Protocol of the Session on July 24, 2014

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat für die CDU-Fraktion Kollegin Bertholdes-Sandrock.

(Unruhe)

- Ich bitte alle, die miteinander reden möchten, das außerhalb des Plenarsaals zu tun, sodass Frau Kollegin Bertholdes-Sandrock Ihre Aufmerksamkeit hat. Das gilt auch für die Gruppen am Ende der Sitzreihen.

(Jürgen Krogmann [SPD]: Entschuldi- gung!)

Vielen Dank. - Frau Bertholdes-Sandrock, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind uns darüber einig, dass wir für den Zusammenhalt einer pluralen Gesellschaft auch ein geistig-moralisches Fundament brauchen, das über bloße rechtliche und verfassungsmäßige Vorgaben hinausgeht, ein Fundament, das Stabilität gibt für alles, was darauf ruht, und das von Dauer ist. Unsere christlichen Kirchen leisten dazu einen großen Beitrag, so z. B. bei der Formulierung elementarer Ansprüche an Gerechtigkeit, Freiheit, Verantwortung, ob nun für den Einzelnen oder gegenüber der Gesellschaft. In einer demokratischen Gesellschaft geschieht die Arbeit der Kirchen offen im Staate, aber ohne Reglementierung durch den Staat.

Die sozialen Einrichtungen in Trägerschaft christlicher Kirchen finden bei den Menschen - unabhängig davon, ob sie konfessionell gebunden sind oder nicht - große Anerkennung, und die Kirchen mobilisieren soziales Engagement von Menschen, die wir sonst vielleicht nicht erreichen würden. Das macht unsere Gesellschaft reicher und humaner.

Nicht zuletzt begleiten die Kirchen die Menschen bei der Herausbildung ihrer persönlichen Glaubensorientierung, ihres Gewissens - ganz wichtig für die Entscheidung zwischen Gut und Böse -, und sie geben Halt da, wo anderes längst versagt.

Sagen Sie nicht, das sind alles Selbstverständlichkeiten. Ich stelle einmal deutlich fest: Dass wir alle das wissen, ist nicht Grund, es im Niedersächsischen Landtag nicht zu sagen, sondern es ist Grund, das gemeinsam zu betonen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist uns auch der Religionsunterricht so wichtig, und zwar für jedes Schuljahr an jeder Schulform, und auch die dafür nötigen Anstrengungen für die Lehrer sind zu bewältigen.

Der Werte- und Normenunterricht soll natürlich im Sinne der Wahlfreiheit der Schüler eine individuelle Alternative sein, aber kein genereller Ersatz, und er soll erst recht nicht den Religionsunterricht ablösen. Auch wenn wir uns darüber einig sind, gibt es ja durchaus solche Diskussionen in der Gesellschaft. Deshalb wollen wir auch bereits vorhandenen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht

weiterentwickeln, vor allem - das sage ich jetzt sehr deutlich - in Anerkennung der zunehmend auch religiösen Pluralität unserer Gesellschaft durch Zuwanderung. Daher ist auch der islamische Religionsunterricht unverzichtbar. Ich bin sehr froh, dass wir gleich nach 2013 mit der geordneten und anerkannten Ausbildung islamischer Lehrkräfte - damals durch den Kultusminister - die Voraussetzungen dafür geschaffen haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Antrag ist nun ein durchaus deutlich veränderter, erweiterter Antrag zu unserem ursprünglichen. Denn in der Anhörung der verschiedenen Religionsgemeinschaften zu unserem Antrag haben wir nicht nur viel Zuspruch erfahren, sondern auch sehr wertvolle Anregungen, wenn auch in der letzten Kultusausschusssitzung praktisch gar nicht über den Änderungsantrag inhaltlich geredet wurde.

Beeindruckt hat uns - gerade von islamischer Seite geäußert - die elementare Feststellung, dass die Vorstellungen von menschlich gutem Leben, auch „gottgefälligem Leben“ genannt - in den verschiedenen Religionen gar nicht so verschieden sind. An sich ist das bei uns auch seit der Aufklärung geistig-kultureller Wert. Man denke etwa an Lessings Parabelstück „Nathan der Weise“, wo der Christ, der Jud und der Muselmann - so heißt es da - zum Schluss Freunde sind und auf Dauer bleiben. Doch das ist in unserer Gesellschaft heute nicht überall Realität, die aktuell ja auch viel bunter und kulturell gemischter ist, als es sich ein Lessing je vorstellen konnte.

Hinzu kommt - auch das spüren wir immer wieder in Begegnungen -, dass Religion in anderen Kulturen oft einen besonders hohen Stellenwert hat. Für gegenseitiges Verstehen sollten die Menschen in Niedersachsen Religiosität in der jeweiligen Andersartigkeit gemeinsam begehen, mindestens kennen lernen, etwa wie neulich beim Fastenbrechen am Ende des Ramadan.

