Bevor der nächste Redner das Wort erhält, erteile ich dem Kollegen Perli einen Ordnungsruf und fordere ihn auf, den Button umgehend von seinem Jackett zu entfernen. Er ist, so wie ich es von hier sehen kann, der einzige Abgeordnete, der sich heute nicht an die Absprache hält. Es gibt feste
Vereinbarungen dazu im Ältestenrat und auch im Präsidium. Das ist in verschiedenen Sitzungen diskutiert worden. Das war bereits Thema. Deshalb meine Bitte, Herr Perli, dass Sie diesen Button entfernen, den ich eindeutig als demonstrative und plakative politische Meinungsäußerung einstufe. Das ist nicht die einsame Meinung des Präsidenten, sondern eine Auffassung, die von den Gremien deutlich mehrheitlich getragen wird. Insofern fordere ich Sie auf, den Button abzulegen.
(Victor Perli [LINKE] folgt der Auffor- derung nicht, er wird von Fotografen und Kameraleuten aufgenommen - Karl-Heinz Klare [CDU]: Nun hat er al- le Kameras auf sich!)
- Bei Ihnen scheint nicht die Bereitschaft gegeben zu sein, den Button abzulegen. Ich erteile Ihnen hiermit den zweiten Ordnungsruf und weise darauf hin, dass Sie sich über die Konsequenzen im Klaren sein müssen.
- Der Kollege hat sich jetzt aus dem Plenarsaal entfernt. Wir werden sehen, ob er wieder mit einem Button hereinkommt. Dann hätte das weitere Konsequenzen.
Herr Kollege, Sie sollten sich noch etwas Zeit nehmen, bis hier etwas mehr Ruhe im Plenarsaal eingekehrt ist. Erst dann sollten Sie mit Ihrer Rede beginnen. Ich werde Ihnen den Zeitpunkt nennen. - Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einer Regierungserklärung ist es üblich, dass die Oppositionsfraktionen einige Stunden vorher den Text erhalten. Herr Schünemann hat seine Regierungserklärung umfassend erweitert; denn der ursprüngliche Text sah eine Redezeit von rund 20 Minuten vor. Die 16 Minuten darüber hinaus umfassten Textpassagen, die wir nicht von Anfang an erhalten hatten, sondern die erst sehr früh am heutigen Morgen zur Verfügung gestellt wurden. Ich will nur beschreiben, dass man
sich vielleicht auch bei einer solchen Debatte an die Gepflogenheit halten soll, die volle Rede zur Verfügung zu stellen.
Aber ich will ausdrücklich anerkennen, dass wir sehr zufrieden sind, dass Herr Schünemann Textpassagen in seinen ersten Redeentwurf aufgenommen hat; denn er bedurfte dringend einiger Klarstellungen. Das betrifft z. B. die Einsatzbedingungen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Nichts davon war im ersten Redeentwurf enthalten. Darin war auch nichts davon enthalten, dass die Belastungen durch diesen Einsatz durch Freizeit und finanziell ausgeglichen werden müssen.
Für diese klarstellenden Ergänzungen, Herr Schünemann, sind wir Ihnen außerordentlich dankbar. Sie haben das gerade noch so geschafft.
Denn die Fürsorgepflicht gegenüber unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Niedersachsen hat auch dieses Parlament in Gänze. Deswegen ist es erforderlich, vor diesem Hause dazu entsprechende verbindliche Aussagen zu treffen.
Herr Schünemann, vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass es bei rechtlichen Sichtweisen und lobenden Worten, die Sie zur Angemessenheit des Polizeieinsatzes gemacht haben - auf den einen oder anderen Punkt komme ich noch zu sprechen, der vielleicht noch optimiert werden kann -, viel Übereinstimmung gibt und dass Sie viel Beifall von der SPD-Fraktion bekommen haben. Ich habe mich darauf beschränkt, nur einen Zwischenruf zu machen,
Da habe ich gerufen: „Aber das waren Demonstranten gegen Ihre Atompolitik!“ Dem weichen Sie aus, Herr Schünemann. Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Debatte über die Verlängerung der Laufzeiten und der Debatte über die Castortransporte gibt und dass es in die Irre führt, beide Debatten miteinander zu vermengen. Das ist Ihre Aussage vor diesem Parlament. Nein, Herr Schünemann! Ziehen Sie an dieser Stelle Ihren Kopf nicht heraus! Sie sind für den friedlichen umfassenden Protest von
Dann reicht es auch nicht, hier zu sagen: Diese Landesregierung findet es gut, dass dieser Protest stattfindet und ermöglicht wird. - Nein, Herr Schünemann, Sie müssen irgendwann auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass da Menschen die überwiegende gesellschaftliche Meinung artikulieren, dass 70 % der Bevölkerung hinter diesen Aussagen stehen. Ehrlich und überzeugend sind Sie doch erst, wenn Sie Ihre Politik an dieser Stelle ändern und nicht nur den Protest anerkennen!
