Protocol of the Session on June 11, 2010

Für die SPD-Fraktion antwortet Herr Kollege Watermann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Riese, ich will es noch einmal deutlich sagen: Die sozialen Systeme, die wir haben, sind dafür da, in Notsituationen, also bei Krankheit oder wenn man arbeitslos ist und aus dem Arbeitslosengeld I herausfällt, eine Grundabsicherung vorzunehmen, und zwar sehr stark an dem Bedürfnis orientiert und nicht vorbehaltlos. Dazu stehen wir, weil alle anderen Wege, die dazu - gerade in kleinen Parteien - diskutiert werden, der Anfang davon sind, dass der Ansatz, die Arbeit in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Teilhabe zu stellen, infrage gestellt wird. Deshalb werden wir darüber erheblich streiten können. Auch im Ausschuss können wir uns dazu fachlich duellieren.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Genau an diesem Scheideweg sind wir durch den Versuch, die Entbürokratisierung als Mittel dafür zu nehmen, Dinge infrage zu stellen, die diese Gesellschaft zusammenhalten, nämlich die Frage von Arbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Wir haben die UN-Konvention zur Inklusion unterschrieben. Das ist nicht nur eine Bildungsfrage, sondern auch eine Frage von Teilhabe für alle am gesellschaftlichen Leben durch Arbeit. Da haben wir noch eine Menge vor. Ich glaube, viele, die das unterschrieben haben, haben noch gar nicht begriffen, wie schwer dieser Weg ist. Im Vergleich

dazu ist die Gesetzgebung zum SGB II nur ein ganz billiges Ding gewesen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Patrick-Marc Humke-Focks [LIN- KE])

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir können jetzt die Ausschussüberweisung vornehmen.

Vorgesehen ist die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit als federführenden Ausschuss und an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen zur Mitberatung. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann haben wir so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Erste Beratung: Landeskonferenz „Zukunft des ländlichen Raumes in Niedersachsen“ - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2515

Zur Einbringung erteile ich der Kollegin König von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In unserem Antrag fordern wir die Durchführung einer Landeskonferenz mit Akteuren im ländlichen Raum. Warum? - Studien, der Bericht der Enquetekommission und Expertenmeldungen zu diesem Problem im ländlichen Raum gibt es genügend. Aber es hapert am Willen der Verantwortlichen und einer konzentrierten Umsetzungsstrategie, um diese Probleme effektiv anzugehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei gibt es durchaus Initiativen von Interessenverbänden. Diese haben sie selbst an Herrn Ministerpräsident Wulff herangetragen, um das zu ändern. So hat vor drei Jahren die Gewerkschaft ver.di dem Ministerpräsidenten angeboten, eine Landeskonferenz zum Thema „Leben im ländlichen Raum“ durchzuführen. Ich begrüße hier ausdrücklich meine Kolleginnen und Kollegen von der Gewerkschaft ver.di. Sie sind an diesem Thema

interessiert und möchten heute hören, wie es mit den Problemen im ländlichen Raum weitergeht.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Herr Ministerpräsident hat sich für das Angebot bedankt und es offenbar vergessen.

(Ministerpräsident Christian Wulff spricht mit Anette Meyer zu Strohen [CDU])

- Er möchte anscheinend auch nicht mehr daran erinnert werden; er ist ja ins Gespräch vertieft. Aber durch Vergessen und Verdrängen werden keine Probleme gelöst.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir, die Fraktion DIE LINKE, haben diese Idee aufgenommen. Deshalb bringen wir heute diesen Antrag ein. Der Entschließungsantrag beinhaltet die Anerkennung der Probleme des ländlichen Raums und den Auftrag an die Landesregierung, eine Landeskonferenz unter Einbeziehung aller Fraktionen im Landtag, der Gewerkschaften, vor allem auch von Kirchen, Verbänden und Vereinen durchzuführen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei kann auch der Bericht der Enquetekommission durchaus eine Arbeitsgrundlage sein. Denn schließlich ist er einmal angefertigt worden, um daraus Strategien zu entwickeln. Weiterhin soll die Landesregierung beauftragt werden, aufbauend auf den Ergebnissen dieser Landeskonferenz, mit einem partizipatorischen Ansatz unter Mitwirkung aller an der Landeskonferenz Beteiligten eine Entwicklungsstrategie für Niedersachsen zu erarbeiten und diese dann dem Landtag vorzulegen.

