Protocol of the Session on June 21, 2013

(Christian Grascha [FDP]: Es reicht schriftlich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich sind hiervon auch die Landes- und Regionalentwicklungen und insbesondere die Entwicklung der Kommunen betroffen. Denn die Folgen sind und werden überall vor Ort zu spüren sein. In ländlichen strukturschwachen Regionen ist eine Tendenz der zunehmenden Schrumpfung und Ausdünnung zu verzeichnen. Dies gilt vor allem für Städte und Gemeinden abseits der größeren Zentren und Verkehrsachsen. Davor dürfen wir nicht länger die Augen verschließen. Wir wollen insbesondere dem Phänomen einer Abwärtsspirale begegnen: Attraktivitätsverlust von Regionen, Städten und Gemeinden verursacht eine verstärkte Abwanderung und eine geringere Zuwanderung, insbesondere junger Menschen und Familien. Das führt zu einer weiteren Schwächung in Bezug auf Lebensqualität und Wirtschaftskraft und daraus resultierender Abwanderung. Die Folge hieraus ist wiederum eine weitere Schwächung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Deswegen werden unter solchen Bedingungen regionale und kommunale Entwicklungskraft und Eigendynamik zunehmend gefährdet.

Ich glaube, es ist angesichts der sehr unterschiedlichen demografischen Betroffenheit der einzelnen Regionen sehr klar: Je nach Ausgangslage und Entwicklungspotenzial sind passgenaue Strategien notwendig zur Sicherung der Daseinsvorsorge und zur Stärkung der Wirtschaftskraft.

Daher - daran führt kein Weg vorbei - müssen wir mit einem ganzheitlichen Konzept gemeinsam mit den Akteuren vor Ort regionsspezifisch die notwendigen Maßnahmen entwickeln und umsetzen müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen und müssen uns insgesamt der Größe dieser Herausforderung bewusst sein und gemeinsam - das ist meine feste Überzeugung - diese zentrale Herausforderung der Landesentwicklung annehmen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Was ist zu tun? - Wir brauchen wieder eine aktive Landesentwicklungspolitik, insbesondere eine, die den Blick auf die unterschiedlichen Situationen in unterschiedlichen Regionen eröffnet. Außerdem müssen wir insbesondere zu einer Stärkung der Handlungsfähigkeit vor Ort beitragen. Dafür brauchen wir nicht nur eine Förderung von investiven Maßnahmen, sondern vor allen Dingen auch eine

Unterstützung von Aktivierung und Managementprozessen.

Die meisten von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen es: Der Niedersächsische Landtag hat im Jahr 2007 nach intensiver Vorarbeit einen sehr umfassenden Bericht der EnqueteKommission „Demografischer Wandel“ entgegengenommen. Dieser Bericht geht ausführlich auf die Ursachen und Herausforderungen ein und gibt erste Antworten auf sechs herausgehobene Handlungsfelder: die Kinderfreundlichkeit erhöhen, das Humanvermögen optimal nutzen, die Integration fördern, die Themen gesundes Altern und Selbstständigkeit im Alter. Es geht um die Entwicklungsmöglichkeit in den Kommunen und deren Förderung und schließlich um Wirtschaftsförderung als Zukunftsvorsorge.

Diese Handlungsfelder laufen, so die Autoren des Berichts der Enquetekommission, in den Knotenpunkten Bildung, Gesundheit und Mitwirkung zusammen.

Wie gesagt, das war der Bericht der EnqueteKommission im Jahre 2007. Wir müssen leider konstatieren, dass die frühere Landesregierung auf diesen Bericht der Enquete-Kommission weitestgehend mit Untätigkeit reagiert hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - David McAllister [CDU]: Wie bitte?)

Herr Ministerpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hilbers zu?

Nein, ich glaube, wir haben nachher die Gelegenheit dazu, Zusatzfragen zu beantworten.

(Ulf Thiele [CDU]: Das ist aber schwach! - Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe)

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

(Zuruf von Ronald Schminke [SPD] - Zuruf:... Schweinestall …! - Weitere Zurufe - Unruhe)

- Von wem war das?

