Wenn man Reformbedarf anerkannt hat, kann man diesen Reformbedarf auf unterschiedliche Art und Weise voranbringen. Aus meiner Sicht gibt es mindestens zwei Möglichkeiten.
Die eine ist, dass man es als Landesregierung hinter verschlossenen Türen macht. Für diesen Weg hat sich diese Landesregierung entschieden, indem sie eine Kommission eingesetzt hat, die, wie sie das in ihrem Koalitionsvertrag auch beschrieben hat, paritätisch besetzt ist. Mit „paritätisch besetzt“ ist - das haben wir auch im Ausschuss hinlänglich gehört - natürlich gemeint: parteipolitisch paritätisch besetzt. Nun hat man diese Kommission eingesetzt, die hinter verschlossenen Türen diesen Reformbedarf bearbeiten, diskutieren und am Ende voranbringen will.
In dieser Kommission ist auch die Präsidentin des Verfassungsschutzes Mitglied. Es ist ein bemerkenswerter Umstand, dass diejenige, deren Behörde reformiert werden soll, dort an entscheidender Stelle mitwirkt. Ich finde, das ist ein bemerkenswerter Vorgang, der zumindest Fragen aufwirft.
Der zweite Weg, auf dem man eine solche Reform voranbringen kann, ist eine offene und transparente Erarbeitung im parlamentarischen Verfahren. Genau diesen Weg beschreiten wir mit unserem Vorschlag zur Einsetzung einer Enquetekommission. Neben den vielen Detailfragen, die auch im Antrag der CDU völlig zu Recht ausführlich angesprochen worden sind, steht dahinter das Ziel, den Verfassungsschutz auf eine breite parlamentari
sche Basis zu stellen und eine öffentliche Diskussion, eine pluralistische Diskussion sowohl unter Einbeziehung aller im Landtag vertretenen Parteien und ihrer Landtagsfraktionen als auch unter Einbeziehung entsprechender Sachverständiger durchzuführen. Ziel ist es, durch eine solche breite öffentliche Diskussion mit Sachverständigen das verloren gegangene Vertrauen in die Verfassungsschutzbehörden wiederherzustellen.
Da verstehe ich die Position der Landesregierung und der Regierungsfraktionen nicht. Warum verwehren Sie sich diesem Weg - zumindest waren die Äußerungen bisher so; vielleicht ergibt sich im weiteren parlamentarischen Verlauf ja noch etwas anderes -, obwohl dieser gerade Ihrem Transparenz- und Politikanspruch entspricht, den Sie hier immer wieder betonen? - In den letzten Wochen und Monaten tun Sie das übrigens etwas weniger. Am Anfang war das noch stärker. Offensichtlich hat die Macht doch zu viel Attraktivität auf Sie ausgeübt, als dass Sie Ihre Ansprüche realisieren wollten. Aber warum realisieren Sie nicht tatsächlich diesen Transparenz- und Politikanspruch, den Sie hier einmal formuliert haben? - Damit könnten Sie auch ein Zeichen setzen, dass Ihnen tatsächlich an einer ehrlichen und offenen parlamentarischen Zusammenarbeit gelegen ist, die Sie sonst auch immer propagieren. Wenn es darauf ankommt, ist davon aber nicht mehr die Rede, sondern wir hören dann sehr einseitige und parteipolitisch geprägte Statements von Ihnen.
Man hält diesen Anträgen dann entgegen, eine solche Enquetekommission sei zwar ganz nett, man habe aber Probleme mit dem Geheimschutz. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir in der Lage sind, die Geschäftsordnung einer Enquetekommission so zu gestalten, dass die Geheimschutz- und Vertraulichkeitsvorschriften eingehalten werden, wenn geheime und vertrauliche Sachverhalte erörtert werden. Genauso, wie das auch bei Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sichergestellt sein muss, wird das selbstverständlich auch bei einer Enquetekommission möglich sein. Das ist also ein vorgeschobenes Argument, das überhaupt nicht trägt und einem Transparenzanspruch nicht entgegengehalten werden kann.