Nach dem Konsens über den Reformationstag als einmaliger gesetzlicher Feiertag 2017 auf Initiative der CDU - den Fraktionen insgesamt sei aber Dank dafür - sollten wir deshalb ernsthaft darüber nachdenken - und wir plädieren dafür -, einen zusätzlichen religiösen Feiertag auf Dauer zu installieren, der genau diesem Anliegen der gegenseitigen Verständigung gerecht wird. Dazu schlagen wir den Buß- und Betttag als Gebetstag der Religionen vor.

Die Institutionalisierung eines solchen festen Feiertags kann unserer Meinung nach mehr bewirken als nur gegenseitige Besuche an den Festtagen der jeweils anderen Religion. Meine Damen und Herren, vom Charakter her ist der Buß- und Bettag auch geeignet, weil die Menschen dort im Bewusstsein eigener Verfehlungen Buße gleich Reue zeigen und in Demut eine entsprechende Verhaltensänderung anstreben. Wir meinen, ein solcher Geist fördert Versöhnung und den ehrlichen Willen, aufeinander zuzugehen und aufeinander einzugehen, in den verschiedenen Religionen und Kulturen. Die Entscheidung von 1995, den Buß- und Bettag zugunsten der Pflegeversicherung zu opfern, könnten wir in Niedersachsen revidieren.

Meine Damen und Herren, das mögliche Gegenargument der religiösen Neutralität des Staates steht der Einführung eines zusätzlichen religiösen Feiertags nicht entgegen. Denn religiöse Neutralität heißt ausdrücklich nicht Unterstützung oder gar Privilegierung von Antireligiösem; denn dann wäre ja alles Religiöse benachteiligt, und der Staat wäre eben nicht mehr neutral. Und sage nun auch niemand, ein religiöser Feiertag sei unmodern in unserer ach so modernen Welt! Im Gegenteil: Die moderne Gesellschaft mit ihrer Tendenz zur Verweltlichung hat sich längst auch in Teilen gewandelt. Die Menschen haben nach Abkehr von verbindlichen Normen mit der Folge einer teilweisen Verunsicherung und Orientierungslosigkeit wieder verstärkt das Bedürfnis nach Halt und Bindung. Und was gibt mehr Bindung als die Religion? Religio: lateinisch für „Bindung“.

Insofern, meine Damen und Herren, wäre die postmoderne Gesellschaft durch einen religiösen Feiertag bereichert, allerdings mit dieser von mir beschriebenen zukunftsorientierten Zielsetzung, die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen in unserem Lande zusammenzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Und - ich betone das - Integration heißt eben nicht, dass alle in einer Gesellschaft, die auf christlichen Fundamenten basiert wie unsere, nun auch Christen werden sollen - beileibe nicht! -, sondern heißt, dass sie sich in ihrer Verschiedenartigkeit annehmen und auf Dauer in Frieden leben - ohne permanentes Misstrauen.

Meine Damen und Herren, deshalb - das sage ich auch ganz deutlich - dürfen Religion und Religionsausübung auch im religiös neutralen Staate nicht ins Private abgedrängt werden, sondern müssen im öffentlichen Raum stattfinden - mit

einem offenen Diskurs, dem sich die Vertreter aller Religionen und Weltanschauungen zu stellen haben. Das ist ganz wichtig. Religiöse Erziehung in Hinterzimmern nährt Misstrauen, weil man dann nie genau weiß, was passiert, und kann ohne kritischen Diskurs mit Andersdenkenden auch Fundamentalismus fördern.

Die derzeitige Situation im Nahen Osten, die Hasstiraden gegen Juden, von denen gestern die Rede war, jüngst auch bei uns in Niedersachsen - ein anderes Mal geht es gegen Vertreter des Islam, in manchen Ländern gegen die Christen: Alles dies zeigt, dass als dauerhafte Aufgabe mehr Verständigung nötig ist. - Genau das wäre Auftrag eines Gebetstages der Religionen am gesetzlichen Feiertag Buß- und Bettag.

(Glocke des Präsidenten)

Mancher sagt vielleicht, so ein Feiertag sei nicht durchsetzbar. - Ja, Widerstände wird es geben. Aber die Frage ist doch: Wer reicht anderen die Hand? Wer tut etwas für religiösen Dialog, und wer sorgt für Transparenz? - Das wollen wir sein - zusammen mit Ihnen; auch mit denen, die jetzt nicht zuhören - mit dem Ziel, dass die verschiedenen Religionen und Kulturen zusammengeführt werden und alle Bewohner in diesem Lande unabhängig von ihrer Herkunft in Niedersachsen eine gute und eine sichere Zukunft haben. Genau deshalb bitte ich Sie alle um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Grascha das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich für meine Fraktion betonen, dass wir es bedauern, dass es bei diesem wichtigen Thema, bei diesem grundsätzlichen Thema zu keiner gemeinsamen Initiative gekommen ist, zumal das Thema „Verhältnis von Staat und Kirche und die Rolle der Kirche in unserer Gesellschaft“ ein sehr wichtiges und bedeutendes Thema ist und es schon das richtige Signal gewesen wäre, hierzu eine gemeinsame Initiative vorzulegen. Dazu ist es nun leider nicht gekommen.

