Protocol of the Session on June 15, 2017

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!)

Tagesordnungspunkt 27: Mitteilungen des Präsidenten

Das Plenum ist ordentlich besetzt. Wir dürfen die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Geburtstag hat unsere Kollegin Almuth von BelowNeufeldt. Sie ist heute aber leider krankheitsbedingt abwesend. Ich übermittle ihr im Namen des ganzen Hauses herzliche Glückwünsche und Genesungswünsche.

(Beifall)

Ein weiteres Geburtstagskind im Hause ist anwesend, Herr Staatssekretär Dr. Mielke. Sie haben heute Geburtstag. Ganz herzlichen Glückwunsch im Namen des Hauses!

(Beifall)

Ihnen persönlich alles Gute, Gesundheit, Glück, viel Schaffenskraft und mindestens ein gutes weiteres Lebensjahr!

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 28, den Dringlichen Anfragen. Anschließend behandeln wir vereinbarungsgemäß den verbliebenen Antrag zur Aktuellen Stunde; das ist der Tagesordnungspunkt 12 a. Sie erinnern sich sicherlich. Danach fahren wir in der Reihenfolge der Tagesordnung fort mit den Ausnahmen, dass wir Tagesordnungspunkt 36 bereits gestern behandelt haben und dass wir anstelle des bereits am Dienstag behandelten Tagesordnungspunktes 39 heute noch den Tagesordnungspunkt 9 besprechen wollen. Die Sitzung soll gegen 18.55 Uhr enden.

Die uns zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer Herr Onay mit.

Es haben sich entschuldigt: von der Fraktion der CDU Herr Clemens Lammerskitten, Herr Adrian

Mohr und Frau Mechthild Ross-Luttmann sowie von der Fraktion der FDP Frau Almuth von BelowNeufeldt.

Vielen Dank, Herr Onay. - Meine Damen und Herren, bevor wir gleich in die Tagesordnung eintreten - wir beginnen ja mit den Dringlichen Anfragen - liegt eine Wortmeldung des Kollegen Dr. Stefan Birkner vor. Er möchte angesichts des gestrigen Debattenverlaufes zu einem bestimmten Punkt eine persönliche Erklärung abgeben. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Bajus hat gestern unter dem Tagesordnungspunkt 24 „Klarheit, Wahrheit, Transparenz: Landesregierung muss ‚SevesoVerdacht‘ im Fall Ritterhude gutachterlich untersuchen lassen“ geäußert, dass die Überwachungstätigkeit der Gewerbeaufsichtsverwaltung unter der früheren Regierung - insbesondere mit Bezug auf mich und damit natürlich auch mit Bezug auf den kürzlich verstorbenen ehemaligen Minister HansHeinrich Sander - durch systematisches Wegschauen gekennzeichnet gewesen sei. Er hat damit den Zusammenhang hergestellt, dass der Tote in Ritterhude sozusagen von uns zu verantworten sei und wir die Verantwortung dafür zu tragen haben.

Dem will ich ausdrücklich widersprechen. Es ist eine ehrenrührige Behauptung, die Sie, Herr Bajus, hier in den Raum gestellt haben. Wir haben in unserer Tätigkeit im Ministerium - ich als Staatssekretär, Hans-Heinrich Sander als Minister und später ich als Minister - mit der Gewerbeaufsichtsverwaltung eine Kultur der Wertschätzung gelebt und etabliert, die - anders als Sie das darstellen - keine Kultur des Wegschauens war. Herr Bajus, Sie verwechseln Kumpanei, die Sie hier unterstellen, mit einem partnerschaftlichen modernen Aufstellen einer Gewerbeaufsichtsverwaltung, wie das unter unserer Führung der Fall war.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich weise die von Ihnen mindestens im Unterton enthaltene Unterstellung, dass eine solche moderne Aufstellung der Gewerbeaufsichtsverwaltung dazu führt, dass hier am Ende sogar solche schweren Unglücke und Tote zu verantworten seien, für mich, am Ende aber auch für 700 Mitarbeiter der Gewerbeaufsichtsverwaltung und für den

verstorbenen Hans-Heinrich Sander ausdrücklich zurück.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Birkner. - Wir treten jetzt ein in den

Tagesordnungspunkt 28: Dringliche Anfragen

Ich rufe zunächst auf

a) Islamistische Gefährdung in Niedersachsen: Was weiß und tut die Landesregierung? - Anfrage der Fraktion der FDP - Drs. 17/8265

Ich bitte um Mitteilung, wer von der FDP die Anfrage einbringt. - Herr Dr. Birkner, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dem am vergangenen Dienstag vorgestellten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 wird der Salafismus als eine besonders radikale und die derzeit dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland beschrieben, die in Niedersachsen einen ungebremsten Zulauf verzeichne. In diesem Zusammenhang erklärte Innenminister Pistorius, dass es in Niedersachsen derzeit 63 sogenannte Gefährder gebe, wobei als Gefährder Personen eingestuft würden, denen die Sicherheitsbehörden einen Terroranschlag zutrauten. Gegenüber Pressevertretern erklärte er: „Wir wissen, wer die sind, und wir wissen, wo sie sind“ (vgl. NOZ und Weser-Kurier, jeweils vom 7. Juni 2017).