(Anhaltende Unruhe)

Das mit großen Unterbrechungspausen entstandene und im Jahr 2012 vorgelegte Handlungskonzept „Demografischer Wandel“ weist 78 Seiten auf und enthält eine Aufzählung nebeneinander stehender Einzelmaßnahmen. Es ist aber kein ressortübergreifendes Handlungskonzept, sondern eine ressortbezogene Aufzählung von Einzelmaßnahmen. Dabei ist augenfällig und meines Erachtens nicht nachzuvollziehen, dass jeder regionale Strategieansatz in dieser Hinsicht fehlt. Das hätte meines Erachtens in Anbetracht der Situation, die ich geschildert habe, mehr als nahegelegen.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich hat sich aufgrund der zu geringen Gegensteuerung in diesen zehn Jahren auch die Problematik in den betroffenen Bereichen durchaus verschärft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat sich vorgenommen, unter diesen Voraussetzungen die Regionalpolitik neu zu starten.

Wir wollen erstens regionale Entwicklungskonzepte erarbeiten. Das soll dialogorientiert geschehen, d. h. alle wichtigen Akteure, Landkreise, Städte, Gemeinden, Wirtschaft und Wissenschaft und Verbände, müssen in einen solchen Dialog vor Ort einbezogen werden.

Zweitens. Wir werden nach der Sommerpause Gutachten vorlegen, die eine genaue Analyse von fünf Teilräumen Niedersachsens zum Inhalt haben. Diese Räume entsprechen den vier ehemaligen Regierungsbezirken und dem Gebiet Südniedersachsen, das im Kern aus den fünf Landkreisen Holzminden, Göttingen, Northeim, Osterode und Goslar besteht.

Drittens. Diese Gutachten werden eine regionalisierte Stärken-Schwächen-Analyse, eine SWOTAnalyse enthalten, als Diskussionsgrundlage für - viertens - Regionalkonferenzen, die wir zum Auftakt des Dialoges in diesem Herbst durchführen wollen. Dabei werden wir die regionsspezifischen Daten präsentieren und mit den Teilnehmern die regionalisierte Stärken-Schwächen-Analyse diskutieren.

Ziel ist es, die Erkenntnisse und Schwächen der regionalen Akteure in diese Analyse einzubeziehen und daraus die notwendigen Maßnahmen und Instrumente abzuleiten.

Deshalb - fünftens - werden wir im weiteren Verlauf regionale Entwicklungs- und Handlungskonzepte erarbeiten, die von den vier Landesbeauftragten koordiniert werden, die wir bekanntlich etablieren werden. Regionale Entwicklungskonzepte sollen in der Regel aus einem Leitbild, einem Orientierungsrahmen und einem Handlungsrahmen mit konkreten Projekten bestehen. Sie haben tatsächlich Vorläufer in den 90er-Jahren, als es z. B. darum ging, die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn Bremen und Hamburg in den jeweiligen Metropolregionen zu konzipieren. Wir werden dieses Instrument, das leider ein wenig in Vergessenheit geraten ist, jetzt erneut einsetzen, um regional definierte, inhaltliche Impulse für unsere EU-Förderung und weitere Förderprogramme des Landes zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In Anbetracht der Ausgangslage, die ich geschildert habe und die am Ende auch allen Mitgliedern des Hauses bewusst ist, werden wir uns insbesondere auch um Südniedersachsen kümmern müssen. Unter Berücksichtigung sämtlicher Kennzahlen ist das derjenige Bereich, der tatsächlich den größten Handlungsbedarf auslöst. Aber selbstverständlich gilt der genannte Ansatz auch für alle anderen Landesteile; denn mehr oder weniger stellen sich unterschiedliche Herausforderungen des demografischen Wandels überall in Niedersachsen.

Um nur ein Beispiel zu sagen: Ich setze mich dafür ein, dass im Westen entlang der Grenze zu den Niederlanden die EU-Fördermittel aus dem INTERREG-Programm weiter fließen und so eingesetzt werden können, dass sie beispielsweise auch für Hochschulkooperationen zwischen Groningen und Oldenburg genutzt werden können.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Und was ist mit den 100 Millionen Euro?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen zu der dafür notwendigen Organisation machen.

(Jens Nacke [CDU]: Die 100 Millionen Euro sind vom Tisch, Herr Minister- präsident?)

Voraussetzung für die Neuausrichtung der regionalen Landesentwicklung mit einer daraus abgeleiteten Regionalisierung der EU-Förderung war die Verlagerung von Verwaltungseinheiten aus den

fondsverwaltenden Ressorts MW und ML sowie aus dem MI in die Staatskanzlei. Das hat die Landesregierung in ihrer Sitzung am 30. April 2013 beschlossen.

