Protocol of the Session on February 16, 2011

- Herr Schminke, wollen Sie mit mir darüber diskutieren?

(Zurufe: Nein!)

- Gut.

Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung: Die „Offene Hochschule“ zum Erfolgsmodell machen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/3303

Zur Einbringung hat sich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Dr. Heinen-Kljajić zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offene Hochschule im Sinne einer erweiterten Durchlässigkeit des Bildungssystems existiert bisher - abgesehen von wenigen Ausnahmen - eigentlich nur als Vision. Damit das nicht so bleibt, haben wir diesen Antrag eingebracht.

Laut Hochschulgesetz kann heute rein theoretisch jeder ein Hochschulstudium starten, der eine abgeschlossene Berufsausbildung hat und entsprechende Praxisjahre nachweisen kann. So weit die Theorie. In der Praxis aber ist dieser Bildungsweg bisher immer noch die Ausnahme. 2007 lag der Anteil der Studienanfänger in Niedersachsen ohne traditionellen Hochschulzugang bei schlappen 1,45 %. Besonders besorgniserregend ist: Zehn Jahre vorher lag er immerhin noch bei 2,37 %. Das heißt, wir bauen hier ab. Schon diese Zahlen machen deutlich: Es braucht mehr als nur einen Abbau formaler Hürden, wenn man Menschen ohne klassischen Hochschulzugang, sprich Abitur oder Fachabitur, an die Hochschulen locken will.

Demografischer Wandel, technischer Fortschritt und sicherlich auch steigende Anforderungen an Berufsgruppen, die bisher im dualen System oder an Fachschulen ausgebildet wurden, machen eine deutliche Steigerung der Akademisierungsrate nötig. Über den Bedarf besteht Konsens. Der Bund hat entsprechende Programme aufgelegt. Wir haben im Land das Programm „Offene Hochschule“, das mit 800 000 Euro bei der Erwachsenenbildung eingestellt ist. Niedersachsen hat am sogenannten ANKOM-Projekt „Anrechung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge“ teilgenommen. Trotzdem bleibt das Programm insgesamt stecken bzw. kommt nicht in Fahrt. Das liegt u. a. daran, dass der offene Hochschulzugang ohne klassisches Abitur immer noch ein Geheimtipp ist. Das Gros der Internetauftritte weist selten auf diese Zugangsmöglichkeit hin und wenn, dann meistens an einer Stelle, die wenig prominent ist. Wenn alle, die es angeht, davon erfahren sollen, dann brauchen wir eine breit angelegte Bewerbungsoffensive, in die Berufsschulen, Fachschulen, Gewerkschaften und Arbeitgeber eingebunden werden.

Eine weitere, aus unserer Sicht nötige Maßnahme ist, die bestehenden Bildungsberatungsagenturen in das Programm „Offene Hochschule“ einzubinden; denn die Bildungsagenturen können jenseits der klassischen Beratung für Studieninteressierte Koordinationsstelle zwischen Hochschulen, Arbeitsmarkt und potenziellen Studierenden sein, um nachfragegerechte Angebote für Studierende ohne klassischen Hochschulzugang zu schaffen.

Besonders groß ist aber der Handlungsbedarf im Bereich vorbereitender und begleitender Unterstützungsangebote. Hier muss das Rad eigentlich gar nicht neu erfunden werden. Die Erwachsenenbildung hat nämlich jede Menge Erfahrung in Sa

chen Durchlässigkeit des Bildungssystems. Ich nenne nur das Stichwort zweiter Bildungsweg. Diese Erfahrungen müssen einfach nur auf das Konzept „Offene Hochschule“ übertragen werden bzw. dafür nutzbar gemacht werden. Die erfolgreiche Kooperation zwischen Hochschulen und Trägern der Erwachsenenbildung gibt es zwar heute schon vereinzelt. Über das Erwachsenenbildungsgesetz sind sie auch ausdrücklich förderfähig. Aber sie machen am Gesamtvolumen des geförderten Arbeitsumfangs bei den Volkshochschulen gerade einmal 0,2 % aus, bei den Landeseinrichtungen 1,3 % und bei den Heimvolkshochschulen 2,3 %.

