Protocol of the Session on January 21, 2011

Meine Damen und Herren! Das ist eine im Zusammenhang mit dem doppelten Abiturjahrgang in den Ländern zu Recht geführte Debatte. In diesem Jahr werden wir bekanntlich gemeinsam mit Bayern das doppelte Abitur durchführen.

Wir haben allerdings - um diesen Aspekt fachlich zu beleuchten - zu Bayern eine Unterschiedlichkeit. Bayern hat versucht, die beiden Termine für die sogenannten G-8- und G-9-Schüler auseinanderzunehmen.

Das hatte allerdings eine andere Ursache. In Bayern hat man sich durch die Oberstufenveränderungen im Prinzip dem Niveau Niedersachsens angepasst. Dort hatte man zuvor nur vier Prüfungsfä

cher; inzwischen sind es wie in Niedersachsen fünf. In Bayern waren also unterschiedliche Voraussetzungen gegeben. Deshalb hat man dort zwei unterschiedliche Prüfungstermine festgelegt.

Grundsätzlich müssen in allen Bundesländern die vorgegebenen 260 Wochenstunden erfüllt sein, um dann nach zwölf Jahren das Abitur verliehen zu bekommen. Dieses gilt es natürlich entsprechend auf den doppelten Abiturjahrgang, auf den sogenannten G-8-Jahrgang, umzusetzen.

Die Einführung von G 8 in Niedersachsen ging im Übrigen mit der Vereinbarung der Bundesländer einher, im Sekundarbereich I länderübergreifende Bildungsstandards einzuführen, und zwar in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik, Biologie, Chemie und Physik. Diese Rahmenbildungsstandards bilden den Rahmen, der für alle Bundesländer verbindlich festgelegt ist. Sie geben Auskunft darüber, über welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler am Ende der Sekundarstufe I tatsächlich verfügen müssen. In Niedersachsen liegen kompetenzorientierte Kerncurricula für die Fächer, in denen Bildungsstandards erstellt wurden, seit dem 1. August 2006 und seit dem 1. August 2007 vor.

Nun will ich auf etwas aufmerksam machen, was bei der Entscheidung der damaligen und auch heutigen Landesregierung zur Einführung des doppelten Abiturs - wie in anderen Bundesländern auch - zu einem Problem wurde und was immer dann, wenn man die Inhalte von Unterricht verändert, zu einem Problem für die Schule wird.

In der Regel ist es in allen Bundesländern nicht so, dass Schulverwaltungen oder Ministerien für eine Veränderung der Lehrpläne oder Kerncurricula ausreichend Zeit - meinetwegen eine einjährige Vorbereitungszeit - bekommen. Das müssen wir einfach kritisch sehen. Das gebe ich auch zu. In allen Bundesländern ist es bei der Einführung problematisch gewesen, dass die ersten Jahrgänge zum Teil erst auf Kerncurricula stießen, als das Schuljahr schon begonnen hatte, bzw. dass das Kerncurriculum erst im nächsten Schuljahr für die folgenden Jahre vorgegeben war. Lehrkräfte hätten es in aller Regel gern, dass sämtliche Kerncurricula für den gesamten Sekundarbereich I vorliegen, damit sie in etwa wissen, wie sie die Inhalte der verschiedenen Unterrichtsfächer der Jahrgänge fünf bis zehn, wie sie also das zu Unterrichtende aufeinander abstimmen können.

Dieses teilweise Nachhängen ist bei der Einführung des doppelten Abiturs nicht nur in Nieder

sachsen, sondern auch in den anderen Bundesländern eine große Schwierigkeit gewesen. Mir sind auch Berichte darüber bekannt geworden, dass den Schülerinnen und Schülern bzw. den Lehrkräften am Anfang zum Teil noch keine mit den neuen Kerncurricula abgestimmte Schulbücher vorlagen, dass zum Teil mit Kopien gearbeitet wurde.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Der Ver- suchskaninchenjahrgang!)

- Frau Heiligenstadt, man muss auch einmal die Gesamtsituation betrachten, in der die politische Entscheidung gefallen ist, ein verkürztes Abitur einzuführen. Die Verkürzung des Abiturs auf zwölf Jahre ist ja in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland in einer Situation erfolgt, in der wir uns, rückblickend betrachtet, im Kern über Folgendes diskutiert haben: Erstens. Unsere Schulzeiten sind zu lang. Zweitens. Unsere Studienzeiten sind zu lang. Drittens. Im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn ist es auch mit Blick auf die Zukunft der nachfolgenden Generationen nicht vertretbar, dass man sich, wenn man - im Durchschnitt mit 27 oder 28 Jahren - ein Studium absolviert hat und sich um einen Arbeitsplatz oder sonstigen Ausbildungsplatz bewirbt, mit viel jüngeren Absolventen aus anderen europäischen Ländern wird messen müssen.