(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Glauben Sie das wirklich, Herr Bachmann? - Unruhe - Glocke des Präsidenten)
Meine Damen und Herren, wir waren mit fünf Abgeordneten unserer Fraktion drei volle Tage lang im Wendland. Wir sind dann rechtzeitig zur Plenarsitzung zurückgekommen.
Es war gut, dass wir im Wendland waren. Wir waren offizielle Transportbeobachter. Die Polizei hat uns die Gelegenheit gegeben, an die Brennpunkte des Geschehens zu kommen. Wir sind dann aus dem Fahrzeug ausgestiegen, das es uns ermöglicht hat, zum Teil auch Blockaden zu passieren - ich sage das -, auch über Umwege, weil es wichtig war, dass wir vor Ort mit den Menschen, die die Aktionen durchgeführt haben, aber auch mit den dort eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sprechen. Das haben wir getan.
Wir haben das auch während einer parallel laufenden Fraktionsklausur fortgesetzt. Das haben Sie nicht für nötig gehalten. Für Sie war mit Beginn Ihrer Fraktionsklausur die Anwesenheit im Wendland beendet. Sie haben die Schlussphase dieses Einsatzes eben nicht durch Gespräche vor Ort begleitet.
Ich sehe es so, dass der Innenminister selbstverständlich nicht vor Ort anwesend sein sollte. Er sollte auch nicht in die polizeilichen Maßnahmen eingreifen. Herr Schünemann, da sind wir bei Ihnen. Das haben Sie zu Recht so gehandhabt, wie
es auch der Kollege Bartling und auch der frühere Innenminister Glogowski gehandhabt haben. Aber die Parlamentarier müssen vor Ort sein.
- Bei den Grünen ist das selbstverständlich. Kurt Herzog wohnt dort. Er ist ohnehin immer vor Ort; das ist doch gar keine Frage.
Ich habe die verblüfften Gesichter Ihrer Beobachter gesehen, die am Sonnabend bei der Auftaktkundgebung waren.
Sie haben es nicht für möglich gehalten, dass da 50 000 Menschen friedlich gegen Ihre Politik demonstrieren.
(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Sie sind ins Hotel gefahren, als die Demo be- gann! Das ist die Wahrheit! - Weitere Zurufe - Unruhe)
Herr Kollege Bachmann, ich darf Sie unterbrechen. - Ich habe die Bitte, dass die Zwischenrufe eingestellt werden. Die anderen Fraktionen haben noch ausreichend Redezeit, sich hier vorne am Mikrofon einzubringen. - Bitte!
So ist es. - Wären Sie am Sonntag und Montag im Wendland gewesen und hätten mit Demonstranten und Polizeibeamten gesprochen, dann hätten Sie in diesen persönlichen Gesprächen mit denjenigen, die seitens der Landespolizeien und der Bundespolizei eingesetzt waren, eines erfahren, nämlich dass sie einen Einsatz machen, der nicht ihrer persönlichen Überzeugung entspricht.
(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Professor Dr. Dr. Roland Zielke [FDP]: Haben Sie eine Umfrage gemacht? - Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Das ist eine Unverschämtheit!)
Am Morgen des Sonntags, als wir noch allein dort waren - ich weiß nicht, wo die anderen Beobachter waren -, haben wir in der Polizeidirektion Lüneburg ein Gespräch mit einem leitenden Polizeiführer aus Nordrhein-Westfalen geführt, der dort gewesen ist, um seine Einsatzhundertschaft vor Ort zu besuchen, und der selber Erfahrungen mit Transporten aus seinem Bereich der Polizeidirektion seines Bundeslandes hat. Wissen Sie, was er gesagt hat? - Wenn die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag vier Wochen vor einem solchen Castortransport in einem nicht akzeptablen Schweinsgalopp - ich bleibe einmal bei diesem Begriff - die Verlängerung der Laufzeiten beschließen
und wenn dann auch noch die Mehrheit der Koalition in den von ihr dominierten Bundesländern im Bundesrat erklärt, dass es sich um einen nicht zustimmungspflichtigen Vorgang handelt - das ist sozusagen eine Selbstkastration des Bundesrates -, dann muss man sich doch nicht wundern, dass noch mehr Menschen motiviert sind, hierher zu kommen, und den Polizeieinsatz dadurch nicht leichter machen. - Der Begriff des „politischen Wahnsinns“ kam an diesem Morgen aus dem Mund dieses Polizeiführers.