Es wurden zwei Personenfeststellungsverfahren angestrengt, um Herrn Slawik C. zum Armenier zu machen. Nachdem das erste Verfahren schon negativ verlaufen war, wurde im Mai 2009 durch das BKA festgestellt - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -:
„Da ich Zweifel an der Übereinstimmung des übersandten Fotos mit den Fotos aus den erkennungsdienstlichen Behandlungen hatte, ließ ich hier einen Lichtbildvergleich durchführen. Der Lichtbildvergleich verlief negativ. Es handelt sich um verschiedene Personen.“
Am 3. Mai 2010 wird seitens der ZAAB Lüneburg, also der Ausländerbehörde, mitgeteilt, dass Armenien keine Passersatzpapiere ausstellen könne, da das entsprechende Prüfverfahren negativ war. Nur 19 Tage später werden der Ausländerbehörde Passersatzpapiere zugesandt. Das ist absolut skandalös. Es muss doch auch in Ihrem Sinne sein, diese Diskrepanz aufzuklären.
Ich komme nun auf die Abschiebehaft zu sprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass die Freiheit der Person ein besonders hohes Rechtsgut ist, das nur aus wichtigen Gründen beeinträchtigt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat Niedersachsen neunmal wegen seiner rechtswidrigen Anordnungspraxis bei der Abschiebehaft gerügt. Das sind die Alarmsignale, die wir meinen.
Hier wird Menschen die Freiheit entzogen, obwohl sie keine Straftäter sind. Der Haftantrag der Ausländerbehörde wird nur mit der Sicherung der Abschiebehaft begründet, also mit der Annahme, dass der Betroffene zufällig nicht anwesend sein könnte. Alle Kommentierungen zum Aufenthaltsgesetz sagen, dass dieser Grund für einen Haftbeschluss nicht ausreichend ist.
Frau Kollegin Zimmermann hat zudem erwähnt, dass in allen Veröffentlichungen ein weiterer Haftgrund genannt wird. Dieser findet sich aber nicht im Haftantrag. Auch das ist ein skandalöser Vorfall, der aufgeklärt werden muss.
Ich komme zu meinem letzten Satz. Abschiebehaft ist zwingend von Straf- und U-Haft zu trennen. Die Deutsche Bischofskonferenz kommt zu dem Schluss - ich zitiere -:
„Die Bedingungen, unter denen zurzeit Abschiebehaft praktiziert wird, müssen dringend überprüft und verbessert werden.“
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Sach-, Fall- und Situationsschilderungen der Kolleginnen Zimmermann und Polat ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Die Darstellung war umfassend. Ich will mich deshalb auf zwei Aspekte beschränken: Wie gehen wir in Zukunft mit solchen Fällen um, und was ist in diesem Fall vielleicht doch noch ergänzend zu tun?
Ich möchte mich den Beileidswünschen an die Familie ausdrücklich anschließen. Dies möchte ich mit einem Zitat aus einem beeindruckenden Redebeitrag unserer Kollegin Silva Seeler in unserer Fraktion verbinden, die Herrn Slawik C. persönlich kannte und auch seine Familie kennt. Sie hat über die Familie gesagt, es sei eine hoch integrierte Familie, die seit über zehn Jahren in Jesteburg lebe, engagiert und ehrenamtlich tätig. Es gibt also keine Vorgänge, die in irgendeiner Weise eine aufenthaltsbeendende Maßnahme rechtfertigen. Das ist die Situation.
Wir treten seit langer Zeit für eine Härtefallregelung oder für ein Bleiberecht für lange hier lebende Menschen ein. Dafür, dass wir solche Regelungen nicht haben und deswegen auch nicht human im Falle einer Familie wie der, über die wir jetzt sprechen - diese Familie hat ein hohes Ansehen in der Gemeinde; wir erleben ja, wie sehr man sich dort nach dem tragischen Vorfall engagiert und Beileidskundgebungen formuliert -, verfahren können, sind Sie politisch verantwortlich, Herr Schünemann. Deswegen sind Sie auch politisch verantwortlich, wenn es zu Abschiebehaft und solchen Tragödien kommt.
Ich habe eine große Bitte - das ist auch die Bitte von Frau Seeler -: Tun sie jetzt alles, damit es nicht weitere Abschiebeverfahren gegen die Familie gibt. Ich meine, das wäre unangemessen und nicht gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, wir als SPD-Fraktion haben im Innenausschuss Akteneinsicht beantragt. Das hat der Innenausschuss beschlossen; wir mussten es nicht über das Minderheitsrecht tun. Ich bin den Koalitionsfraktionen dankbar, dass sie diesem Antrag entsprochen haben. Wir werden gemeinsam mit den Kollegen aus dem Rechtsausschuss und dem Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ diese Akteneinsicht vornehmen.
Wir sind uns einig, dass die ergänzenden Fragen in Form einer weiteren Unterrichtung im Rechtsausschuss abgearbeitet werden sollen. Denn das Ganze ist auch aus unserer Sicht eine nicht gerechtfertigte Abschiebehaftmaßnahme mit diesen tragischen Folgen gewesen.
