Protocol of the Session on August 18, 2016

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 103. Sitzung im 37. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 17. Wahlperiode.

Ich wünsche Ihnen gemeinsam mit den Schriftführern einen guten Morgen.

(Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!)

Tagesordnungspunkt 13: Mitteilungen des Präsidenten

Angesichts der Zahl der Anwesenden darf ich schon jetzt die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 14, den Dringlichen Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen bis einschließlich Tagesordnungspunkt 19 - das ist die Große Anfrage der Fraktion der CDU - in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Da die als Tagesordnungspunkt 20 vorgesehene Behandlung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP auf den Tagungsabschnitt im September verschoben wurde, behandeln wir nach Tagesordnungspunkt 19 zunächst die beiden gestern zurückgestellten Entschließungsanträge in den Tagesordnungspunkten 10 und 11. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 21 bis 25 in der vorgesehenen Reihenfolge. Die heutige Sitzung soll gegen 19.35 Uhr enden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer, Herr Kollege Onay, mit.

Für die Zeit nach der Mittagspause hat sich von der CDU-Fraktion Frau Editha Lorberg entschuldigt.

Vielen Dank, Herr Onay. - Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu dem

Tagesordnungspunkt 14: Dringliche Anfragen

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor. Die für die Behandlung Dringlicher Anfragen geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen setze ich als allgemein bekannt voraus. Ich weise - wie üblich - besonders darauf hin, dass einleitende Bemerkungen zu den Zusatzfragen nicht zulässig sind.

Um uns im Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich darum, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Wir kommen zur ersten Dringlichen Anfrage unter

a) Antisemitismusvorwurf gegen die HAWK - Wie geht Wissenschaftsministerin HeinenKljajić (GRÜNE) mit den Vorwürfen um, die niedersächsische Hochschule sei eine „Hassfabrik“? - Anfrage der Fraktion der CDU - Drs. 17/6284

Die Frage wird vom Kollegen Hillmer vorgetragen. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Antisemitismusvorwurf gegen die HAWK - Wie geht Wissenschaftsministerin Heinen-Kljajić (GRÜNE) mit den Vorwürfen um, die niedersächsische Hochschule sei eine „Hassfabrik“?

Im Grundgesetz heißt es in Artikel 5 Abs. 3:

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Zahlreiche Medien berichteten Ende Juli und Anfang August 2016 über die Inhalte des Seminars „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim, in dem - so der Vorwurf - seit Jahren antisemitische Inhalte vermittelt worden sein sollen.

Im August 2015 legte die Amadeu Antonio Stiftung ein Gutachten vor, in dem die Seminarunterlagen für das Seminar „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ analysiert wurden. Der Gutachter kam zu dem Schluss, das Konzept des Seminars diene dazu, „Israel zu dämonisieren und in die Nähe der südafrikanischen Apartheidszeit oder gar des Nationalsozialismus in Deutschland zu rücken.“ Ferner urteilt er: „Es wird den Studierenden ein zutiefst antiisraelisches, in Teilen sogar anti-semitisches

Weltbild vermittelt - ohne erkennbare Graustellen.“ Aus Sicht des Gutachters sei „das Seminar unvereinbar mit den demokratischen Grundsätzen einer Hochschule sowie mit allen Belangen des Beutelsbacher Konsenses und widerspricht jeglichem humanistischen Weltbild auf eklatante Weise.“

(Unruhe)

Herr Kollege, einen Moment, bitte! - Meine Damen und Herren, ich muss hier ausdrücklich um Ruhe bitten. - Jetzt geht es weiter!

Die Jüdische Allgemeine berichtete am 2. August 2016 in ihrer Onlineausgabe, das Ministerium für Wissenschaft und Kultur wolle die Antisemitismusvorwürfe durch einen externen Gutachter prüfen lassen. Wie die Zeitung berichtete, werde ein Wissenschaftler „die Inhalte des Seminars ‚Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina‘ im Einvernehmen mit der Hochschule untersuchen.“ Das Ministerium hat Medienberichten zufolge inzwischen mitgeteilt, dass das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin das Gutachten anfertigen soll.

