Protocol of the Session on June 10, 2010

Der starke demokratische Staat hat keine Probleme, mit eigenen Fehlern vernünftig und fair im Sinne der Betroffenen umzugehen. Der Umgang mit Entschädigungen für unschuldig erlittene Haft ist auch ein Indiz dafür, wo unser Staat auf der Skala zwischen Obrigkeitsstaat und Bürgerstaat anzusiedeln ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Eine kleine Abschweifung - es wurde schon vorhin erwähnt -: Für das Leid durch nutzlos vergeudete Urlaubszeit erkennen Gerichte in Deutschland neben direkten Kosten für Hotel etc. einen immateriellen Schaden von pauschal 25 bis 75 Euro pro Tag zu.

Wie wird nun das Leid durch unschuldig erlittenen, staatlich angeordneten Freiheitsentzug entschädigt? - Schauen wir uns bei unseren europäischen Nachbarn um. Ein paar Beispiele: In den Niederlanden gibt es 95 Euro bei Polizeihaft und 75 Euro bei Gerichtshaft. Österreich zahlt im Regelfall 100 Euro pro Tag, ebenso Finnland. In Schweden sind es für die ersten beiden Tage je 162 Euro, danach 70 Euro täglich. In Dänemark sind es 255 Euro für die ersten fünf Stunden, für die ersten

beiden Tage zusammen gibt 615 Euro, danach bis zu 108 Euro plus diverse Aufschläge.

Bis Mitte 2009, das haben wir eben gehört, waren es in Deutschland 11 Euro, seitdem 25 Euro. Das ist eine offensichtliche Diskrepanz - für mich ein offensichtlicher Missstand.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Trotzdem glaube ich nicht, dass der vorliegende Antrag wirklich im Interesse der Betroffenen ist; denn er fordert seine Ablehnung geradezu heraus, mit der Begründung, man habe die Entschädigungssätze gerade mehr als verdoppelt, und das würde die jetzige unbefriedigende Situation eher zementieren als verbessern. Mir erscheint es, jedenfalls in dieser Situation, klüger, zunächst inoffizielle Überzeugungsarbeit für eine dann durchgreifende Verbesserung zu leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Hans-Henning Adler [LINKE]: Da wün- sche ich Ihnen viel Erfolg!)

Meine Damen und Herren, für Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Limburg.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Herr Professor Zielke, wenn ich Ihre Rede richtig verstanden habe, haben Sie die Kernanliegen, die von den Linken und der SPD gerade vorgetragen worden sind, im Prinzip unterstützt. Wenn es also nur noch einen Dissens über den Verfahrensweg gibt, dann, denke ich, lässt sich sicherlich ein Weg finden, mit dem sich das gemeinsame Ziel erreichen lässt, auch mit Ihrer Fraktion. Wir Grünen würden das jedenfalls sehr begrüßen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD)

Nun zu Ihrer Rede, Herr Minister Busemann. Zunächst möchte ich Sie daran erinnern, dass, wenn ich die Niedersächsische Verfassung und die Geschäftsordnung richtig im Kopf habe, Feierabend bei der Debatte nicht ist, wenn der Minister gesprochen hat, sondern erst dann, wenn die Redeliste abgearbeitet ist - und darauf stehen noch einige Namen, Herr Minister.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ich habe vorhin der Rede meines Kollegen Grant Hendrik Tonne sehr aufmerksam zugehört. Er hat viele Zitate, die von Ihnen in der Presse zu lesen waren, gebracht. Er hat gesagt, was Sie in diversen Fernsehsendungen gesagt haben. Sie haben davon gesprochen, dass nicht die „Lizenz zum Gelddrucken“ entstehen darf. Sie haben das Beispiel eines Inhaftierten gebracht, der nach eigener Aussage bei der Haftentschädigung ganz gut weggekommen sei. Sie haben insgesamt mit verschiedenen Äußerungen ein Bild gezeichnet, dass das alles im Prinzip nicht so schlimm sei. Das hat Herr Tonne aufgezählt, und ich dachte: Was macht der Minister jetzt? - Wahrscheinlich kommt er nach vorne, entschuldigt sich für seine Äußerungen, stellt klar, dass er hier niemanden, der zu Unrecht Haft erlitten hat, entwürdigen wollte, und begründet dann vielleicht verfahrenstechnisch, warum er den Antrag zum jetzigen Zeitpunkt für unangemessen hält.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das wä- re angebracht gewesen!)

Stattdessen erleben wir hier einen völlig überdimensionierten Wutausbruch eines Justizministers, der sich darüber aufregt, dass die Opposition seine Äußerungen des letzten Jahres sehr aufmerksam verfolgt. Unglaublich!