Ich fordere die Landesregierung, aber auch die Regierungsfraktionen auf - der eine oder andere hat sich hier auch schon als „Regierungsabgeord
neter“ bezeichnet; deshalb ist das eine zutreffende Beschreibung, denke ich -, sich hier tatsächlich einem offenen und transparenten Reformprozess zu stellen, den eigenen Ansprüchen zu folgen und dem auch entsprechende Taten folgen zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier aber noch einen zweiten Punkt ansprechen, weil ich gestern Abend bzw. heute Morgen darüber mittelmäßig irritiert und erschüttert war, nämlich dass wir am Tage einer parlamentarischen Diskussion über die Anträge von CDU-Fraktion und FDP-Fraktion auf Einsetzung einer Enquetekommission von der Präsidentin des Verfassungsschutzes,
also einer Beamtin, die der vom Minister eingesetzten Kommission angehört, die Bemerkung zu hören bekommen, dass sie eine solche parlamentarische Kommission nicht für notwendig hält.
Meine Damen und Herren, was mir wirklich Sorge bereitet, ist das Selbstverständnis, das dahintersteckt.
Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten bei der Kommentierung der Amtsführung durch die Präsidentin gut überlegt zurückgehalten. Aber dieser Punkt schlägt wirklich dem Fass den Boden aus.
Wenn der Minister am Tage vor einer solchen Debatte so etwas sagen würde, wäre das schon kritisch genug. Wenn es aber eine Beamtin vor einer parlamentarischen Debatte sagt, dann zeigt das, dass hier eine mangelnde Akzeptanz der parlamentarischen Tätigkeit gegeben ist und kein Respekt vor der Tätigkeit der Oppositionsfraktionen besteht.
Das trägt ja weiter. Wie weit her ist es denn mit der Akzeptanz der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes durch die Präsidentin, durch die Amtsleiterin?
(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU - Mechthild Ross-Luttmann [CDU]: Das ist eine Missachtung des Parlaments!)
dass hier die ausreichende Achtung des Parlamentes gegeben ist, und habe Sorge, dass an dieser Stelle tatsächlich - so wie von einigen hier schon immer befürchtet - eine parteipolitische Amtsführung stattfindet, die die parlamentarischen Gremien nicht ernst nimmt, und dass man am Ende - das bestätigt der Ansatz der Landesregierung, das alles durch interne Kommissionen vorzubereiten - den Verfassungsschutz zum parteipolitischen Instrument umgestalten will.
Vielen Dank. - Zur Einbringung des Antrags der CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Nacke das Wort. Bitte!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in Deutschland in einem freien und demokratischen Land. Wir alle können uns glücklich schätzen, in einem solchen Land leben zu dürfen; denn das, was wir in Deutschland dürfen und an Freiheit genießen können, ist in anderen Ländern dieser Welt weiß Gott nicht selbstverständlich.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in der fast 70-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch gelernt: Unsere Demokratie muss wehrhaft sein. Unsere Demokratie muss sich gegen ihre Feinde verteidigen.
Wenn jemand dazu aufruft, dass eine Veranstaltung abgehalten werden soll, in der eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus stattfinden soll, ja, dann möchte ich, dass es eine Behörde des Innenministers gibt, die hinschaut, was da passiert, und die das dann auch festhält. Wenn jemand aus falsch verstandener religiös motivierter Ideologie beispielsweise die Unterdrückung von Frauen predigt, dann möchte ich, dass man hinschaut, was dort passiert und was dort sonst so veranstaltet wird. Oder wenn jemand den Anschlägen auf Bundeswehreinrichtungen das Wort redet und dort Bundeswehrmate
rial zerstören will - ich sehe einige Vertreter der Bundeswehr oben auf der Besuchertribüne sitzen -, dann möchte ich, dass hingeschaut wird, was dort passiert.
Auch dann, wenn hier in Hannover die CeBIT und die Hannover Messe veranstaltet werden und Personen, die der Industriespionage verdächtig sein könnten, bei einem Hannoveraner ein und aus gehen, möchte ich, dass es eine Einrichtung, nämlich den Verfassungsschutz, gibt, der hinschaut.
