Protocol of the Session on November 22, 2016

Während Eltern mit Kindern mit Unterstützungsbedarf in den Bereichen Sprache, körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, emotionale/soziale Entwicklung sowie Hören und Sehen noch immer das Recht haben, sich bewusst für eine Förderschule zu entscheiden, haben die Eltern mit Kindern mit Unterstützungsbedarf Lernen eben dieses Recht nicht mehr.

Spätestens, wenn Sie mit Eltern sprechen, deren Kind mit festgestelltem Unterstützungsbedarf Lernen in der zweiten oder dritten Klasse sitzt, und die Eltern davon berichten, wie unglücklich das Kind ist, wenn die Eltern davon berichten, dass die Lehrer offen zugeben, dass sie das Kind wegen der Komplexität der Herausforderung - große Klassen, Flüchtlingsbeschulung, hohe Stundenbelastung, hoher Krankenstand - nicht optimal fördern können, und wenn die Eltern Sie dann eindringlich bitten, wieder eine alternative Beschulung zu ermöglichen, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren - spätestens dann! -, muss Politik wach werden, dann muss Politik das Auslaufen der Förderschule Lernen rückgängig machen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich will eines deutlich machen: Es geht hierbei nicht um Ausgrenzung. Die Ministerin hat sofort nach der Veröffentlichung unseres Gesetzentwurfs geradezu reflexartig davon gesprochen, dass die FDP wieder ausgrenzen will. - Nein! Wir wollen

nicht ausgrenzen. Im Übrigen, Frau Ministerin, auch die Eltern, die sich aktuell für eine Förderschule mit anderen Förderbedarfen entscheiden, oder auch die Eltern, die sich gerne für eine Förderschule Lernen für ihr Kind entscheiden können würden, wollen ihre Kinder nicht ausgrenzen. Vielmehr wollen sie eine optimale Förderung ihrer Kinder, und diese ist aktuell nicht gegeben.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Es war ja die Landesregierung, die in der vergangenen Woche eingeräumt hat, dass Inklusion mehr Zeit benötigt. Allein für den Aufbau der regionalen Unterstützungs- und Beratungszentren veranschlagt die Kultusministerin fünf Jahre. Auch das belegt: Inklusion braucht mehr Zeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen uns nicht von der Inklusion verabschieden. Wir stehen zur gemeinsamen Entscheidung aus der letzten Wahlperiode, Inklusion auf den Weg und voranzubringen. Wir sehen aber die Notwendigkeit, Lehrern, Eltern, Schülern und Schulen mehr Zeit zu geben. Wir sehen auch die zeitliche Notwendigkeit, Rahmenbedingungen anzupassen, damit Inklusion gelingen kann.

Es war falsch, und es ist falsch, die Förderschulen Lernen abzuschaffen, zu sehen, ob die Kinder klarkommen oder nicht und dann gegebenenfalls hinterher die Rahmenbedingungen anzupassen. Wenn Inklusion gelingen soll, dann müssen erst die Rahmenbedingungen stimmen, und dann werden sich die Eltern gegebenenfalls bewusst für die Inklusion entscheiden - zum Wohle ihrer Kinder. Genau darum geht es bei diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Försterling. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Kollege Scholing. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Försterling!

„Seit vielen Jahren drehen sich die schulpolitischen Diskussionen um die Fragen der Schulstruktur und der Schulstandorte. Politiker aller Parteien und die Vertreter der verschiedensten Verbände führen zum Teil immer wiederkehrende Diskussionen mit immer gleichen ideologischen Fronten. Je

nach aktueller politischer Mehrheit werden an der Schulstruktur und am Schulgesetz Veränderungen vorgenommen.“

Sie wissen, woraus ich zitiere?

„Damit muss Schluss sein“,

heißt es am Ende dieses Zitats.

„Niedersachsen braucht einen Schulfrieden!“

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Helge Lim- burg [GRÜNE]: Sehr gut!)

Beschlossen auf dem 73. ordentlichen Landesparteitag der FDP am 21. März 2015!