Deshalb schlagen wir vor, dass die Hochschulen und die Agentur für Erwachsenenbildung eine einheitliche Zertifizierung von Kursen zur Vorbereitung auf ein Studium erarbeiten. Das dient der Qualitätssicherung, gibt den Teilnehmern die Sicherheit, dass sie Kurse belegen, mit denen sie hinterher auch etwas anfangen können, und die Hochschulen haben die Gewähr, dass auch Studierende ohne Abitur das nötige Rüstzeug mitbringen, um erfolgreich studieren zu können.

Im Moment gibt es solche Abgleiche zwischen Anforderungen der Hochschulen und Angeboten der Träger auch als Einzelverabredung, also im lokalen oder regionalen Umfeld. Wir sagen aber: Wenn wir es mit der Idee der offenen Hochschule wirklich ernst meinen, dann brauchen wir Brückenangebote, die flächendeckend und trägerunabhängig angeboten werden;

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

denn nur so kann erreicht werden, dass man sich überall in Niedersachsen auf ein Studium vorbereiten kann. Die Mittel aus dem Topf für das Projekt „Offene Hochschule“, die ohnehin schon bei der Erwachsenenbildung angelegt sind, könnten aus unserer Sicht hier sinnvoll eingesetzt werden; denn, meine Damen und Herren, die bisherigen Anstrengungen der Landesregierung kranken aus unserer Sicht daran, dass vom Konzept der offenen Hochschule im Wesentlichen die Universitäten profitieren, und hier die Universitäten, die an dem ANKOM-Projekt teilgenommen haben. Die Fachhochschulen - das ist aus unserer Sicht ein riesiges Versäumnis - werden vom Land bei diesem Thema im Stich gelassen. Dabei sind die Fachhochschulen ja mit ihrem starken Anwendungsbezug eigentlich den Interessen beruflich Qualifizierter ohne Abitur deutlich näher als Universitäten. Bei zukünftigen Förderprogrammen, etwa beim Bundesprogramm „Aufstieg durch Bildung“, das

gerade aufgelegt wird, müssen endlich die Fachhochschulen im Fokus stehen, und sie müssen auch bei ihren Anstrengungen vom Land finanziell unterstützt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Außerdem müssen die Hochschulen die Idee der offenen Hochschule endlich zu ihrer Sache machen. Deshalb schlagen wir vor, über die formelgebundene Mittelzuweisung entsprechende Anreize zu schaffen. Ergänzend müssen die Hochschulen über Zielvereinbarungen noch viel stärker als bisher dazu aufgefordert werden, verstärkt berufsbegleitendes Studieren über Fern- oder Teilzeitstudiengänge zu ermöglichen.

In der Kürze der Zeit ist es mir nicht möglich, hier alle Punkte unseres Antrages aufzuzählen. Ich nenne nur die Stichworte: Aufstiegsstipendien, BAföG für Teilzeitstudierende, Ausbildungspakt zwischen Hochschulen und Wirtschaft zum Ausbau dualer Studiengänge. Wichtig ist nur zu begreifen, dass ohne flankierende Maßnahmen die Idee der offenen Hochschule ein leeres Versprechen bleibt. Hier ist die Landesregierung bisher ein stimmiges Maßnahmenpaket schuldig geblieben. Wir schlagen deshalb vor, zu diesem Themenkomplex auch im Ausschuss eine Anhörung durchzuführen. Ansonsten hoffen wir im Interesse der Studierwilligen ohne klassischen Hochschulzugang auf wohlwollende Prüfung unseres Zehn-Punkte-Katalogs.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat Frau Dr. Andretta das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er nimmt wichtige Forderungen auf, die auch wir in mehreren Anträgen zur Öffnung der Hochschulen in den Landtag eingebracht haben - leider vergeblich. Ich hoffe sehr, Frau Kollegin Heinen, dass diesen Antrag nicht das gleiche Schicksal ereilt; denn dass hier Handlungsbedarf besteht, ist unstrittig.

Mit Blick auf die Fachkräftelücke, und zwar nicht nur in den MINT-Berufen, sondern ebenso in den Pflege-, Gesundheits- und Erzieherberufen, steht fest: Allein auf unsere Abiturienten zu setzen, reicht nicht mehr. Vorhandene Bildungsreserven müssen besser mobilisiert, und die Durchlässigkeit

zwischen beruflicher und akademischer Bildung muss verbessert werden. Die berufliche Bildung darf für uns keine Sackgasse mehr sein. Sie muss die Nachwuchsschmiede in unserem Land werden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Dr. Gabriele Heinen-Kljajić [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, alle hier wissen, die Arbeitswelt ändert sich. Der Weiterbildungsbedarf nimmt zu, Stichwort: lebenslanges Lernen. Das brauche ich hier nicht auszuführen.

