Protocol of the Session on June 11, 2010

Ich kann jetzt leider nicht auf Ihre Aussagen zu den Wahlberichten und zu unseren Aussagen zu ländlicher Armut eingehen. Die Ausschusssitzung war nicht öffentlich, und deshalb zitiere ich nicht daraus und komme nicht darauf zurück.

Ich bitte Sie recht herzlich, bei der weiteren Diskussion sachlich und am Thema zu bleiben. Die Menschen, die in diesen abgehängten Dörfern leben, haben Respekt verdient. Und diese Dörfer sind tatsächlich abgehängt, sonst hätte das gestern Ihre Bundesministerin doch nicht zugegeben. Oder hat sie auch nicht richtig geguckt?

(Beifall bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion antwortet Herr Kollege Große Macke. Bitte!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das Schöne: Ich unterscheide zwischen den Menschen im ländlichen Raum und dem, was in diesem Antrag steht. Und wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, wie die Linken zum Thema ländlicher Raum gesprochen haben, dann ist es gut, wenn die Menschen jetzt zuhören. Von der Ernsthaftigkeit der Linken spricht nämlich die ganze Republik. Sie haben sich doch schon während des letzten Plenums zum ländlichen Raum geäußert. Ich zitiere:

„Herr Große Macke … Sie kommen doch aus Cloppenburg. Ich frage Sie: Haben Sie schon einmal Ihre Nase geöffnet, wenn Sie durch Südoldenburg gefahren sind? Das stinkt dort ganz entsetzlich!“

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Un- verschämt! - Marianne König [LINKE]: Tut es doch auch!)

Das war das Einzige, was Sie zum ländlichen Raum gesagt haben. Das ist mir zu wenig.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Pia-Beate Zimmermann [LIN- KE]: Die Kollegen hören das alle gar nicht! Da sitzt kaum einer auf der an- deren Seite! Die sind alle im ländli- chen Raum!)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Hausmann von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche einmal, wieder etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen.

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Landeskonferenz „Zukunft des ländlichen Raumes in Niedersachsen“ - beim Lesen dieser Überschrift fällt mir spontan die Enquetekommission „Demografischer Wandel - Herausforderung an ein zukunftsfähiges Niedersachsen“ ein. Das ist eine Kommission gewesen - Sie haben es auch kurz angesprochen -, die sich in der 15. Wahlperiode, in den drei Jahren von 2005 bis 2007, sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Sie hat ihre Ergebnisse in einem 606 Seiten starken Bericht niedergeschrieben. Ich habe ihn mitgebracht, um ihn noch einmal in Erinnerung zu rufen.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Den muss man auch lesen!)

- Richtig, ich habe ihn auch gelesen.

Alle Bereiche der Gesellschaft haben an diesem Bericht mitgewirkt, das sollte man noch einmal dazusagen.

(Zustimmung bei der SPD)

Vor diesem Hintergrund habe ich mir die Frage gestellt: Kennt der Antragsteller diesen Bericht und seinen Inhalt wirklich? - Sicherlich kann es nicht schaden, wenn das Thema erneut aufgegriffen wird, das ist durchaus verständlich. Nach dem Schlussbericht der Enquetekommission besteht allerdings meiner Meinung nach nicht vor allem großer Diskussionsbedarf, sondern es besteht vor allem Handlungsbedarf. Die Vorschläge der Kommission, die in dem Bericht stehen, sollten endlich umgesetzt werden. Das Versprechen, die strukturschwachen Gebiete so zu fördern, dass sie mit den Ballungszentren gleichziehen können, sollte eingelöst werden. Menschen im ländlichen Raum haben einen Anspruch auf gleichwertige Lebensbedingungen und vor allem auch auf Chancengleichheit. Damit rede ich - das möchte ich besonders betonen - den ländlichen Raum nicht schlecht. Ich komme selbst aus dem ländlichen Raum. Genau deswegen ist es für mich ein ganz besonderes Anliegen, über den ländlichen Raum zu sprechen.

