Protocol of the Session on March 28, 2014

Die Summen für die Versicherungen sind in den letzten Jahren von wenigen Hundert auf über 5 000 Euro im Jahr angestiegen. Niedergelassene ärztliche Geburtshelfer müssen nach Auskünften des Berufsverbandes der Frauenärzte bei einer Vergütung von 200 Euro pro natürlicher Geburt 240 Geburten im Jahr begleiten, um überhaupt ihre Haftpflichtsumme von knapp 50 000 Euro pro Jahr begleichen zu können.

Bei sinkenden Geburtenraten hat das in ländlichen Gebieten zum Teil bereits dazu geführt, dass keine ärztliche Geburtshilfe mehr angeboten wird und die Frauen geplant und rechtzeitig in die nächste größere Stadt fahren müssen, um unter der Geburt eine fachkundige Unterstützung zu bekommen.

Verdienst und Absicherung sind inzwischen in einem solchen Missverhältnis, dass Hebammen die Geburtshilfe aufgeben und junge Frauen diesen Beruf aus guten Gründen nicht mehr ergreifen wollen. Wer erst einmal drei Monate arbeiten muss, um seine Haftpflichtversicherung bezahlen zu können, bevor der erste Cent zum Leben übrig bleibt, der hat den falschen Beruf - oder das System stimmt nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir wissen, dass Hebammen einen leichteren und besseren Zugang als andere Berufsgruppen zu Familien mit besonderen sozialen Schwierigkeiten haben. Als Familienhebammen begleiten sie die Mütter ein Jahr lang. Dies hat zur Vermeidung von Kindesmisshandlungen, Familienkonflikten und familiärer Gewalt aus Überforderung geführt. Darauf können und wollen wir nicht verzichten.

(Zustimmung)

Familienhebammen sind in Niedersachsen wesentlicher Bestandteil aktiver Vorsorge für Kinder. Frauen sollen frei wählen können, ob sie im Krankenhaus, zu Hause oder in einem Geburtshaus entbinden. Das ist aber nur möglich, wenn es überhaupt noch Hebammen gibt und sie auch auf dem Lande verfügbar sind.

Wir haben schon vor einigen Jahren die Entwicklungen in den USA zur Kenntnis nehmen müssen, wo durch eine stetig steigende Anzahl an Klagen und stetig steigende Schadensersatzsummen in vielen Gegenden - gerade auch auf dem Lande - keine geburtshilfliche Versorgung mehr stattfindet und mehr als drei Viertel aller Geburtshelfer schon mindestens eine Klage abzuwehren hatten. In einigen Bundesstaaten wurden - beispielsweise in Utah, und zwar schon in 2005, also vor fast zehn Jahren - Gesetze erlassen, die regeln, wie und unter welchen Umständen Laienhebammen zum Einsatz kommen können. Denn die können nicht verklagt werden. Das ist eine geradezu perverse Entwicklung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Da gibt es hoch qualifizierte Menschen, die Frauen vor und unter der Geburt begleiten und unterstützen können - und stattdessen kommen Laien zum Einsatz, weil die Versicherungen nicht mehr bezahlbar sind oder schon gar keine Policen für die Heilberufe mehr ausgegeben werden.

Auch wenn der Vergleich mit den USA in einigen Punkten schwierig ist: Selbst in Deutschland gibt es Gegenden, die nicht mehr mit Hebammen und/oder ärztlichen Geburtshelfern versorgt sind. Hebammen können sich voraussichtlich ab dem nächsten Jahr nicht mehr versichern, weil nur noch zwei Unternehmen auf diesem Feld tätig sind und damit die Prämien noch einmal ansteigen werden. Auch ärztliche Geburtshelfer finden immer weniger Versicherer.

Dabei bleiben die tatsächlichen Gesamtschadenssummen für einzelne Versicherungsgruppen im Dunkeln, weil diese darüber keine Auskunft erteilen, wie jüngst eine Recherche des Deutschen Ärzteblattes ergeben hat.

