Protocol of the Session on August 17, 2016

Meine Damen und Herren, Herr Thümler, Sie mögen ja vielleicht ein Problem mit transnationalen Identitäten haben. Aber vielleicht geht es nicht grundsätzlich darum, sondern nur um die DeutschTürken; denn der Parteivorsitzende McAllister besitzt ja auch zwei Pässe. Er wird nach dem Brexit dann wahrscheinlich auch einen davon aberkennen lassen müssen.

(Björn Thümler [CDU]: Nach EU- Recht ist das so!)

Aber Sie können doch nicht einfach leugnen, dass es Menschen gibt, die sich als Türken verstehen und auch als Deutsche auffassen, Herr Thümler, und hier zu Hause sind.

Meine Damen und Herren, wir Grünen sind eine liberale Partei.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Was?)

Wir sehen überhaupt keinen Grund, daran etwas zu ändern. Ich wusste, dass Zustimmung aus den Reihen der FDP kommt.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das ist kei- ne Zustimmung, das ist Widerspruch!)

Wir trauen genau wie die FDP den Menschen zu, selbst zu entscheiden, mit wem sie sich identifizieren und wem gegenüber sie loyal sind. Und wir trauen den Menschen tatsächlich auch zu, Widersprüche, wenn sie denn vorhanden sind, mit denen sie leben müssen, entweder auszuhalten, Herr Thümler, oder selber zu lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Johanne Modder [SPD])

Das heißt nicht, dass es keine Konflikte geben kann, aber die lösen wir doch nicht, indem wir exklusive Loyalität verordnen. Was der Staat fordern kann und soll - das ist ein bisschen Fortbildung auch für die CDU -,

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Übertrei- ben Sie mal nicht, Frau Kollegin!)

ist, dass die Menschen sich an seine Gesetze halten. Tun sie es nicht, wird das sanktioniert. Herr Thümler, sie auf Gesetzestreue zu verpflichten, ist übrigens etwas ganz anderes, als sie einfach rauszuschmeißen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, bei den ganzen Reden um Loyalität gerät ja schnell in Vergessenheit, worum es eigentlich geht. Es geht hier nicht um Treue und Gehorsam, sondern es geht um die Bereitschaft und die Möglichkeit von Menschen, sich als Teil der Gesellschaft zu begreifen, deren grundsätzlichen Regeln einzuhalten sind, und sich einzubringen. Wer Loyalität fordert, soll im Gegenzug dafür Sorge tragen, dass sich die Menschen auch einbringen können. Denn warum sollten Menschen Interesse an einer Gesellschaft und an einer Politik haben, wenn nicht, weil sie mitmischen können? - Hierfür gibt es übrigens eine niederschwellige Möglichkeit zur Einbringung, und die ist sehr wichtig und ganz zentral: das Wahlrecht. Wir wollen, dass alle dauerhaft hier lebenden Menschen an Kommunalwahlen teilnehmen können, und nicht wie bisher nur EU-Bürger und -Bürgerinnen.

Meine Damen und Herren, wir haben darüber hinaus in Niedersachsen Foren, die Gespräche auf Augenhöhe und aktive Teilhabe möglich machen. Von diesem Gedanken lebt etwa die Initiative „Niedersachsen packt an“ mit ihren Integrationskonferenzen.

Auch die Verträge - darauf komme ich immer wieder gerne zurück - mit den muslimischen Verbänden haben genau dies zum Ziel, Herr Thümler: den Beteiligten zu vermitteln, dass sie sich dort, wo sie leben, einbringen können und sollen, dass sie Teil der Gesellschaft sind. Das zieht sich durch unsere Politik wie ein rot-grüner Faden. Das ist das Gegenteil von populistischen Forderungen nach der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Das ist eine ernst gemeinte Politik, die Angebote macht, statt Türen zuzuwerfen. Kommen Sie an Bord, Herr Thümler!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort Herr Dr. Pantazis.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Schneller, höher und weiter - in einer sprichwörtlichen Olympiade der Angst titelt der Spiegel über die aktuellen Sicherheitspläne der Union als Reaktion auf die jüngsten Anschläge in Europa und Deutschland. Der Ministerpräsident hat die Historie vorhin in seiner Regierungserklärung allenthalben erläutert. Da soll morgen ein Maßnahmenkatalog in Form einer Berliner-Erklärung präsentiert werden, die es in sich hat: Verbot der Vollverschleierung, Burka-Verbot, Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht und zu guter Letzt auch - hier geht es auch um diesen Punkt - Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft.

Angeblich sollen diese Maßnahmen dem Kampf gegen den Terror dienen und für mehr Sicherheit sorgen. Was den letzten Punkt betrifft, steht in dieser Berliner Erklärung wörtlich - Zitat:

„Wir lehnen diese gespaltene Loyalität ab. Wer sich für die Politik ausländischer Regierungen engagieren will, dem legen wir nahe, Deutschland zu verlassen.“

(Frank Oesterhelweg [CDU]: Sehr schön!)