Ich habe ein paar Beispiele mitgebracht. Eigentlich wollte ich es heute kurzmachen, weil heute erst die erste Beratung des Antrags stattfindet. Aber meine Vorredner haben ihre Zeit genutzt, also tue ich das

auch und nenne zwei gute Beispiele, an denen deutlich wird, dass der ländliche Raum gerade gegenüber Ballungszentren benachteiligt ist.

Die einzelbetriebliche Förderung ist vor Kurzem von unserem Wirtschaftsminister - er ist gerade nicht hier - gestrichen worden. Genau an dieser Stelle treffen wir gerade den ländlichen Raum, insbesondere den Grenzbereich zwischen den neuen und den alten Bundesländern.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Auch vor der Streichung der Förderung bestand schon ein erheblicher Wettbewerbsnachteil. Es gab ein Fördergefälle von 35 % - man höre: 35 %. In den neuen Bundesländern werden Betriebe bis zu 50 % gefördert. Mit der einzelbetrieblichen Förderung können Betriebe wenigstens noch 15 % Förderung erhalten. Jetzt bekommen sie gar nichts mehr. Das ist der erste große Nachteil, der ganz besonders den ländlichen Raum betrifft.

Ein weiteres wichtiges Thema - jedenfalls für mich - ist die Bildung. Wir reden von Bildung und davon, dass wir unseren Kindern die bestmöglichen Bildungschancen einräumen wollen. Das ist, meine ich, im ländlichen Raum nicht der Fall.

Ein Beispiel sind die Zulassungsbedingungen für Gesamtschulen. Ich habe das gerade am eigenen Leibe erfahren und kann aus eigener Erfahrung sprechen. Für die Einrichtung einer Gesamtschule muss mindestens eine Fünfzügigkeit nachgewiesen werden. Im ländlichen Raum, wo wenig Menschen wohnen und es wenig Kinder gibt, ist es grundsätzlich schwierig, eine Fünfzügigkeit nachzuweisen. Wenn man dann in einem ersten Schritt doch die Fünfzügigkeit nachweisen kann - in meinem Heimatlandkreis Osterode ist das gerade passiert -, dann heißt es: Ihr könnt die Fünfzügigkeit zwar jetzt nachweisen, aber sie muss auch für die nächsten 14 Jahren nachgewiesen werden. - Denn aufgrund der demografischen Entwicklung wird es in Osterode in 14 Jahren 30 % weniger Kinder geben. Während in den Ballungsgebieten der Nachweis der Fünfzügigkeit und die Schülerzahl von 130 Kindern für die Einrichtung einer Gesamtschule ausreicht, müssen wir im ländlichen Raum eine Schülerzahl von 170 bis 180 Kindern pro Jahrgang nachweisen, damit wir eine Gesamtschule einrichten können. Genau das sind die Nachteile, die immer noch im ländlichen Raum bestehen

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Diese Landesregierung geht diese Probleme nicht an, um die Situation zu verändern.

Ich möchte zum Schluss kommen. Die Glocke hat gebimmelt. Beim letzten Mal durfte ich nicht weiter sprechen, heute will ich wirklich zum Ende kommen.

Herr Kollege, die Glocke galt eigentlich mehr Ihrer eigenen Fraktion, weil da die nötige Aufmerksamkeit fehlte.

(Karin Stief-Kreihe [SPD]: Nein! Wir sind ganz aufmerksam!)

Jetzt noch einmal zu dem Antrag. Wir wollen den Antrag nicht ablehnen. Ich hoffe, er trägt wenigstens dazu bei, die Diskussion wieder aufzunehmen und vielleicht auch die Diskussion endlich als Ausgangspunkt für Handlungen zu sehen. Handeln ist viel wichtiger, als immer nur über die Probleme zu sprechen. Vieles kann getan werden, und - da es ja immer auch ums Geld geht - nicht alles, was wir für den ländlichen Raum tun können, kostet Geld. Man kann auch vieles umsetzen, was kein Geld kostet. Ich habe gerade die Schulbeispiele genannt.

