Protocol of the Session on December 10, 2010

(Beifall bei der SPD)

Die Freiheit zur Gestaltung liegt in den Händen derer, denen wir qua Gesetz diese Freiheit zukommen lassen, hier also den Eltern.

Dass ihre erste Formulierung völlig unlogisch war, haben inzwischen auch die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP bemerkt. Deshalb wurde Ihre erste Formulierung inzwischen geändert. Nun heißt es: „Den freien Elternwillen zum Wohl der Kinder pädagogisch begleiten.“

Zwar behaupten CDU und FDP in der Öffentlichkeit, sie wollten am freien Elternwillen nichts ändern. Aber unseren Antrag, der genau dies und nur dies beinhaltet, lehnen Sie ab. Warum wohl?

(Beifall bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Weil wir Ihnen nicht glauben!)

- Herr Klare hat gerade gesagt: weil er uns nicht glaubt. Wenn er uns nicht glaubt, dann wäre es doch umso wichtiger, genau dies per Antrag mit Ihren Stimmen im Gesetz zu beschließen. Nein, es ist umgekehrt: Wir glauben Ihnen nicht, Herr Klare.

(Beifall bei der SPD)

Wenn das, was Sie hier sagen, nämlich stimmen würde, dann würden Sie unserem Antrag zustimmen, und alle Unstimmigkeiten wären vom Tisch. Der einzige Grund, warum Sie das nicht tun, ist ein ganz anderer, aber Sie trauen sich nicht, das hier offen zu sagen. Wer wie Sie in Ihrem neuen Antrag formuliert, dass er in den ersten zwei Jahren der neuen Schule gegebenenfalls nachsteuern will,

(Ulf Thiele [CDU]: Sie können ruhig „Oberschule“ sagen!)

der setzt die Schülerinnen und Schüler unter einen enormen und völlig unnötigen Leistungsdruck.

(Beifall bei der SPD)

Wo bleibt hier denn eigentlich der pädagogische Wille, allen eine reelle Chance zu geben? - Es gibt nun einmal Schülerinnen und Schüler, die möglicherweise aufgrund ihres Naturells einen schlechten Start auf einer neuen Schule hinlegen, die familiäre Probleme haben oder die einfach langsamer in die Gänge kommen, am Ende aber vielleicht sehr zufriedenstellende Leistungen bringen. Denen zu sagen, sie hätten auch später noch eine Chance, das Abitur zu erreichen, ist meines Erachtens nur ein schwacher Trost für die Betroffenen.

Sehr verehrte Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wir sprechen hier über Kinder und Jugendliche in einer sehr entscheidenden Phase ihres Lebens, die oft von psychischen und physischen Entwicklungsschüben, von Interessensverlagerungen, von entscheidenden Veränderungen der jeweiligen Lebensumwelt, von neuen Erfahrungen usw. gekennzeichnet ist. Und dann kommen Sie daher und wollen auf der Grundlage schulischer Leistungen frühzeitig nachsteuern, wie Sie das nennen, und damit eventuell Lebens- und Bildungswege zerschneiden.

Hinzu kommt, dass Ihre angeblichen Angebote zur individuellen Lernentwicklung, die die Beschlussempfehlung jetzt schmücken und den ursprünglichen Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP lediglich ergänzen, schlicht und ergreifend Kokolores sind, und zwar nicht in der Sache; denn Förderangebote, Hausaufgabenhilfe, Patenschaften oder die Intensivierung der Beratungsgespräche sind durchaus begrüßenswert. Aber was bieten Sie den Kindern und Jugendlichen tatsächlich an?

Sie haben doch schon vor Jahren die Mittel für die Hausaufgabenhilfe gestrichen.

(Johanne Modder [SPD]: Ja, genau!)

Sie haben die Stunden für Beratungslehrkräfte reduziert. Zusätzliche Mittel für diesen Bereich tauchen in dem gerade erst verabschiedeten Haushaltsplan nirgends auf.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Deshalb, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ist Ihr Antrag einfach nur Kokolores und Augenwischerei.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion und auch der Landeselternrat haben begriffen, dass CDU und FDP noch immer am freien Elternwillen sägen. Die Zustimmung der SPD-Fraktion können Sie für einen solchen Antrag ganz bestimmt nicht bekommen.

(Starker Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden jetzt neuen Antrag der CDU und der FDP versuchen die Regierungsfraktionen, ihren peinlichen Fehler vom August-Plenum zu korrigieren. Gerade an dem Tag, an dem CDU und FDP mit ihrem Antrag den freien Elternwillen einschränken wollten, hatte nämlich Ihr Kultusminister in der Presse verkündet, er sehe gar keinen Anlass, an der bestehenden Regelung zu rütteln. Das mussten Sie jetzt irgendwie wieder auf die Reihe kriegen. Es ist natürlich schwierig, wenn der eigene Minister genau das Gegenteil von dem verkündet, was Sie gerade mit Ihren Anträgen einbringen,

meine Damen und Herren von CDU und FDP. Ich glaube, da müssen Sie noch ein bisschen üben.

„Den freien Elternwillen zum Wohle der Kinder gestalten“ hieß Ihr erster Antrag. Jetzt haben Sie die Überschrift geändert. Der Inhalt bleibt nebulös. Ein paar gute Dinge sind drin. Im letzten Moment tauchen Vorschläge auf, die genau das Gegenteil von dem behaupten, was Sie vorher in Ihrem Antrag gefordert hatten. Noch immer wollen Sie aber - das hat die Kollegin Seeler gerade ausgeführt - beim Elternwillen nachsteuern. Was das bedeutet, hat Frau Ernst vorhin erzählt. Abschulung ist für Sie ja nicht so tragisch.

