Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Monaten haben wir nun zum zweiten Mal in diesem Jahr einen Vorgang erlebt. Es ist der auf fruchtbaren Boden fallende Versuch, durch die Wirtschaftskrise hervorgerufene Ängste und Verunsicherungen von Menschen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zu projizieren und diese dafür verantwortlich zu machen. Ziel ist es dabei, vorwissenschaftlichen und
vorhumanistischen Gesellschaftstheorien mehr Raum zu verschaffen. Das verurteilen wir scharf, meine Damen und Herren.
Außenminister Westerwelle unternahm es mit seiner Debatte über „spätrömische Dekadenz“, Geringverdiener gegen Arbeitslose auszuspielen. Im Spätsommer erfolgte die Projektion auf bestimmte Ethnien oder den Islam. Meine Damen und Herren, das ist ein ganz gefährliches Spiel, insbesondere dann, wenn es medial angeheizt wird.
Es vergiftet das gesellschaftliche Klima. Pauschalierungen, Diskriminierungen und Stigmatisierungen im Zusammenhang mit unzweifelhaft vorhandenen Integrationsproblemen sind Gift für das Miteinander.
Die SPD-Landtagsfraktion hat hingegen keine Zweifel: Integrationspolitik ist eine zentrale Zukunftsaufgabe für unser Land. Viele der zurzeit diskutierten Probleme sind immer noch direkte Folgen der Weigerung, die Zuwanderung nach Deutschland als Einwanderung anzuerkennen. Das, meine Damen und Herren, gilt insbesondere für die Regierungszeit von Helmut Kohl. In den 80er-Jahren, als schon lange feststand, dass aus den Gastarbeitern Einwanderer geworden waren, legte die Regierung Kohl noch Rückkehrerprogramme auf. Statt eines Integrationsgesetzes gab es ein Rückkehrförderungsgesetz. Gezielte Einwanderung gibt es seit 1955, echte Integrationspolitik seit knapp zehn Jahren. Rot-Grün setzte damals mit der Reformierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes entscheidende und richtige Signale.
Mit vielen Kommentatoren bin ich mir einig: Wäre die Lebenslüge vom Nichteinwanderungsland Deutschland nicht so lange so offensiv vertreten worden, müssten wir uns weniger mit den Folgen nicht erfolgter Integration befassen.
Integration ist aber auch kein reines Migrationsthema. Wir dürfen Integration nicht in erster Linie als Frage von ethnischer Herkunft oder Religionszugehörigkeit betrachten. Integration ist eine zutiefst soziale Frage,
die ganz eng mit Aufstieg, Aufstiegswillen und Aufstiegsmöglichkeiten, mit Bildung, Qualifizierung und Perspektiven zusammenhängt. Die Beseitigung von Integrationsdefiziten erfolgt im Wesentlichen über die Beantwortung sozialer Fragen.
Denn dort, wo arme Migrantinnen und Migranten leben, leben auch die Benachteiligten ohne Migrationshintergrund, meine Damen und Herren.
Insofern geht es in dem von den Linken thematisierten Ausgrenzungsdiskurs auch nicht allein um die Integration zugewanderter Menschen. Er ist vielmehr ein Diskurs über Oben und Unten in unserer Gesellschaft und darüber, warum es auch aus biologischen Gründen völlig normal ist, dass es dieses Oben und Unten gibt. Das, meine Damen und Herren, ist der Kern dieses Ausgrenzungsdiskurses, dieser ungeheuren intellektuellen Entgleisungen.
Ausgrenzung ist integrationsfeindlich. Die Ethnisierung von Intelligenz ist verkehrt. Richtig ist allerdings auch, dass wir auf kulturaggressive Polemiken gegenüber Einwanderern gut und gerne verzichten können.
In den vergangenen Tagen erschien eine alarmierende Studie. Ein besonderes Augenmerk richteten die Forscher interessanterweise gerade auf die Besserverdienenden. Mehr und mehr steht diese Gruppe für gesellschaftliche Entsolidarisierung, die Verfolgung eigener Privilegien und einen Rassismus der Mitte. So sei der Anteil derjenigen gestiegen, die meinen, weniger als den ihnen zustehenden Anteil zu erhalten, und ihre „etablierten Vorrechte“ einfordern. Einher geht diese Haltung mit deutlicher Ablehnung von sozial ausgleichender Unterstützung für Langzeitarbeitlose und Obdachlose, mit feindlichen Einstellungen gegenüber Ausländern und dem Islam. Gerade oben sei die Abwertung von gesellschaftlich schwachen Gruppen
volkswirtschaftlich Nutzloser besonders hoch, wird in dieser Studie festgehalten. Wilhelm Heitmeyer warnte auch vor einer „Vereisung des sozialen Klimas“ in Deutschland. Umso erschreckender ist, dass sich oberste Repräsentanten wie Innenminister Schünemann am Schüren von Ressentiments beteiligen, meine Damen und Herren.
