Danke schön, Herr Professor Dr. Zielke. - Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Limburg das Wort. Bitte schön!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Professor Dr. Zielke, mir scheint, Sie haben gerade eine gute Rede zum falschen Antrag gehalten. Sie haben zu Recht auf die hohen rechtsstaatlichen Bedenken bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung hingewiesen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen - wie auch schon die Kollegen Tonne und Adler -, dass diese Gefährlichkeitsprognose immer nur eine Prognose ist, die fehleranfällig ist und immer die Gefahr birgt, unschuldige Menschen über Jahre hinweg einzusperren.
Aber wenn Sie auf all diese Dinge zu Recht hinweisen, dann frage ich Sie, Herr Professor Dr. Zielke: Warum findet sich von diesen Aspekten nichts, aber auch kein einziges Wort in dem Antrag, den Sie uns hier heute zur Entscheidung vorlegen? Warum treffen Sie keine Aussagen darüber, dass wir natürlich über eine bessere Qualifizierung, eine bessere Auswahl und vielleicht auch eine gesetzliche Regelung der psychologischen Gutachter reden müssen? Warum treffen Sie keine Aussage darüber, wie die Ausgestaltung konkret aussehen muss? Herr Dr. Biester hat das in seiner Rede angedeutet, in Ihrem Antrag findet sich dazu kein Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, wir als Landtag sollten uns selber ernst nehmen. Wir sind die gesetzgebende Körperschaft dieses Landes, wir sind die direkt gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Einwohnerinnen und Einwohner Niedersachsens. Wenn wir über ein Thema wie Sicherungsverwah
rung diskutieren, das die Menschen zu Recht beschäftigt und aufwühlt, dann sollten wir es mit gebotener Ernsthaftigkeit und vor allem auch mit gebotener Sorgfalt diskutieren. Zum Beispiel sollten wir die von uns vorgeschlagene Anhörung durchführen, um tatsächlich zu einer inhaltlichen Position zu kommen.
Das Einzige, was Sie uns mit Ihrem Antrag hier vorschlagen, ist: Liebe Landesregierung, mach irgendwas, du wirst es schon richten, wir selber haben keine Meinung dazu. - Entschuldigung, meine Damen und Herren, aber damit entmachtet sich der Landtag selbst. Und das werden wir nicht mitmachen.
Zu Ihrem Antrag im Einzelnen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass ich die von Ihnen dargestellte Rechtsauffassung in Nr. 1 ausdrücklich teile. Natürlich kann es aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine automatisierte Freilassung geben. Sie sollte es auch nicht geben. Gleichwohl haben Sie mir noch nicht erklären können - wenn Sie, Herr Dr. Biester, ansprechen, dass es eine Weisung an die Staatsanwaltschaften gegeben hat -, warum Ihr Vertrauen in die niedersächsischen Staatsanwaltschaften auf einmal in diesem Punkt so schlecht sein muss, dass es einer Weisung aus dem MJ bedurfte, wo wir sonst hier an jeder Stelle zu Recht betonen, dass die Staatsanwaltschaften unabhängig und weisungsfrei arbeiten sollen. Nein, ich finde, wir hätten gut daran getan, wenn wir den Staatsanwaltschaften und auch den Gerichten in Niedersachsen stärker vertraut hätten, dass sie die Rechtsauffassung schon selbst richtig auslegen können.
Zum Zweiten - auch das hat Herr Kollege Tonne bereits angesprochen - geht es mir um den Respekt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Meine Damen und Herren, unser Bundesaußenminister Guido Westerwelle - - -
Der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat bei seinem Besuch in der Türkei und in anderen Ländern immer wieder die Einhaltung der Menschenrechte angemahnt. Zu Recht! Immer wieder hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Türkei, Russland und andere europäische Staaten für Menschenrechts
verletzungen verurteilt. Und wir aus Deutschland haben immer angemahnt: Man muss diese Urteile ernst nehmen, man muss Respekt vor der Menschenrechtskonvention zeigen.
Wenn das unsere außenpolitische Position ist, aber im Inland, in Niedersachsen, der Landesjustizminister Urteile derart kommentiert „Straßburg ist für mich nicht bindend, ich halte mich nur an Karlsruhe, alles andere ist mir egal“, dann, meine Damen und Herren, lässt das jeglichen Respekt vor der Menschenrechtskonvention vermissen.
Ich kann jetzt nicht mehr auf die Aspekte im Einzelnen eingehen, aber wir hätten uns hier auch darüber unterhalten können, ob es sinnvoll ist, Sicherungsverwahrung schon für jugendliche Straftäter zu verhängen. Wir hätten uns darüber unterhalten können, ob es weiterhin sinnvoll ist, Sicherungsverwahrung für Nichtgewaltstraftaten, also für reine Vermögensdelikte, zu verhängen. Wir hätten uns darüber unterhalten können, ob es tatsächlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung bedarf oder ob es nicht besser ist, wenn es bereits im normalen Strafprozess im Verfahren angelegt wird.