Nicht zuletzt wird auch die Umstellung auf Bachelor und Master zeigen, dass systematisch ein anderer Weiterbildungsbedarf besteht. In unseren europäischen Nachbarländern, etwa den Niederlanden, zeigt sich das bereits. Dort geht die große Mehrzahl der Menschen nach dem Bachelor-Abschluss in den Beruf, kommt dann einige Jahre später wieder in die Hochschulen zurück und beginnt dort ein berufsbegleitendes Studium. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Hochschulen auch entsprechend angepasste Angebote für die Berufsphase bereithalten. Hier besteht ein großer Nachholbedarf. Die nackten Zahlen sind ernüchternd. Frau Heinen hat sie hier genannt. Berufstätige verirren sich bei uns nur selten an die Hochschulen.

Zwar wurde - auch das haben wir hier beschlossen - mit der jüngsten NHG-Novelle die Tür zur Hochschule weiter geöffnet. Doch die Barrieren sind nach wie vor so hoch, dass nur wenige diese Türschwelle auch überschreiten. Wollen wir das ändern, brauchen wir mehr als Gesetze. Aus der Sicht meiner Fraktion möchte ich dazu nur drei Punkte knapp benennen.

Erstens: die Öffnung der Hochschulen für neue Zielgruppen durch gezielte Studienangebote für Berufstätige. Unsere Universitäten - nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland - gehen immer noch von dem Modell des Normalstudierenden aus, der direkt nach dem Abitur an die Hochschule kommt, dort seinen Bachelor und Master macht, danach die Hochschule verlässt und dann nicht wiederkommt. Studierende, die nicht über das klassische Abitur an die Hochschulen kommen, sind aber in der Regel älter, kommen oft aus Facharbeiterfamilien und sind aufgrund ihrer Bildungsbiografie nicht mit der Lernkultur von Hochschulen vertraut. Oft haben sie schon selbst Familie und müssen Familie, Beruf und Studium unter einen Hut bringen. Für diese Studierende bedarf es besonderer flexibler Angebote an den

Hochschulen. Doch bisher ist die Lern- und Lehrkultur an den Hochschulen nicht auf diese Studierende vorbereitet. Im Unterschied z. B. zu den Angelsachsen oder zu Finnland ist bei uns das Präsenzvollzeitstudium die Norm. Fernstudium, berufsbegleitendes und echtes Teilzeitstudium oder weiterbildende Studiengänge sind Stiefkinder unserer Hochschulen. Solche Studienangebote machen weniger als 5 % der Studiengänge aus.

Wie kann man das ändern? - Das sollte uns hier beschäftigen. Dazu wurden in einer Expertenanhörung, die der Wissenschaftsausschuss vor noch nicht einmal zwei Jahren durchgeführt hat, gute Vorschläge gemacht. So wurde z. B. vorgeschlagen, die Verankerung einer Zielvorgabe im NHG zur Entwicklung von weiterbildenden BachelorStudiengängen mit Anreizsystemen für die Hochschulen zu verbinden, damit sie sich auch öffnen und genau diese Angebote entwickeln.

Zweites Handlungsfeld: die Erleichterung von Übergängen zwischen beruflicher und Hochschulbildung durch die Anerkennung beruflicher Kompetenzen. Frau Heinen-Kljajić hat darauf hingewiesen. Die Erfahrungen mit den ANKOM-Projekten waren ermutigend, meine Damen und Herren. Hieran muss weitergearbeitet werden, insbesondere was die Vernetzung mit den Akteuren der beruflichen Bildung und der Erwachsenenbildung angeht. Dabei geht es nicht nur um Fragen von Anrechnungsverfahren und Qualitätssicherung. Die Experten haben uns gesagt, es gehe auch um die Frage neuer Lernorte. Das muss nicht immer die Hochschule sein. Ich glaube, unsere Weiterbildungseinrichtungen bieten hierzu attraktive Alternativen.

