Protocol of the Session on January 19, 2011

Es geht um die Frage, ob wir uns künftig von Designerfood und Chicken McNuggets ernähren oder ob unsere Kinder noch wissen, wie man Königsberger Klopse oder Grünkohl mit Pinkel kocht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Neuanfang ohne einen Kurswechsel weg von der industriellen Tierhaltung, die die Privilegien der bäuerlichen Landwirtschaft in Anspruch nimmt. Das tut sie sehr wohl, aber diese Privilegien wurden einst für bäuerliche Betriebe geschaffen und nicht für Agrarfabriken.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denken Sie an die Fusion von Danish Crown und D&S Fleisch, hochgepäppelt mit Landesbürgschaften. Da steht künftig ein einzelner Bauer einem Konzern mit 25 Millionen Schlachtungen gegenüber. Das sind die Verhältnisse, die Sie geschaffen haben! Gucken Sie sich die Entwicklung der letzten 40 Jahre an! Soll sich der Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft in diesem Tempo fortsetzen? - Ich hoffe, nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn es am Ende so käme, dann bräuchte jede Verbraucherin und jeder Verbraucher ein eigenes Labor, um zu prüfen, was im Essen enthalten ist.

Fakt ist: Im Futter finden wir Industriefette, Antibiotika, Blutplasma und andere Abfallstoffe zur Beseitigung wie Dioxin. Zum Schutz der Verbraucher muss das alles aufgeklärt werden. Ross und Reiter müssen genannt werden. Das ist unvermeidlich. Zum Schutz der Verbraucher und zur Verhinderung von Wiederholungen dieses Desasters muss sowohl das bestehende System optimiert als auch der Systemwechsel in Angriff genommen werden. Die gestrigen Beschlüsse sind ein Anfang, mehr nicht.

Mit Herrn Lindemann zieht kein Hoffnungsträger ins Landwirtschaftsministerium. Herr Lindemann, Ihre Rede zeigt: Sie sind kein reformfreudiger Jungbauer, sondern ein Grandseigneur der alten Schule.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann hören Sie doch wenigstens auf eine große Tageszeitung in Niedersachsen, die heute auch sagt: „Masse statt Klasse“ hat keine Zukunft. Die wichtigste Korrektur liegt darin, dass sich Ihr Ministerium nicht weiterhin als Außenstelle der Agrarlobby versteht.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Herrn Dürr von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Januar haben wir gefordert, die Entstehung von Dioxin im technischen Bereich zu minimieren, insbesondere durch eine verstärkte Forschung bei der Dioxinentstehung. Wir haben eine räumliche Trennung von Fetten für die Industrie auf der einen Seite und für Futtermittel auf der anderen Seite gefordert. Wir haben gefordert, die Kooperation von staatlichen Kontrollinstanzen und Wirtschaft zu stärken.

Am 7. Januar haben wir ein Prüfsiegel gefordert; die Kosten dafür sind von den Produzenten zu tragen. Wir haben eine optische Kennzeichnung von industriellen Fetten, insbesondere im Rahmen

des Einfärbens, gefordert. Wir haben einen runden Tisch aller Beteiligten für Schadenersatz und Entschädigung gefordert.

Am 12. Januar haben wir gesagt, dass Eigenkontrollen allein nicht reichen, sondern dass die Systemkette stärker überwacht werden muss, dass nämlich Eigenkontrollen verpflichtend gemacht werden müssen und ein unabhängiges Prüfsystem für Rückstände in Futtermittelausgangsstoffen eingeführt werden muss. Wir haben ein europaweites und unabhängiges Prüfsystem zum Beispiel mittels eines Prüfsiegels gefordert, und wir haben einen Entschädigungsfonds der Futtermittelbranche insbesondere bei Versicherungsausfällen gefordert, meine Damen und Herren.

Ich sage vor dem Hintergrund der Rede des Kollegen Wenzel in aller Deutlichkeit: Wer in einer Notsituation in rhetorischen Aktionismus verfällt, wem die eigene Agrarideologie wichtiger ist als wirksame Abhilfe,

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Wie wollen Sie denn das Vertrauen wiederher- stellen?)

wer, wie die linke Seite des Hauses, tagelang lautstark das eigene landwirtschaftspolitische Parteiprogramm herunterbetet, statt konkrete Maßnahmen zu unterstützen,

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Sie haben dreimal erklärt: „Es ist alles in Butter“, aber nichts getan!)

wer sich so verhält wie diese Opposition hier, der hat sich schamlos für politischen Opportunismus auf dem Rücken der Betroffenen entschieden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Starker Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Tatsache ist, dass es sich um einen Fall von erhöhter Giftkonzentration handelt. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der Art und Weise der Viehhaltung oder der Verwendung von Chemikalien zu tun.

Tatsache ist auch - das hat Herr Lindemann vorhin ausdrücklich zu Recht gesagt, und alle hier Anwesenden wissen das -, dass die biologische Landwirtschaft in gleicher Weise von diesem Skandal hätte betroffen sein können. Es ist lediglich ein Zufall, dass es diesmal nicht der Fall zu sein scheint. Tatsache ist auch, dass es sich um einen Fall von krimineller Energie handelt.

