Protocol of the Session on February 2, 2017

Aus Sicht des Ko-Direktors des Konstanzer Forschungszentrums für Ausländer- und Asylrecht gibt es weitere Vorteile: „die leichtere Begründung der Asylentscheidung, weil die Behörden und Gerichte sich nur noch auf den Einzelfall beziehen und nicht mehr die allgemeine Situation im Land beschreiben müssen“, und „die Verfahrensbeschleunigung“, weil kürzere Bearbeitungsfristen und Klagefristen von nur noch einer Woche gelten. Ich sage das einmal ganz wertfrei.

Doch auch der Völkerrechtsexperte, der an dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten grundsätz

lich nichts auszusetzen hat, weist auf den problematischen Punkt hin. Ich zitiere:

„Weniger klar ist jedoch, wie man die Situation in bestimmten Ländern einschätzt, …“

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, genau darum geht es im Fall der Maghreb-Staaten. Denn auch wenn die Bezeichnung „Maghreb-Staaten“ anderes suggeriert, handelt es sich doch um drei höchst unterschiedliche Staaten, nämlich Algerien, Marokko und Tunesien. Übrigens gehört keiner dieser drei Staaten zu den zehn Hauptherkunftsländern von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Deutschland.

Nach Einschätzung der Stiftung Wissenschaft und Politik sind die Unterschiede zwischen den drei Ländern sogar ganz enorm:

Algerien, das Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International den Zutritt zum Land verweigert, aus dem von Folter und geschlechtsspezifischer Gewalt berichtet wird und in dem das Strafgesetzbuch vorsieht, dass Männer nach Vergewaltigung von minderjährigen Mädchen straffrei bleiben, wenn sie diese heiraten.

Marokko, in dem selbst nach Einschätzung des Bundesinnenministers - ich zitiere aus seiner Rede vom 13. Mai vergangenen Jahres in Berlin - „Aktivisten mit staatlichem Druck rechnen [müssen], wenn sie den Anspruch Marokkos auf die Region Westsahara kritisieren“.

Und dann Tunesien, das als einziger arabischer Staat eine weitgehende Demokratisierung durchlaufen hat und nach Einschätzung von Forschern der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik über eine - Zitat - „aktive Zivilgesellschaft“ verfügt, über eine „ausdifferenzierte Presselandschaft“ sowie „lokale Menschenrechtsorganisationen, die ihre Arbeit weitgehend ungehindert ausüben“ können.

Sehr geehrte Damen und Herren, doch gerade aus Tunesien, dessen Gesellschaft sich der westlichen wohl am weitesten angenähert hat, kommen besonders viele Dschihadisten. Frau Jahns hat gerade auch davon gesprochen. Eine Ursache dürfte in der Arbeits- und Hoffnungslosigkeit und der daher rührenden Verführbarkeit der dortigen Jugend liegen. Eine leichte Beute für radikale Rattenfänger!

Nach Studien des Tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES) liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 40 %. Das bestä

tigt auch die OECD. 45 % aller jungen Tunesier sind dieser Studie zufolge bereit, das Land zu verlassen und irgendwo einzuwandern, legal oder illegal.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen: Die Maghreb-Staaten gibt es nicht als einheitlichen gesellschaftlichen Raum.

Selbst die größte Migrationsbehörde in Deutschland, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sieht einem ZEIT-Online-Bericht zufolge die Lage in Tunesien, Algerien und Marokko als unsicherer an als der eigene vorgesetzte Innenminister de Maizière. In den sogenannten Herkunftsländerleitlinien der Behörde soll laut ZEIT-Online stehen, dass in Marokko und Algerien - ich zitiere - politische Verfolgung vonseiten des Staates nicht auszuschließen sei. Selbst in Tunesien könne bei Bekanntwerden von Homosexualität eine „schutzrelevante Verfolgung durch Behörden drohen“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 1996 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, welche Bedingungen für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat erfüllt sein müssen. Danach muss in den betreffenden Staaten - ich zitiere - „die Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen“.

Sehr geehrte Damen und Herren, das ist ja eben fraglich. Doch selbst wenn die Hürde Bundesverfassungsgericht genommen werden könnte - was durchaus nicht sicher ist -, bleibt das bisher größte Abschiebehindernis bestehen: Eine nennenswerte Verbesserung kann nämlich nur erreicht werden, wenn mit den Maghreb-Staaten wirksame Rückübernahmeverfahren vereinbart werden. Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU, ist nun einmal die Aufgabe Ihres Innenministers de Maizière und nicht etwa des neuen Außenministers. Ihr Innenminister muss in Verhandlungen mit diesen Ländern zu entsprechenden Vereinbarungen kommen.

(Jörg Hillmer [CDU]: Der Außenminis- ter hießt Gabriel!)

Da der vorliegende Antrag Ihrer Fraktion dazu keinerlei Aussagen trifft, kann die SPD-Fraktion auch nicht zustimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie wollen abschrecken und abschieben. Auch wir wollen, dass die Signale aus Deutschland gehört werden und dass im Sinne der wirklich Verfolgten Recht durchgesetzt wird, wenngleich wir den Weg des

niedersächsischen Innenministeriums mit dem Konzept der freiwilligen Rückkehr für nachhaltiger und humaner halten.