Laut einem Bericht des NDR vom 9. Juni 2017 hat das Innenministerium die vom Minister genannten Zahlen nur zwei Tage nach der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts nach unten korrigiert. So gingen die Behörden aktuell von 55 Gefährdern aus, von denen sich 36 in Niedersachsen aufhielten, 18 vermutlich im Ausland seien und einer unbekannten Aufenthalts sei. Die Neue Presse führt dazu am Freitag vergangener Woche aus:

„Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat am Dienstag Parlamentarier und Öffentlichkeit bei der Vorstellung des Verfassungsschutz

berichts 2016 falsch informiert. Pistorius‘ Angabe, in Niedersachsen gebe es derzeit 63 islamistische Gefährder, war nicht korrekt. Das Ministerium korrigierte die Zahl gestern auf 65 nach oben. Auch die Behauptung des Ministers, man wisse, wo sich die Personen befinden, denen man einen Terroranschlag zutraut, ist nicht zutreffend.“

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete am selben Tag, dass in Niedersachsen acht Islamisten per Haftbefehl gesucht würden, von denen vier als Gefährder eingestuft seien.

Unterdessen wurde bekannt, dass das Landeskriminalamt im Herbst 2015 eine Kontrolle im Umfeld der Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises in Hildesheim vorgeschlagen hatte. Das Innenministerium lehnte dies ab. In einem Vermerk des Innenministeriums wird zur Begründung der Ablehnung u. a. ausgeführt:

„Die Prüfung der Angemessenheit (Wie ste- hen die Vorteile der Maßnahme im Zusam- menhang mit deren Nachteilen?) dürfte insbesondere in politischer Hinsicht problematisch sein. In diesem Kontext ist anzumerken, dass diese aktuell noch gültige gesetzliche Grundlage geändert werden soll; nach Abstimmung mit den Regierungsfraktionen sollen im künftigen NGefAG zum § 12 (6) Konkretisierungen aufgenommen werden, die sogenannte Moscheekontrollen verbieten sollen.“

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Weiß die Landesregierung tatsächlich, wo die Gefährder sind, wie von Minister Pistorius vorgetragen?

2. Wie viele Gefährder werden in Niedersachsen durch die Sicherheitsbehörden gegenwärtig überwacht?

3. Wer hat an der in dem oben genannten Vermerk benannten Abstimmung mit den Regierungsfraktionen teilgenommen?

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Birkner. - Die Landesregierung möchte antworten. Herr Minister Pistorius, bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass mir die Anfrage die Gelegenheit gibt, auch im Landtag Sachverhalte richtigzustellen, die in den letzten Tagen leider zu Irritationen geführt hatten. Mir ist sehr bewusst, dass in diesem sensiblen Bereich eine besondere Sorgfalt in der Kommunikation nötig ist.

Bedauerlicherweise ist der Eindruck entstanden, dass zu oberflächlich informiert wurde. Ich selbst hatte mich im Vorfeld der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts persönlich dafür stark gemacht, öffentlich für Niedersachsen eine genaue Zahl der Gefährder zu nennen. Die mir dann aufgeschriebene Zahl umfasste dabei alle Personen, die in Niedersachsen als Gefährder eingestuft waren - Stand war der 22. Mai 2017 -, darunter 62 islamistische Gefährder und ein Gefährder aus einem anderen Phänomenbereich.

Im Nachgang zu meiner Unterrichtung hat der zuständige Innenausschuss am übernächsten Tag eine detaillierte Auflistung bekommen, die dann allerdings einen neueren Stand hatte als das von mir Referierte. Leider kann ich aufgrund bundesweiter Absprachen diese detaillierten Zahlen nicht in der Öffentlichkeit benennen. Was ich sagen kann, ist, dass ungefähr die Hälfte der islamistischen Gefährder in Niedersachsen ist und die Sicherheitsbehörden deren Aufenthaltsort kennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, insbesondere die zuständigen Kontrollgremien dieses Hohen Hauses wissen aus unzähligen Unterrichtungen durch die Sicherheitsbehörden, wie anspruchsvoll die Aufgabe ist, Gefährder zu bestimmen und zu überwachen. Ebenfalls wissen sie, welchen herausragenden Job die Polizei und der Verfassungsschutz auf diesem Gebiet machen.

