Protocol of the Session on August 18, 2010

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, stelle ich zunächst einmal die Beschlussfähigkeit fest.

Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 c auf:

Google Street View contra Privatsphäre - Datenschutz und Bürgerrechte sichern! - Antrag der Fraktion der FDP - Drs. 16/2727

Der Antrag wird eingebracht von Herrn Kollegen Dürr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich selbst bin online bei Facebook, Twitter und Xing. Mit Twitter haben wir hier im Niedersächsischen Landtag ja bereits die eine oder andere Erfahrung machen dürfen. Aber unter dem Strich entscheide ich bisher jedenfalls immer selber, wann und wem ich etwas von meiner Privatsphäre preisgeben möchte.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Sind Sie sich da so sicher?)

Herr Kollege Dr. Sohn, bei Google Street View erreicht das jetzt tatsächlich eine andere Qualität. Potenziell wird ein Teil meiner Privatsphäre und der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland - jedenfalls der 20 Städte, die bislang von Google Street View aufgenommen worden sind - der gesamten Welt zugänglich gemacht, und zwar ohne die explizite Zustimmung dieser Men

schen. Deswegen ist es ausdrücklich richtig, eine gesellschaftliche und politische Diskussion über Google Street View zu führen.

Herr Dr. Sohn hat den Zwischenruf eben zu Recht getätigt. Er hat gefragt, ob ich mir bei Facebook und anderen sicher bin. Auch da gibt es ja Datenschutzdiskussionen.

Ich vergleiche das immer mit dem Phänomen der Flugangst: Jeder weiß, dass es unsicherer ist, mit dem Auto zu fahren als mit dem Flugzeug zu fliegen. Gleichwohl ist die Angst vor dem Autofahren in Deutschland und anderswo wenig verbreitet, die Angst vor dem Fliegen aber umso mehr. Das liegt daran, dass man im Flugzeug selbst keinen Einfluss nehmen kann und nicht die Möglichkeit hat, zu einem beliebigen Zeitpunkt auszusteigen.

Das, was Google jetzt angeboten und eingeräumt hat - die Anonymisierung der personenbezogenen Daten, also die Unkenntlichmachung von KfzKennzeichen und Gesichtern und die Verpixelung einzelner Häuser, und eine entsprechende vierwöchige Widerspruchsfrist -, ist sicherlich ein erster richtiger Schritt dieses Unternehmens. Gleichwohl ist für Liberale auch wichtig, dass es nicht vom guten Willen eines Unternehmens abhängig sein darf, ob anonymisiert wird. Eine Widerspruchslösung muss am Ende auch gerichtlich einklagbar sein und darf nicht abhängig davon sein, ob ein Unternehmen sie gewährt oder nicht gewährt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich will das unterstreichen. Gerade die FDP ist bei Innovationen - Google Street View ist, ausdrücklich gesagt, eine Innovation - keineswegs dogmatisch, und wir wollen nicht bremsen. Aber die Balance zwischen Chancen einerseits und Risiken andererseits bei technischen Neuerungen muss am Ende eben immer sorgfältig hergestellt werden. Wir müssen dort die Grenze ziehen, wo die Freiheit und die informationelle Selbstbestimmung eines jeden Einzelnen bedroht sind.

Ich glaube übrigens, dass Google Street View an dieser Stelle nur ein erster Schritt ist. Wir werden in Zukunft noch weitere Dinge erleben.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist ungefähr der zwölfte Schritt!)

Deswegen bin ich mit dem Bundesinnenminister, Frau Kollegin Flauger, ausdrücklich einer Meinung. Wir brauchen jetzt keine Lex Google, also kein Gesetz nur für Google Street View, sondern wir brauchen tatsächlich eine ausgereifte Lösung,

auch eine ausgereifte gesetzliche Lösung für die Zukunft, um Bürgerrechte entsprechend zu stützen.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen den Film - das ist mittlerweile zwölf Jahre her; ich habe es gerade noch einmal nachgeschaut - „Staatsfeind Nr. 1“ mit Will Smith damals, 1998, gesehen hat. Da konnte ein Spionagesatellit von oben her wunderbar schauen, wie dieser Bürger, wie dieser „Staatsfeind“ durch die Straßen von Washington läuft. Das ist die Zukunft, und ich befürchte und glaube, dass das die Realität in Zukunft sein wird. Wir diskutieren bisher über die Überwachung öffentlicher Plätze durch die Polizei, durch die Kommunen. Wir werden unter Umständen in Zukunft darüber diskutieren, dass nicht nur öffentliche Plätze, sondern dass auch der private Raum von oben unter Umständen von privaten Unternehmen, die die entsprechende Satellitentechnik zur Verfügung haben, überwacht werden kann. Insofern meine ich, dass wir hier auch gesetzestechnisch in die Zukunft denken müssen.

