Protocol of the Session on January 19, 2011

Für mich ist es wichtig, dass wir uns im Land Niedersachsen gemeindescharf anschauen, welche Auswirkungen das hat. Hat das genau die Auswirkungen, wie es hier dargestellt worden ist, dass vielleicht die Ballungsgebiete Probleme bekom

men, weil es sich nicht lohnt, zu investieren? Oder führt es tatsächlich dazu, dass auch strukturschwache Gebiete eine Verstetigung der Einnahmen haben, aber Ballungsgebiete nicht darunter leiden? - Wenn das der Fall wäre, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass diese Seite des Hauses in irgendeiner Weise etwas dagegen haben kann, diese Seite soundso nicht und die kommunalen Spitzenverbände auch nicht.

Also: Für die Landesregierung ist es wichtig, erst einmal gemeindescharf Modelle zu rechnen, damit wir unter dem Strich sehen, ob es den Kommunen etwas bringt oder nicht. Vorher etwas auszuschließen, halte ich in dieser Situation für völlig falsch.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben jetzt drei Modelle, einmal das der Koalition, dann das der kommunalen Spitzenverbände und ein Modell, das ich eben gerade dargestellt habe, das wir in Niedersachsen als einziges Bundesland gemeindescharf rechnen. Wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir sie präsentieren. Wir werden sie mit Ihnen besprechen, vor allen Dingen aber mit den Kommunen.

Meine Damen und Herren, für mich ist die Aussage der Bundeskanzlerin wichtig, dass diese Gemeindefinanzreformkommission eine Reform berät, bei der etwas herauskommen muss. Am Ende muss es mindestens zu einer Verstetigung der Einnahmen und möglichst zu einer Begrenzung der Ausgaben im sozialen Bereich kommen. Meine Damen und Herren, daran müssen wir unser Handeln messen. Deshalb kann ich nur sagen: Wir dürfen uns jetzt nicht freiwillig einschränken, sondern wir müssen für Lösungen offen sein; denn die Finanzsituation der kommunalen Ebene ist schwierig. Deshalb können Sie sicher sein, dass das Land Niedersachsen mit Vertretern aus dem Wirtschaftsministerium und dem Innenministerium alles daran setzen wird, dass die niedersächsischen Kommunen in Zukunft besser gestellt sind als vorher. Das ist notwendig, und ich glaube, das ist auch der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister, Herr Kollege Briese hat zwischenzeitlich auf seine Meldung zu einer Frage verzichtet. Aber Herr Klein möchte gerne eine Frage stellen.

Bitte schön, Herr Klein!

Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, dass die Gemeinden vor allen Dingen eine Verstetigung der Gewerbesteuer, wie Sie sie jetzt beschreiben, nicht so verstanden wissen wollen, dass sie zukünftig von dem langfristigen Wachstumspotenzial, das diese Gewerbesteuer hat - auch in den letzten Jahren, trotz gewisser Ausschläge -, abgeschnitten werden? Führt Ihr Modell nicht dazu, dass die Gemeinden in Zukunft nicht mehr entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung an den Zuwächsen teilhaben?

(Heinz Rolfes [CDU]: Jetzt musst du das alles noch einmal sagen!)

Ich habe gesagt, dass es falsch ist, sich nur die Gewerbesteuer anzuschauen. Es ist zwar richtig, dass die Gewerbesteuer im Schnitt der letzten zehn Jahre durchaus angestiegen ist, allerdings mit enormen Schwankungen. Außerdem hat sie, was noch schlimmer ist, im Land völlig unterschiedliche Entwicklungen genommen. Das ist die große Gefahr. Wenn nun 40 oder 45 % der gesamten Einnahmen auf der kommunalen Ebene von der Gewerbesteuer abhängen und diese einbricht, dann kann das dazu führen, dass eine Gemeinde über Jahre völlig handlungsunfähig ist. Deshalb müssen wir uns überlegen, wo wir etwas tun können.

Welche Steuereinnahmen sind in der Vergangenheit tatsächlich stetig gestiegen? - Das ist erstens die Umsatzsteuer, zweitens die Lohnsteuer, aber auch drittens die Einkommensteuer. Wenn wir in diesen Bereichen den Gemeinden einen etwas größeren Anteil vom Kuchen zugestehen und zusätzlich ein Hebesatzrecht für sie einführen, ist das erstens flexibler und führt zweitens automatisch zu mehr Stabilität. Wenn die Gemeinden jetzt fast nur auf eine oder zwei Steuerarten angewiesen sind, anschließend aber auf vier setzen können, besagt die Logik doch, dass sich eine Verstetigung der Einnahmen ergibt. Dabei handelt es sich um die Steuerarten, die ein stärkeres Wachstum aufgewiesen haben. Insofern ist es falsch, hier nur zu entscheiden „Gewerbesteuer: ja/nein?“, sondern

es geht darum, an den Einnahmen zu partizipieren, auch dynamisch zu partizipieren, aber eine Verstetigung ist wichtig.

