Was die Veränderungen z. B. beim Ausbildungsplatzangebot in der Zeit von 2006 bis 2009 angeht, so hat es in Niedersachsen sehr wohl einen Zuwachs von 2,7 % gegeben. Aber auf Bundesebene gab es einen Zuwachs von 6,8 %. In der Entwicklung der Ausbildungsplätze sind Sie Schlusslicht.
Oder nehmen wir den Anteil der Hochqualifizierten. Dieser beträgt in Deutschland insgesamt 10,1 %, in Niedersachsen 8,2 %. Das ist Platz 13 aller Bundesländer. Auch da sind Sie auf den hinteren Rängen gelandet.
Oder nehmen wir den Frauenerwerbsanteil. Der Anteil der Frauen an der Bevölkerung in Niedersachsen beträgt über 50 %. Die Erwerbsquote liegt bei 45 %, der Anteil an der Arbeitslosigkeit allerdings bei 47 %. Die Arbeitsmarktchancen für Frauen sind also nicht besser, sondern schlechter geworden. Die letzte Beschäftigungskrise ging in Niedersachsen eindeutig zulasten der Frauen.
Schauen wir uns die regionalen Arbeitslosenquoten an. Die Arbeitslosenquote beträgt in Vechta 3,9 %, in Delmenhorst 10,6 %, im Emsland 4,2 % und in Lüchow-Dannenberg 11,1 %. Wo sind eigentlich Ihre Programme zur Sicherung gleichwertiger Lebens- und Arbeitschancen in allen Regionen Niedersachsens?
- Im Emsland regiert die CDU, aber nicht diese Landesregierung. Auch da schmücken die sich wieder mit fremden Federn, Herr Busemann.
Wie haben Sie eigentlich die Ungleichgewichte bei den Ausbildungsplatzchancen wirkungsvoll bekämpft? In Leer kommt auf zwei Auszubildende nur eine halbe Stelle. Dort gehen also viele leer aus, während das Verhältnis in Hannover fast eins zu eins ist.
Schauen wir uns die Zahlen der erwerbstätigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher an. In Niedersachsen gibt es 135 000 Menschen, die von Arbeit nicht leben können. Aber von der FDP haben wir ja immer wieder gehört: Hauptsache Arbeit, egal zu welchen Bedingungen.
Sorgen Sie endlich dafür, dass solche Mitnahmeeffekte durch solche Kombilöhne verhindert werden. Der Griff von Unternehmen in die Sozialkassen muss endlich beendet werden. Bekämpfen Sie den Missbrauch endlich.
Fazit: Eine Menge Worte, keine Initiative der Landesregierung und sich selbst abfeiern mit Leistungen von Unternehmen und Arbeitnehmern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Toepffer, Sie haben gesagt, die Zahlen seien eindeutig. So eindeutig sind die Zahlen, fürchte ich, nicht; denn - es ist schon darauf hingewiesen worden - hinter der insgesamt tatsächlich guten Entwicklung der Gesamtzahl verbergen sich Strukturveränderungen, die Ihnen Angst machen sollten.
Mir jedenfalls machen sie Angst, weil die Arbeitslosigkeit, die sich unter der Decke dieser schönen Zahlen - ich werde das gleich noch belegen - in die Gesellschaft fräst, die Gesellschaft nachhaltig spaltet - das persönliche Planziel von Herrn Rolfes in dieser Plenardebatte scheint ja zu sein, das Buch des SPD-Mitglieds Sarrazin zu Ende zu lesen; jedenfalls hat er den ersten Tag fleißig darin herumgelesen -; das ist die Grundlage für die drohende soziale und politische Spaltung dieser Gesellschaft.
Ich will Ihnen einmal eine Zahl nennen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze ist zwar gestiegen - darauf haben Sie hingewiesen -, aber dieser Beschäftigungsaufbau geht im Wesentlichen auf die Zunahme der Teilzeit- und auch der Leiharbeit zurück. Ich will Ihnen die Zahlen sagen: Es gibt heute im Vergleich zu Juni 2008 etwa 170 000 Vollzeitbeschäftigte weniger, aber fast 400 000 Teilzeitbeschäftigte mehr.