Zu all diesen wichtigen Aspekten findet sich kein Wort in Ihrem Antrag, und darum werden wir ihn nicht mittragen können, meine Damen und Herren.
Danke schön, Herr Limburg. - Herr Dr. Biester von der CDU-Fraktion möchte sich mit einer Kurzintervention zu Wort melden. Bitte schön, anderthalb Minuten!
Eine ganz kurze, Frau Präsidentin. Aber der Kollege hat mir eine Frage gestellt und soll auch eine Antwort bekommen.
Die Weisung ist nicht Ausdruck von Misstrauen gegenüber der Handhabung der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte, sondern sie ist ein Mittel, um eine einheitliche Praxis in Niedersachsen sicherzustellen. Ich meine, es ist schon sinnvoll, dass die niedersächsischen Staatsanwaltschaften einheitlich auf dieses Thema reagieren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass wir uns über dieses wichtige Thema heute wahrscheinlich nicht zum letzten Mal auseinandersetzen. Ich will nichts zu der nicht unkomplizierten Historie der Sicherungsverwahrung sagen. Herr Kollege Limburg, ich will auf meine Rede hinweisen und sagen, wie das in Bezug auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht miteinander korrespondiert. Das ist nicht ein Ausdruck von Missachtung, sondern aus meiner Sicht eine Klarstellung, wie weit Europa greift und dass über dem Ganzen unser Bundesverfassungsrecht steht.
Jetzt, meine Damen und Herren, ein ganz praktisches Beispiel, um Sie, wenn Sie so wollen, ins Thema einzuführen. In Heinsberg ist jemand unterwegs - ein ehemals wegen vierfacher Vergewaltigung verurteilter Straftäter -, der sich im Wesentlichen in Freiheit bewegt, aber offenbar aus guten Gründen durchgängig Polizeibewachung mit 20, 25 Leuten hat. Warum hat der keine Sicherungsverwahrung? Das Gericht hat ihn seinerzeit wegen vierfacher Vergewaltigung verurteilt.
Wenn das Gericht hätte verwerten dürfen, dass er sieben Jahre zuvor schon ein Sexualdelikt begangen hatte, hätte es gesagt: Rückfallgefährdung und deswegen Sicherungsverwahrung. Das Gesetz sagt aber - Stichwort: Rückfallverjährung -: Ihr dürft nur fünf Jahre in die Vergangenheit gucken, und was davor liegt, dürft ihr nicht wissen und nicht berücksichtigen. Also keine Möglichkeit zur Sicherungsverwahrung.
Es gab ein zweites Argument. Im Verlauf der Haftzeit wurde offenbar, dass der Mann offenkundig, so die Gutachter, rückfallgefährdet ist. Er ist vielleicht noch gefährlicher, als es das Gericht, als die vier Vergewaltigungen ausgeurteilt wurden, gesehen hat. Auch dazu hat der BGH gesagt: Nein, das hättet ihr schon an dem Tage sehen sollen, als ihr ihn wegen vierfacher Vergewaltigung verurteilt habt. Das, was ihr nachträglich bemerkt habt, kann in dem Fall jedenfalls nicht berücksichtigt werden.
Was macht das deutlich? - Das Recht der Sicherungsverwahrung hat offenbar Schutzlücken - diese beiden, die ich genannt habe, und andere mehr. Dabei geht es auch um bestimmte Fristen, ab wann geguckt wird, ab wann entlassen werden darf. Damit will ich Sie jetzt aber nicht belasten.
Deswegen ist sich die Politik einig - auch die Justizminister der Länder -: Weil Schutzlücken bestehen, müssen wir an das Recht der Sicherungsverwahrung ran. Deswegen steht das übrigens im Koalitionsvertrag der jetzigen Berliner Regierung. Es wurde im September 2009 beschlossen: Wir wollen Schutzlücken beseitigen.
Dann kam das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Dezember letzten Jahres mit dem Hinweis: Nicht zuletzt auch die Art und Weise eurer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist nicht menschenrechtskonform, und im Übrigen dürft ihr die Altfälle, die vor 1989 verurteilt wurden, so nicht festhalten. - Das nehmen wir ja ernst. Das alles löst Handlungsbedarf aus.
Jetzt sind wir schon zehn Monate weiter. Ich sage dazu: Es ist kein Ruhmesblatt der deutschen Justiz, dass wir das noch nicht so richtig hinbekommen haben.
Herr Kollege Limburg, es liegt ein Jahr dazwischen, und in manchen Ländern gibt es Freilassungssituationen, in anderen Ländern nicht. Es gibt eine einheitliche Einstellung unserer Staatsanwaltschaften, aber auch der Strafvollstreckungskammern - dazu gab es mindestens zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle -: Von den Gewaltverbrechern in Niedersachsen, die nach Aussagen von Gutachtern rückfallgefährdet sind, ist noch keiner freigelassen worden. Es geht also auch so - ich sage das nur einmal. Trotzdem besteht Handlungsbedarf. Wir müssen nach dem richtigen Weg suchen.