Eine Blockade aus irgendwelchen ideologischen Gründen macht hier keinen Sinn. Es geht hier um die kommunalen Finanzen. Da muss es unter dem Strich stimmen, und dafür steht diese Landesregierung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende der Beratung.

Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/2523 ablehnen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? Das Erste war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Abschließende Beratung: Gleiche Zugangschancen für doppelte Abijahrgänge auch für Medizinstudienplätze - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2863 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 16/3117

Zunächst wird Frau Dr. Andretta zu diesem Antrag sprechen. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Jahr ist es soweit: Der doppelte Abiturjahrgang verlässt in Niedersachsen die Schulen. Etwa 100 000 Schülerinnen und Schüler werden im Sommer mit ihrem Schulzeugnis in der Hand an die Türen von Ausbildungsbetrieben, Berufsschulen und Hochschulen klopfen, 25 000 junge Menschen mehr als sonst.

Meine Damen und Herren, wir freuen uns auf diese jungen Menschen. Angesichts der schon jetzt für viele Unternehmen spürbaren Probleme, Fachkräfte in ausreichender Zahl zu finden, angesichts der im Bundesvergleich viel zu niedrigen Studierquote in Niedersachsen und angesichts der Rekordwerte negativer Wanderungssalden niedersächsischer

Studienbewerber bedeutet dieser doppelte Abiturjahrgang eine Riesenchance für Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD)

Damit es uns aber gelingt, aus dieser Chance etwas zu machen, muss aus dem Abiturientenhoch ein Studierendenhoch werden. Doch die Sorge ist groß, dass die Studienplätze nicht reichen werden, obwohl sich die Hochschulen auf den Ansturm vorbereiten. Sie wollen zum kommenden Wintersemester 6 000 zusätzliche Studienplätze anbieten. Bis 2015 sollen es insgesamt zusätzliche 33 000 Studienplätze werden.

Das ist ein Kraftakt der Hochschulen, der unsere Anerkennung verdient. Doch jeder weiß, dass die Zahl der im Rahmen der Hochschulpakte I und II geschaffenen zusätzlichen Studienplätze nicht ausreicht. Die den Hochschulpakten zugrunde liegenden Prognosen der Studienanfängerzahlen sind längst überholt. Deshalb hat die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Frau Wintermantel, unlängst Alarm geschlagen. Sie fordert, beide Hochschulpakte deutlich aufzustocken. Der Bedarf sei um 45 % höher als angenommen. Zusätzliche Studienplätze seien umso dringlicher, weil die Aussetzung der Wehrpflicht weitere Studierende in die Hochschulen bringe.

Meine Damen und Herren, doch nicht nur die Hochschulen, auch die niedersächsische Wirtschaft ist besorgt. Sie befürchtet, dass bei fehlenden Studienplätzen noch mehr Studierwillige als bisher Niedersachsen den Rücken kehren und die Fachkräftelücke weiter wachsen wird. Wenn sich nichts ändere, müssten niedersächsische Unternehmen in den kommenden Jahren teuere Rückholinitiativen starten, um überhaupt noch qualifizierten Nachwuchs zu finden. Das kann nicht im Interesse des Wirtschaftsstandortes Niedersachsen sein - und erst recht nicht im Interesse der jungen Menschen, die gerne in Niedersachsen studieren wollen.

Meine Damen und Herren, wie wenig diese Landesregierung bereit ist, politische Verantwortung auch für die Folgen des doppelten Abiturjahrganges zu übernehmen, zeigt der Umgang mit unserem Entschließungsantrag. Mit dem doppelten Abijahrgang und der Aussetzung der Wehrpflicht werden sich die Eingangsvoraussetzungen für Medizinstudenten deutlich verschärfen. Einen Studienplatz wird zukünftig nur noch ergattern, wer Traumnoten von 1,0 und besser vorweisen kann. Doch das scheint die Ministerin wenig zu kümmern. In der letzten Landtagsdebatte wurde jeder

Handlungsbedarf mit dem Verweis auf angeblich freie Medizinstudienplätze an ostdeutschen Universitäten abgestritten. Als wir dann von Ihnen, Frau Ministerin, wissen wollten, wo die angeblich freien Studienplätze zu finden seien, mussten Sie einräumen, dass es keine gab.

Bundesweit kamen in diesem Wintersemester über 40 000 Bewerber auf 8 600 Studienplätze. Zehntausende gingen leer aus. In Zukunft, meine Damen und Herren, werden es noch mehr sein, wenn wir nicht handeln. Wir brauchen zusätzliche Medizinstudienplätze, und zwar auch und gerade in Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD)

Denn erstens wurde in den letzten Jahren die Zahl der Studienplätze in Medizin abgebaut. Gab es 2005 in Göttingen und Hannover noch über 600 Studienplätze, waren es zuletzt nur noch 530.