Diese Planungs- und Koordinierungsbereiche sind nun in einer neu geschaffenen Abteilung 4 der Staatskanzlei zusammengefasst worden. Die bisher auf die Staatskanzlei, das MW und das ML verteilte Bearbeitung der INTERREG-Programme sowie die inhaltliche Zuständigkeit für die niedersächsischen Metropolregionen werden dort ebenfalls gebündelt. Dasselbe gilt für die Referatsgruppe „Regierungsvertretungen“.

Das Kabinett bündelt durch diesen Organisationsbeschluss bislang über das Land verstreute Kompetenzen und etabliert damit gleichzeitig die regionale Entwicklung als eine Querschnittsaufgabe der gesamten Landesregierung.

Dadurch werden auch die Grundlagen für eine integrierte regionale Landesentwicklung und eine Neuausrichtung der EU-Förderung in der kommenden Förderperiode 2014 bis 2020 gelegt. Diese Umsetzung der in der Koalitionsvereinbarung getroffenen Aussagen ist damit bereits nach kurzer Zeit angegangen worden und befindet sich auf einem sehr guten Weg, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir brauchen aber über die Organisation des Landesbereichs hinaus Formen ebenenübergreifender regionaler und kommunaler Kooperation. Die Landesregierung wird mit den Landesbeauftragten für regionale Entwicklung die Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Die vier zukünftigen Landesbeauftragten haben die Aufgabe, den Prozess zur Entwicklung der regionalen Schwerpunkte zu moderieren, zu steuern und dabei Landkreise, Städte, Gemeinden ebenso einzubeziehen wie Verbände, Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaft und örtliche Akteure.

Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Finanzierung dieses neuen Politikansatzes machen.

Wir müssen uns in Deutschland insgesamt, aber auch in Niedersachsen darauf einstellen, dass es erstmals in der Geschichte der EU keinen Zuwachs für die kommende EU-Förderperiode geben wird, sondern - ganz im Gegenteil - einen deutlichen Mittelrückgang. Der vor wenigen Wochen vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschef vereinbarte Mehrjährige Finanzrahmen

sieht insbesondere für die wirtschaftlich stärkeren Mitgliedstaaten wie Deutschland deutliche Einschnitte vor. Da wir in Niedersachsen zu den Bundesländern gehören, die am stärksten von der EUFörderung profitiert haben, wirkt sich auch die zu erwartende Kürzung in unserem Land überproportional stark aus.

Nach ersten Modellrechnungen könnten auf das Land im Hinblick auf EFRE und ESF insgesamt Verluste von bis zu 50 % zukommen, im Lüneburger Raum sogar bis zu 70 %. Lediglich für den Bereich des ELER scheint der Rückgang nicht ganz so drastisch auszufallen. Hier wird aktuell „nur“ über einen Rückgang um zwischen 9 und 30 % diskutiert. Aber auch dies hätte bereits erhebliche Einbußen zur Folge.

Darüber hinaus zeichnet sich dann parallel zur Kürzung der EU-Mittel auf der nationalen, also der innerdeutschen Ebene eine Umverteilung von strukturschwachen zu strukturstarken Bundesländern ab. Von diesem Mechanismus würden vor allen Dingen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen profitieren.

Ich habe mich vor diesem Hintergrund mit Schreiben vom 6. April dieses Jahres an die Frau Bundeskanzlerin gewandt und bei der innerdeutschen Mittelverteilung insbesondere um einen Ausgleich für die Region Lüneburg gebeten, und ich denke, das sollte die Unterstützung des ganzen Hauses haben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Jens Nacke [CDU]: Was ist mit den 100 Millionen Euro, Herr Ministerpräsident?)

Insgesamt droht der zu erwartende Mittelverlust für das Land Niedersachsen, sofern die Februarbeschlüsse zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU umgesetzt werden sollten, dramatische Ausmaße anzunehmen. Danach kämen auf das Land Mittelverluste von mindestens 1 Milliarde Euro zu, davon mindestens 600 Millionen Euro im EFRE und 200 Millionen Euro im ESF. Selbst diese Summen stellen aber leider noch nicht den Worst Case dar.

Die niedersächsischen Modellrechnungen gehen unter diesen Bedingungen derzeit von folgenden Summen für die Förderperiode 2014 bis 2020 aus: EFRE 600 Millionen Euro, ESF 240 Millionen Euro, ELER 800 Millionen Euro. Das klingt gut, ist aber - wie gesagt - wesentlich weniger als in der vorangegangenen Förderperiode und wird uns auch zu einer Konzentration zwingen.

(Jens Nacke [CDU]: Das wusste man doch vorher! - Weiterer Zuruf von der CDU)