Wir haben etwas Weiteres angekündigt. Die Frage, wie man dazu kommt, Abschiebungen zu vollziehen, wenn es solche offenen Fragen gibt, wie eben
dargestellt, muss ebenfalls aufgearbeitet werden. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Integrationsarbeitskreis unserer Fraktion haben wir eine ergänzende Kleine Anfrage - wie werden Passersatzpapiere eigentlich beschafft? - in das Verfahren eingebracht, auch vor dem Hintergrund, dass es obskure sogenannte Vorführkommissionen gibt, die - z. B. im Falle einer solchen Kommission aus Guinea - andere dazu veranlasst haben, dort von „Korruptionsverdacht“ zu sprechen. Diese Dinge müssen aufgearbeitet werden.
Wir haben eine weitere politische Forderung formuliert. Auch sie ist durch die Vorrednerinnen benannt worden. Wenn im Einzelfall - das Ziel muss sein, Abschiebehaft zu verhindern - Abschiebehaft wirklich gerechtfertigt sein sollte - in diesem Fall war sie es nicht, ich will das ausdrücklich so bewerten -,
dann darf das nicht in einer Haftanstalt geschehen, in der auch Strafvollzug stattfindet, weil diese Menschen nicht wissen, warum sie in Haft kommen. Es wird ihnen durch die Ausländerbehörden auch nicht richtig erklärt. Sie sehen sich plötzlich mit Straftatvorwürfen konfrontiert, und zwar im Umfeld einer auch für Strafhaft genutzten Anstalt. Das ist überhaupt nicht zu vertreten. Langenhagen hat sich leider so entwickelt. Auch das muss beendet werden.
Es gibt eine weitere politische Forderung. Zu unserer Regierungszeit hat es einen Erlass gegeben, den 1995 - man höre und staune! - Innenminister Glogowski in Kraft gesetzt hat. Er ist damals vom Landesflüchtlingsrat kritisiert worden: Ihr wollt mit diesen Hinweisen zur Förderung der freiwilligen Ausreise und zur Vermeidung der Beantragung von Abschiebungshaft - so der Erlass - möglicherweise Verfahren initiieren, die es trotzdem einfacher machen können. - Wenn heute der Landesflüchtlingsrat, der damals diese kritischen Worte gesprochen hat, zu Recht fordert „Setzt diesen Erlass aus der SPD-Regierungszeit wieder in Kraft“, dann sieht er, welche segensreiche Wirkung dieser Erlass als Handlungsanleitung für die Kommunen damals hatte. Das werden wir in Form eines Entschließungsantrags in das Parlament einbringen.
Herr Minister, wir fordern Sie auch auf, subtile Hinweise zum Handeln zu unterlassen, die den örtlichen Ausländerbehörden oft durch SMS oder Telefongespräche vorgegeben werden, und in einem Erlass wirklich sicherzustellen, dass die örtlichen Ausländerbehörden eigenverantwortlich handeln können. Betonen Sie nicht immer nur dann, wenn Ihr Kopf in der Schlinge steckt, dass sie eigenverantwortlich handeln können.
Dass Sie Abschiebungshaft immer noch befürworten, ist Ihre politische Verantwortung. Das, was wir aufarbeiten müssen und für die Zukunft verändern wollen, habe ich hier vorgetragen. Lassen Sie uns gemeinsam an humaneren Lösungen arbeiten!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlass dieses Themas in der Aktuellen Stunde, das wir gerade beraten, ist der tragische Fall der Selbsttötung des Abschiebehäftlings Slawik C. Auch für die FDP-Fraktion möchte ich mein ausdrückliches Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass Herr Slawik C. für sich keinen anderen Ausweg gesehen hat, als sich das Leben zu nehmen. Das ist tragisch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder einzelne Abschiebefall ist natürlich immer auch die persönliche Geschichte eines einzelnen Menschen. Dessen sollten wir uns stets bewusst sein.
Der Freitod, den Herr Slawik C. gewählt hat, kam - so ist es uns zumindest im Ausschuss berichtet worden - für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
sehr überraschend. Denn noch am Vortag hatte der Häftling ausgeführt, dass er sich, nachdem er gewalttätig gewesen war und dann Medikamente bekommen hatte, wieder wohl fühlt und es ihm gut geht, obwohl er, wie sich erst später herausstellte, diese Medikamente nicht genommen hatte und dann in den Freitod gegangen ist.
(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Wa- rum ist er gewalttätig geworden? Er ist ausgerastet! - Filiz Polat [GRÜNE]: Das ist aber alles nicht öffentlich!)
Für uns als FDP-Fraktion ist wichtig, diesen Fall wirklich genau aufzuklären. Deswegen haben wir im Innenausschuss selbstverständlich gesagt, dass dort Akteneinsicht genommen werden kann, um die genauen Umstände - nach der Aktenlage und den Aussagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - herausfinden zu können, aber auch, um Lehren daraus zu ziehen, wie es dazu gekommen ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber auch, dass das, was Frau Zimmermann hier dargestellt hat, nämlich dass wir eine Hauptsacheraus-Politik machen und es uns nicht um menschliche Schicksale geht, sondern nur darum, möglichst viele Menschen aus Deutschland abzuschieben und herauszubekommen, nicht die Politik ist, die CDU und FDP hier in Niedersachsen machen.
Es gibt keine Alle-raus-Politik, sondern eine genaue Einzelfallprüfung. Das ist mir besonders wichtig.