Die Schlussfolgerung für uns ist: Bei uns in Deutschland ist die flächendeckende Versorgung von geburtshilflicher Unterstützung schon länger nicht mehr gewährleistet, die Wahlfreiheit für Frauen, wo und mit wessen Hilfe sie ihre Kinder bekommen möchten, ist nicht gegeben, und das große gelungene Vorsorgeprojekt, um Kinder zu schützen - die Familienhebammen -, steht vor dem Aus. Wir fordern daher mit allem Nachdruck, den Beruf der Hebammen zu stärken, indem die Bezahlung verbessert wird, und die brandgefährliche Situation für die Hebammen, ihren Beruf nicht mehr ausüben zu können, zu entschärfen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir brauchen in Niedersachsen dringend Zahlen über das Tätigkeitsfeld und das Leistungsspektrum von Hebammen und eine bundeseinheitliche Statistik. Die Wahlfreiheit für schwangere Frauen muss erhalten und gestärkt werden. Das ist ein Frauenrecht. Wie die geschätzte Kollegin Dr. Silke Lesemann in einer fundierten historischen Arbeit vor einigen Jahren herausgefunden hat, haben dafür auch schon die Frauen im 18. und 19. Jahrhundert gekämpft.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Arbeit der Familienhebammen ist unverzichtbar und muss erhalten bleiben. Wir fordern die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für alternative Versicherungsmodelle einzusetzen. In der Diskussion ist eine Modifizierung der gesetzlichen Unfallversicherung oder eine Begrenzung der Schadenssumme für Versicherer samt Schaffung eines steuerfinanzierten Fonds, der die Restsumme ausgleicht.

Wir möchten in der nächsten Ausschusssitzung durch die Landesregierung detailliert über die vorhandenen Modelle unterrichtet werden, die zur Lösung der Probleme beitragen können.

Für die Hebammen ist die aktuelle Situation existenzgefährdend. Aber die Problematik gilt für alle Gesundheitsberufe. Insofern geht es um eine generelle Neuausrichtung der Risikoabsicherung für Gesundheitsberufe.

Ärgerlich ist, dass bereits viel Zeit verschwendet wurde. Spätestens seit dem Jahr 2005 wussten wir, wohin die Entwicklung geht. Geschehen ist praktisch nichts. Liberale Politiker müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die freien Kräfte des Versicherungsmarktes zu einer Situation führen, in der eine besonders schützenswerte Gruppe, nämlich gebärende Frauen und ihre Kinder, nicht qualifiziert versorgt werden kann,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

und dass zwei FDP-Gesundheitsminister und junge Väter diese Entwicklung nicht gestoppt haben.

(Glocke des Präsidenten)

Ich komme zum Schluss. - Der neue Bundesgesundheitsminister hat keine Zeit. Er muss schnell handeln. Wir in Niedersachsen erwarten, dass

auch die geburtshilfliche Versorgung in den Gesundheitsregionen ein Thema ist.

Ich sehe der Auseinandersetzung im Ausschuss mit Interesse entgegen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Wernstedt. - Für die CDUFraktion erteile ich dem Abgeordneten Norbert Böhlke das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die in dem vorliegenden Entschließungsantrag formulierte Forderung, flächendeckende Geburtshilfe in Niedersachsen nachhaltig zu sichern, wird zweifelsohne von allen Fraktionen des Niedersächsischen Landtages unterstützt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

In den vergangenen Wochen und Monaten haben alle sozialpolitischen Sprecher deutlich eine zukunftsfeste berufliche Perspektive für die Hebammen in Deutschland und besonders in Niedersachsen gefordert. Denn nicht erst seit gestern weisen die betroffenen Hebammen mit ihren Repräsentanten und Verbänden auf den unausweichlichen Zusammenbruch in der Geburtshilfe hin - er ist deutlich erkennbar -, der sich nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit abzeichnet, wenn nicht kurzfristig konkrete Lösungen verwirklicht werden.

Es ist in gewisser Weise grotesk, dass die modernen Möglichkeiten zur Therapie und Heilung von Geburtsschäden zu einem starken Anstieg der Entschädigungssummen geführt haben, während gleichzeitig die Zahl der verletzten Neugeborenen rückläufig ist. Ich denke, hier gilt wirklich: Hebammen sorgen für das Leben, haben aber durch die Entwicklung in ihrem Beruf bald selber nicht mehr genug zum Leben.