Ich möchte mit dem Sprichwort eines alten österreichischen Dichters meine Ausführungen beenden: „Was du sagst, das verweht der Wind; nur was du tust, das schlägt Wurzeln.“ Im Sinne dieses Sprichwortes möchte ich Sie alle bitten mitzuhelfen, damit es dem ländlichen Raum irgendwann besser geht.

Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Ich erteile dem Kollegen Meyer, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Kollegen Hausmann und der Kollegin König für ihre sachlichen Redebeiträge. Die Reaktion von Herrn Kollegen Große Macke auf einen Antrag für eine Konferenz zur Zukunft des ländlichen Raumes, die der Noch-Ministerpräsident Wulff angeblich den Gewerkschaften versprochen

hat, war schon erstaunlich. Man muss als Opposition nicht jedes Versprechen teilen, aber ich finde schon, man sollte sich mit den Problemen im ländlichen Raum und auch mit den Zukunftschancen sachlich auseinandersetzen. Das haben Sie nicht getan.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich sage auch, wir Grünen sind noch nicht davon überzeugt, ob eine Landeskonferenz das richtige Mittel ist. Wir haben eine ganze Reihe von Studien und Vorschlägen, die aufzeigen, was man tun muss. Unseres Erachtens geht es jetzt eher darum, in die Handlungsphase zu kommen. Wir warten noch einmal die Debatte im Ausschuss über dieses Thema ab, aber wir wollen, dass es endlich zu Handlungen kommt.

Die Probleme sind angesprochen. Es fehlt weiterhin flächendeckend an schnellen Internetanschlüssen. Wir wollen eine Umlage der Betreiber, damit niemand mehr abgehängt ist. Es fehlt an Programmen zur Bekämpfung der Armut, gerade im ländlichen Raum, und nicht an Sparbeschlüssen, wie sie die Bundesregierung fasst, um dort weiter zu kürzen. Wir wollen eher eine Aufstockung des ALG II. Es fehlt auch an der Förderung von Zukunftsbranchen im ländlichen Raum, z. B. im Bereich der erneuerbaren Energien. Ich komme auch aus einer vielleicht ein bisschen abgehängten Region, zumindest war diese Beschreibung immer Konsens. In Holzminden wollte die Firma Stiebel Eltron eine Solarfabrik bauen; das tut sie jetzt nicht, und sie sagt öffentlich, dafür verantwortlich seien CDU und FDP mit ihrer einseitigen Politik für die Atomenergie und dem Abbau der Solarförderung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir hätten eine ganze Reihe von konkreten Projekten, die man umsetzen könnte, z. B. die Neuausrichtung der Förderprogramme. Ich wünsche mir, dass wir uns im Ausschuss inhaltlich mit diesen Fragen auseinandersetzen und nicht immer diese Weltuntergangsszenarien beschwören, wie es die CDU tut.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich erteile dem Kollegen Oetjen von der FDPFraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Meyer, wer hier Weltuntergangsszenarien über den ländlichen Raum verbreitet, ist ja wohl keine Frage.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Frau Kollegin König, ich halte die Grundannahme, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, dass sich die Wirtschaft in den Ballungsräumen konzentriert, für falsch. Wir verzeichnen in den letzten Jahrzehnten eine sehr dynamische Entwicklung, die gerade nicht in den städtischen Ballungsräumen stattfindet, sondern etwa an der Achse der A 1, im Hamburger Umland und im Nordwesten des Landes, also eben nicht in der Region Hannover oder an den klassischen Industriestandorten im Osten. Wir haben eine dynamische Wirtschaftsentwicklung in anderen Teilen des Landes und insbesondere im ländlichen Raum,

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Ja, Teile so, Teile so!)

und das gestützt durch gute verkehrliche Anbindung. Verkehrsachsen sind und bleiben die Lebensadern im ländlichen Raum; das muss man an dieser Stelle auch noch einmal sagen.

(Zustimmung bei der CDU)