Deswegen bekennt sich die CDU ganz klar zum Verfassungsschutz. Wir brauchen den Verfassungsschutz, und wir wollen den Verfassungsschutz, auch in Niedersachsen.
Deshalb ist es vernünftig, zum jetzigen Zeitpunkt auch mit Blick auf den Untersuchungsausschuss zum NSU über den Verfassungsschutz neu nachzudenken. Die technischen Möglichkeiten haben sich gewandelt. Damit werden wir derzeit regelmäßig, insbesondere was die Überwachung anderer Dienste betrifft, in den Nachrichten konfrontiert.
Deswegen müssen wir darüber sprechen: Was sind die Aufgaben und Grenzen, die den Verfassungsschutz begleiten? Was darf er, was muss er leisten, und was darf und soll er nicht tun? Welche technischen Möglichkeiten hat er, und wie begegnet er den technischen Möglichkeiten, die die Feinde nutzen und haben?
Und ja: Insbesondere sollten wir auch darüber sprechen, welche Form von Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutz betreibt. Denn eines der Hauptprobleme bei der aktuellen Diskussion war nach meiner Auffassung, dass immer dann, wenn es heißt, der Verfassungsschutz führt eine Akte, sofort ein Film ablief, auch in der Öffentlichkeit, als ob da Schlapphüte hinter Bäumen stehen, schauen, mit wem man sich trifft, Telefone abhören usw. usw. Aber nichts von alldem ist passiert. Es wird gesammelt. Es wird ein öffentliches Dokument gesammelt und geguckt: Wer ist dafür verantwortlich, und was macht er eigentlich sonst so? - Das ist das, wenn der Verfassungsschutz eine Akte führt. Wo ist das Problem? - Selbstverständlich muss so etwas durchgeführt werden, wenn ein verfassungsfeindlicher Inhalt in diesem Dokument erkennbar ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es stellt sich also die Frage: Warum tun sich insbesondere SPD und Grüne in diesem Hause dann so schwer mit diesen Fragen? - Der Grund ist relativ einfach: Im Gegensatz zu den bürgerlichen Parteien trennt die linken Parteien an ihrem linken Rand eben keine saubere Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit. Das ist Ihr Kernproblem.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Johanne Modder [SPD]: Was? Das ist eine Ungeheuerlichkeit! - Petra Tie- mann [SPD]: Das ist ja unglaublich! - Zuruf von der SPD: Das ist eine Un- verschämtheit! - Weitere Zurufe - Un- ruhe - Glocke der Präsidentin)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies gilt insbesondere für die Partei der Grünen. Der Widerstand gegen das Schweinesystem ist eben eine der Wurzeln, aus denen auch Ihre Partei entstanden ist. Ihre Frontfiguren, Ihre Ikonen - Jürgen Trittin oder Joschka Fischer - kokettieren bis heute damit, dass sie zu Anfang ihrer politischen Arbeit verfassungsfeindliche Tendenzen verfolgt haben.
So, wie Sie auch andere bedenkliche Punkte Ihrer Vergangenheit nicht sauber aufarbeiten, haben Sie auch hier Nachholbedarf.
Herr Kollege Limburg, wenn Sie sich hier vor dem Plenarsaal vor die Journalisten stellen, sich echauffieren und sagen: „Mit diesem Verfassungsschutz in Niedersachsen kann etwas nicht stimmen. Allen Ernstes überwacht er doch Mitarbeiter von Abgeordneten der Grünen“, dann sage ich Ihnen: Mit den Grünen kann etwas nicht stimmen, wenn der Verfassungsschutz verpflichtet ist, Abgeordnete und Mitarbeiter von den Grünen an dieser Stelle zu überprüfen.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Miriam Staudte [GRÜNE]: Wie bitte? - Johanne Modder [SPD]: Herr Nacke! - Ulrich Watermann [SPD]: Das ist eine Ungeheuerlichkeit! - Weitere Zurufe - Unruhe - Glocke der Präsidentin)