Die Tageszeitung Die Welt berichtete am 5. August 2016 über die im Seminarplan angegebenen Sitzungsthemen. Darin findet sich nach Angaben der Welt diese Beschreibung Israels: „Zunehmende Gewalt beim Militär, Selbstmorde, sexuelle Gewalt, Militarisierung der Gesellschaft ab Kindergartenalter, Vernachlässigung der sozial Schwachen und vermehrt tödliche Gewalt gegen israelische Frauen. Dies ist die lokale israelische Version einer entmenschlichten Gesellschaft.“

In dem Welt-Artikel heißt es ferner: „Die Hochschule aber war seit Jahren gewarnt worden und unternahm nichts.“ Zweimal habe sich danach der Zentralrat der Juden wegen des Seminars an die Landesregierung gewandt. Erst nach dem zweiten Schreiben des Zentralrats, im Januar 2016, habe Wissenschaftsministerin Dr. Gabriele HeinenKljajić die Hochschule um eine Stellungnahme gebeten. Dem Bericht zufolge war die Ethikkommission der Hochschule zu dem Schluss gekommen, sie sehe „keinen Anhaltspunkt, dass antiisraelische oder antisemitische Inhalte in unzulässiger Weise propagiert werden.“

Die israelische Zeitung Jerusalem Post zitierte am 29. Juli 2016 in ihrer Onlineausgabe den Sprecher des israelischen Außenministeriums, Emmanuel

Nahshon, in Bezug auf die Vorwürfe gegen die HAWK: „This is not a university, it is a hatred factory.“1. Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung griff diese Berichterstattung auf. Im Onlinekurznachrichtendienst Twitter reagierte die HAWK-Präsidentin Christine Dienel darauf mit diesem Tweet: „#Antisemitismus-Vorwürfe gegen die #HAWK - Wer ist hier eigentlich die ‚Hassfabrik‘?“

Die Hildesheimer Allgemeine Zeitung überschrieb am 9. August 2016 einen Artikel über ein Gespräch im Ministerium für Wissenschaft und Kultur, an dem u. a. die Ministerin und die HAWKPräsidentin teilnahmen, mit: „Treffen im Ministerium: Rückendeckung für Dienel“.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wann und auf welche Weise hat welche Stelle innerhalb der Landesregierung davon Kenntnis erlangt, dass das HAWK-Seminar „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ wegen mutmaßlich antisemitischer Inhalte kritisiert wird (bitte mit Da- tum und unter Nennung der beteiligten Personen auflisten)?

2. Zu welcher Einschätzung in Bezug auf das genannte Seminar war das Ministerium gelangt, bevor die Vorwürfe im Juli 2016 öffentlich wurden?

3. Inwieweit teilt die Landesregierung die Auffassung der Hochschulpräsidentin Dienel, das Gutachten der Amadeu Antonio Stiftung sei ein „Auftragsgutachten“ und der „methodische Ansatz des Gutachtens“ sei „verfehlt“ (taz vom 2. August 2016)?

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Hillmer. - Für die Landesregierung antwortet die Wissenschaftsministerin Frau Dr. Heinen-Kljajić. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen der Landesregierung möchte ich zunächst - weil dies angesichts der Fülle an Presseberichterstattungen mit den unterschiedlichsten Informationen zum Zeitablauf als erforderlich erscheint - einen präzisen Überblick über die Chronologie und den Ablauf geben.

1„Dies ist keine Hochschule, sondern eine Hassfabrik“.

Am 23. Juli 2015 ging das erste Schreiben des Präsidenten des Zentralrates der Juden, Dr. Josef Schuster, vom 22. Juli 2015 an den Herrn Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei ein. Als Anhang beigefügt war eine Seminarübersicht der Lehrveranstaltung „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“.

Nach Kenntnisnahme des Herrn Ministerpräsidenten am 24. Juli 2015 wurde das Schreiben als Anlage per Mail am 29. Juli 2015 an das Ministerium für Wissenschaft und Kultur zur Bearbeitung abgegeben. Das Schreiben wurde im Ministerbüro angenommen; die Staatssekretärin und die Ministerin wurden über den Eingang unterrichtet. Am selben Tag wurde das Schreiben an das für die Hochschulbetreuung zuständige Referat 24 zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet.

Noch an diesem Tag, also am 29. Juli 2015, wurde die Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen um Stellungnahme unter Beifügung des eingegangenen Schreibens des Zentralrates sowie des beigefügten Seminarplanes mit Fristsetzung bis zum 13. August 2015 gebeten. Die Hochschule hat um Einräumung einer Fristverlängerung bis zum 31. August 2015 gebeten. Dieser Bitte wurde entsprochen.

