Protocol of the Session on January 19, 2011

Die Menschen fragen sich aber: Wie konnte es dennoch so weit kommen? Wie konnte es dazu kommen, dass Niedersachsen - das Agrarland Nummer eins, einer der wichtigsten Lebensmittelexporteure auf dem Weltmarkt - so ins Wanken gerät, dass sich Wirtschaftspartner vom Land Niedersachsen abwenden, dass sie unsere Produkte ablehnen, dass Betriebe, Existenzen und Arbeitsplätze vor dem Aus stehen und dass der Verbraucher schlichtweg nicht mehr weiß, wo er ins Einkaufsregal greifen soll und was er sich noch nehmen soll?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr McAllister, Sie als Ministerpräsident tragen die Hauptverantwortung für das größte Dilemma, das der Agrarstandort Niedersachsen je hinnehmen musste.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie als Regierungschef kriegen es überhaupt nicht hin. Das haben Sie schon im Fall Grotelüschen bewiesen. Auch da haben Sie die Lage völlig falsch eingeschätzt. Was die Spatzen monatelang von den Dächern pfiffen, haben Sie damals nicht erkannt. Dass Ihnen diese Personalie derart ans Bein lief, haben Sie in weiten Teilen Ihrer Zögerlichkeit und Unfähigkeit im Amte des Ministerpräsidenten zuzuschreiben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Viel bil- liger geht es nicht!)

Es ist wirklich offenbar: Sie haben überhaupt keine Lust, sich um die Belange der Landwirtschaft zu kümmern. Sie lassen die Angelegenheit schleifen. Sie haben es überhaupt nicht für nötig gehalten, sich zur rechten Zeit einzumischen und die fatale Fehlentwicklung der Personalie Grotelüschen zu stoppen. Sie haben es laufen lassen, Herr Ministerpräsident.

Erst als es unausweichlich wurde, erst als man auch in Ihren Reihen angefangen hat zu murren - das wurde ja öffentlich; das stand in allen Zeitungen in Niedersachsen -, haben Sie die Ministerin

entlassen. Noch ein Vierteljahr vorher, im September, haben Sie hier diese Ministerin ganz missmutig öffentlich verteidigt.

Seit Mitte Dezember ist das Landwirtschaftsministerium nun ohne Minister.

(Björn Thümler [CDU]: Nein! Falsch! Haben Sie schon einmal von der Ver- tretungsregelung gehört?)

Der Dioxinskandal hat Sie dann eiskalt erwischt. Auch Sie hat es eiskalt erwischt.

(Beifall bei der SPD)

Sie tauchen bei den Themen ab, die Ihre CDUStammklientel im Kern erschüttern. Sie machen denselben Fehler jetzt noch einmal. Sie wollen sich einfach nicht mit den Agrar- und Ernährungsangelegenheiten befassen, Herr Ministerpräsident. Es könnte ja für Sie sehr unangenehm werden, wenn Sie sich einmal etwas kritisch mit dem agrarindustriellen System befassen würden. Sie fürchten schlichtweg um die Unterstützung der CDUAgrarlobbyisten. Verharren Sie nicht im Nichtstun! Sie warten und äußern sich möglichst nicht öffentlich.

(Zurufe von der CDU)

Sie äußern sich nicht öffentlich zu der Angelegenheit. Sie wollen einfach keine Fehler machen. Gerade das ist ein folgenschwerer Fehler.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Mein Urteil lautet: Herr McAllister, es ist grob fahrlässig, wie Sie hier die Regierungsgeschäfte ausführen.

Seit dem 23. Dezember sind dem Land die Dioxinfälle bekannt. Am 28. Dezember wird bekannt, dass 21 Agrarbetriebe betroffen sind. Was bekommt man aus dem Ministerium zu hören? - Es wird gesagt, solche Eier seien in den Handel gelangt und bereits gegessen. Gesundheitliche Folgen seien ausgeschlossen. - 30. Dezember, Neue Presse.

(Olaf Lies [SPD]: Das ist doch einmal ein Erkenntnisgewinn!)