Die Herausforderungen in diesem extrem dynamischen Phänomenbereich sind dabei in allen Bundesländern und im Bund gleich. Ich komme gerade von der Innenministerkonferenz in Dresden und kann Ihnen mitteilen, dass wir uns alle einig sind, dass insbesondere durch die hohe Mobilität vieler Gefährder die Kooperation der Bundesländer untereinander und mit dem Bund weiter vertieft werden muss. Gleichfalls wurde die erstmalige Legaldefinition des Gefährderbegriffs durch Niedersachsen wohlwollend aufgenommen.

Geben Sie mir die Gelegenheit, die komplexen Zusammenhänge zu der in der Anfrage dargestellten Anzahl der niedersächsischen, islamistisch

motivierten Gefährder und das Thema der verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen im Sinne des § 12 Abs. 6 Nds. SOG zu erläutern!

Zunächst zum Thema Gefährder:

Zum allgemeinen Verständnis möchte ich Ihnen auch an dieser Stelle noch einmal die Grundsätze darlegen. Für die Einstufung einer Person als Gefährder gelten in Niedersachsen wie auch auf Bundesebene und in allen anderen Bundesländern feste Kriterien und Zuständigkeiten. Diese Kriterien sind überall gleich. Die Einstufung erfolgt auf der Grundlage eines bundeseinheitlichen Kriterienkatalogs. Danach ist eine Person ein Gefährder, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere im Sinne des § 100 a der Strafprozessordnung, begehen will.

Im konkreten Einzelfall werden dann zur Prüfung dieser Kriterien sämtliche vorhandenen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden, auch die des Bundes und anderer Bundesländer, zu einer Person zusammengetragen. Im Ergebnis kann eine Einstufung dieser Person als Gefährder oder eben auch tagesaktuell eine Ausstufung erfolgen. Die Einstufung von Gefährdern ist in Niedersachsen zentrale Aufgabe des Landeskriminalamtes.

Die Anzahl der als Gefährder eingestuften Personen unterliegt naturgemäß ständigen, oft täglichen Veränderungen. Sie ist keine statische, sondern eine dynamische Größe. Mit Stand 15. Juni 2017 - aktuell also - beläuft sich die Anzahl niedersächsischer islamistischer Gefährder auf 66. Insofern hat sich die Zahl der Gefährder seit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes erhöht. Die in der Anfrage genannte Zahl von 55 Gefährdern wurde durch die Landesregierung nicht genannt.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die niedersächsische Polizei danach differenziert, ob sich ein Gefährder in Deutschland oder aufgrund vorliegender Erkenntnisse vermutlich im Ausland aufhält oder mutmaßlich verstorben ist. Aus nachvollziehbaren Gründen kann eine Person als Gefährder aber erst dann ausgestuft werden, wenn sein Ableben zweifelsfrei feststeht. Solange dieser Umstand nicht belegbar ist, wird dieser Personenkreis auf der Grundlage einer im Übrigen bundesweiten Abstimmung weiterhin als Gefährder geführt. Es ist ja durchaus vorstellbar, dass beispielsweise der IS bewusst Personen z. B. über soziale Netzwerke für tot erklärt, um eine Wieder

einreise mit gefälschten Dokumenten zu erleichtern. Deshalb gibt es die Abstimmung zwischen allen zuständigen Sicherheitsbehörden in Deutschland - ich wiederhole das -, Gefährder erst dann zu streichen, wenn diese zweifelsfrei für tot erklärt sind. Das ist ein wichtiger Sicherheitsaspekt. Am Beispiel des Denis Cuspert ist uns bekannt, dass sich in Syrien mutmaßlich Verstorbene nach einiger Zeit wieder an Kämpfen oder Ähnlichem beteiligt haben.

Die Sicherheitsbehörden treffen unter Ausschöpfung aller materiellen und personellen Ressourcen alle erforderlichen Maßnahmen, um eine nachhaltige Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zu gewährleisten. Welche Maßnahmen dabei getroffen werden, orientiert sich eben an einer differenzierten Einzelfallbetrachtung und richtet sich natürlich nach geltendem Recht. Gegen alle sich in Deutschland aufhaltenden, niedersächsischen, islamistischen Gefährdern sind Haftbefehle vollstreckt worden, sofern diese vorlagen. Gleichwohl bestehen gegen islamistische Gefährder, die sich nach vorliegenden Erkenntnissen im Ausland aufhalten oder vermutlich verstorben sind, nicht vollstreckte Haftbefehle. Die Anzahl dieser Personen bewegt sich aktuell im einstelligen Bereich.