Meine Damen und Herren, nach der vierten Klasse dürfen noch die Eltern entscheiden, auf welche Schule ihr Kind gehen soll. Aber dann ist auch schon Schluss. Noch nicht einmal an dieser Stelle ist der Elternwille eigentlich wirklich frei - nicht für die Eltern, die Förderkinder haben, und auch nicht für die Eltern, die für ihre Kinder eine Gesamtschule anwählen wollen. Das können sie gar nicht überall; dafür sorgen Sie von CDU und FDP schon.

Sie unterstellen ja auch immer gerne, die Eltern beachteten nicht das Kindeswohl, wenn sie von der Schullaufbahnempfehlung abweichen. Tatsächlich haben Eltern gute Gründe, das zu tun. Gerade hat eine neue Studie in NordrheinWestfalen belegt, wie wenig valide diese Empfehlungen sind und wie sehr sie an der sozialen Herkunft orientiert sind. Sie gehören deshalb abgeschafft und durch eine regelmäßige Lernstandsbegleitung und -beratung ersetzt. Deshalb werden wir die Beschlussempfehlung des Ausschusses auch ablehnen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn wir hier über den Elternwillen reden, dann kann es nicht nur darum gehen, in welche Form des gegliederten Schulsystems Kinder gehen sollen. Uns geht es vor allem darum, ob die Kinder überhaupt in eine Schule des gegliederten Schulsystems gehen müssen oder ob sie nicht auch die Möglichkeit haben sollten, eine integrative Schule anzuwählen. Dieses Wahlrecht haben die Eltern nämlich immer noch nicht, wie ich ausgeführt habe. Dieses Wahlrecht wollen Sie den Eltern nicht zugestehen,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Frau Korter! Sie drehen das alles um!)

obwohl der OECD-Bericht zu PISA 2009 eindeutig zum Ausdruck bringt, dass eine frühe Aufteilung

der Schüler zu mehr sozialer Ungerechtigkeit führt. Herr Minister Althusmann hat dies ja vorgestern im Plenum, genauso wie gerade die Kollegin Ernst, bestritten. Es gab Zwischenrufe von der CDUFraktion, das würde nicht in der PISA-Studie stehen.

Ich möchte von Seite 18 der Studie zitieren, Herr Kultusminister, damit Sie das auch wissen: „Systeme, die eine hohe Leistung und eine ausgewogene Verteilung der Bildungserträge aufweisen, sind in der Regel integrativ.“ Und weiter:

„Je früher die erste Aufteilung auf diese verschiedenen Zweige stattfindet,“

- gemeint sind Schulzweige -

„desto größer sind im Alter von 15 Jahren die Unterschiede bei den Schülerleistungen nach sozioökonomischem Hintergrund, ohne dass deswegen die Gesamtleistung steigen würde.“

(Christian Grascha [FDP]: Was ist das für ein Dokument?)

Das habe ich bereits bei der Aktuellen Stunde zitiert. Der Minister hat ausweislich des Protokolls gesagt, dass das in der PISA-Studie gar nicht drin steht und dort nicht erfasst ist.

Herr Minister Althusmann, damit Sie die Aussagen über das integrierte Schulsystem finden und in Zukunft sinnentnehmend lesen können, habe ich Ihnen als Weihnachtsgeschenk den OECD-Bericht zur PISA-Studie mitgebracht und das auf Seite 18 extra markiert. Ich bitte doch sehr darum, in Zukunft bei der Wahrheit zu bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Ursula Ernst [CDU]: Das stimmt doch über- haupt nicht! Das ist nicht die PISA- Studie! - Gegenruf von Ina Korter [GRÜNE]: Das ist die OECD-Studie!)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist die Kollegin Reichwaldt für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass

einer der heute zur Abstimmung stehenden Anträge doch noch zurückgezogen würde. Wir alle erinnern uns sicherlich noch gut an die erste Beratung der beiden Anträge und die bemerkenswerten Reaktionen auf der Regierungsbank seitens des Kultusministers. Man konnte den Eindruck haben, Sie, Herr Minister Dr. Althusmann, wünschten diesen CDU/FDP-Antrag nicht auf der Tagesordnung.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Doch alle Hoffnung vergebens: CDU und FDP kommen nicht zur Einsicht und stimmen dem SPDAntrag zu, sondern legen zu ihrem merkwürdigen Antrag nun noch einen Änderungsantrag vor, der nichts besser macht. Nun gut, auf zur zweiten Runde!

Warum eiern die Fraktionen der CDU und FDP bei diesem Thema so rum? - Das ist eine längere Geschichte: Vor gut einem Jahr beschließt der FDPParteitag, den freien Elternwillen abzuschaffen. Das halte ich für eine liberale Partei schon für bemerkenswert. Ergebnis war ein Proteststurm aus allen Richtungen, der auch den Koalitionspartner und den damaligen Staatssekretär - den heutigen Kultusminister -, Dr. Althusmann, mitriss. Die FDP stand alleine da, wollte aber nicht aufgeben und ihr Gesicht verlieren. Damit begann ein absurdes Hin und Her, damit sich am Ende alle doch noch irgendwie als Gewinner fühlen konnten.

Ergebnis ist der vorliegende Antrag bzw. Änderungsantrag von den Fraktionen von CDU und FDP. Ein klares Bekenntnis zum freien Elternwillen und zu den bestehenden Regelungen ist das aber nicht. Die Entscheidung beim Übergang von Klasse 4 zu Klasse 5 bleibt unangetastet, aber sofort danach soll Druck auf die Schüler ausgeübt werden.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klare?

(Johanne Modder [SPD]: Nein!)