Deshalb wollen wir auch öffentlich Druck machen. Die Aktualität des Themas fordert eine konkrete Absicherung von Geburtshilfesituationen. Daher begrüßen wir auch die Einrichtung der interministeriellen Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesgesundheitsministers, der hoffentlich mit Hoch

druck an umfassenden Lösungsansätzen arbeitet. Die Ankündigung des Bundesgesundheitsministers, bis zum Sommer eine tragfähige zukunftsfeste Lösung zu präsentieren, ist für uns eine verbindliche Zusage, an der wir unsere in Berlin Verantwortlichen auch messen werden.

(Beifall bei der CDU)

Ebenso begrüßen wir die im vorliegenden Antrag genannte Schaffung eines steuerfinanzierten Haftungsfonds, durch den die über die Haftungshöchstgrenzen hinausgehenden Schäden steuerfinanziert bezahlt werden können. Dies ist schon seit Langem eine Forderung der CDU-Landtagsfraktion, der sich erfreulicherweise im Antragstext auch Rot-Grün anschließt.

(Beifall bei der CDU)

SPD und Grüne möchten in diesem Antrag prüfen, inwieweit die Berufshaftpflicht für Geburtshilfe in die gesetzliche Unfallversicherung überführt werden kann. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, lässt aufhorchen, und ich möchte ein bisschen despektierlich anmerken: Wie Sie wahrscheinlich auch, habe ich im Zusammenhang mit Schwangerschaften natürlich auch schon häufiger gehört, dass da ein Unfall passiert ist. Der Unfall ist aber meistens am Anfang einer Schwangerschaft passiert und ganz selten zum Ende, wenn es um die Geburt geht. Diese Unfälle sind natürlich ein Stichwort, aber sie können nicht bedeuten, dass die gesetzliche Unfallversicherung, wie es jetzt als Prüfantrag formuliert ist, auch die verunfallte Person, die einen finanziellen Ausgleich für Unfall und deren Folgen erhält, mit Haftungsfragen konfrontiert.

Ob die Thematik der Haftung mit der gesetzlichen Unfallversicherung im Einklang steht, ist für mich wirklich sehr fraglich. Ich denke, das muss im Ausschuss sehr ausführlich diskutiert werden. Auch wenn es nur ein Prüfauftrag ist, meine Damen und Herren: Unsinnige Prüfaufträge sollten wir nicht formulieren.

Im Januar wurde von der Gesundheitsministerin eine Mündliche Anfrage von den CDU-Abgeordneten Mohr, Matthiesen und Böhlke beantwortet und im Februar eine ähnlich gelagerte Mündliche Anfrage von zwei Landtagskollegen der Grünen. Die Antworten auf gleichlautende Anfragen sind sehr interessant. Ich möchte sie Ihnen hier kurz präsentieren:

Wir von der CDU fragten -- es war die erste Frage -:

„Wie beurteilt die Landesregierung die Versorgung durch die niedersächsische Bevölkerung mit freiberuflichen Hebammenleistungen?“

Daraufhin antwortet unsere Ministerin, Frau Rundt:

„Der Niedersächsischen Landesregierung obliegt kein ‚Sicherstellungsauftrag’ für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung mit freiberuflichen Hebammen in Niedersachsen. Es gibt keine Vorschriften, die die Anzahl der Hebammen an einem Ort beschränken oder die vorsehen, dass eine Leistungserbringerin nur in einem bestimmten Bereich tätig werden darf.

Nur diejenigen freiberuflich tätigen Hebammen sind zur Leistungserbringung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen, für die die Verträge... kraft Mitgliedschaft in einem vertragsschließenden Verband oder kraft Beitritt zu den Verträgen gelten.

Nach Informationen der AOK Niedersachsen und der vdek Landesvertretung liegen dort keine Hinweise zu Versorgungslücken vor.“

So die Ministerin im Januar.

(Glocke des Präsidenten)

Auf die konkrete Frage der Grünen hingegen

„Wie beurteilt die Landesregierung die Auswirkungen der Ankündigung der Nürnberger Versicherung auf Hausgeburten mithilfe freiberuflicher Hebammen und Geburten in Krankenhäusern mit Beleghebammen?“