Unter anderem vor diesem Hintergrund - natürlich auch aufgrund der Belastung der Sozialversicherungssysteme - ist damals in allen Ländern die Entscheidung für die Verkürzung der Schulzeiten gefallen.

Die Bundesländer sind unterschiedliche Wege dazu gegangen. Die meisten haben eine Schulzeitverkürzung vorgenommen. Thüringen und insbesondere Sachsen, die PISA-Siegerländer innerhalb Deutschlands, kennen nur das Abitur nach zwölf Jahren. Offensichtlich ist es in diesen Bundesländern sehr gut möglich gewesen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Es kommt auch darauf an, wie man es macht!)

Die kompetenzorientierten Kerncurricula für die von mir vorhin erwähnten Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Biologie, Chemie und Physik, in denen die Bildungsstandards hier in Niedersachsen erstellt wurden, liegen seit dem 1. August 2006 bzw. seit dem 1. August 2007 vor. Seit dem Jahr 2008 haben wir die Kerncurricula für die weiteren Fächer erarbeitet. Dies wird am Ende dazu führen, dass im Jahr 2012 für alle Pflichtfächer des

Sekundarbereichs I Kerncurricula vorliegen werden. Zum 1. August 2010 sind zudem die Kerncurricula für die Fächer mit Bildungsstandards in der gymnasialen Oberstufe in Kraft getreten.

Der gegenwärtige Unterricht in der Qualifikationsphase und die Abiturprüfungen 2011 basieren noch auf der Grundlage der fachbezogenen Rahmenrichtlinien und der bundesweit geltenden Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung, kurz EPA genannt. Das wird in der Berichterstattung manchmal nicht richtig dargestellt. Die Schülerinnen und Schüler des doppelten Abiturjahrgangs sind nämlich noch gar nicht nach den neuen Kerncurricula auf die Abiturprüfung vorbereitet worden. Ein Abitur auf der Grundlage der neuen Kerncurricula wird erstmals im Jahr 2012 durchgeführt werden.

Für die Erarbeitung aller Kerncurricula gilt, dass die veränderte Dauer der Schulzeit berücksichtigt wurde und eine Reduzierung der verbindlichen Inhalte ohne Qualitätsverluste erfolgte.

Ich habe nach Diskussionen mit einer Vielzahl von Eltern und auch mit dem Landeselternrat bezüglich des doppelten Abiturs natürlich die Frage gestellt: Wie sieht es denn tatsächlich mit der sogenannten Entfrachtung oder Entrümpelung aus, die immer wieder genannt wurde, auch wenn dies, differenziert betrachtet, vielleicht nicht der richtige Ausdruck im Umgang mit den Kerncurricula ist. Ich habe mir Beispiele geben lassen, um festzustellen, ob wir in den letzten Jahren tatsächlich zu einer „Entfrachtung“ der Kerncurricula gekommen sind. Das ist tatsächlich der Fall. Ich will die Beispiele kurz nennen.

Beispiel Mathematik. Für die Jahrgänge 7 bis 10 lauten die gestrichenen Inhalte, die nicht mehr unterrichtet werden müssen, z. B. im Bereich der Geometrie: die Inkommensurabilität, der Höhen- und Kathetensatz, die Ähnlichkeitsabbildung, die Abgrenzung gegenüber anderen Abbildungen, die Eigenschaften der Abbildungen, der Zweispiegelungssatz, der Umfangswinkelsatz, das Sehnenviereck und das Tangentenviereck.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das war alles sehr spannend! Ich kann mich gut daran erinnern! Ich fand das gut! - Zuruf von Karl-Heinz Klare [CDU])

- Fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach allen Formeln zu diesen bekannten mathematischen Fragen.

Auch im Bereich der Biologie und im Bereich der Physik - Stichwort Magnetismus - haben wir „Entfrachtungen“ vorgenommen.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Auch das war spannend!)

Aber eines muss auch klar sein: Das niedersächsischen Abitur muss, verglichen mit den Abiturabschlüssen mit anderen Bundesländern, die gleiche Qualität haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich habe den Umgang mit den Kerncurricula zu meiner persönlichen Sache gemacht, habe seit dem 31. August von der Landesschulbehörde Dienstbesprechungen mit den Schulleitern der einzelnen Schulformen durchführen lassen und habe zum Teil selber an diesen Dienstbesprechungen, auch mit Schulleitern von Gymnasien, teilgenommen.

