Protocol of the Session on June 10, 2010

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ungewöhnliche Situationen verlangen durchaus ungewöhnliche Flexibilität. Das ist auch uns klar. Auch wir lesen Zeitung und wissen, was sich in den letzten Tagen getan hat und dass das weitreichende Auswirkungen auf das Land Niedersachsen haben kann. Das alles ist in Ordnung.

Wir wissen auch, dass wir eine Geschäftsordnung haben, mit der man eine Menge machen kann. Sie ist hoch flexibel. Eine Mehrheit kann sie nutzen und die Tagesordnung hin und her schieben. Das war immer so. Wir halten das auch nicht für prinzipiell falsch.

Aber ich finde, dass es schon eine Untergrenze gibt, wie man mit einem Parlament umgeht. Wir wissen seit über einer Woche, dass der Ministerpräsident plant, Bundespräsident zu werden. Das wissen wir aus den Zeitungen. Das ist uns aber bisher nicht mitgeteilt worden.

(Lachen bei der CDU)

- Das ist nicht albern, Herr Kollege. Auch Sie sollten sich als Teil dieses Parlaments, dieser Volksvertretung ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, dass das alles auch Auswirkungen auf die Zeitplanung von uns allen haben wird, und auch uns ist bekannt, dass es Überlegungen von der Mehrheit des Landtages gibt, am 1. Juli eine Sondersitzung zu machen. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass das besser ist als am 10. Juli, weil es ja nicht nur um den Zeitplan der Abgeordneten, sondern auch vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht, und wenn solch eine Änderung ins Haus steht, sollte man schon gucken, dass das verfassungsrechtlich alles sauber läuft, aber natürlich auch die privaten Belange der Beschäftigten, der Beteiligten Berücksichtigung finden. Das ist alles in Ordnung.

Wir wissen aber auch, dass es bis heute eine Menge offener rechtlicher und verfassungsrechtlicher Fragen gibt, die sich auch daraus ergeben, dass der Ministerpräsident - das liest man ja in den Zeitungen - mitgeteilt hat, dass er auf keinen Fall das Amt des Ministerpräsidenten zur Verfügung

stellt, ehe er in der Bundesversammlung gewählt wurde.

Daraus ergibt sich eine Reihe von verfassungsrechtlichen Bedenken und Konsequenzen, die nach meiner Einschätzung noch nicht alle geklärt sind. Der Finanzminister wird das bestätigen, weil wir eben am Rande eines Gesprächs mit zahlreichen Journalisten festgestellt haben, dass bestimmte Dinge schon noch offen sind.

Es muss doch für den Landtag klar sein, dass das alles geklärt sein muss, ehe wir auch in solch eine Sitzung gehen, und dass eine Sitzung auch ordnungsgemäß vorbereitet werden muss.

Wir haben heute Vormittag mit dem Landtagspräsidenten darüber geredet, dass wir es für dringend geboten halten, für heute Abend eine Sitzung des Ältestenrats einzuberufen. Er hat sich das zu eigen gemacht, und die Einladung ist - was weiß ich - vor einer halben Stunde auf die Tische gelegt worden. Die Sitzung findet also statt. Hoffentlich gelingt es da, viele Dinge zu klären. Denn auch der Landtagspräsident hat uns heute bisher formell nichts mitteilen können - wahrscheinlich deshalb, weil die Landesregierung ihm noch nichts mitgeteilt hat.

Jetzt bekommen wir aber heute Morgen - ich muss ehrlich sagen, mich berührt und bewegt das schon - ein Schreiben der Landtagsverwaltung, die uns mitteilt - das ist das erste Mal, dass wir informiert werden -, dass wahrscheinlich am 1. Juli eine Sitzung ist - - -

(Zuruf von der CDU: Das stand in al- len Zeitungen!)

- Herr Kollege, das, was in Zeitungen steht, ist nicht immer authentisch und ist nicht rechtsbindend für den Landtag. Ich sage das ausdrücklich noch einmal.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Die Journalisten berichten über die Arbeit des Landtages, aber sie stellen weder die Tagesordnung auf, noch haben sie an den Beschlüssen teil.

Die Landtagsverwaltung teilt uns mit - ich zitiere -:

„Im Vorgriff auf die möglicherweise am 1. Juli stattfindende Sondersitzung des Niedersächsischen Landtags möchte ich bereits jetzt darauf hinweisen, dass die Vergabe aller Logen- und Tribünenplätze für die geladenen

Gäste der Sondersitzung dem Landtagspräsidenten obliegt.“

Meine Damen und Herren, das erste Mal, dass wir als Abgeordnete hören - schriftlich -, dass eine Sondersitzung ist, wird uns mitgeteilt, wie über die Logenplätze verfügt wird. Das geht nicht! Das ist wirklich peinlich!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Gerd Ludwig Will [SPD]: Unglaublich!)