Ich finde aber, dass dieses Thema nicht in die tagespolitische Auseinandersetzung zwischen die

Fraktionen gehört. Deswegen sollte man für die Zukunft überlegen, ob man solche Themen nicht auch dadurch aufgreifen kann, dass einzelne Abgeordnete von unterschiedlichen Fraktionen hier einen Antrag stellen können. Entsprechendes sieht die Geschäftsordnung vor. Dann kann jeder frei entscheiden, und wir können hier eine Gewissensentscheidung zu diesem Thema herbeiführen.

Zum Antrag der CDU-Fraktion und zum Änderungsantrag habe ich die grundsätzliche Einordnung für meine Fraktion aus liberaler Sicht schon bei der ersten Beratung vollzogen. Ich möchte deshalb gerne auf zwei konkrete Punkte eingehen.

Erstens der angesprochene Religionsunterricht. Den Punkten 5 und 6 im CDU-Antrag stimmen wir selbstverständlich zu. Am konfessionellen Religionsunterricht darf nicht gerüttelt werden. „Werte und Normen“ ist im Sinne der Wahlfreiheit selbstverständlich eine Alternative, aber nicht ersetzend. Im Grundsatz bin auch ich für einen konfessionellkooperativen Religionsunterricht. Allein schon die demografische Entwicklung wird uns dazu zwingen, zu neuen Modellen zu kommen. Wir werden in Zukunft immer weniger Schüler haben. Und die wenigen Schüler, die wir haben, werden dann auch noch unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe haben. Deswegen wird man da zu neuen Modellen kommen müssen.

Auf dem Weg zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht - die Kollegin Bertholdes-Sandrock hat eben noch einmal auf den islamischen Religionsunterricht und auf die Integration des islamischen Religionsunterrichts hingewiesen - werden natürlich viele Fragen aufgeworfen, die wir noch beantworten müssen. Was genau soll beispielsweise in einem solchen Unterricht vermittelt werden? In welchem Verhältnis sollen die spezifischen Glaubensinhalte der einzelnen Konfessionen gelehrt werden? Wer bildet die Lehrer aus? Wer entscheidet über den Lehrauftrag? - Das alles sind Fragen, deren Beantwortung dann, wenn man in die Tiefe geht, schwierig ist und die im Detail Diskussionen nach sich ziehen wird.

Aber hier sehe ich insbesondere auch die rotgrüne Mehrheit im Haus gefragt. Sie haben bisher in der Debatte sowohl im Ausschuss als auch in der ersten Beratung vielfach nur gesagt, was Ihnen an dem CDU-Antrag nicht gefällt. Ich würde mir wünschen, dass wir insbesondere vor dem Hintergrund Ihres Koalitionsvertrages - darin steht, Sie wollen den Religionsunterricht entsprechend weiterentwickeln - bei der Mehrheit dieses Hauses zu

Antworten kommen. Da müssen Sie noch nachliefern. Da sind Sie bisher die Antworten noch schuldig geblieben. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf die Vorschläge, die da kommen.

(Heinrich Scholing [GRÜNE]: Das machen wir!)

Der zweite Punkt bezieht sich auf die Diskussion um den zusätzlichen Feiertag. Meine grundsätzliche Skepsis zu dieser Frage habe ich schon in der ersten Beratung zum Ausdruck gebracht. Ich bin der festen Überzeugung, dass die zurückgehende kirchliche Akzeptanz nicht mit einem zusätzlichen Feiertag zu heilen ist. Für viele Menschen wäre das nur ein weiterer, zusätzlicher Feiertag und weiterer arbeitsfreier Tag. Deswegen springt diese Debatte zu kurz.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nach dem Reformationstag gibt es jetzt einen zweiten Vorschlag der CDU-Fraktion, den Buß- und Bettag zu einem Gebetstag der Religionen umzuwandeln und ihn als gesetzlichen Feiertag zu etablieren. Im Prinzip hört sich das charmant an und ist sicherlich auch überlegenswert. Ich glaube aber, dass diese Initiative von den Kirchen und von den Religionsgemeinschaften ausgehen sollte und nicht von uns hier quasi übers Knie gebrochen werden und der Landtag so etwas einfach beschließen sollte.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Schluss.

Ich habe es auch in der ersten Beratung betont: Trotz vieler richtiger und wichtiger Punkte in diesem Antrag werden wir als FDP-Fraktion der Beschlussempfehlung des Ausschusses folgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Grascha. - Auf Ihre Ausführungen gibt es eine Kurzintervention von der Kollegin Frau Bertholdes-Sandrock. Bitte!

Herr Kollege Grascha, ich möchte auf Zweierlei aufmerksam machen. Zum einen haben Sie am Anfang gesagt, es wäre vielleicht gut, wenn es auch Anträge von einzelnen Abgeordneten der