Oder: der Verzehr von Eiern sei nicht gesundheitsgefährend. - Oldenburger Volkszeitung, noch am 31. Dezember. Ich finde, das ist unfassbar.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Am 5. Januar breitet sich der Skandal lawinenartig aus. Aus den 21 Betrieben sind mittlerweile 1 000 Betriebe geworden. Niedersachsen steckt mitten im Zentrum des Skandals. Da lassen Sie in der Bild-Zeitung noch einmal öffentlich verlautbaren, wie ganz unbekümmert Ihr Appetit auf das Frühstücksei ist. So viel zum unabhängigen Krisenmanagement der Landesregierung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Schlussfolgerung ist: Das ist Verharmlosen, Abwiegeln, das ist geradezu Verniedlichen einer Krise größten Ausmaßes, das wir je in Niedersachsen erlebt haben.

Meine Damen und Herren, nun zu meinem zweiten Vorwurf: Der beauftragte Amtchef hat in insgesamt drei nachgewiesenen Fällen unvollständige und falsche Auskünfte gegeben.

Am 11. Januar sagt er einem Ausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung, belastete Eier seien nicht in den Handel gekommen. Vergleicht man damit die Berichterstattung vom 28. Dezember, dann weiß man, dass genau das vom Ministerium schon längst zugegeben worden war.

In einem Interview am selben Tag bestätigt der Verwaltungschef, dass auch Schweinefleisch nicht in den Umlauf geraten sei. Zu diesem Zeitpunkt weiß man im niedersächsischen Verden allerdings schon, dass das nicht stimmt.

Das, was Sie, Herr Ripke, Herr Sander, Herr McAllister, sich am Wochenende bei dem Besuch der Bundesministerin erlaubt haben, offenbart noch einmal ganz besonders Ihre Energie zur Dreistigkeit. Sie haben keinerlei Hemmungen,

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

inmitten der größten Krise auch noch die bundespolitische Bühne zu provozieren. Ihre Erklärungen für die verzögerte Information - es geht immerhin um insgesamt 800 Höfe - lesen sich sehr fadenscheinig: leere Handyakkus, lange Dienstwege.

Sie beide, Herr Ripke, Herr Sander, haben sich selbst deklassiert.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr McAllister, Sie selbst agieren ungewöhnlich. Oder um es mit den Worten von Herrn Sander zu sagen: Sie agieren peinlich. Sie beschweren sich

bei Herrn Seehofer, anstatt sich als Regierungschef endlich selbst an die Aufklärung zu machen, Schadenminimierung zu betreiben und das Ausmisten im eigenen Land zu beginnen. Das hätten Sie tun müssen, Herr Ministerpräsident!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sehr geehrter Herr Minister Lindemann, noch ein Wort zu Ihrem Vorhaben des Ausmistens: Ich finde, das ist ein guter Vorsatz, Sie können natürlich auf wenig Unterstützung aus den eigenen Reihen rechnen. Darauf können Sie sich einlassen. Die SPD bietet Ihnen die parlamentarische Zusammenarbeit an.

(Lachen bei der CDU - Johanne Mod- der [SPD]: Weil ihr das nicht könnt! - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Bitte befassen Sie sich sehr schnell mit der Lage am Markt! Eine Reihe von Insolvenzen wird uns in den nächsten Wochen um die Ohren fliegen. Das kann nicht in unserem Interesse sein, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wie wir seit gestern auch aus dem Fernsehen und der Berichterstattung wissen, hat die CDU bereits 80 % der Punkte in ihren Plänen von der Opposition übernommen. Die Auswertung liegt auf dem Tisch. Ich finde, das sind gute Ansätze. Die gilt es nun ernsthaft zu ergänzen und auch wirklich umzusetzen. Herr Minister, nutzen Sie die neue Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU für Niedersachsen! Steuern Sie um! Wie man immer so schön sagt: Neue Besen kehren gut, aber die alten kennen die Ecken besser. - Sie können beides.

(Zustimmung bei der SPD)

Lassen Sie sich nicht als Ausputzer für den Ministerpräsidenten ausnutzen! Nutzen Sie es lieber für eine ernstgemeinte Änderung der Agrarpolitik in Niedersachsen. Dabei wären wir an Ihrer Seite.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ulf Thiele [CDU]: Ich habe selten so etwas Destruktives er- lebt wie eben!)

Ich erteile dem Kollegen Thümler das Wort.

(Johanne Modder [SPD]: Er sagt jetzt „Alles nicht so schlimm!“)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich auch im Namen der CDU-Fraktion Ihnen, Herr Lindemann, herzlich zu Ihrer heutigen Ernennung zum Minister gratulieren. Wir wünschen Ihnen alles Gute, viel Erfolg und Gottes Segen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir haben gerade den Unterschied zwischen Regierungshandeln auf der einen Seite

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Nicht- handeln!)