(Glocke der Präsidentin)

Es ist sicherlich richtig, dass befürchtet wird, dass Informationen mit Geodaten zusammengeführt werden. Andererseits hat es einen Nutzen. Wenn ich entsprechende Angebote von meinem Maler von nebenan bekomme, ist das erst einmal ganz nett. Wenn ich nachgucken kann, ob mein Hotel, das ich für meinen Urlaub buchen möchte, neben einer Kläranlage liegt oder neben einem Spielplatz, dann ist auch das gut. Aber am Ende muss es nicht nur Liberalen, sondern, wie ich glaube, allen Politikerinnen und Politikern um eines gehen: Am Ende muss jeder einzelne Staatsbürger die Möglichkeit haben, Nein zu sagen, also: Nein, meine Geodaten sollen in dieser Form nicht veröffentlicht werden. Fotos von mir, von meinem Haus, von meinem Eigentum sollen in dieser Form nicht veröffentlicht werden. - Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir politisch erreichen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU - Glocke der Präsidentin)

Zum Schluss will ich noch eines sagen, weil ich glaube, dass es besonders wichtig ist - das zeigen bisher insbesondere die Erfahrungen mit dem Internet -: Die Widerspruchsfrist ist mit zurzeit vier Wochen ausgesprochen zu kurz. Denn das, was nicht passieren darf, ist, dass die Daten ins Internet hochgeladen werden und ich erst dann feststelle: Ups, meine Wohnung, die wollte ich gar nicht im Internet sehen, die ist aber auf einmal

schon drin. - Erst dann schaffe ich es sozusagen, einen Widerspruch bei Google einzulegen. Dann wird Google das Ganze vielleicht verpixeln. Aber mittlerweile ist dieses Bild von meinem Haus, von meiner Wohnung bereits tausend-, vielleicht millionenfach heruntergeladen worden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Insofern muss die Widerspruchsfrist verlängert werden. Wir müssen die Möglichkeit haben, bevor diese Bilder ins Internet kommen, entsprechend zu widersprechen. Ich glaube, das sollten wir politisch erreichen. Wenn wir alle da einer Meinung sind, sind wir politisch auf dem richtigen Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Toepffer. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Haltung der CDU-Fraktion ist bei diesem Thema durchaus unterschiedlich. Das mag daran liegen, dass auch die CDU eine durchaus technikfreundliche Partei ist. Wir sind für den technischen Fortschritt. Deswegen sind wir auch der Meinung, dass man einer modernen Gesellschaft durchaus das Recht zubilligen sollte, einen solchen neuen Kartendienst einzuführen. Er hat ja auch durchaus seine Vorteile, die der eine oder andere glaubt nutzen zu müssen.

Die Technikfreundlichkeit geht allerdings in meiner Partei sehr, sehr weit. Ich habe mich besonders über eine Presseinformation der hannoverschen Jungen Union, meiner eigenen Nachwuchstruppe, gefreut. Die hat gesagt, die ganze Diskussion ist nichts anderes als die provinzielle Furcht vor einer globalisierten und vernetzten Welt.

Mag sein, dass ich vielleicht selbst ein Hinterwäldler bin. Ich sehe es anders. Ich habe schon ein wenig Furcht - weniger vor den Missbrauchsmöglichkeiten bei Google als vor anderen Dingen. Ich glaube nicht, dass wir jetzt von einer Verbrechenswelle heimgesucht werden. Ich glaube auch nicht, dass die Banken künftig die Bonität ihrer Kunden danach beurteilen werden, wo sie wohnen,

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das gibt es doch schon lange!)

sondern dass dann wahrscheinlich die Gehaltsbescheinigung doch noch entscheidet, Frau Helmhold. Nein, es sind andere Dinge, die mich umtreiben, beispielsweise wirklich die Frage nach Bürgerrechten.

Natürlich haben Häuser kein Persönlichkeitsrecht, und es gibt kaum etwas, was öffentlicher ist als eine Fassade. Das ist richtig. Gleichwohl ist die Privatsphäre zu schützen, und ich denke, der Schutz der Privatsphäre wird in dem Augenblick gebrochen, wo Google in einer Höhe von 2,20 m bis 2,70 m - so ist es geschehen - über Hecken und Zäune hinüber fotografiert. Da ist dann Schluss mit lustig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber auch die Frage nach den Bürgerrechten hat wieder ihre zwei Seiten. Es gibt ja auch ein Recht auf Informationsfreiheit. Das Recht, in der Öffentlichkeit zu fotografieren, haben wir alle. Dann fragt man sich: Warum nicht auch Google? - Da bin ich dann ehrlich und selbstkritisch und muss sagen, meine Furcht ist eigentlich keine Furcht vor Street View. Das bieten ja mittlerweile auch andere an.