Am 4. August 2015 wurde die Eingangsbestätigung an den Zentralrat der Juden bzw. an Dr. Josef Schuster versandt - mit dem Hinweis auf die erforderliche Stellungnahme der Hochschule sowie auf die vorlesungsfreie Zeit und die Tatsache, dass die Rückkehr der in der Fakultät Verantwortlichen abgewartet werden müsse.

Die Stellungnahme der Hochschule vom 27. August 2015, unterzeichnet von der Präsidentin Dienel, ging am 1. September 2015 im Ministerium für Wissenschaft und Kultur ein. Der vom Hochschulreferat auf der Grundlage der Stellungnahme der Hochschule erarbeitete Antwortentwurf wurde nach Zustimmung durch die Hausleitung des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur an die Staatskanzlei mit der Bitte um Zustimmung übersandt.

Das Antwortschreiben an den Zentralrat der Juden auf das erste Schreiben wurde am 21. September 2015 abgesandt; dieses Schreiben blieb also mitnichten unbeantwortet. Hierin wurde dem Zentralrat auf der Grundlage der Stellungnahme der Hochschule - nach Befassung der verantwortlichen Fakultät - u. a. mitgeteilt, dass die Fakultät entschieden habe, eine Neujustierung des Lehrangebotes vorzunehmen.

Am 16. Dezember 2015 ging beim Ministerium für Wissenschaft und Kultur ein zweites Schreiben des Zentralrates, datiert auf den 14. Dezember 2015, ein. Der Präsident, Dr. Josef Schuster, dankte für die Antwort der Ministerin und führte erneut Beschwerde gegen die Lehrveranstaltung an der Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Er fügte ein Gutachten der Amadeu Antonio Stiftung bei, in dem die Unterrichtsmaterialien der Lehrveranstaltung einer kritischen Prüfung unterzogen wurden. Dieses Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Unterlagen geeignet seien, den Studierenden ein - ich darf zitieren - „zutiefst antiisraelisches, in Teilen sogar antisemitisches Weltbild zu vermitteln“.

Am 12. Januar 2016 wurde eine Eingangsbestätigung des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur an Dr. Schuster versandt mit dem Hinweis auf das Erfordernis einer weiteren Stellungnahme der Hochschule zum beigefügten Gutachten. Am gleichen Tag wurde die Hochschule um eine Stellungnahme zum Schreiben sowie zu dem beigefügten Gutachten gebeten.

Am 1. Februar 2016 ging die Stellungnahme der Hochschule ein mit dem Hinweis, dass die erneute Beschwerde zum Anlass genommen wird, die Ethikkommission der Hochschule um eine Stellungnahme zu bitten. Gleichzeitig teilte die Präsidentin der Hochschule, Frau Professorin Dienel, die Zusage der Fakultät mit, das Lehrangebot zukünftig nicht mehr fortzuführen, wenn die Ethikkommission eine solche Empfehlung abgeben sollte.

Am 29. Februar 2016 erfolgte eine Antwort der Ministerin an den Zentralrat der Juden mit ebendiesem Hinweis der Hochschule, dass sich zusätzlich die Ethikkommission der Hochschule mit dem Lehrangebot befassen werde. Auch die Zusicherung der Fakultät, das Lehrangebot umgehend einzustellen, sollte sich die Ethikkommission nach einer Prüfung auf diese Weise äußern, wurde Herrn Dr. Schuster mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2016 teilte die Ethikkommission der Hochschule der Präsidentin mit, sie habe keine Bedenken gegen die Fortführung des Seminars. Wörtlich heißt es in dem Schreiben - ich darf wieder zitieren -:

„Die Ethikkommission hat keine Bedenken gegen die Fortführung der Lehrveranstaltung ‚Die soziale Lage der Jugendlichen in Palästina‘. Sie sieht keinen Anhaltspunkt, dass in dieser Lehrveranstaltung antiisraeli

sche oder antisemitische Inhalte in unzulässiger Weise propagiert werden.“

Am 1. August 2016 hat die Ministerin für Wissenschaft und Kultur die Entscheidung getroffen, ein unabhängiges Gutachten zur Lehrveranstaltung einzuholen. Die Präsidentin der Hochschule stimmte diesem Vorschlag zu. Am 5. August 2016 veröffentlichte die Hochschule die Entscheidung der Fakultät, die umstrittene Lehrveranstaltung nicht mehr anzubieten.