An diesem Punkt zur Klarstellung: Ja, wir haben hier in diesem Hause schon öfter über Vollverschleierung diskutiert. Ja, auch wir wollen, dass sich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer offen begegnen können. Ja, auch wir haben einen entsprechenden Passus in unserem Beamtengesetz.
Ja, man kann sich auch die Frage stellen, inwieweit eine Vollverschleierung nicht für eine offene Gesellschaft steht. Aber, meine Damen und Herren, dem steht das hohe Gut des Grundgesetzes gegenüber, nämlich die Selbstbestimmung der Frau und die Religionsfreiheit.
Mit dieser Debatte wird Symbolpolitik betrieben. Zu den Grundwerten unserer Gesellschaft gehören die Religionsfreiheit und das Recht auf Selbstbestimmung, so auch für Minderheiten.
„Durch die Verhüllung des Gesichts wird das Recht der nicht verhüllten Person verletzt, in einem sozialen Raum zu leben, der Kommunikation und Austausch ermöglicht.“
Da stellt sich mir die Frage: Welche Rechte werden bei dem Anblick einer vollverschleierten Frau verletzt?
In dem Gesetzentwurf soll die Durchsetzung des Verbots mit einem niedrig gehaltenen Bußgeld ermöglicht werden. Hierzu empfiehlt sich ein Blick nach Frankreich. Dort wird das so gemacht. Aber das hat dazu geführt, dass es einen privat gegründeten Fonds gibt, aus dem die Frauen, die sich das Ordnungs- oder Bußgeld nicht leisten können, dieses Geld bezahlen können.
Bei der Durchsetzung dieses Gesetzentwurfs bleibt auch noch offen: Wer soll die Einhaltung kontrollieren, die Sportveranstalter, die Kommunen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin sehr gespannt auf die rechtliche Bewertung in den Ausschussberatungen.
Abschließend möchte ich die islamische Theologin Silvia Horsch von der Universität Osnabrück zitieren. Diese Theologin sieht in dieser Debatte eine Symbolpolitik. Von den muslimischen Frauen trage nur eine Minderheit ein Kopftuch. Davon wiederum lege eine verschwindend kleine Mehrheit einen Gesichtsschleier an. Zitat:
Weiter sagt sie, die kleine Zahl vollverschleierter Frauen auf den Straßen sei für die Gesellschaft zu verkraften. Zitat:
„Man kann nicht alles verbieten lassen, was einem nicht gefällt - da müsste die Gesellschaft auch in der Lage sein, ein paar Unterschiede auszuhalten.“
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, wollen hier eine Lösung zu einem Problem präsentieren, das es gar nicht gibt.
Vielen Dank, Frau Tiemann. - Auf Ihren Redebeitrag möchte Herr Thiele mit einer Kurzintervention reagieren. Herr Thiele, 90 Sekunden, bitte sehr!
(Jens Nacke [CDU]: Das gibt den Preis für die schlechteste Rede des Tages, und das will etwas heißen!)
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Tiemann, ich möchte vorwegstellen: Wir sehen in dem Tragen der Burka schon ein Sicherheitsrisiko, insbesondere in öffentlichen Gebäuden, weil Kontrollen hier kaum möglich sind. Aber unabhängig davon möchte ich einen anderen Aspekt ansprechen.
dass diese Frauen die Burka selbstbestimmt, freiwillig tragen. Ich halte die Burka für ein Gefängnis dieser Frauen, auch wenn es eines ohne Gitterstäbe ist.
Deswegen muss sich unsere Gesellschaft schon damit auseinandersetzen, wie man damit umgeht, dass es eine aus Ihrer Sicht sehr kleine, aus unserer Sicht viel zu große Anzahl von Frauen in diesem Land gibt, die diesem Martyrium ausgesetzt sind, dass sie sich nicht frei bewegen und nicht frei kleiden können, sondern dass sie aus gesellschaftlichen, häufig familiären Zwängen heraus dazu gebracht werden, die Burka zu tragen, und zwar jenseits der sicherheitspolitischen Debatte, die wir auch führen müssen und die auch Grundlage für die Begründung ist.
Darum finde ich es zynisch, wenn Sie hier vorrechnen, wie niedrig der Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung ist, die diesem Martyrium ausgesetzt sind. Jeder Fall ist einer zu viel!
Es ist Ihre Annahme, dass diese Frauen Opfer sind. Wenn Sie es so für sich qualifizieren, dass diese Frauen Opfer sind, dann bestrafen Sie diese Frauen und machen sie zum zweiten Mal zum Opfer. - Erster Punkt.
Zweiter Punkt. Verbote und damit das Zurückziehen dieser Frauen aus der Öffentlichkeit führen zu Parallelgesellschaften. Wir können doch in unserer Gesellschaft nicht wollen, dass sich Parallelgesellschaften bilden.
(Zustimmung bei der SPD - Jens Na- cke [CDU]: Wir leben doch in einer Parallelgesellschaft! Wo leben Sie denn? Sie reden doch genau dieser Parallelgesellschaft das Wort! Das ist ja unglaublich! So kann man doch die Realität nicht verbiegen!)