Die Furcht, die ich habe, ist die Furcht vor diesem Unternehmen, vor Google. Die SPD hat das Unternehmen - wie ich finde, zu Recht und sehr passend - als Datenkrake bezeichnet. Das ist ein schönes Bild. Ich sage, es macht mir zum Teil wirklich Angst, wenn ich am Samstag am Computer sitze, über einen Google-Dienst die Preise für einen Rasenmäher vergleiche und dann am Sonntag das Internet öffne, und, siehe da, haufenweise Werbung für Rasendünger auf dem Schirm habe. Das mag praktisch sein. Mir macht es Angst. Da hat der Krake wieder zugegriffen.

Ich weiß ja nicht, wo er noch zugegriffen hat. Der Chaos Computer Club hat ein wunderbares Motto, das da lautet: Private Daten schützen und öffentliche Daten nützen. - Aber wo ist denn die Grenze, wenn wir jetzt verknüpfen? Was passiert denn, wenn das Bild meines Hauses - öffentliche Daten - mit meinen privaten Daten, etwa dem Namen, kombiniert wird? Kriege ich dann demnächst das passgenaue Angebot für eine Feuerversicherung? - Auch das mag praktisch sein. Aber ich will das nicht.

Es mag niemand sagen, dass das technisch nicht möglich ist. Technisch ist das möglich. Es mag niemand sagen, dass Google das nicht tun wird. Google hat in der Vergangenheit alles getan, was

technisch möglich war und was dem Unternehmensgewinn gedient hat,

(Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

und dies, ohne von sich aus Rücksicht auf Grenzen und Grundsätze zu nehmen, die in diesem Haus unstreitig sind. Das Widerspruchsrecht, das wir jetzt haben, wurde nicht freiwillig eingeräumt. Das musste dem Konzern abgetrotzt werden. In der Tat - Kollege Dürr hat es gesagt -, es ist ungenügend; denn es gibt diese viel zu kurze Frist. Ferner muss ich erst persönliche Daten preisgeben, um überhaupt eine Löschung zu erreichen.

Meine Damen und Herren, im Prinzip geht es aber nicht um die Regulierung der Veröffentlichung eines Fotos oder mehrer Fotos. Es geht darum, die intransparente Verwendung von Daten über unsere Lebensweise zu regulieren, darum, wie diese intransparente Verwendung reguliert werden kann. Ich denke, wir werden es mit einer kurzfristig erarbeiteten gesetzlichen Regelung nicht schaffen. Ehrlich gesagt, ich frage mich, ob wir es überhaupt mit einer gesetzlichen Regelung schaffen. Google ist mächtig, Kalifornien ist weit.

Aber insgesamt hat die Debatte doch ein Gutes: Vielleicht fängt der eine oder andere demnächst an nachzudenken, wem er da denn seine Daten gibt und in welcher Masse er das tut. Vielleicht stellt der eine oder andere die Tastatur beiseite, benutzt den Kopf oder liest mal wieder - altmodisch - ein gutes Buch.

(Björn Thümler [CDU]: Sehr gut!)

Ich kann dazu nur sagen: Ich will die Sache wirklich nicht dramatisieren, aber George Orwell kann man immer empfehlen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Toepffer. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich Herr Briese zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Als Erstes möchte ich mich für die beiden Redebeiträge bedanken, die hier vorher gehalten worden sind. Sie waren nämlich sehr differenziert. Sie waren sehr reflektierend. Sie waren sehr abwägend. Es wurden viele

Argumente abgewogen. Das finde ich sehr positiv. So kann es im Landtag auch funktionieren, finde ich, mal jenseits von Polemik.

(Jens Nacke [CDU]: Das geht gegen Wenzel!)

Das ist ein schwieriges Thema. Das hat sich ja auch durch die ersten beiden Beiträge gezogen. Ein großes Unbehagen macht sich in dieser Debatte breit, auch in der Bevölkerung. Das merkt man. Sehr treffend hat das Herr Schirrmacher bezeichnet. „Neue Machtmaschinen eines neuen Zeitalters“ nennt er diese neuen IT-Unternehmen wie Google oder Apple oder Facebook. Wir wissen noch nicht so richtig, wie wir damit umgehen sollen.