Zweitens hat Niedersachsen mehr Medizin studierende Landeskinder als Medizin Studierende im Land. Das heißt, auch im Fach Medizin gehört Niedersachsen zu den Exportländern und lässt Hamburg, Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein und andere für die Ausbildung der eigenen Landeskinder zahlen.

Schließlich und drittens bildet Niedersachsen, gemessen an seiner Einwohnerzahl, zu wenig Ärzte aus. Auf 100 000 Einwohner kommen 5 Medizinstudenten. Im Bundesdurchschnitt sind es nach einer Bundesstatistik doppelt so viele.

Meine Damen und Herren, es gibt also viele gute Argumente für die Schaffung von zusätzlichen Medizinstudienplätzen in Niedersachsen. Die Universität Göttingen wäre dazu auch bereit

(Jens Nacke [CDU]: Jetzt kommen wir zum Punkt!)

und hat Wege aufgezeigt, wie eine Aufstockung möglich sei. Doch von Beginn an hat Niedersachsen den Beschluss der KMK, den es übrigens selbst mitgetragen hat, nämlich mit dem Bund Verhandlungen über die Auflage eines gemeinsamen Sonderprogramms zum temporären Ausbau der Aufnahmenkapazitäten in der Humanmedizin aufzunehmen, torpediert.

Meine Damen und Herren, es war eine Entscheidung der Politik, die Schulzeit zu verkürzen. Es war auch eine Entscheidung der Politik, die Wehrpflicht auszusetzen. Die jungen Menschen erwarten nun von uns, dass die Politik auch Verantwortung für ihre Entscheidungen übernimmt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die SPD ist jedenfalls eines klar: Doppelte Abiturjahrgänge dürfen nicht mit halben Chancen abgefertigt werden. Wir fordern gleiche Zugangschancen für doppelte Abiturjahrgänge, auch für Medizinstudienplätze. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Zu dem Beitrag von Frau Dr. Andretta hat sich Herr Zielke zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben anderthalb Minuten Zeit. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Frau Andretta, ich bezweifle explizit, dass sich der Numerus clausus durch den doppelten Abiturjahrgang auf 1,0 ändert. Ich bezweifle, dass das richtige Zahlen sein können. Schon eine überschlägige Rechnung gibt überhaupt nicht her, dass sich der Schnitt von jetzt 1,6 - oder wie hoch er jetzt ist - allein durch den doppelten Abiturjahrgang auf 1,0 verändert. Ich würde Sie bitten, das einmal zu erklären.

Frau Dr. Andretta, anderthalb Minuten. Bitte schön!

Herr Präsident! Herr Zielke, da Sie an meinen Zahlen zweifeln, will ich Ihnen sagen: Das ist die Zahl, die der Dekan der Medizinischen Fakultät der Humanmedizin in Göttingen, Professor Frömmel, öffentlich genannt hat. Wir hatten dazu übrigens auch eine Befragung im Ausschuss. Jetzt beträgt der NC in Göttingen 1,5. Er wird auf 1,0 steigen. Für die MHH in Hannover sind die Zahlen auch genannt worden. Dort liegt der NC zurzeit bei 1,8 und wird auf 1,3 hoch gehen. Ich meine, dass diejenigen, die jedes Semester Tausende von Studierenden abweisen müssen, uns hier solide Zahlen genannt haben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Dr. Heinen-Kljajić, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird in der Tat ein spannendes Jahr für die Hochschulen werden: Werden sie dem Ansturm durch den doppelten Abiturjahrgang tatsächlich gerecht werden können? Und vor allem: Werden die Studienbedingungen zumutbar sein? - All diese Fragen sind offen. Wir jedenfalls sind nach wie vor skeptisch, ob die neu geschaffenen Studienplätze tatsächlich ausreichend finanziert sein werden und ob sie der großen Zahl zusätzlicher Studienbewerber tatsächlich gerecht werden können.

Eine Frage aber kann man schon heute beantworten, nämlich die danach, wer auf jeden Fall zu den Verlierern beim Hochschulpakt gehören wird. Das sind die jungen Menschen, die Medizin studieren wollen. Obwohl es bundesweit einen steigenden Bedarf an Medizinern gibt, werden noch mehr Studienwünsche im ohnehin schon deutlich überbuchten Fach Medizin nicht erfüllt werden können. Warum? - Weil Medizinstudienplätze nach Ansicht von CDU und FDP zu teuer sind. Hier wird das Hauptproblem des Hochschulpaktes deutlich. Er gehorcht dem Diktat der schlanken Lösung.