Protocol of the Session on November 10, 2010

(Jens Nacke [CDU]: Hört, hört!)

Was lesen wir von Herrn Trittin dann aber am 10. November 2010? - Da wird noch einmal das Zitat von Trittin aus dem Jahr 2001 „Gegen diese Transporte sollten Grüne in keiner Form demonstrieren“ aufgegriffen. Trittin heute: Es ist richtig, an diesem Wochenende in Gorleben zu demonstrieren. - Das zeigt doch, wie verlogen Ihre Politik in dieser Frage ist, meine Damen und Herren! Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben! So geht das nicht!

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP - Unruhe)

Herr Kollege Thümler, ich möchte Sie einen Augenblick unterbrechen. - Sie haben eben im Zusammenhang mit der Politik einer der Fraktionen von „Verlogenheit“ gesprochen. Ich möchte Sie darum bitten, sich im Hinblick auf das, was Sie aus Ihrer Sicht möglicherweise zu Recht beklagen, etwas anders auszudrücken und sich an die parlamentarischen Gepflogenheiten zu halten. - Danke schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich werde das jetzt etwas umformulieren und sagen, dass möglicherweise Wahrnehmungsstörungen um sich greifen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Frage, meine Damen und Herren, die sich aus dem ergibt, was ich gerade aus dem Brief von Herrn Trittin zitiert habe, ist doch: Was hat sich eigentlich zwischen 2001 und heute geändert?

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Wenn Sie das nicht wissen, gehen Sie lieber nach Hause! - Zurufe von den GRÜ- NEN)

Was hat sich denn bis heute geändert? - Meine Damen und Herren, es hat sich überhaupt nichts geändert.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

- Ja, sehen Sie, das ist das Problem, dass Sie nämlich auch völkerrechtlich völlig auf dem Irrweg sind, weil Sie gar nicht wissen, dass der Müll, der jetzt zurückkommt, nicht Müll ist, der jetzt entstanden ist, sondern der Müll, der schon zu Ihrer Regierungszeit entstanden ist, meine Damen und Herren. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, vielleicht sollten Sie einfach einmal darüber nachdenken, Ihre Wagenburgmentalität, die Sie an dieser Stelle einnehmen, aufzugeben und auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit in dieser Frage zurückzukehren.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Aha!)

Dann tun Sie sich und anderen vielleicht einen Gefallen, weil Sie dann eben nicht immer als die, die dagegen sind, wahrgenommen werden, sondern als die, die dazu beitragen, Lösungen kon

struktiver Art für dieses Problem zu suchen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP)

Das verbinde ich im Übrigen auch damit, weil wir heute lesen konnten, dass der in Ahaus eingelagerte russische Atommüll wieder nach Russland zurücktransportiert werden soll. Wer ist dagegen? - Die Grünen sind dagegen. Warum sind sie dagegen? - Weil sie wollen, dass das bei uns endgelagert wird. Ja, bitte schön, wo denn, meine Damen und Herren? Sagen Sie mal, wo!

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Auch hier gibt es völkerrechtliche Verträge. Atommüll aus Russland muss wieder zurück nach Russland.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Christian Meyer [GRÜNE]: Unverant- wortlich ist das!)

Meine Damen und Herren, zum Schluss will ich Ihnen noch einmal sagen:

(Zuruf von der SPD: Sie haben doch noch gar nichts gesagt!)

Wir sollten in dieser ganzen Thematik der Energiepolitik die Ansätze von Konsens, die es vielleicht noch zwischen den Parteien gibt, nutzen. Ich würde mir das aus einem Grund sehr wünschen, nämlich weil wir alle, die wir hier sitzen, mit dafür verantwortlich sind, wann und wie wir eine vernünftige Endlagerung für die deutschen Atommülle finden. Dafür sind wir alle verantwortlich. Da gibt es kein Rot, kein Schwarz, kein Gelb, kein Grün, sondern das ist unser aller Atommüll.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: So ein- fach ist das nicht! - Zurufe von Kres- zentia Flauger [LINKE] und Christian Meyer [GRÜNE])

Wer behauptet: „Das geht mich nichts an“, meine Damen und Herren, der vergeht sich an den künftigen Generationen in diesem Land, weil wir die nämlich mit einer solchen Haltung alleinließen. Das lassen wir nicht durchgehen.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von Kres- zentia Flauger [LINKE] und Ursula Helmhold [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Herrn Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön.