Vor diesem Hintergrund erhält der vorliegende Antrag der Linken eine neue Aktualität. Er stellt allerdings allein auf die Situation zugewanderter Menschen ab und schaut nicht auf die sozialen Schieflagen insgesamt. Ich hätte es besser gefunden, statt ein Potpourri von Maßnahmen vorzuschlagen, integrationspolitische Defizite und Aufgaben genauer zu benennen. Zu nennen sind hier vor allen Dingen nach wie vor bestehende Defizite in der Bildungsbeteiligung. Um diese aufzuheben, brauchen wir eine qualitativ hochwertige Betreuung von Anfang an, gebührenfreie Bildung, echte Ganztagsschulen etc.
Und, meine Damen und Herren: Davon, was Einwandererkindern hilft, profitieren Kinder insgesamt. Was wir also brauchen, sind Maßnahmen, die allen von sozialer Ausgrenzung betroffenen Migrantinnen und Migranten und allen Menschen in sozialen Konfliktzonen helfen.
Es muss endlich Schluss sein mit der pauschalen Diskriminierung aller Menschen mit sozialen Problemen als Leistungsunwillige und Leistungsunfähige. Soziale und staatsbürgerliche Integration gehören zusammen.
(Starker Beifall bei der SPD und bei der LINKEN sowie Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE] und Filiz Po- lat [GRÜNE])
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was wir in Deutschland in der Debatte nach Thilo Sarrazin erleben, ist das, was in Nie
Innenminister Schünemann bedient sich ähnlicher Argumentationsmuster. Frau Dr. Lesemann hat das an Beispielen festgemacht.
Ich möchte auf einige Beispiele eingehen. Er spricht pauschal von der Zuwanderung in die Sozialsysteme. Er spricht von Integrationsunwilligen, Integrationsverweigerern oder von kriminellen Jugendlichen, die natürlich eher im ausländischen Milieu zu finden seien als woanders.
Höhepunkt seiner Politik waren die verdachtsunabhängigen Kontrollen vor Moscheen. Die Gestik gerade hat es deutlich gemacht. Der neue Fokus des Innenministers liegt nun anscheinend auf den verdachtsunabhängigen Kontrollen in islamischen Vierteln zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, mit der er eine ganze Glaubensgemeinschaft unter den Verdacht des Terrorismus stellen will, meine Damen und Herren. Solch eine Politik lehnen wir ab!
Meine Damen und Herren, im Spätsommer hat die politische Klasse erklärt, die Äußerungen von Thilo Sarrazin seien untragbar und moralisch verwerflich. Kurz danach hat die politische Klasse erstaunt feststellen müssen, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung diese Thesen unterstützt.
Kurze Zeit danach - erschreckend, aber wahr - haben auch in den führenden politischen Etagen von Christdemokraten, aber leider auch einiger SPD-Politiker die Meinungen überwogen, die Herrn Sarrazin als Tabubrecher und Mahner priesen, und weniger die Meinungen, die Sarrazin ganz klar als das bezeichnen, was er ist, nämlich ein Rassist, meine Damen und Herren.
Dr. Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte hingewiesen, der ganz klar davon gesprochen hat, dass man die Rassismusdebatte nicht auf eine sozialdarwinistische und biologische Debatte reduzieren sollte, sondern auf den modernen Rassismusbegriff, der kulturell argumentiert und damit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Die neuesten Studien - Frau Dr. Lesemann hat sie zitiert - sind wirklich erschreckend: Über 50 % stehen dem Islam kritisch gegenüber und wollen ihm sogar eine Gleichstellung verweigern, obwohl sie grundgesetzlich gegeben ist.
Meine Damen und Herren, wir unterstützen den Antrag der Linken, weil sich die Punkte, die Sie auflisten, zum Teil mit Anträgen decken, die wir zurzeit in der Beratung haben. Wir würden uns aber wünschen, dass wir im kommenden Jahr eine Debatte über den Rassismus des 21. Jahrhunderts führen.
Denn es ist so, wie es Frau Ministerin Aygül Özkan gesagt hat: Integration ist keine Einbahnstraße, und wir müssen die Gesellschaft mitnehmen. - Die Studien haben gezeigt: Wir müssen die Gesellschaft, die Fremdenangst, die Ressentiments und den neuen Rassismus ernst nehmen.