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herr Tonne, wir Grünen unterstützen Ihre Forderungen ausdrücklich. Das wissen Sie auch. Im Prinzip haben Herr Professor Zielke, Herr Adler und auch Herr Tonne inhaltlich schon begründet, warum das notwendig ist.

Ich möchte noch einmal auf das Verfahren eingehen. Wenn Sie die Bundestagsprotokolle zu dieser Debatte auswerten - darüber haben wir bereits im Rechtsausschuss gesprochen -, dann werden Sie feststellen, dass nahezu alle Rednerinnen und Redner der Opposition und auch der damaligen Regierungspartei SPD angekündigt haben, dass diese Erhöhung nur ein erster Schritt sein kann, dass es auf keinen Fall bei 25 Euro bleiben kann, und dass nächste Initiativen unmittelbar folgen müssen. Das ist damals angekündigt worden! Ich weiß nicht, wo der Justizminister war, als diese Debatte gelaufen ist, dass ihn das hier so überrascht, dass das hier als Debatte im Plenum fortgesetzt wird.

Wir können und dürfen nicht noch einmal so lange Jahre, über 20 Jahre verstreichen lassen, bis es zu

einer angemessenen Entschädigung kommt, meine Damen und Herren. Darum liegt der Antrag nicht zum falschen Zeitpunkt vor, sondern genau zum richtigen, weil jeder Tag, der verstreicht, ohne dass wir die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft auf ein angemessenes Maß erhöht haben, ein schlechter Tag für den Rechtsstaat ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Redner aufrufe: Herr Minister, Sie wissen, dass es für Abgeordnete, die eine bestimmte Handbewegung machen, die zum Kopf führt, einen Ordnungsruf gibt. Bei einem Minister fehlt mir diese Möglichkeit. Ich möchte Sie aber bitten, das zu unterlassen.

Jetzt hat der Kollege Adasch von der CDUFraktion das Wort. Sie haben noch eine Restredezeit von 1:17 Minuten, zusammen mit der zusätzlichen Redezeit 3 Minuten.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Tonne, ich will mich direkt an Sie wenden. Wir haben dieses Thema im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen ausführlich, sachlich und vernünftig miteinander diskutiert. Deswegen bin ich über Ihren heutigen Auftritt hier im Parlament entsetzt.

(Beifall bei der CDU)

Das ist weit unter Ihrem Niveau, das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen. Ich finde es bedauerlich für die bisherige gute Zusammenarbeit in diesem Ausschuss.

Herr Limburg, ein letzter Punkt. Wenn sich hier jemand zu entschuldigen hat, dann ist es Herr Tonne, der hier wider besseres Wissen dem Minister unterstellt, er habe diese Dinge auf der Bundesebene blockiert.

(Detlef Tanke [SPD]: Wofür? Zitate!)

Das ist schlichtweg die Unwahrheit, und ich fordere Sie auf, das zurückzunehmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Haase von der SPD-Fraktion hat ebenfalls um zusätzliche Redezeit gebeten. Drei Minuten!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Busemann, Sie sind offensichtlich sehr getroffen. Es muss verdammt bitter sein, wenn einem die eigenen Worte als Zitate vorgehalten werden.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Sonst kann ich mir nicht vorstellen, wie Sie zu so einer Reaktion, zu so einer wutentbrannten Rede haben kommen können.

Sie sprachen in Ihrer Rede - deswegen habe ich mich gemeldet - von Unterstellungen und fehlerhaften Zitaten durch meinen Kollegen Tonne. Herr Adasch hat diese falsche Behauptung gerade noch unterstrichen.

Den Beweis für nur ein falsches Zitat, für eine Unterstellung, die nicht belegbar ist, den sind Sie uns schuldig geblieben. Für Sie als Jurist ist das ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN - Detlef Tanke [SPD]: Genau! Genau das ist es! Das ist es ganz genau!)

Herr Busemann, ich fordere Sie auf: Benennen Sie die falschen Zitate, benennen Sie die angeblichen Unterstellungen, oder seien Sie ein Kerl, kommen hierher und sagen Entschuldigung, und dann können wir weiterarbeiten!

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Detlef Tanke [SPD]: Genau so ist es!)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

(Zurufe von der SPD: Was denn? Wie? - Kreszentia Flauger [LINKE]: Es fehlt noch was!)

Wir kommen zur für heute letzten Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der

SPD in der Drs. 16/1744 ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.

Meine Damen und Herren, bevor ich die heutige Sitzung schließe, möchte ich an die Sitzung des Ältestenrats erinnern, die gleich im Leibniz-Saal stattfinden wird, und an den Parlamentarischen Abend des Beamtenbundes.

Meine Damen und Herren, wir sehen uns morgen früh um 9 Uhr wieder. Die Sitzung ist geschlossen.