Danke, Frau Tiemann. - Es folgt jetzt für die FDPFraktion der Kollege Dr. Stefan Birkner. Sie haben das Wort, Herr Dr. Birkner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Tiemann, ich kann mich zunächst einmal dem anschließen, was der Kollege Thiele gesagt hat. Aber einen Punkt hinsichtlich der Frage der Relevanz der Debatte möchte ich doch ergänzen.
Ich bin der Auffassung, dass wir eine solche Debatte vielleicht gerade in einer Zeit führen müssen, in der dies eben nicht ein alltäglich drängendes Problem ist, in der man die Dinge noch mit einem gewissen Abstand und mit einer gewissen Ruhe diskutieren und in der man zu vernünftigen Abwägungen kommen kann, und nicht erst dann, wenn aus konkreten Anlässen darüber diskutiert wird, bei denen am Ende oftmals keine vernünftige Diskussion und kein vernünftiger Ausgleich der verschiedenen auch berechtigten Interessen mehr möglich sind. Deshalb halten wir Freie Demokraten es durchaus für richtig und zielführend, diese Debatte jetzt zu führen. - Dies vorweggeschickt.
Am Ende geht es um die Fragen - dies ist von Ihnen auch angesprochen worden, Frau Tiemann -: Was ist eine Gesellschaft bereit zu ertragen? Was muss sie in einer offenen Gesellschaft ertragen? Wo ist die Grenze zu ziehen, bei der der Gesetzgeber am Ende in Selbstbestimmungsrechte, also wie sich Personen kleiden, eingreift? - Diese Grenze muss man fein definieren und austarieren.
Für uns ist klar, dass ein solcher Eingriff im öffentlichen Raum am Ende wohl nicht gerechtfertigt ist. Sosehr wir die Vollverhüllung, das Tragen der Burka, all diese Dinge ablehnen, muss man doch bestimmte Dinge auch ertragen, selbst wenn man sie selbst nicht will. Das gehört zu einer freien und offenen Gesellschaft dazu.
Demgegenüber gibt es beispielsweise öffentliche Einrichtungen, getragen von öffentlich-rechtlichen Körperschaften, in denen der Gesetzgeber, so meine ich, noch eher die Befugnis hat, bestimmte Dinge zu regeln. Was ist mit dem Gericht, was ist mit der Schule, was ist mit den Rathäusern, wohin
Menschen gehen müssen? - Dahin müssen übrigens auch diejenigen Menschen gehen, die es im Sinne einer negativen Freiheit ablehnen, religiöse Symbole zu tragen. Es wird zumindest behauptet, dass die Burka vielfach auch ein religiöses Symbol sei. Auch das spielt eine Rolle.
Es ist natürlich auch ein Sicherheitsthema, gerade in Gerichten zu wissen: Wer sitzt als Zuhörer eigentlich im Raum, wenn dies sicherheitsmäßig relevant ist? - All das spielt eine Rolle.
Insofern ist es aus unserer Sicht legitim, wenn der Staat für solchen Räumlichkeiten zu der Abwägung kommt: Hier haben die Rechte derer, die meinen, sich so bekleiden zu wollen und zu müssen, zurückzutreten, und hier ist eine Abwägung zugunsten einer Einsehbarkeit, einer Sichtbarkeit des Gesichts der Person zu treffen, auch im Sinne einer offenen Kommunikation, die gerade in solchen Räumen zu Recht eingefordert werden kann.
Wie das dann in anderen Bereichen aussieht, wird man sich noch genauer anhand des Katalogs anschauen müssen, den der Gesetzentwurf der CDU-Fraktion beinhaltet. Ich glaube, man wird anhand dieses Kataloges differenzieren können. Was ist mit der Turnhalle, wo das Fußballturnier der Familie am Wochenende stattfindet? Ist es wirklich für jemanden, der eine Burka nicht sehen möchte, unzumutbar, dass dort eine Mutter mit Burka sitzt, wenn die Kinder Fußball spielen?
Man muss noch einmal sehr genau darüber nachdenken, wo die Grenze verläuft. Wir halten es für gerechtfertigt, dass man als Gesetzgeber im Grundsatz in öffentlichen Einrichtungen den Anspruch hat, dass dort keine Vollverhüllungen erfolgen, dass also aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen gesagt wird: Das wollen wir dort aus guten Gründen nicht haben - nicht nur weil man es nicht möchte, sondern weil sachliche Gründe dahinterstehen.
Insofern unterstützen wir die Zielrichtung dieses Gesetzentwurfes der CDU-Fraktion. Inwieweit das in jedem Detail schließlich so erfolgen wird, werden wir vorbehaltlich der Beratungen am Ende sehen, sodass wir hoffentlich zu einer gemeinsamen Beschlussfassung kommen können.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Birkner, ich möchte Ihnen für die differenzierte Art und Weise, mit der Sie genau diese Fragestellung angegangen sind, ausdrücklich danken. Das sind juristisch spannende Fragen. Ich glaube, dass die Religionsfreiheit nur begrenzt berührt ist, aber das allgemeine Freiheitsrecht, sich zu kleiden, wie man möchte, mag allemal berührt sein, und das muss man dann eben abwägen.