Wer angesichts eines kriminellen Einzelfalls ein ganzes System infrage stellt, der könnte genauso gut die Rückkehr zur Schreibmaschine fordern, weil es im Internet Computerviren gibt.

Das ist unseriös, und wer sich in einer schwierigen Notsituation so verhält, Herr Wenzel, der verhöhnt die Leidtragenden, nämlich die Verbraucher und die Bauern in Niedersachsen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Bei der Wirtschaftskrise waren es auch schon nur Einzelfälle!)

Ich muss mich wirklich wundern über die teilweise absurden Äußerungen, die die Opposition den Menschen in diesen Tagen zugemutet hat.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Sagen Sie mal etwas zu Herrn Sander, wo der eigentlich war!)

Die zum Teil absurden Erklärungen zur Ursache des Skandals verschlugen einem manchmal schlichtweg die Sprache. Da war von der starken Arbeitsteilung in der modernen Landwirtschaft die Rede. - Entschuldigung, aber wer auch nur einen Funken von dem versteht, wovon er spricht, der muss doch wissen, dass gerade die hohen Sicherheitsanforderungen und die hohen Hygienestandards in Deutschland und Europa die Landwirte in eine stärkere Spezialisierung getrieben haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die EU-Regelungen sind extrem anspruchsvoll. Bei Dioxin sind die Anforderungen beispielsweise doppelt so hoch, wie von der Weltgesundheitsorganisation vorgeschrieben. Trotzdem schreien Grüne und Sozialdemokraten reflexartig nach besserer Regulierung.

Wir haben bis jetzt bei jeder Runde erhöhter Standards das gleiche Spiel beobachtet: Die Leidtragenden waren immer die Kleinst- und Kleinbetriebe, die unter diesen Bedingungen am Ende nicht mehr profitabel wirtschaften konnten. Wie dreist kann man eigentlich sein, wenn man versucht, sich als Anwalt kleinbäuerlicher Strukturen zu gerieren, aber gleichzeitig mit der Forderung nach immer höheren Standards gerade kleine Familienbetriebe in den Konkurs treibt, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Tatsache ist: Die Dioxinbelastung der Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren um 60 % gesunken. Das ist auch ein Erfolg moderner und arbeitsteiliger Landwirtschaft.

(Zustimmung von Ingrid Klopp [CDU])

Zu der gebetsmühlenartig vorgebrachten Kritik am System der Eigenkontrollen will ich noch einmal in aller Deutlichkeit gerade auch dem Kollegen Wenzel sagen: Das System der QS-Eigenkontrollen ist unter der grünen Agrarministerin Renate Künast eingeführt worden. Ich glaube, auch das muss die Öffentlichkeit wissen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wer sich hinstellt und uns Versagen vorwirft, während wir diesen grünen Regulierungshaufen funktionsfähig machen, der leidet nicht nur an einem extrem kurzen Gedächtnis, sondern meiner Meinung nach auch an politischen Wahrnehmungsstörungen.

(Zustimmung von Ingrid Klopp [CDU])

Wir wollen gesetzlich verpflichtende Kontrollen einführen. Wir haben seit Anfang Januar ganz konkrete Maßnahmen auf den Tisch gelegt und verhöhnen nicht die Bauern und Verbraucher mit irgendeiner Ideologie.

Ich danke Agrarminister Lindemann ausdrücklich für den von ihm vorgestellten Maßnahmenkatalog. Die Fraktionen von CDU und FDP werden in einem gemeinsamen Entschließungsantrag noch Vorschläge unterbreiten. Die FDP-Fraktion begrüßt auch explizit den Vorschlag der Bundesagrarministerin Aigner zu einer Positivliste. Wir sprechen uns deutlich für ein Reinheitsgebot bei Futtermitteln aus.

Eines, meine Damen und Herren, muss allen Beteiligten doch klar sein: Der aktuelle Skandal ist eigentlich eine Vertrauenskrise. Es geht um das Vertrauen der Märkte im In- und Ausland. Es geht um das Vertrauen der Bauern in die Futtermittelhersteller. Vor allem aber geht es um das Vertrauen der Verbraucher in die Landwirtschaft. Es muss die vornehmliche Aufgabe der Politik sein, dieses Vertrauen zu schützen.

Ein ganzes Land voller aufrichtiger Landwirte ist Opfer weniger Krimineller geworden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Aller?

Nein, Herr Präsident. Ich möchte im Zusammenhang vortragen.

Es geht um Existenzen und auch um die Zukunft des Agrarlandes Nummer eins. Deswegen ist unser Maßnahmenpaket so richtig und wichtig. Wir werden uns an dieser Stelle keine ideologischen Knüppel von einer schamlosen Opposition zwischen die Beine werfen lassen; das will ich sehr deutlich sagen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Miriam Staudte [GRÜNE]: Sie stolpern auch so!)