Manch einer ist wahrscheinlich dankbar, dass er mit der Thematik nicht befasst ist und dass ein anderer Justizminister ist - ein paar Sticheleien, Herr Kollege Tonne, das ist eine lockere Geschichte. Ich habe einmal hinterfragt, ob in den letzten zwölf Monaten von der deutschen Sozialdemokratie irgendwelche konstruktiven Vorschläge - in welchem Land auch immer - gekommen sind. Aber die waren wahrscheinlich schlau genug - Herr Haase schmunzelt - zu sagen: Da fummeln wir nicht rein; ein bisschen kritisieren, ein bisschen Justizminister anprangern, da ziehen wir uns zurück.
Ich will jetzt ein bisschen ketzerisch sein: Ich weiß nicht, ob der Genosse Sarrazin über Ihre Rede vorhin nicht anders denken würde. Das müssen Sie mit sich abmachen.
- Ja, den lassen wir da mal raus. Noch ist er nicht draußen, Herr Haase. Aber er artikuliert sich da wahrscheinlich etwas klarer.
Das kommt dann in Teil II seiner literarischen Ergüsse, von denen ich nicht viel halte. Ich lese das auch nicht.
Meine Damen und Herren, jetzt ist der Bundesgesetzgeber am Zug. Dass das Thema auch im Bund ein bisschen schwierig ist, merken Sie daran, dass im Mai Eckpunkte vorgelegt wurden und jetzt neue Eckpunkte kommen. Was wir wirklich brauchen, liebe Freunde, ist ein Gesetz - bei dem Verfahren werden wir uns auch einbringen - mit verlässlichen Regelungen. Auch auf Bundesebene wird natürlich der Bedarf an Sicherungsverwahrung gesehen. Die Bundesjustizministerin sagt zu Recht: Wenn es geht und die Personen als rückfallgefährdet einzustufen sind, dann sollte man in das Urteil hineinschreiben - Sie kennen das -: anschließend Sicherungsverwahrung. - Sie schreibt mit Recht vermutlich in das Gesetz hinein, dass man in den Fällen, in denen schon bei Urteilsverkündung der Verdacht besteht, dass jemand in Sicherungsverwahrung gehören könnte, dies mit einem Vorbehalt hineinschreibt. Das ist auch in Ordnung.
Jetzt komme ich auf den Fall Heinsberg zurück. Wenn ein Fall so gelagert ist wie dieser, dann muss es dafür eine Antwort im Gesetz geben, damit so jemand eben nicht - Entschuldigung - frei herumlaufen darf, sondern gleich rechtskonform Sicherungsverwahrung bekommt, damit all diese Probleme nicht auftreten.
Ich erwarte - das ist leicht gesagt, aber ganz schwer umzusetzen - eine Lösung durch den Bundesgesetzgeber, damit auch diese offenbar durch Sicherheitslücken geschützten Fälle entsprechend abgedeckt werden und am Ende das dabei herauskommt, was ich hier fordere: Von den rückfallgefährdeten Gewaltverbrechern und Sexualstraftätern darf keiner in Freiheit - Entschuldigung.
Nun gibt es die sogenannten Altfälle, die vor 1998 Verurteilten. Aktuell sind es 80 bis 90 Personen in Deutschland. Wenn in diesen Fällen die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht möglich, nicht gewollt, nicht machbar ist, dann müssen wir uns fragen, wie wir sie trotzdem in einer wie auch immer gearteten Form in Gewahrsam halten können. Ich begrüße den Vorstoß der Bundesregierung, ein Unterbringungsgesetz zu schaffen und einen Tatbestand eigener Art für Personen zu formulieren, deren Strafe zwar verbüßt ist und bei denen zwar keine psychische Krankheit oder Ähnliches, aber eine psychosoziale Störung - ein recht allgemeiner Begriff - vorliegt. Diesen Tatbestand so zu fassen, dass man einen solchen Menschen sozusagen in Unfreiheit setzen darf, ist rechtlich - hier sind genug Juristen im Saal - eine schwierige Geschichte.
Ja, Kollege Limburg, das muss erst einmal so formuliert werden, dass es durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht und bis Straßburg hält. Das Unterbringungsgesetz könnte sozusagen die nachträgliche Sicherungsverwahrung, nur in anderem Gewande, sein. Aber man muss es machen, und man muss es richtig machen.
Die Bedingungen dieser Unterbringung - Herr Kollege Adler, da bin ich auch ohne Straßburg völlig d’accord - können nicht die Bedingungen der Strafhaft sein. Das ist ein anderer Lebensabschnitt. Wir müssen gucken, wie die Freiheitsbeschränkung organisiert ist - in welchen Räumlichkeiten -, wie dort vor allem das Thema Therapie, das Thema Arbeitsleben und das Thema Freizeit anzusiedeln sind und auch ein bisschen Freizügigkeit zu organisieren ist. Das habe ich schon beim letzten Mal ausgeführt. Das wird uns allen ein neues Nachdenken abfordern. Inzwischen ist übrigens auch eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema unterwegs, die sich mit diesen Fragen befasst. Aber wir brauchen auch da den Bundesgesetzgeber. Das ist eine hochschwierige Thematik.