(Jens Nacke [CDU]: Jetzt sind wir ge- spannt darauf, wie Sie eine Distanzie- rung von der Gewalt hinkriegen!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr McAllister, bei diesem Thema sind wir doch etwas verwundert, dass angesichts der Herausforderungen, vor denen dieses Bundesland, aber auch diese ganze Republik angesichts dieses Atommülls und der völlig ungelösten Frage steht, wo er am Ende bleiben soll, der Ministerpräsident hier nicht Stellung nimmt. Das hätten wir schon erwartet.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD - Hans- Christian Biallas [CDU]: Der Innenmi- nister hat die Regierungserklärung für die gesamte Regierung abgegeben)

Verwunderlich ist auch, Herr McAllister, dass Ihr Innenminister heute Nacht noch seine Rede umschreiben musste, ein sehr ungewöhnliches Verfahren bei Regierungserklärungen. Offenbar hat der Innenminister gemerkt, dass er mit seiner Einschätzung der Lage in der öffentlichen Landschaft doch sehr einsam dasteht,

(Zuruf von Karl-Heinrich Langspecht [CDU])

und hat versucht, in letzter Sekunde noch an seiner Regierungserklärung zu feilen, Herr Langspecht. Das war doch schon sehr bemerkenswert.

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das ist üblich!)

Meine Damen und Herren, das, was wir am vergangenen Wochenende erlebt haben, war eine machtvolle politische Demonstration gegen die Atom- und Energiepolitik von Union und FDP und ihren Regierungen hier in Hannover und in Berlin.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Demonstrationen, meine Damen und Herren, waren auch ein Lehrstück, ein Lehrstück für lebendige Demokratie. An diesem Wochenende haben junge und alte Menschen, Bürgerinnen und Bürger aus allen Teilen der Republik und aus allen Teilen der Gesellschaft gezeigt, dass man Politik

nicht dauerhaft über die Köpfe von Menschen hinweg machen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Gorleben, das ist der Ort, der vor 33 Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion, handschriftlich hinterher angefügt, als Opfergabe für die Atomindustrie ausgeguckt wurde, und jetzt wird dieser Ort zum Menetekel, zum Menetekel für die Konservativen hier bei uns im Land.

Meine Damen und Herren, die Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass marode Atomreaktoren noch länger am Netz bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD sowie Beifall von Kreszentia Flauger [LINKE])

Die Mehrheit in diesem Land will nicht, dass noch mehr Atommüll produziert wird, obwohl wir jetzt schon nicht wissen, wohin mit dem vorhandenen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Mehrheit will kein Endlager in Gorleben, und die große Mehrheit in diesem Land, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, will keine Regierung, die sich zum Handlager der Atomindustrie macht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Regierungen sind dem Gemeinwohl des Volkes verpflichtet und nicht den separaten Interessen von Konzernen. Darauf wurde diese Regierung hier vereidigt.

(Jens Nacke [CDU]: Die Opposition auch!)

Mich wundert nicht, Herr Nacke, dass viele Vertreter der Konservativen nach diesem Wochenende vor Wut schäumen. Wir haben das an Ihrer Reaktion hier heute zur Genüge zur Kenntnis nehmen können. Sie machen sich Sorgen, und das zu Recht, weil Ihr ganzes Politikkonzept, Ihr ganzes Demokratieverständnis, Herr McAllister, baden geht. Seit Jahrzehnten haben Sie darauf gesetzt, dass das Volk nur alle vier oder fünf Jahre mal befragt wird; es wird gewählt, und in der restlichen Zeit wird gemacht, was die Regierung beschließt.

Aber das reicht nicht mehr. Die Menschen wollen nicht nur alle vier oder fünf Jahre beteiligt werden. Aber dafür haben die Konservativen und die FDP offenbar weder Verständnis noch Vorschläge.