Dass eine solche ressortübergreifende Entwicklungsstrategie für Niedersachsen dringend gebraucht wird, hat sich in der Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der Linken noch einmal sehr deutlich gezeigt. Die Landesregierung musste bei der Beantwortung feststellen, dass weite Teile des Landes abgehängt sind.

Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flauger?

Bitte!

Liebe Kollegin König, finden Sie es eigentlich genauso erstaunlich wie ich, dass sich die CDU-Fraktion für das Thema „Entwicklung des ländlichen Raumes“ offensichtlich - wenn man sich die Anwesenheit anguckt - überhaupt nicht interessiert?

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kollegin Flauger, dafür brauchte ich nicht erst die heutige Debatte. Das zeigt sich mir schon seit Längerem.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu den Problemen im ländlichen Raum verweise ich nochmals auf die Debatte im April-Plenum. Da haben wir ja zu der Großen Anfrage Stellung bezogen.

Wo Landfrauen sind, steht immer eine Tür offen, da ist Hilfe. Aber wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Zum Licht gehört, dass im Dorf Armut lange von Familien aufgefangen, aber auch verschwiegen wird. Ist diese Armut aber erst einmal offensichtlich, dann ist das Dorf oft gnadenlos. Armut wird stigmatisiert, Menschen werden ausgegrenzt. Dörfliche Armut zeigt sich eben noch einmal ganz anders.

Ministerin Aigner berichtete auch, dass sie morgens im Frühstücksfernsehen einen Bericht über ein Arztehepaar auf dem Lande gesehen habe. - Interessant, gut. Dieser Bericht dürfte auf keinen Fall Einzelfall sein.

Ebenso hatte die Ministerin den schlechten Straßenzustand in Niedersachsen auf der Fahrt gesehen und, so glaube ich, sogar erlebt. Auch daran müsse gearbeitet werden.

Worin ich der Ministerin aus vollem Herzen zustimmen konnte - da bestätigt sich: Ich gehöre einer Partei an, die Wert auf Werte legt, die oftmals konservativ und traditionell ist -: Junge Menschen benötigen eine Zukunft in der ländlichen Region. Sie ist ihre Heimat. Dort wollen sie leben, dort wollen sie arbeiten und wohnen. Sie wollen auch

nicht, dass ältere Generationen auf dem Dorf vereinsamen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt wird die CDU natürlich sagen, diesen Problemen habe sie sich schon längst angenommen. Man habe erfolgreich eine Konferenz in Vechta durchgeführt. - Aber wissen Sie, wie die abgelaufen ist? - Ich zeige es Ihnen gern.

(Die Rednerin zeigt einen bebilderten Zeitungsartikel)

Auf einem Podium saßen die Herren und haben geredet, und draußen standen die Menschen und bedrängten Herrn Minister Ehlen. Sie wollten über ihre Probleme reden.

(Hans-Heinrich Ehlen [CDU]: Das war etwas ganz anderes! Bringen Sie das nicht durcheinander, junge Frau! - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Sie waren nicht dabei!)

- Aber ich habe die Berichte gelesen. Ich habe mit meinen Kolleginnen und Kollegen, die in Vechta mit vor der Tür standen, geredet, und sie haben mir das erzählt.

Das macht deutlich: Man kann keine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau wegen dieses Problems fordern wir in unserem Antrag die Landesregierung auf, mit allen Betroffenen - Verbänden, Kirchen, Vereinen - eine Landeskonferenz durchzuführen und dort ein Konzept aufzustellen. Nur das kann der Weg sein. Die Zeit ist reif dafür. Es nützt nichts, wenn uns ein Bericht der Enquetekommission vorliegt, wir aber sehen, dass es nicht weitergeht.

Wir erleben, dass die Dörfer vereinsamen. Sie werden zersiedelt. Gehen Sie einmal in die Dörfer! Gucken Sie sich die Dorfkerne an!

(David McAllister [CDU]: Wir wohnen da!)

- Ich auch, Herr McAllister. Dann haben wir tatsächlich einmal etwas gemeinsam. Das überrascht mich.

(Beifall bei der LINKEN)