(Zurufe von den GRÜNEN: Ach! - Bei- fall bei den GRÜNEN)

Seither frage ich mich, Herr Försterling: Wie geht „Schulfrieden“ eigentlich?

(Christian Grascha [FDP]: Sie wollten ihn ja nicht!)

Jetzt weiß ich, wie Sie denken: Wir versuchen es doch noch einmal. Ein klitzekleiner Gesetzentwurf. Vielleicht haben die lieben Kolleginnen und Kollegen im Niedersächsischen Landtag ja vergessen, dass wir uns vor eineinhalb Jahren so blumig um den Schulfrieden bemüht haben.

Was sagt nun dieser klitzekleine Gesetzentwurf, der so schmal und schlank daherkommt? - Wir steigen aus der Weiterentwicklung der inklusiven Schule aus. Das ist die Kernbotschaft.

2012 wurde in diesem Hause das Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule beschlossen. Wenn Sie Fachleute gefragt hätten, was die Kernaussagen dieses Gesetzes sind, hätten diese zwei Aussagen gemacht:

Erstens: die aufsteigende Freigabe des Elternwillens - egal, welchen Unterstützungsbedarf die Schülerinnen und Schüler haben.

Zweitens: die Einführung der sonderpädagogischen Grundversorgung, aufsteigend von Klasse 1 in allen Grundschulen unseres Landes. - Selbstverständlich war es immer klar, dass dieser Schritt damit verbunden sein muss, die Förderschule Lernen aufsteigend im Primarbereich auslaufen zu lassen. Das war immer klar! Das mussten alle wissen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. So wurde es hier im Hause beschlossen - und genau diesen Baustein wollen Sie kippen.

Das ist übrigens kein Baustein, der 2012 einfach so vom Himmel gefallen ist. In ungefähr der Hälfte der Einzugsbereiche der Förderschulen Niedersachsens war dieser Baustein bereits seit zehn Jahren erprobt, mit der Folge, dass die Förderschulen Lernen in diesen Regionen Niedersachsens immer kleiner geworden sind und schließlich auch ausgelaufen sind. Zumindest Fachleuten und Fachpolitikern sollte es immer klar gewesen sein, dass die Förderschule Lernen ausläuft, wenn wir die sonderpädagogische Grundversorgung einführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese rot-grüne Landesregierung und diese Kultusministerin wissen um alle Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der inklusiven Schule entwickelt haben. Alle! Wir scheuen keine Debatte. Wir gehen in Schulen. Wir führen selbstverständlich auch hier die Diskussion. Wir wissen, dass wir es mit einem Entwicklungsprozess zu tun haben, Herr Försterling, der tatsächlich Zeit braucht: Zeit vor Ort, Zeit, Konzepte auszuprobieren, Zeit dafür, die eigene Rolle neu zu definieren, Zeit, einen anderen Blick auf Kinder zu werfen. Und dieser Entwicklungsprozess braucht Ressourcen und Leidenschaft.

Wir benennen diese Probleme. Im SeptemberPlenum hat Rot-Grün hier einen Antrag dazu eingebracht. Wenn Sie ihn genau studieren, erkennen Sie, dass wir kein Problem ausklammern. Wir kümmern uns um die Probleme! Wir werden einen Rahmenplan erstellen, aus dem hervorgeht, welche Entwicklungsschritte die nächsten sein sollen. Sich um die Herausforderung zu kümmern, Probleme offen zu benennen, Lösungen zu schaffen und gegebenenfalls nachzusteuern: Das trägt zum Gelingen der inklusiven Schule bei, nicht die Rolle rückwärts. Das ist kein Weg, um die inklusive Schule weiterzuentwickeln. Damit sorgen Sie nicht für Sicherheit, Sie sorgen für Unsicherheit.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Scholing. - Es gibt nun eine Kurzintervention auf Ihren Beitrag von dem Kollegen Försterling von der FDP-Fraktion. Bitte, Herr Försterling! - Ich darf noch einmal um Ruhe bitten.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Scholing, wenn Sie hier schon das Angebot des Schulfriedens durch die FDP - das war ein wohlweislicher Beschluss des FDP-Landesparteitags - rauskramen, dann sagen Sie doch ganz ehrlich, dass Sie nach dem FDP-Landesparteitag hier im Plenum in einer Aktuellen Stunde mehr als öffentlich unser Gesprächsangebot ausgeschlagen haben und dass Sie danach das Auslaufen der Förderschule Lernen im weiterführenden Bereich beschlossen haben. Danach, lieber Herr Kollege Scholing!