Deshalb fordere ich im Namen meiner Fraktion - auch um dem Ältestenrat heute Abend eine solide Vorgabe zu liefern, damit er das abarbeiten kann -,

(Glocke der Präsidentin)

dass die Landesregierung dem Landtag jetzt hier mitteilt, ob es stimmt, dass der Ministerpräsident beabsichtigt zurückzutreten und dass die Landesregierung deshalb den Landtagspräsidenten bittet, eine Sondersitzung am 1. Juli einberufen zu lassen. Darauf hat dieses Parlament ein Anrecht.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ulf Thiele [CDU]: Herr Jütt- ner, Sie haben im Plenum die letzten zwei Tage nicht zugehört!)

Herr Minister Bode, habe ich das Signal richtig verstanden? Mir liegen weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor. Möchten Sie hinterher sprechen? - Das verkürzt das Ganze. Herr Minister Bode, Sie haben das Wort für die Landesregierung.

Sehr geehrter Herr Jüttner, ich hoffe, dass ich damit jetzt die Debatte ein wenig verkürzen kann. Falls die bisherigen Ausführungen so nicht ausreichend waren, erkläre ich hier für die Landesregierung, dass Ministerpräsident Christian Wulff am 30. Juni in der Bundesversammlung als Bundespräsident kandidiert. Für den Fall seiner Wahl ist er damit automatisch nicht mehr Ministerpräsident

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Automa- tisch nicht! - Zuruf von der SPD)

- ja, durch Rücktritt natürlich - und kann er auch nicht mehr Landtagsabgeordneter sein. Das bedeutet in der Tat in der Niedersächsischen Verfassung vorgesehene weitere Schritte. Das ist richtig.

Diese obliegen aber dem Parlament. Der Chef der Staatskanzlei hat in der Landespressekonferenz ebenfalls hierauf hingewiesen und nach meinen Informationen sogar mehrfach gesagt: Was Terminierungen und andere Dinge angeht, ist das Sache des Parlaments, der Legislative, und nicht der Landesregierung. Das heißt, der Ältestenrat und die Fraktionen müssen sich über den Termin selber verständigen, wann der Landtag tagen soll.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Bevor ich die weiteren zwei Wortmeldungen zur Geschäftsordnung aufrufe, hat Herr Minister Möllring das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jüttner hat eben ausgeführt, dass wir im Gespräch mit Journalisten noch Unklarheiten gehabt hätten. Dem muss ich widersprechen. Es hat Klarheiten gegeben. Es geht darum, dass der Ministerpräsident ja im Aufsichtsrat von VW - einer auf Erwerb gerichteten Gesellschaft - ist. Das darf er als Bundespräsident nicht. Herr Jüttner hat darauf hingewiesen, dass in der Satzung steht, dass man jederzeit zurücktreten kann, allerdings mit einer Frist von einem Monat. Das könnte ein Problem geben, weil die Bundespräsidentenwahl ja in einer kürzeren Frist als in einem Monat ist. Das ist aber deshalb kein Problem - darauf habe ich auch hingewiesen; das ist rechtlich geprüft worden -: Es ist zwar richtig, dass das in der Satzung steht. Aber richtig ist auch, dass im Grundgesetz steht, dass man eben nicht mehr solch einem Gremium angehören darf. Eine Satzung kann natürlich nicht einen Bundespräsidenten zwingen, noch in diesem Gremium zu bleiben. Das ist nun hoch und herunter geprüft worden. Das habe ich Ihnen auch in Gegenwart der Presse mitgeteilt. Das ist eindeutig. Denn höheres Recht bricht immer unteres Recht. Eine Satzung einer Gesellschaft kann das Grundgesetz nämlich nicht aushebeln.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf: Das war nur Herrn Jüttner na- türlich nicht klar!)

Herr Minister, gestatten Sie eine Frage von Herrn Kollegen Jüttner? - Herr Jüttner, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Logik, die Sie, Herr Möllring, gerade ausgeführt haben, und nach den Bemerkungen von Herrn Bode hätte das dann zur Folge - das ist ja das Motto „Ober sticht Unter“; das höhere Gesetz gilt -, dass der Ministerpräsident auch sein Landtagsmandat und den Ministerpräsidentenposten gar nicht zurückgeben muss, weil auch dort die bundesrechtlichen Bestimmungen gelten „Der Bundespräsident darf keine sonstigen Tätigkeiten ausüben“ und damit alles andere auch hinfällig wäre und damit auch die Annahme der bisher beschriebenen zwei Briefe des Ministerpräsidenten an den Landtagspräsidenten, die ihm in Berlin am 30. übergeben werden sollen, gar nicht mehr notwendig ist? Habe ich das jetzt richtig verstanden?