Das dritte Handlungsfeld ist im Grunde ebenso dringlich: die Finanzierung des Studiums. Die letzte BAföG-Novelle brachte diesbezüglich keinen Fortschritt. Nach wie vor ist ein Teilzeitstudium nicht förderfähig. Hier brauchen wir dringend mehr Flexibilität. Hinzu kommt, dass berufsbegleitende Studiengänge, Weiterbildungsstudiengänge mit Gebühren belegt sind. So kostet z. B. ein MasterProgramm in Oldenburg zwischen 12 000 Euro und 15 000 Euro, ein Bachelor 18 000 Euro. Zum Teil werden diese Gebühren vom Arbeitgeber finanziert. Zum Teil gibt es betriebliche Freistellungen. Allerdings gibt es keinen Zugang zu den Studienbeitragsdarlehen des Landes. Warum eigentlich nicht, Frau Ministerin?

(Beifall bei der SPD)

Auch Stipendien für diese Gruppe sind eher selten. Dabei hätte man es mit dem Deutschlandstipendium in der Hand gehabt, gezielt diese Gruppe zu fördern. Aber wieder einmal - wir haben es mitverfolgt - wurde nur die reiche Klientel von CDU und FDP bedient, und jene, die wir eigentlich zusätzlich an den Hochschulen haben wollen, bleiben weiter außen vor.

(Beifall bei der SPD - Detlef Tanke [SPD]: Wie immer!)

Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist davon überzeugt, dass die Offene Hochschule die Hochschule der Zukunft ist. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, an die Pionierfunktion, die Niedersachsen einst mit der Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte hatte, wieder anzuknüpfen und ernsthaft zu prüfen, inwieweit die im Antrag vorgeschlagenen Maßnahmen geeignet sind, uns auf diesem Weg voranzubringen. Wir jedenfalls sind dazu bereit.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Dr. Andretta. - Für die CDUFraktion hat sich nun Herr Dr. Siemer zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 8. Juni 2010, also vor fast neun Monaten, hat der Niedersächsische Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP die Novelle des Niedersächsischen Hochschulgesetzes beschlossen. Kernpunkt war der Hochschulzugang ohne Abitur, also die Offene Hochschule. Meine Vorrednerinnen haben schon ausgeführt, dass im Rahmen der Offenen Hochschule die Kompetenzen, die man im Beruf erworben hat, auf das Hochschulstudium angerechnet werden können und dass somit die Studienmöglichkeiten für Menschen mit einer beruflichen Ausbildung deutlich ausgeweitet wurden.

Ich möchte betonen, dass Niedersachsen - dies zeigt sich, wenn man sich die Fakten genau ansieht - derzeit in diesem Bereich bundesweit führend ist, und zwar nicht nur, was die gesetzlichen Grundlagen angeht, sondern auch was die bundesweite ANKOM-Initiative sowie die Umsetzung betrifft. Wir setzen damit das Konzept des lebenslangen Lernens in der Hochschulpolitik erfolgreich um.

Die Gesetzesnovelle, die wir letztes Jahr verabschiedet haben, ermöglicht den Hochschulen, sich auf den demografischen Wandel noch besser einzustellen, und hilft ihnen, sich auf den nationalen und internationalen Wettbewerb vorzubereiten. Dabei können die hohen Qualitätsstandards auch aufgrund der Mittelausstattung, die das Land den Hochschulen gewährt, erhalten bleiben.

Wichtig ist auch die Vernetzung. Die ANKOM- Initiative ist bereits angesprochen worden. Die Vernetzung findet im breiten Raum zwischen den Universitäten, Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen statt. Ich möchte hierauf näher eingehen und dabei die vier Projekte ganz konkret benennen:

An der Technischen Universität Braunschweig konzentriert man sich auf den Schwerpunkt Informationstechnologie und IT-Management. Die TU Braunschweig arbeitet hier sehr eng mit der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel im Rahmen des Projekts „IT Professional“ zusammen.

Der Schwerpunkt an der Leibniz Universität sind die Ingenieurwissenschaften. Hier bezieht sich das Projekt auf Industriemeister und Techniker in Bezug auf die Fakultät Maschinenbau. Auch hier besteht eine Zusammenarbeit mit der Fachhochschule.

(Beifall bei der CDU)

Leuphana Universität Lüneburg, Schwerpunkt Sozialwissenschaften: Hier geht es um die Anrechnung von Kompetenzen von Erzieherinnen und Erziehern auf den Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit/Sozialpädagogik. Dabei arbeitet die Universität mit elf Fachschulen für Sozialpädagogik zusammen.

Woher also meine Vorrednerinnen die Behauptung nehmen, das Projekt sei nicht flächendeckend umgesetzt, kann ich nicht erkennen.

(Beifall bei der CDU)