandalisieren, ist umso bemerkenswerter vor dem Hintergrund einer Regierungsmehrheit im Landtag und einer Landesregierung, die in der Frage, wie wir Flüchtlingspolitik gestalten wollen, nicht ein Blatt Papier zwischen sich kommen lässt.