Solche Sprüche kenne ich eigentlich nur aus Elbflorenz bei einigen Spaziergängen montagabends, aber in einem solchen Papier hätte ich solche Sätze nicht erwartet.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ganz abgesehen von dem Interview mit Herrn Thümler in der niedersächsischen Presse. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wem dient dieser neue Kurs der Union? Cui bono, wem nutzt es? Geht es wirklich um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, oder geht es um das erodierende Wählerpotenzial am rechten Rand unserer

Gesellschaft, respektive der CDU? Treibt Sie die Angst vor den Rechtspopulisten so sehr, dass Sie dieselben Ausgrenzungsmechanismen an den Tag legen? - Eines ist klar: Indem Sie scharfmacherische Vorschläge im Überbietungswettbewerb mit Symbolthemen machen - so etwas hatten wir schon im März dieses Jahres mit Frau Klöckner -, verlassen Sie ganz bewusst und willentlich die politische Mitte gen rechts und erzeugen damit nicht nur die gewünschten Schlagzeilen - darum geht es Ihnen ja auch -, sondern auch ein Klima der Unsicherheit und Angst, wie Wolfgang Kubicki von der FDP richtig konstatiert hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von Ingrid Klopp [CDU])

Nicht nur das! Sie vermengen eine wichtige Errungenschaft der Integration, die der doppelten Staatsbürgerschaft, mit der der Sicherheit. Das ist unverantwortlich!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ihr populistischer Sicherheitsvorstoß ist nicht mehr als ein gefährliches Wahlkampfmanöver mit dem Ziel, Rechtspopulisten vermeintlich das Wasser abgraben zu können. Merken Sie sich eines: Extreme Forderungen stärken immer Extremisten und Rechtspopulisten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es geht um Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und nicht um Spaltungs- und Ausgrenzungsmechanismen.

Selbst der Bundesminister des Inneren, Herr de Maizière, sagte - Zitat -:

„Gerade in Zeiten wie diesen kommt es darauf an, das Land zusammenzuhalten. Spaltung ist das Geschäft der AfD.“

Weise Worte, wenn Sie mich fragen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber Ihr Vorschlag, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen, ist integrationspolitisch deshalb gefährlich, weil Sie Inhaber zweier Pässe einem unverantwortlichen Generalverdacht im Hinblick auf ein vermeintliches Sicherheits- und Loyalitätsrisiko aussetzen. Das ist eine integrationspolitische Bankrotterklärung. Und in Bezug auf hier lebende Deutsch-Türken treibt ein solcher

Vorschlag gerade diese Gruppe im Endeffekt sogar in die Arme eines Herrn Erdogan.

In diesem Zusammenhang frage ich Sie ganz ernsthaft - Frau Piel hat es bereits angesprochen -: Sind Personen wie Herr Onay, Herr McAllister oder meine Wenigkeit, die wir alle einen zweiten Pass besitzen, ein mögliches Sicherheits- oder Loyalitätsrisiko? - Glauben Sie mir, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, an unser aller Loyalitätsbekundungen zu unserer Nation und zu unserem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen ist nicht zu rütteln.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das Gefährliche an Ihrer wahltaktischen Strategie ist, dass die doppelte Staatsbürgerschaft vor allem den jungen Menschen hilft, die in Deutschland aufgewachsen und voll integriert sind. Genau diese müssen sich seit unserer Einigung auf Bundesebene, an der Sie, sehr geehrter Herr Minister Pistorius, maßgeblich beteiligt waren - noch einmal herzlichen Dank dafür -,

(Beifall bei der SPD)

nicht mehr für Deutschland und gegen ihre Eltern bzw. gegen ihre Wurzeln oder umgekehrt entscheiden. Daran ist mit uns nicht zu rütteln.

Daher mein abschließender Appell an Sie: Bleiben Sie auf dem bereits eingeschlagenen Pfad einer teilhabeorientierten Integrationspolitik - Sie sind auf Bundesebene schon einen weiten Weg gegangen - und verlassen Sie den nun verfolgten Weg in die Populismusfalle. Denn dieser Weg ist nicht nur gefährlich für unser Zusammenleben, sondern er steht auch in krassem Widerspruch mit dem grundsätzlichen Verständnis von Willkommens- und Anerkennungskultur. Er ist auch Ausdruck einer überholt national gesinnten Abschottungskultur des vorigen Jahrhunderts.

In diesem Sinne brauchen wir keine Politik für das Gestern, sondern auch im Sinne unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts und unserer Sicherheit mehr Haltung und Anstand; schlichtweg mehr Teilhabe und Integration und weniger Ausgrenzung und Spaltung.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Pantazis. - Für die CDUFraktion hat nun das Wort Frau Kollegin Jahns. - Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Pantazis, Sie haben gesagt, dass extreme Forderungen den Extremismus fördern. Dann frage ich Sie an dieser Stelle natürlich auch: Ist Ihnen bewusst, dass gerade von den jungen Menschen, die in den Jihad nach Syrien und in den Irak gezogen sind, einige die doppelte Staatsbürgerschaft haben?