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Dann kann es ja nur etwas werden!)

- Vielen Dank.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Aber das war ironisch gemeint!)

- Das weiß ich nicht. Aber vielleicht könnte ja noch einmal wiederholt werden, dass es jetzt besser werden kann.

(Heiterkeit - Johanne Modder [SPD]: Ihre Fraktion hat die Frage gestellt!)

Meine Damen und Herren, diese angebliche Überfrachtung in den Kerncurricula hat zumindest in den Dienstbesprechungen, an denen ich teilgenommen habe, nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Meine Mitarbeiter haben mir das auch so bestätigt. Das legt für mich die Vermutung nahe, dass die kritisierte Stofffülle des Unterrichts weniger in den Vorgaben als in den Umsetzungsschwierigkeiten aufgrund der neuen Lehrplanart und der Veränderung bisheriger Unterrichtsgewohnheiten zu suchen ist.

Ich will einmal ein ganz typisches Beispiel nennen. Das ist kein Vorwurf, aber es ist eine wesentliche Frage im Umgang mit den Kerncurricula. Man kann nicht mit kompetenzorientierten Kerncurricula neben Fachwissen - wie gehe ich damit um, und wie erschließe ich mir selber die Inhalte? - den gleichen Unterricht machen, wie man ihn bisher, seit 20 oder 30 Jahren, gemacht hat - womöglich mit fertigen Unterrichtskonzepten. Die sind zwar hilfreich - in der Wiederholung liegt auch eine Chan

ce -; aber wenn man etwas Neues auf den Tisch bekommt und Mathematik, Geschichte oder was auch immer jetzt anders, mit anderen Ansätzen, unterrichten muss, dann braucht man nicht zu versuchen, seine bisherigen Unterrichtskonzepte beizubehalten, aber gleichzeitig den neuen Anforderungen des Kerncurriculums zu genügen. Das würde nämlich in der Regel dazu führen, dass man sich überlastet, überfrachtet, überfordert fühlt. Das funktioniert nicht.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb haben wir genau hier angesetzt und im August eine Arbeitsgruppe im Ministerium eingesetzt, die die Kerncurricula für - wenn ich mich recht erinnere - Deutsch, Biologie und Mathematik noch einmal darauf überprüft, ob sie Bereiche enthalten, die wir „entfrachten“ könnten.

Wir haben darüber hinaus angefangen, für einzelne Kerncurricula Handreichungen herauszugeben. Für Englisch gibt es eine, so glaube ich, mehrere Hundert Seiten dicke Handreichung, die den Lehrkräften angeblich sehr hilfreich sein soll. Wir bereiten für alle die Fächer, in denen es offensichtlich Probleme gibt, weitere Handreichungen vor.

(Zuruf von Dieter Möhrmann [SPD])

- Das geht leider nicht so schnell, weil die Vorbereitung und Erarbeitung der Kerncurricula durch die entsprechenden Fachkommissionen zum Teil über ein Jahr dauert. Wenn sich hinterher ein paar Problembereiche herausstellen, dann dauert es, Herr Möhrmann, immer ein bisschen, bis man diese sozusagen wieder herausnehmen kann. Das ist nicht immer von heute auf morgen machbar.

Darüber hinaus versuchen wir, mit Multiplikatorenveranstaltungen - gerade auch im Bereich der Mathematik - und Fortbildungsveranstaltungen die Defizite im Umgang mit neuen Kerncurricula aufzugreifen.

Zugegeben: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber niemand kann dieser Landesregierung unterstellen, nicht das in ihren Möglichkeiten Stehende getan zu haben,

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

um im Umgang mit Kerncurricula die notwendige Professionalität auf den Weg zu bringen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Dreyer stellt die nächste Zusatzfrage.

(Johanne Modder [SPD]: Herr Minis- ter, Sie sollten wirklich einmal in die CDU-Fraktion gehen! Sie hat so viele Fragen!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe folgende Frage an die Landesregierung: Würde sich die Quote der Rücktritte aus der gymnasialen Oberstufe verringern, wenn die Schullaufbahnempfehlungen aus der Grundschule stärker mit dem Elternwillen in Einklang gebracht würden, und - speziell bezogen auf die Region Hannover - wie kann man sicherstellen, dass die Schullaufbahnempfehlungen zukünftig stärker mit dem Elternwillen in Einklang gebracht werden?