Das ist unter dem Strich ein Zuwachs. Bei genauerer Betrachtung ist das aber eher eine besorgniserregende Entwicklung. Das führt eben auch zu ei
Die zweite Anmerkung, die ich machen möchte, ist Folgende: Der gegenwärtige Aufschwung - darin sind sich alle einig: Sie feiern ja den Export - beruht vor allem auf der Hoffnung USA. Wenn Sie die Meldungen von drüben lesen, dann wissen Sie, dass dort in den letzten Tagen eher wieder die Furcht vor dem Double-Dip, also der zweiten Rezessionswelle, grassiert, und dann ist Feierabend mit dieser Hoffnung auf den Aufschwung.
Die dritte Anmerkung, die dazu zu machen ist, knüpft im Grunde an das an, was wir gestern debattiert haben. Herr Möllring sagt hier völlig richtig: Wir haben das Ziel, die Nettoneuverschuldung im Jahre 2010 auf Null zu senken, deshalb verpassen müssen, weil wir mit allen Mitteln die Wirtschaftskrise abwenden mussten.
Das hat zu einer Aussage der Memorandumsgruppe geführt. Ich sage Ihnen etwas zur Memorandumsgruppe. Das sind die Wirtschaftsprofessoren, die sich zusammengeschlossen haben, weil Hochschulstellen, jedenfalls im VWL-Bereich, nur noch von neoliberalen VWL-Leuten besetzt wurden. Die Marxisten haben Sie ja schon in der Berufsverbotsära alle außen vor gelassen. Aber selbst die Keynesianer waren dann weg. Das waren diejenigen, die zu Recht vor der Wirtschaftskrise gewarnt haben. Die haben sich zu einer Memorandumsgruppe zusammengeschlossen, die immer ein alternatives Wirtschaftsgutachten herausgibt. Diese Memorandumsgruppe hat am 26. August völlig zutreffend Folgendes gesagt - es ist ein umfangreiches Memorandum; ich sage Ihnen nur die beiden Kernsätze sozusagen auch als Prophezeiung -:
„Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise ist keineswegs überstanden - sie verlagert sich nur. Sie ist inzwischen zu einer Finanzierungskrise der öffentlichen Haushalte geworden.“
Das ist genau das, was Herr Möllring gesagt hat. Deshalb sage ich Ihnen: Feiern Sie bitte nicht zu früh!
Das Letzte - das kann ich nur unterstreichen; Herr Will hat das eben angedeutet -: Die Wirtschaftswoche ist wirklich kein linkes Blatt. Die Wirtschaftswoche sollte Ihnen natürlich schon zu denken geben. Wenn man sich die vielen Tabellen darin anschaut und Niedersachsen sucht, dann geht man
die Tabelle von oben nach unten durch in der Hoffnung, möglichst schnell auf Niedersachsen zu stoßen. Aber dann stellt man fest, dass es rationeller ist, die Tabellen von unten zu lesen, weil Sie dann Niedersachsen schneller finden. Das zeigt Ihnen die Wirtschaftswoche.
Die Wirtschaftswoche sagt Ihnen im Resümee ihrer Untersuchungen - das muss Ihnen tatsächlich zu denken geben - zu der Leitfrage „Wer ist denn der Aufsteiger, wo ballt sich in Deutschland die größte Wirtschaftskraft, wo herrscht die stärkste Dynamik?“: Der Aufsteiger ist Brandenburg. Das flächenmäßig fünftgrößte Bundesland gewinnt erstmals das Dynamik-Ranking der Wirtschaftswoche. Vor allem die Lage am Arbeitsmarkt hat sich durch die Maßnahmen der letzten Zeit stark verbessert. Das deutet eben auch darauf hin: Die RotRoten werden es in Brandenburg wie in Niedersachsen richten!
(Beifall bei der LINKEN - Björn Thüm- ler [CDU]: Hinrichten! Ja, das ist wahr! - Jens Nacke [CDU]: Herr Dr. Sohn, dass Sie laufend solch ein Freund/Feind-Schema bei der Presse haben müssen!)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich noch einmal erleben kann, dass Kollege Sohn die Wirtschaftswoche als Zitierblatt heranzieht, um seine Position zu unterstützen! Das ist wirklich eine Sternstunde des Parlaments.
Aber zu Ihnen, Herr Toepffer. Sie haben die Aktuelle Stunde angemeldet. Es liegt in der Natur der Sache, dass Sie für die Regierungsfraktionen die Lage rosarot darstellen möchten.