Wir haben Ihnen angeboten, gemeinsam über die Entwicklung des Bildungssystems in Niedersachsen zu sprechen. Sie haben das ausgeschlagen. Sie haben das Auslaufen der Förderschule Lernen beschlossen, und jetzt stellen Sie sich hier hin und sagen, weil wir Ihnen einmal ein Friedensangebot gemacht haben, dürften wir Sie nicht mehr kritisieren.

Sagen Sie das einmal den Eltern, die sich wünschen, ihr Kind wieder an einer Förderschule Lernen beschulen lassen zu können, weil sie tagtäglich mitbekommen, dass ihrem Kind nicht mehr adäquat geholfen werden kann, dass man es nicht mehr entsprechend unterstützen kann.

Es sind doch die Kinder, um die es hier geht! Es geht viel weniger um Parteitagsbeschlüsse. Uns geht es auch nicht um Ideologie. Wir hätten auch locker einen Gesetzentwurf einbringen können, in dem steht, wir machen das alles rückgängig. Nein, wir sagen: Nehmen wir uns die Zeit! Geben wir den Eltern, den Kindern und den Lehrern die Zeit. - Das ist auch ein Gesprächsangebot unsererseits, dass wir sagen, wir wollen gemeinsam Inklusion auf den Weg bringen. Wir nehmen uns gemeinsam die notwendige Zeit dafür.

Auch dieses Gesprächsangebot lehnen Sie heute wieder ab, weil Sie nur Ihr Ziel verfolgen: Inklusion, Inklusion, Inklusion. - Denken Sie lieber mal an die Kinder!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Försterling. - Es antwortet Ihnen nun Herr Kollege Scholing.

Herr Försterling, Ihre Kritik scheuen wir nicht. Ihrer Kritik stellen wir uns hier Plenum, im Ausschuss,

gerne auch in anderen Zusammenhängen. Ich freue mich auf diese Kritik. Damit habe ich keine Probleme.

(Christian Dürr [FDP]: Sondern?)

Zum Thema Schulfrieden. Wie ernst gemeint war denn bitte schön Ihr Angebot vom

(Jörg Hillmer [CDU]: Sie haben es doch ausgeschlagen!)

- ich habe es herausgesucht - vom 21. März 2015? - Das bezog sich darauf, dass Sie sozusagen einen Stand definieren wollten, und von diesem Stand aus wollten Sie Schulfrieden definieren. Das war nichts anderes als ein Versuch, die weitere Debatte zur Schulgesetznovelle 2015 zu unterbinden, nichts anderes.

(Christian Dürr [FDP]: Nur zu Ihren Bedingungen, oder was? - Christian Grascha [FDP]: Wirklich kleinkariert!)

Jetzt tun Sie so, Herr Försterling, als müssten wir jetzt darüber reden, welche Probleme sich stellen. - Richtig! Aber Sie haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine ganz bestimmte Zielrichtung hat. Die Zielrichtung ist: Stopp der Weiterentwicklung der inklusiven Schule. Sie tragen damit keine Sicherheit ins Land. Sie tragen damit Unsicherheit ins Land.

(Christian Dürr [FDP]: Sie machen das auf dem Rücken der Kinder, das ist der Punkt!)

- Nein, das ist nicht richtig. Sie stellen hier - das ist mir noch ein wichtiger Hinweis - auf einmal ein Schulmodell vor, das angeblich so idyllisch ist: die Förderschule Lernen als der Ort, an dem individuelle Hilfen gegeben werden.