(Christian Dürr [FDP]: Nein!)

Herr Minister!

Nein, das haben Sie nicht richtig verstanden. Ich hatte versucht deutlich zu machen, dass der Ministerpräsident, wenn er zum Bundespräsidenten gewählt worden ist, selbstverständlich sein Aufsichtsratsmandat niederlegen muss. Er muss tätig werden, er verliert es nicht automatisch. Aber die Frist, die in der Satzung vorgesehen ist, gilt in diesem Fall nicht, weil die Verfassung etwas anderes vorsieht. Es geht hier nur um die Frist.

Das Gleiche gilt für die Niederlegung des Mandats und das Niederlegen der Funktion des Ministerpräsidenten. Als Ministerpräsident kann er jederzeit zurücktreten. So steht es bei uns in der Verfassung. Damit gilt dann auch die Landesregierung als zurückgetreten, sodass wir dann auch gar keine Wünsche mehr haben dürfen, sondern dann muss das Parlament nach der Verfassung entscheiden, wann es zusammentritt und eine neue Regierung bzw. einen neuen Ministerpräsidenten wählt, und er muss als Landtagsabgeordneter zurücktreten. Dies muss dann vom Landtag rückwirkend bestätigt werden - rückwirkend! Das heißt, der Landtag hat nur darüber zu entscheiden, ob er wirksam zurückgetreten ist.

Warum gibt es diese Vorschrift in der Verfassung? - Es hat in ganz jungen Jahren der Bundesrepublik bei den Kommunisten einmal die Regel gegeben, dass jeder ein Rücktrittsschreiben bei seinem Parteivorsitzenden zu hinterlegen hatte, damit der

Parteivorsitzende bei Missverhalten entscheiden konnte, dass jemand sein Mandat verliert. Das ist natürlich verfassungswidrig. So ist es auch vom Verfassungsgericht festgestellt worden.

Wir haben in diesem Landtag einmal die Situation gehabt, dass die Grünen ein Rotationsprinzip hatten. Das heißt, die ersten Grünen mussten den Landtag bereits nach zwei Jahren verlassen. Es hat einen verfassungsrechtlichen Streit darüber gegeben, ob diese Entscheidung, zurückzutreten, freiwillig war oder auf Druck erfolgte - imperatives Mandat usw. Dazu hat es eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs gegeben. Es ist aber eindeutig, dass die Entscheidung des Landtages nur feststellt, dass der Rücktritt freiwillig erfolgte und dass er wirksam war, aber nicht, dass jemand gegen seinen Willen im Mandat gehalten werden kann. Das ist auch logisch. Denn stellen Sie sich einmal vor, dass die Opposition oder eine Mehrheit in der Bundesversammlung ein Mitglied eines Landtages aufgestellt hätte, das in der Opposition säße. Dann könnte die Mehrheit im Landtag verhindern, dass dieser Mensch Bundespräsident wird. Das kann so nicht richtig sein.

Alle diese Prüfungen sind sehr solide erfolgt. Die verfassungsrechtliche Lage ist da eindeutig und zweifelsfrei. Deshalb kann das so gemacht werden.

Wann der Landtag zusammentritt, muss das Präsidium oder ein anderes Gremium - ich weiß nicht, wer dafür zuständig ist - entscheiden. Das kann ja auf keinen Fall die Landesregierung machen. Vernünftigerweise wird man sich dann wahrscheinlich auf einen nahen Termin einigen; denn ich nehme einmal an, dass das Präsidium und die Landtagsabgeordneten auch an die Mitarbeiter der Landtagsverwaltung denken, die wahrscheinlich auch Urlaubsplanungen haben. Hier sitzen ja nicht nur wir 160 herum, sondern hinter uns und um uns herum sitzen auch 100 Beschäftigte, die dann auch entsprechend berücksichtigt werden müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herzlichen Dank. - Zur Geschäftsordnung, also nach § 75, hat jetzt Frau Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ausgangspunkt der Geschäftsordnungsdebatte war ja, dass Herr

Jüttner moniert hat, wie hier mit dem Parlament umgegangen worden ist. Ich möchte das in einen kleinen Zusammenhang stellen. Gestern hat Herr Thümler hier von dieser Stelle aus von der „Regentschaft“ von Christian Wulff gesprochen.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Klein- kariert und erbärmlich!)