Die Situation in Niedersachsen ist aber eine ganze Ecke vielschichtiger, als Sie sie gerade beschrieben haben. Im Ergebnis ist sie nicht so ruhmreich für die derzeitigen Regierungen hier und in Berlin. Hinter den scheinbar glänzenden Arbeitsmarktzahlen verbirgt sich eine Reihe von deutschlandweiten Einflüssen, die schon längerfristig wirken, aber auch landesspezifische Schatten.
Der aktuelle Aufschwung lebt nach Ansicht vieler Experten neben den Früchten der rot-grünen Reformen bei Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik an erster Stelle vom kollektiven Lohnverzicht der deutschen Arbeitnehmerinnen und der für sie in den letzten zehn Jahren verhandelnden Gewerkschaften. Das muss man hier auch einmal sagen. Das hat die Produktivität bei uns im Vergleich zu den anderen alten Industrieländern deutlich erhöht und macht uns weltweit so konkurrenzfähig. Die Dynamik des derzeitigen Erfolgs hängt zudem stark am schwachen Euro und ist deshalb leider kaum von großer Dauer.
Es gibt aber auch einige - gerade in Niedersachsen - stark ausgeprägte Sonderaspekte im Arbeitsmarkt, die weniger schön sind. Die bei uns am stärksten wachsende Branche ist die Leiharbeit. Fast 40 % der neuen Jobs sind dort entstanden, und das oft nicht zu fairen Bedingungen, sondern mit bis zu einem Drittel geringeren Löhnen als denen der Stammbelegschaft.
Vor den notwendigen Verschärfungen des rechtlichen Rahmens, um diesen Missbrauch erfolgreich zu bekämpfen, wollten sich CDU und FDP hier im Land aber drücken. Das mussten wir hier im letzten Plenum erfahren. Herr Toepffer hat hier heute etwas andere Töne angeschlagen. Ich bin gespannt, was wir in der weiteren Beratung des Antrags der SPD mit Ihnen erleben werden.
Außerdem ist das „Jobwunder“ in Niedersachsen im Wesentlichen, zu einem großen Teil, in einer Ausweitung von Teilzeitarbeit und prekären Beschäftigungen zu suchen. 33 % der neu entstandenen Jobs, Herr Toepffer, sind Teilzeitstellen oder nicht sozialversicherungspflichtige Stellen.
Dabei ist zu bedenken, dass ehemalige Vollzeitarbeitsplätze allzu oft auf Minijobs aufgeteilt werden. Das führt zu einer explosionsartigen Vermehrung der Hartz-IV-Aufstocker. Das ist alarmierend! Deshalb brauchen wir dringend einen bundesweit verbindlichen Mindestlohn und eine Korrektur der Minijobs, um diesen Missbrauch und die unsoziale Ausbeutung zu verhindern.
Besonders für die junge Generation sieht es trotz des demografischen Wandels mit aufkommendem Fachkräftemangel in Niedersachsen sehr düster aus. Schon in den vergangenen Jahren konnte hier bei uns nur weniger als die Hälfte der Jugend
lichen nach dem Hauptschulabschluss eine Lehrstelle ergattern. Das ist bundesweit der schlechteste Wert, Herr Toepffer.
Kolleginnen und Kollegen, anstatt heute das weitgehende Strohfeuer auf dem Arbeitsmarkt unreflektiert zu bejubeln, wie Sie es gerade getan haben, sollten die Regierungsfraktionen endlich wirksame Vorschläge machen, wie sie die mehr als 20 000 Jugendlichen, die bei uns Ehrenrunde um Ehrenrunde im sogenannten Übergangssystem drehen, endlich in Ausbildung bringen. Trotz Aufschwung und beschworenem Fachkräftemangel dümpelt die angebotene Ausbildungsplatzzahl in Niedersachsen aktuell bei 46 000, während es vor Ihrer Regierungszeit, in 2002, in unserem Land mit 54 000 noch fast 20 % mehr Ausbildungsplätze gab.
Es zeigt sich: Ihr freiwilliger Ausbildungspakt ist nur Augenwischerei. Das Problem der zu geringen Ausbildungsplatzangebote ist unter dessen Fassade munter weiter angewachsen. Wenn Sie weiter nichts tun, droht uns 2011 aber der Kollaps selbst des Auffangsystems, weil dort anders als in den Universitäten keine Sonderprogramme zur Ausweitung des Angebots für dieses besondere Jahr vorgesehen sind.