Wenn Sie das BAMF und die Gerichte wirklich entlasten wollen - so begründen Sie ja Ihren Antrag -, wäre es am allerbesten, die jungen Menschen aus den Maghreb-Staaten würden sich erst gar nicht auf den Weg machen. Bayerischprägnant hat das Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU ausgedrückt. Ich zitiere:

„Die Menschen brauchen zu Hause Arbeit und Zukunft, sonst kommen sie zu uns.“

Lassen Sie uns in diesem Sinn zusammenarbeiten und Sicherheit schaffen - hier und in den MaghrebStaaten!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, würden Sie noch einen Moment stehen bleiben? Ich muss Ihnen eine Frage stellen. Noch während Ihrer Rede hat sich die Kollegin Jahns zu einer Zwischenfrage gemeldet. Würden Sie diese Zwischenfrage noch zulassen und beantworten?

Wenn ich sie beantworten kann, gerne.

(Jens Nacke [CDU]: Dazu muss sie erst gestellt werden!)

Bitte schön, Frau Jahns!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schröder-Köpf, ich hätte gerne von Ihnen gewusst, ob Sie wissen, wie die SPD im Bundestag zu diesem Thema abgestimmt hat.

(Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Das weiß sie bestimmt!)

Denn Sie haben ja gesagt, dass die SPD hier gegen den Antrag stimmt. Wie hat denn die SPD auf Bundesebene im Bundestag gestimmt?

(Beifall bei der CDU)

Bitte schön, Frau Schröder-Köpf!

Ich weiß, wie die SPD im Bundestag gestimmt hat. Wir vertreten hier unsere Meinung. Wir sind die SPD-Fraktion des Niedersächsischen Landtags.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Das nennt man wohl „Gängelband des Koalitionspartners“! - Gegenruf von Johanne Modder [SPD]: Ach, Herr Nacke meldet sich mal wieder! - Gegenruf von Jens Nacke [CDU]: Ich würde mich schämen!)

Jetzt hat für die FDP-Fraktion Herr Kollege JanChristoph Oetjen das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen in der Asyldebatte manchmal den Realitäten ins Auge sehen.

(Beifall bei der FDP)

Die Realitäten sind: Im Jahre 2015 sind 26 000 Menschen aus Algerien, Tunesien und Marokko nach Deutschland eingereist. Davon haben zwei - zwei! - einen positiven Asylbescheid bekommen. 53 haben den Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind Größenordnungen ähnlich denen, die wir bei der Einstufung der Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten auch zur Grundlage hatten. Das heißt also, von Menschen, die aus diesen Ländern zu uns kommen, bekommt fast keiner Asyl - fast keiner. Es gibt keine Asylgründe. Ich glaube, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht, dass die Situation in Algerien, Marokko oder Tunesien einfach ist. Ich glaube auch, dass es da viel Arbeitslosigkeit gibt und dass Menschen dort nach einer Perspektive suchen. Aber darum geht es an dieser Stelle nicht, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, sondern es geht um die Frage, ob es Asylgründe in diesen Ländern gibt. Die Zahlen sprechen hier eine klare Sprache: Nein, diese Asylgründe liegen in Algerien, Marokko und Tunesien nicht vor.

(Jörg Bode [FDP]: Ganz einfach!)

Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, plädieren wir als Freie Demokraten auch dafür, diese drei Länder als sichere Herkunftsstaaten anzuerkennen. Das wäre nur konsequent, verehrte Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn Sie konsequent in Ihrem Handeln wären, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber insbesondere auch von den Grünen - Sie haben damals mit der gleichen Argumentation akzeptiert, dass die Staaten des Balkans als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden -, dann würden Sie das auch bei den Maghreb-Staaten so nachvollziehen. Aber scheinbar fehlt Ihnen diese Konsequenz.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich möchte auf ein anderes wichtiges Problem hinweisen. Das ist das Problem, dass diese Staaten zum Teil nicht bei der Rücknahme ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger kooperieren.

(Jörg Bode [FDP]: Genau!)

Ich halte es für einen wirklichen Skandal, dass wir es nicht hinbekommen, mit diesen Ländern in Abkommen zu vereinbaren, dass die Rücknahme ihrer Bürgerinnen und Bürger tatsächlich in jedem Fall gewährleistet ist.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass ein Land sagt: „Nein, wir nehmen unsere eigenen Bürgerinnen und Bürger nicht zurück.“ Ich erwarte von der Bundesregierung auch, dass wir, wenn solche Länder in diesen Fragen nicht kooperieren, aufhören, ihnen im Rahmen von Entwicklungshilfe und Ähnlichem das Geld hinterherzuwerfen. Wer nicht im Rahmen des Rechts mit uns kooperiert, der soll auch nicht davon profitieren - aus meiner Sicht jedenfalls -, wenn wir mit Entwicklungshilfe arbeiten. Das wäre aus meiner Sicht nur konsequent.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)